„Ich war nie der typi­sche Fuß­bal­ler“

Erich Seck­ler im Inter­view

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Es ist nicht leicht, ihn überhaupt mal ans Telefon zu bekommen. Zum einen hat es Erich Seckler nie in die Öffentlichkeit gezogen, zum anderen ist der 59-Jährige beruflich stark gefordert. Selbst während unseres Gesprächs muss der UEFA-Cup-Sieger von 1988 immer wieder mal kurz raus, hier noch schnell Hand anlegen, dort noch ein technisches Problem lösen. Oft schneien Kinder zu ihm ins Büro, fragen nach einem Ball. Erich Seckler, der zwischen 1980 und 1992 das Bayer 04-Trikot trug, arbeitet heute als Hausmeister an einer Grundschule in Düsseldorf. Warum er diesen Job so liebt, wie er damals zum Profifußball kam, welche Erinnerungen er an das 2:2 gegen Feyenoord Rotterdam vor heute genau 35 Jahren hat und weshalb er sich nach dem Final-Rückspiel gegen Espanyol Barcelona im „Stagediving“ versuchte, darüber spricht der ehemalige Innenverteidiger im Interview mit bayer04.de.

Erich, du scheinst ein gefragter Mann zu sein. Ständig wollen alle etwas von dir.

Seckler: (lacht) Ja, du kommst hier nicht zur Ruhe, bist immer im Brass. Aber genau das gefällt mir. Ich bin seit sechs Jahren Hausmeister der Rolandschule, einer Gemeinschaftsgrundschule in Düsseldorf-Golzheim. Und ich liebe diesen Job. Der Kontakt zu den Lehrern, Erziehern und vor allem zu den Kindern – das ist total schön. Wir haben hier 420 Schülerinnen und Schüler. Als Hausmeister bist du an einer relativ großen Schule wie dieser natürlich ständig im Einsatz und so eine Art Mann für alle Fälle. Gerade war ich zwei Stunden mit einem Techniker unterwegs, um WLAN-Drucker einzurichten, damit in den Klassen alle Schülerinnen und Schüler und die Lehrer Inhalte von ihren Tablets ausdrucken können. Wir sind nämlich eine ziemlich modern ausgerichtete und ausgestattete Schule.

Dein Job erfordert auch handwerkliches Geschick. Hast du eine entsprechende Ausbildung?

Seckler: Ja, ich habe bei Mannesmann-Demag eine Lehre zum Stahlbauschlosser abgeschlossen. Ich habe allerdings schnell gemerkt, dass das überhaupt nichts für mich war. Als ich bei Bayer 04 gespielt habe, habe ich im Werk bei der Bayer AG gearbeitet. Da war man bekanntermaßen immer relativ flexibel, was Trainingszeiten anging. Nach meiner Zeit als Fußballer habe ich dann einige andere Jobs gemacht.

Welche zum Beispiel?

Seckler: Ich war unter anderem mal in der Jugendhilfe tätig. Und bevor ich Hausmeister wurde, arbeitete ich einige Jahre als Angestellter bei einem Garten- und Landschaftsbauer in Monheim. Auch das hat mir großen Spaß gemacht. Letztlich half mir meine Ausbildung zum Stahlbauschlosser, so wenig ich sie damals mochte, doch sehr. Ohne eine abgeschlossene Berufsausbildung hätte ich diese Stelle als Hausmeister im öffentlichen Dienst bei der Stadt Düsseldorf nie bekommen.

Bist du nach deiner Profi-Karriere auch dem Fußball in irgendeiner Form verbunden geblieben?

Seckler: Ja, ich habe die Trainer-A-Lizenz gemacht, unter anderem mit meinem früheren Werkself-Kollegen Andrzej Buncol. Dann habe ich einige Klubs in der Region gecoacht: meinen Heimatverein Baumberg, auch Monheim und Berghausen. Nur Bezirksliga und Landesliga zwar, aber mir hat das gereicht. Ich nahm mir nach den Jahren als Profi aber auch bewusst meine Freizeit. Als Fußballer warst du jedes Wochenende unterwegs. Selbst im Urlaub sagte einem das Trainerteam noch, wie du dich fit halten sollst, was du essen und wie viel du wiegen darfst. Mir ist der Abschied vom Profi-Dasein nicht schwergefallen. Ich war ja nie der typische Fußballer, der immer davon geträumt hat, mal Profi zu werden. Ich bin da eher unverhofft reingerutscht.

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Im Halbfinal-Rückspiel der UEFA-Cup-Saison 1987/88 in Bremen vor allem defensiv gefragt: Erich Seckler (3.v.l.) sowie seine Teamkollegen Ralf Falkenmayer, Torhüter Rüdiger Vollborn und Jean-Pierre de Keyser (v.l.).

