„Vom Kurtekotten in die Profi-Welt“ – im ersten Teil der Serie sprechen wir mit Gonzalo Castro.
In der D-Jugend gekommen, fünf Jahre im Nachwuchs von Bayer 04 gespielt. Mit 17 Jahren schon Profi geworden, anschließend zehn Jahre für die Werkself in der Bundesliga aufgelaufen: Gonzalo Castro hat eine lange Geschichte in Leverkusen. Und alles begann für den heute 33-Jährigen im Leistungszentrum von Bayer 04 – oder eher mit einer vergeblichen Fahrt dorthin.
Im Gespräch mit bayer04.de erinnert sich der Mittelfeld-Routinier, der für Leverkusen, Borussia Dortmund und den VfB Stuttgart mittlerweile über 400 Bundesliga-Spiele bestritten hat, an seine Anfänge im Leistungszentrum am Kurtekotten, besondere Momente und Typen.
Gonzo, wann hast du zuletzt an Leverkusen gedacht?
Castro: Das ist nicht lange her. Leverkusen ist ja immer noch ein Teil meines Lebens. Meine Frau kommt von dort, meine Eltern und Schwiegereltern wohnen da, meine Geschwister auch. Und nach meiner Karriere werde ich nach Leverkusen zurückziehen. Von daher waren, sind und werden die Stadt sowie Bayer 04 immer ein Thema sein.
Was ist deine erste Erinnerung an Bayer 04?
Castro: Den ersten Kontakt gab es, als ich in der E-Jugend gespielt hatte. Aber meiner Mutter war das wegen der Schule zu früh. Ich war halt nicht so der Musterschüler. Aber Bayer 04 hat immer weiter gefragt und zwei Jahre später, also 1999, hat mein Vater ohne Einverständnis meiner Mutter zugesagt. (lacht)
Wie schief hing der Haussegen danach?
Castro: Am Anfang war das schon ein Schock für meine Mutter. Für sie stand die Schule absolut im Vordergrund und aus heutiger Sicht kann ich das auch voll verstehen. Aber als sie gesehen hat, dass die Zusagen von Bayer 04 auch in Bezug auf Schule eingehalten wurden, war sie schnell überzeugt.
Wie hat sich dein Leben danach verändert?
Castro: Die Tage waren extrem durchgetaktet. Nach der Schule wurde ich vom Fahrdienst abgeholt. Im Leistungszentrum habe ich mit Frank Ditgens Hausaufgaben gemacht oder Nachhilfe bekommen. Dann folgte das Training und erst am Abend ging es wieder nach Hause.
Wie war dein Start in Leverkusen?
Castro: Das erste Training war schon ein Abenteuer. Der Fahrer hat mich am Leistungszentrum rausgelassen. Das war damals ganz neu, ich kannte mich nicht aus und kannte keinen. Es haben zwar Mannschaften trainiert, aber meine war nicht dabei. Irgendwann habe ich mich dann mal getraut, nachzufragen. Aber damals hat die D-Jugend noch auf der Kurt-Rieß-Anlage trainiert. Dann wurde ich schnell rübergefahren. Ich war natürlich viel zu spät und total aufgeregt.
Aber sportlich hat es gepasst.
Castro: Auf jeden Fall. Trainer und Mitspieler haben es mir sehr leicht gemacht. Schon das erste Turnier in Rotterdam hat mir damals gezeigt, dass ich in Leverkusen genau richtig bin. Die Atmosphäre, die klangvollen Namen wie Ajax oder Feyenoord. Das war sehr, sehr cool.
Gab es mal Momente, in denen du keine Lust aufs Training hattest?
Castro: Definitiv: Nein. Ich habe mich auf jede Einheit gefreut. Ich war ja auch froh, dass die Schulsachen vorbei waren und ich endlich auf den Platz durfte.
Dann waren die Wochenenden ohne Schule und mit Turnieren bestimmt die beste Zeit für dich...
Castro: Auf jeden Fall. Das war jedes Mal ein Highlight für die ganze Familie. Meine Eltern sind immer dabei gewesen und zusammen mit den anderen Spielerfamilien war das ein besonderes Gefühl für alle.
