Die per­fekte Sym­biose

René Adler und Rüdi­ger Voll­born

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„Vom Kurtekotten in die Profi-Welt“ – Teil sieben der Serie erzählt die ungewöhnliche Torwart-Geschichte von René Adler und Rüdiger Vollborn.

Sommer 2006. René Adler und Rüdiger Vollborn gehen auf dem Parkplatz der BayArena Richtung Katakomben. „Für mich musst du nicht Bundesliga-Torwart werden, René“, sagt Vollborn. Adler ist da 21 Jahre alt. Bisher lief alles glatt. Sehr glatt. Mit 15 Jahren wechselt das Torwart-Talent von Leipzig nach Leverkusen, trainiert als A-Jugendlicher mit den Profis, sitzt auch schon mal bei der Werkself in der Bundesliga auf der Bank. Dazu durchläuft Adler als Nummer eins alle Nachwuchs-Nationalmannschaften des DFB und wird bei der U20-WM 2005 als bester Torwart in die Elf des Turniers mit Lionel Messi und Co. gewählt.

Und dann das. Februar 2006. Schmerzen im Brustkorb. Training? Nicht möglich. Die Ärzte finden nichts. „Es war das erste Mal, dass ich mit Widerständen kämpfen musste“, erinnert sich Adler. Auf einmal stellt er alles in Frage. Jetzt zahlt sich auch aus, dass er mit Bayer 04-Torwartlegende Rüdiger Vollborn einen Trainer an seiner Seite hat, der ihn in- und auswendig kennt.

Überzeugung auf den ersten Blick

Rückblende. Anfang 2000 trainiert Vollborn auf Einladung von DFB-Trainer Jörg Daniel bei einem U15-Sichtungslehrgang die Torhüter. Die erste Begegnung mit René Adler - und Vollborn kommt aus dem Staunen nicht mehr raus: „Renés Bewegungsablauf war wesentlich geschmeidiger als bei allen anderen, die ich vorher gesehen hatte. Dazu kam eine für das Alter unglaubliche Sprungkraft. Das hat mir imponiert.“

Als er aus Leipzig zu seiner Familie zurück nach Leverkusen kommt, sagt Vollborn zu seiner Frau Marion: „Ich habe den kommenden Nationaltorwart gesehen.“ Auch auf der anderen Seite hat es „Klick“ gemacht. René erzählt in Leipzig seinen Eltern begeistert vom Training mit Vollborn: „Ich hatte so viel Spaß und wir haben uns menschlich sofort verstanden.“ Jetzt muss nur noch zusammenfinden, was scheinbar zusammengehört. Und das ist nicht ganz so einfach.

Nur zu „Rüdi“

Für René Adler ist nach Kontakten zu anderen Vereinen und Besuchen in Hamburg und Stuttgart schnell klar: Er will zu Leverkusen, zu Vollborn: „Das Leistungszentrum am Kurtekotten war gerade neu. Leverkusen hatte einen guten Ruf, aber maßgeblich war letztlich ‚Rüdi‘.“ Es gibt nur ein Problem: Wo soll der Teenager wohnen? Das Gastfamilien-System bei Bayer 04 ist noch im Aufbau. Auf eine Zeitungsanzeige meldet sich niemand. „Ich habe zu René gesagt: Mach doch erstmal in Sachsen nach der 12. Klasse dein Abitur und komm dann nach Leverkusen“, erklärt Vollborn. Aber Adler will sofort zu Bayer 04.

Wenn wir nicht Musik gehört haben, haben wir selbst bei den Fahrten zum Training übers Torwartspiel gesprochen.

Der entscheidende Impuls kommt schließlich von DFB-Trainer Daniel. Der sagt in einem Telefonat mit Vollborn: „Dann nimm du ihn doch.“ Und als „Rüdi“ mit dem Vorschlag zu seiner Frau auf die heimische Terrasse kommt, lächelt sie nur und sagt: „Das wolltest du doch sowieso.“ Nach einem Gespräch mit Nachwuchsleiter Michael Reschke geht alles ganz schnell. Bei den Vollborns rücken die Handwerker an und ruckzuck wird das Dach ausgebaut. Im Sommer 2000 zieht Adler ein. Die Basis für eine besondere Zusammenarbeit ist gelegt.

24/7 Torwartspiel

Ab jetzt gibt es für René nur noch Schule und Fußball – oder besser: Torwartspiel. „Wenn wir nicht Musik gehört haben, haben wir selbst bei den Fahrten zum Training übers Torwartspiel gesprochen und dann konnte ich direkt im Training daran arbeiten und hinterher haben wir wieder drüber gesprochen. Das war das optimale Szenario“, beschreibt Adler das Zusammensein von Trainer und Spieler.