Dann erzähl mal: Wie bist du Profi-Fußballer geworden?

Seckler: Ich bin in Baumberg aufgewachsen und habe bis zur A-Jugend bei den Sportfreunden Baumberg gekickt. Danach wollte ich eigentlich mit dem Fußball aufhören, weil die Senioren keine vernünftige Mannschaft zusammenbekommen haben. Irgendwann sprach mich Andreas Franke von Bayer 04 an, ob ich nicht Lust hätte, mal ein Probetraining in Leverkusen zu machen. Und plötzlich war ich eben bei Bayer 04, durfte hier bei den Amateuren spielen. Dann ging es ziemlich rasant. Ich wurde bald in die Mittelrheinauswahl berufen, ein paar Wochen später in die Westdeutsche Auswahl und wieder kurz darauf stand ich plötzlich im Kader der deutschen U18-Nationalmannschaft. Das war Wahnsinn. Ich hatte vorher nur aus Spaß Fußball gespielt. Jetzt bekam ich Geld dafür – und verlor trotzdem oder gerade deswegen ein bisschen die Lust am Kicken. Es war jetzt einfach ganz anders. Bei meinem ersten Länderspiel in Frankreich habe ich mich gleich so schwer verletzt, dass das Thema schnell wieder erledigt war. Ich war froh, dass ich irgendwann überhaupt wieder laufen konnte mit meinem Knie, in dem etliche Bänder gerissen waren. Ich spielte dann erst einmal sieben Jahre für die 2. Mannschaft von Bayer 04.

Immer als Innenverteidiger?

Seckler: Ja, ich habe immer gegen den Mann gespielt. Damals hieß das auch völlig zu Recht noch Manndecker. Wenn ich mir anschaue, wie Stürmer heute Tore erzielen: Das wäre denen früher so nicht gelungen. Denn die hätten schon nach zehn Minuten gar nicht mehr auf dem Platz gestanden – verletzt ausgewechselt (lacht). Heute deckt doch keiner mehr richtig. Ich verstehe nicht, dass man nicht spätestens im Sechzehner dazu übergeht und hier die Leute mal ordentlich stellt.

Wer hat dich damals hochgeholt zu den Profis?

Seckler: Mein Coach Gerd Kentschke, der auch Co-Trainer bei den Profis war, hatte mich wohl Erich Ribbeck empfohlen. Ich bekam einen Anruf, sollte mittrainieren, weil im Lizenzkader viele verletzt fehlten. Und was passiert bei meinem ersten Training! Ich laufe auf den Platz, bleibe blöd mit dem Stollen im Rasen hängen und breche mir dabei den Fuß. Einfach so, ohne dass irgendjemand in der Nähe gewesen wäre. Das war irgendwann Anfang 1987, ich fiel dann auch erstmal ein paar Monate aus. Was für ein Einstieg bei den Profis.

Ich hatte während all der Jahre bei den Amateuren nie nach oben geschielt zu den Profis. Das war mir wirklich egal.

Aber du durftest ja wiederkommen. Dein erstes Bundesligaspiel hast du gegen Bayer 05 Uerdingen am 17. Oktober 1987 absolviert, da warst du immerhin schon 24 Jahre alt.

Seckler: Ja, ich spielte gegen Stefan Kuntz und machte meine Sache wohl recht gut. Er ging jedenfalls leer aus, das Spiel endete 0:0.

Vier Tage später folgte schon das nächste Debüt für dich: dein erstes UEFA-Cup-Spiel gegen den FC Toulouse – wie lief deine internationale Premiere?

Seckler: Ich war aufgeregt vor dem Spiel, ist doch klar. Aber dann pfeift der Schiri an und du hast ganz andere Sorgen. Nach ein paar Minuten auf dem Platz dachte ich: Meine Güte, was ist mein Gegenspieler stark!

Der hatte ja auch einen großen Namen: Dominique Rocheteau, Auswahlspieler der Equipe Tricolore und Europameister mit Frankreich 1984.

Seckler: Genau, auf den Namen wäre ich nicht mehr gekommen. Meine größte Sorge war: Wenn ich schlecht gegen ihn aussehe, sind hinterher meine Mannschaftskollegen, der Klub und die Fans sauer auf mich. Das wollte ich unbedingt vermeiden. Hat ganz gut geklappt, Rocheteau machte jedenfalls – wie Kuntz – auch kein Tor.

Glaubtest du nach diesen beiden sehr gelungenen Debüts gegen Uerdingen und Toulouse: Jetzt ist mir endlich der Durchbruch gelungen?

