Fach: Einigen ging „der Arsch auf Grundeis“

Der eine war gerade als junges 21-jähriges Talent von der Hertha aus Berlin gekommen, der andere gehörte mit seinen fast 33 Jahren schon zu den erfahrenen Spielern unterm Bayer-Kreuz. Wie haben Carsten Ramelow und Holger Fach die Saison 1995/96 erlebt? 04 Fragen an zwei Profis, die auch im entscheidenden Duell gegen Kaiserslautern über 90 Minuten ihren Mann gestanden haben.
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Holger, was ist dir von deiner einzigen Saison für Bayer 04 in besonderer Erinnerung geblieben?
Fach:
Es war eine Saison, die unglaublich viele Facetten hatte. Wir haben noch eine gute Hinrunde gespielt. Dann kamen aber viele Dinge zusammen: Es gab die Probleme zwischen Erich Ribbeck und Bernd Schuster. Wir hatten sehr viele Verletzte, die teilweise wochenlang ausfielen: Christian Wörns etwa und Markus Happe, der die komplette Rückrunde wegen eines Fußbruchs ausfiel. Auch Ulf Kirsten fehlte uns in einigen Spielen. Dazu kamen etliche Spielausfälle, so dass wir schon am Anfang der Rückrunde, ohne dass wir gespielt hatten, in der Tabelle abrutschten und andere an uns vorbeizogen. Später hatten wir deshalb viele Englische Wochen, in denen diese Spiele nachgeholt wurden. Für mich persönlich lief es trotzdem sehr gut in dieser Saison.

Wie hast du die Querelen um Bernd Schuster erlebt?
Fach: Ich habe bis heute ein fantastisches Verhältnis zu Bernd. Aber damals stand auch für mich fest, dass er nicht mehr Libero spielen konnte. Er hatte Probleme in der Defensivarbeit, mal einen Ball abzulaufen, kompromisslos in den Zweikampf zu gehen – all das war nie sein Ding. Unabhängig davon, wie man seine Leistung einschätzte: Gar nicht mehr mit ihm zu reden, ihn auszugrenzen, das fand ich nicht in Ordnung. Insgesamt haben diese Spannungen natürlich nicht gerade zu einem guten Klima in der Mannschaft beigetragen.

Wie groß war die Anspannung bei dir vor dem Abstiegs-Endspiel gegen Kaiserslautern?
Fach: Ich hatte in meinen fast 20 Profi-Jahren einige solcher Situationen und nie große Probleme damit. Ich weiß aber, dass vor diesem Spiel einigen der Arsch auf Grundeis ging. Letztlich muss man versuchen, es nüchtern zu betrachten. Manchmal läuft es am Ende einer Saison eben nur auf Schadensbegrenzung hinaus – das haben wir 1996 zum Glück dann auch hingekriegt. Dann macht man einen Haken dran und weiter geht’s.

Markus Münch genießt seit seinem Tor zum 1:1 Heldenstatus in Leverkusen. Hättest du nicht kurz vor Schluss im wahrsten Sinne des Wortes deinen Kopf hingehalten, wäre das Spiel wahrscheinlich noch verloren gegangen und Bayer 04 abgestiegen…
Fach: (lacht) Wenn ich heute Reiner Calmund treffe, spricht er mich immer auf diese Szene an. Es stimmt, für die meisten Fans hört der Spielfilm mit dem Treffer von Markus auf. Aber es gab dann noch diesen Schuss von Thomas Hengen kurz vor dem Abpfiff, den ich mit einem Flugkopfball rund zehn Meter vor unserem Tor abwehren konnte. Es war Glück, dass ich dort stand. Der Ball wäre jedenfalls mit ziemlicher Sicherheit für Dirk Heinen schwer zu halten gewesen.

Holger Fach wechselte 1995 von Borussia Mönchengladbach an die Dhünn, absolvierte als Libero, Innenverteidiger und defensiver Mittelfeldspieler 32 Bundesligaspiele für Bayer 04 (3 Tore) und ging im Sommer 1996 zu Fortuna Düsseldorf. Insgesamt bestritt Fach für Düsseldorf, Mönchengladbach, KFC Uerdingen, Bayer 04 und 1860 München 415 Bundesligaspiele (67 Tore).