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Zeitweise ist der Haushalt der Vollborns sogar komplett auf Torwart gepolt, weil auch die Söhne Jerome (in Burscheid) und Fabrice (im Bayer 04-Nachwuchs) zwischen den Pfosten stehen. „Die Jungs haben dann im Garten weitergemacht“, so Vollborn. Adlers Talent und Ehrgeiz gepaart mit Vollborns Idee von einem modernen, mitspielenden, vorausdenkenden Torwart lassen den jungen Keeper besser und besser werden. Der Himmel scheint das Limit zu sein.

Vier Monate für eine Achterbahnfahrt

Bis eben der Sommer 2006 kommt. Mit Schmerzen. Mit Zweifeln. Nach sechs Jahren Zusammenarbeit kennt Vollborn seinen Schützling. Er nimmt den Druck raus, Adler bekommt Zeit und schließlich findet der x-te Arzt auch das Problem: Ein Rippenbruch, unter der Dauerbelastung nicht verheilt, handicapt den jungen Schlussmann. „Die Diagnose im November war eine Art Erlösung“, erinnert sich Adler. Von da an geht es bergauf. Und wie.

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Im Januar 2007 beginnt Adler wieder mit dem Training. Mitte Februar steigt er ins Mannschaftstraining ein und schon nach zwei Einheiten und einem Spiel bei der U23 will ihn Cheftrainer Michael Skibbe im Heimspiel gegen Hannover 96 debütieren lassen, weil Stammtorwart Hans-Jörg Butt eine Rot-Sperre absitzt. Doch wieder hat Vollborn das richtige Gefühl: „Das wäre einfach zu viel des Guten gewesen.“

Perfektes Debüt auf Schalke

Aber schon im Sonntagstraining nach dem 0:1 gegen Hannover nimmt Skibbe Adler beiseite und sagt: „Auf Schalke spielst du.“ Zwischen totaler Verzweiflung und Erfüllung eines Traums liegen gerade einmal knapp vier Monate. „Wir hatten dann eine Woche Zeit, Nervosität und Lampenfieber in Spaß umzuwandeln. Das haben ‚Rüdi‘ und ich dann ganz gut geschafft“, sagt Adler und untertreibt ein wenig. Der Schritt auf die Bundesliga-Bühne kommt einem Paukenschlag gleich.

Beim Tabellenführer FC Schalke 04 mit Schlussmann Manuel Neuer wird Adler gleich zum Helden, pariert alles, was auf sein Tor kommt. Bayer 04 gewinnt mit 1:0. Adler ist mit Note 1 der Spieler des Spiels. Die unzähligen Stunden im Leistungszentrum und auf dem Rasen des Leverkusener Hockey-Clubs, die Gespräche im Auto und zu Hause, die akribische Arbeit an Fußstellung und Positionen, die zahllosen Spiele münden in einem perfekten Debüt.

Der Höhenflug

Für Adler ein „Spiel im Flow“ und für Vollborn die Bestätigung einer Vision, die er 2000 bei der ersten Begegnung hatte: „So habe ich mir René vorgestellt. So sollte es aussehen.“ Was dann kommt, ist Bayer 04-Geschichte: weitere starke Spiele, Nummer eins, Nationalmannschaft, drei Jahre Höhenflug.

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Erst eine weitere Rippenverletzung kurz vor der WM 2010 stoppt die Erfolgsgeschichte. „Das war der Horror“, beschreibt Vollborn seine innere Gefühlswelt. Adler selbst sieht es rückblickend etwas anders: „Ich wollte es zu sehr, wollte unbedingt der Welt zeigen, was ich kann.“ Für einen 25 Jahre jungen Torwart verständlich, aber für die Karriere am Ende nicht förderlich.

Zwölf Jahre für die Ewigkeit

In der Folgezeit wechseln sich starke Auftritte und Verletzungsprobleme ab. 2012 verlässt Adler Bayer 04 Richtung Hamburg. Trotzdem ist eine Menge geblieben. „Leverkusen ist ein Stück Heimat geworden. Ich war in einer prägenden Phase zwölf Jahre da. Das ist ein Gefühl, das tief in mir drin ist“, sagt Adler, der in Leverkusen auch seine Frau, die Schauspielerin Lilli Holunder kennenlernt.

Und auch Vollborn weiß: „Zwischenmenschlich ist da etwas entstanden, was ein Leben lang bleiben wird.“ Noch bis vor Kurzem sprach seine Frau immer davon, dass sie drei Söhne hat. Eine Symbiose. Auf allen Ebenen.

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