Welche Trainertypen sind dir in deiner Nachwuchszeit begegnet?
Castro: Eigentlich waren die sich gar nicht so unähnlich und das fand ich im Nachhinein auch das Tolle bei Bayer 04. Ob Jörg Bittner in der D-Jugend, Dirk Diekmann ein Jahr später und dann auch Norbert Meier, Daniel Zillken oder Thomas Hörster. Die Ausbildung hatte eine klare Philosophie, die Trainer waren klar in ihrer Arbeit und Ansprache. Dadurch konnte man sich als Kind oder Jugendlicher immer auf das Wesentliche konzentrieren und hatte immer die Möglichkeit, das Beste aus sich herauszuholen.
Wann wurde aus dem reinen Spiel für dich der Fußball-Ernst?
Castro: Das ging bei mir sehr früh und sehr schnell. Schon im ersten B-Jugend-Jahr wurde vieles konkreter. Ich wurde vorzeitig in die A-Jugend zu Thomas Hörster hochgeholt. Die wollten mal schauen, ob ich Niveau und Tempo schon packe. Das hat gepasst. Und nach nur einem halben Jahr dort war ich schon bei den Profis. Mit 17 mittendrin statt nur dabei sozusagen. Es ging alles Schlag auf Schlag.
Und bei deinem Bundesliga-Debüt warst du immer noch 17 Jahre jung...
Castro: Ein so junger Spieler war ja damals sehr ungewöhnlich. Von diesem Tag habe ich noch alles vor Augen. Es war ein kalter Wintertag im Januar 2005 in Hannover. Ich saß vorerst auf der Ersatzbank. Es stand 3:0 für uns. Ich habe mit gar nichts gerechnet und auf einmal heißt es von Klaus Augenthaler: Mach dich bereit. Ich durfte 20 Minuten rein. Der Rest war wie in Trance. In Worte lässt sich das schwer fassen, aber das Gefühl kann ich immer noch abrufen.
Welche Personen außerhalb des Spielfelds haben dich bei Bayer 04 besonders geprägt?
Castro: Mit 16 bin ich für zwei Jahre in die Gastfamilie Scholz gekommen. Das hat mich sehr geprägt und ist auch so eine dieser Sachen, die einmal mehr die Stärken des Ausbildungskonzepts von Bayer 04 aufzeigt. Ich bin dort super aufgenommen worden. Das hat mir beim Erwachsenwerden auf und neben dem Platz unheimlich viel gegeben. Wir haben auch heute noch sehr guten Kontakt. Mit Greenkeeper Andi Rothe habe ich sehr viel gelacht und mit den Karts meine ersten Auto-Erfahrungen gemacht. Reschke, Klossek, Rettig. Da sind so viele Namen und Momente, die für immer bleiben.
Hört sich an wie das Aufwachsen in einer großen Familie.
Castro: So war es ja letztlich auch. Ich habe mit diesen Menschen über Jahre mehr Zeit als mit meiner eigenen Familie verbracht. Sie alle haben ihren Anteil daran, dass ich da bin, wo ich heute sein darf.
Zum Schluss noch ein paar schnelle Stichworte für dich: Das erste Mal BayArena?
Castro: Das war, glaube ich, direkt in der D-Jugend. Da hat Real Madrid vor dem Champions-League-Spiel in der BayArena trainiert. Luis Figo, David Beckham, Zinedine Zidane. Da waren schon ein paar Knaller dabei. Da so nah dran zu sein, da wird der Wunsch, Profi zu werden, nicht kleiner.
Der härteste Trainer?
Castro: Das muss in der C-Jugend gewesen sein. Der Co-Trainer von Dirk Diekmann, Thomas Hölzgen. Wenn du diese Zeit überstanden hattest, dann hast du alles überstanden.
Dein schönstes Jugend-Tor?
Castro: Ich habe ja nicht so viele geschossen. Deshalb ist es eher ein Spiel: Bei einem klaren Sieg in einem Heimspiel in der B-Jugend gegen den VfL Bochum habe ich mal drei Tore gemacht. Das ist mir seitdem in einem Spiel nie wieder gelungen. (lacht)
Der größte Bock, den du bei den Junioren geschossen hast?