Ramelow: „Es war ein schleichender Prozess“

Carsten, dein erstes halbes Jahr in Leverkusen hätte kaum turbulenter verlaufen können. Wie hast du dich als junger Spieler damals in dieser Situation gefühlt?
Ramelow:
Als ich im Januar 1996 nach Leverkusen kam, war das für mich die zweite Chance bei einem Bundesliga-Klub. Zuvor hatte ich ein Angebot vom KFC Uerdingen abgelehnt. Jetzt wollte ich bei Bayer 04 den nächsten Schritt in meiner Karriere machen. Ich hatte einen Riesen Respekt vor all den großen Namen und hätte mir nie vorstellen können, dass wir mit dieser Mannschaft in den Abstiegskampf geraten würden. Und für mich persönlich lief‘s ja auch wirklich gut: Ich wurde direkt Stammspieler und es machte unglaublich viel Spaß, mit Persönlichkeiten wie Rudi Völler, Ulf Kirsten, Ioan Lupescu und Peter Lehnhoff trainieren und spielen zu dürfen. Für mich war in meinem ersten halben Jahr bei Bayer schon fast alles drin an Emotionen und Erfahrungen. Ich habe viel gelernt in dieser Zeit. Und vielleicht haben mich diese Monate für die folgenden zwölf Jahre im Verein gestählt. Wir sind ja 2003 noch einmal in eine ähnliche Situation geraten. Auch da konnte keiner wirklich erklären, wie das einer Mannschaft passieren konnte, die im Jahr zuvor noch Triple-Vize geworden ist. Ich bin jedenfalls froh, dass wir die Kurve 1996 noch gekriegt haben.

Gab’s einen bestimmten Zeitpunkt, an dem dir klar wurde, dass es jetzt nicht mehr um Europa, sondern um den Klassenerhalt gehen würde?
Ramelow: Nein, das war ein schleichender Prozess. Irgendwann kamen wir in einen negativen Lauf. Wir eierten rum, verloren knapp, spielten oft nur unentschieden. Und wenn du einmal drin bist in so einem Strudel, wirst du einfach runtergezogen. Du kannst das nicht immer erklären. Wir wollten uns mit dieser Truppe für den internationalen Wettbewerb qualifizieren, auf Abstiegskampf waren wir nicht vorbereitet. Und wir haben die Situation auch verdammt lange unterschätzt. Dann spielte der Kopf eine entscheidende Rolle. Viele konnten unter dem wachsenden Druck ihre Leistung nicht mehr abrufen.

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Die Nerven lagen blank, beim 1:1 auf Schalke gab’s drei Platzverweise gegen euch. Du zähltest auch zu den Rot-Sündern…
Ramelow: Ja, was für ein Spiel. Meine Rote Karte war aus meiner Sicht unberechtigt. Ich zupfte ein bisschen an Martin Max, aber er hakte sich auch bei mir ein und außerdem war ich gar nicht letzter Mann. Wir waren unglaublich sauer auf den Schiedsrichter. Und dann kassierst du kurz vor dem Abpfiff auch noch den Ausgleich. Hätten wir aus diesem verrückten Spiel drei Punkte mitgenommen, wäre das Belohnung für einen tollen Kampf gewesen und hätte uns Auftrieb geben können.

So aber lief alles auf den großen Showdown gegen Kaiserslautern am letzten Spieltag hinaus. Wie bist du mit dem Druck vor diesem Endspiel um den Klassenerhalt klargekommen?
Ramelow: Die Anspannung in den Tagen vor dem Spiel war schon extrem. Aber ich konnte die Situation ganz gut annehmen, wie sie nun einmal war. Rein ins Getümmel, sich reinschmeißen mit allem was man hat, sich der Aufgabe stellen – das war damals schon mein Motto. Deshalb war ich froh, als es nach den Tagen der Vorbereitung im Trainingslager in Much dann im Stadion endlich zum Warmmachen rausging auf den Rasen. Es wurde noch mal eine Nervenschlacht, aber letztlich haben wir es gepackt.

Unser Ehrenspielführer Carsten Ramelow bestritt in 13 Jahren 333 Bundesligaspiele für die Werkself (22 Tore), wurde mit Bayer 04 viermal Deutscher Vizemeister, zweimal Vize-Pokalsieger, stand 2002 im Champions-League-Finale gegen Real Madrid und im selben Jahr mit der deutschen Nationalmannschaft im WM-Finale gegen Brasilien.

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