Castro: Oh, da muss ich überlegen. Fußballerisch fällt mir da nicht direkt etwas zu ein, sondern eher, was wir außerhalb des Feldes manchmal so getrieben haben. Aber da war nichts Schlimmes dabei. Das ließ sich immer schnell wieder geradebiegen.
Abschließend: Sehen wir dich nochmal in einem Bayer 04-Trikot?
Castro: Dirk Dreher (Manager der Bayer 04-Traditionsmannschaft, Anm. d. Red.) hat mir schon eins von der Traditionsmannschaft geschickt. Aber so weit bin ich noch nicht, meine Karriere soll schon noch ein paar Jahre dauern. Wenn dann mal Schluss ist und ich etwas Abstand vom Profifußball gewonnen habe, kann das durchaus passieren.
Nachfolgend äußern sich einige Begleiter von Gonzalo Castro aus seiner Zeit unter dem Bayer-Kreuz zu ihrem einstigen Jugendspieler - und geben dabei spannende Einblicke.
Jörg Bittner (Castros erster Trainer in der Leverkusener U13):
„Gonzo war und ist ja eher ein ruhiger und besonnener Vertreter. Auf dem Platz kennt er jedoch von klein an kein Pardon. Richtig sauer wurde Gonzo immer, wenn das Abschlussspiel im Training beendet wurde. Ein Traumspieler für jeden Trainer, den ein unbändiger Lernwille, große Widerstandsfähigkeit und die pure Freude am Spiel auszeichnen.“
Reiner Rettig (Seit dem Jahr 2000 Leiter des Bistros am Kurtekotten):
„Gonzo hat ja recht häufig bei mir im Bistro gegessen und immer gesagt: ‚Wir gehen beim Rettig Mittagessen‘. Das ist eigentlich der erste Satz, der mir zu ihm einfällt und mich und auch andere immer schmunzeln lässt.“
Andreas Rothe (Greenkeeper am Kurtekotten):
„Der Gonzo war der Einzige, der freitags immer zu mir kam und geholfen hat, die Mülleimer auf ganz Kurtekotten leer zu machen. Und dafür durfte er dann ab und an auch das Golf-Car schnappen und eine Runde mit dem Auto über das Gelände heizen. Das war unser Deal. Ach, wir haben Wasserschlachten und viele andere witzige Dinge damals gemacht. Mit Gonzo war es eine echt tolle Zeit!“
Carsten Baumann (Damaliger Berufsschulkollege Castros):
„Im September 2005 war Gonzo Azubi im dritten Lehrjahr als Sport- und Fitnesskaufmann. Ich hatte zu der Zeit mein erstes Lehrjahr, meine Umschulung begonnen und war zudem auch noch Co-Trainer bei der U14 . Jedenfalls haben wir uns dann während den Berufsschultagen auf dem Pausenhof getroffen und Gonzo war so fußballbegeistert, dass er immer einen Ball am Fuß haben und fleißig trainieren wollte. Da fragte er mich tatsächlich, ob wir nicht in den Pausen Ballhochhalten trainieren können.“
Wolfgang Scholz (Castros einstiger Gastvater):
„Wenn wir heute zu Hause Pizza essen, denke ich immer an Gonzo. Als wir damals das erste Mal zusammen Pizza gegessen habe, fragte er mich: ‚Hast du mal eine Schere, Wolle?‘ Dann hat er mir gezeigt, wie man Pizza mit einer Schere schneidet. (lacht) Wir haben auch heute noch ein sehr gutes Verhältnis. Gonzo war und ist bodenständig, hat einfach einen tollen Charakter und sich hier zu Hause vorbildlich verhalten.“
Frank Ditgens (Früherer Schulischer Begleiter Castros):
„Gonzo hat bei uns im Ausbildungscenter sein Praktikum absolviert. Und auch als er schon Profi war, hat er seine Ausbildung bei uns zu Ende gemacht. Er war quasi der Vorreiter unserer dualen Karriere. Auch nach all den Jahren hängt noch ein Bild aus seiner Zeit bei uns hier. Das zeigt einfach, wie groß die Verbundenheit zu ihm ist.“