Seckler: Nee, überhaupt nicht. Ich hatte während all der Jahre bei den Amateuren nie nach oben geschielt zu den Profis. Das war mir wirklich egal. Und auch jetzt dachte ich mir: Gut, kickst du da mal ein bisschen mit und dann gehst du zurück in deine Mannschaft. Ich fühlte mich anfangs überhaupt nicht dazugehörig. Das fing schon damit an, dass ich damals immer gebrauchte Autos fuhr, die nur ein paar hundert Mark gekostet hatten. Christian Schreier pflaumte mich mal in der Kabine an: „Wenn du deine Karre nochmal neben meinem Auto parkst, kriegst du Ärger.“ Der fuhr irgendeinen dicken BMW – aber ich gab da natürlich nix drum (lacht).

Heute vor 35 Jahren fand ein umkämpftes UEFA-Cup-Spiel in Rotterdam statt. Welche Erinnerungen hast du an das 2:2 im Achtelfinale von Bayer 04 bei Feyenoord am 25. November 1987?

Seckler: Was ich noch weiß: Es war ziemlich kalt in Rotterdam und wir haben, glaube ich, 2:0 geführt. Am Ende war das 2:2 trotz verspielter Führung noch eine gute Ausgangsposition für uns. Das war’s aber auch schon, was mir dazu noch einfällt.

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Erich Seckler (l.) und Bernd Dreher beim Rathausempfang der UEFA-Cup-Sieger am 19. Mai 1988.

Du hattest insgesamt acht Einsätze in der UEFA-Cup-Saison 1987/88 – welches war das härteste Spiel?

Seckler: Neben dem dramatischen Finale in Leverkusen werde ich nie das Halbfinal-Rückspiel in Bremen vergessen. Da haben wir gefühlt 180 Minuten verteidigt. Das Hinspiel hatten wir 1:0 gewonnen. Werder hat dann vor eigenem Publikum einen unglaublichen Druck gemacht, uns flogen die Bälle nur so um die Ohren, ich rechnete eigentlich immer mit einem Gegentor. Manni Burgsmüller kreuzte oft meine Wege oder, besser gesagt, ich häufig seine. Wir hielten das 0:0 und standen im Finale. Wahnsinn!

Beim Final-Hinspiel in Barcelona hast du dann nur auf der Tribüne gesessen.

Seckler: Ja, ich war gelbgesperrt. Neben mir saß Christian Schreier, der nach dem dritten Treffer der Spanier zu mir sagte: „Das war’s. Das Ding ist durch.“ Ich schaute erst ihn an, dann auf den Platz und dachte: Nee, das kann’s noch nicht gewesen sein. Ich glaubte noch an unsere Chance im Rückspiel. Als es dann in Leverkusen zur Halbzeit immer noch 0:0 stand, sind ein paar Freunde von mir, die im Haberland-Stadion waren, schon nach Hause gefahren. Und ärgerten sich hinterher natürlich schwarz. Irre, dieses Spiel. Ich hatte vorher in der Kabine gesagt: Wenn wir diesen Pott gewinnen, dann springe ich vom Kurvenzaun in die Fans, mache den Stage Diver. Und genauso habe ich’s dann getan. Ich lief ein paar Minuten, nachdem Espanyol den letzten Elfer verschossen hatte, in die Kurve, kletterte auf den Zaun und ließ mich in die Menge fallen. Was ich schnell bereuen sollte, denn die Fans fingen mich zwar auf, aber ich musste danach einen Riesen-Umweg nehmen, um wieder auf den Platz zu kommen.

1992, nach zwölf Jahren unterm Bayer-Kreuz, ging deine Zeit in Leverkusen zu Ende. Wie kam es zum Wechsel nach Berlin zur Hertha?

Seckler: Da hatte mir mein Leverkusener Mannschaftskollege Marcus Feinbier den Kontakt vermittelt, der aus Berlin stammt. Der Wechsel tat mir persönlich eigentlich ganz gut. Aber ich bekam in Berlin dann relativ schnell große Rückenprobleme, musste viele Tabletten einnehmen und beendete mit knapp 30 meine Profi-Karriere. Meine Frau und ich sind dann gleich wieder zurück nach Baumberg gezogen.

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Wiedersehen der UEFA-Cup-Sieger von 1988: Rüdiger Vollborn, Erich Seckler, Knut Reinhardt, Marcus Feinbier, Tita (Nr. 10) und Herbert Waas laufen noch einmal gemeinsam auf. Rechts: Trainer Gerd Kentschke.

Hast du heute noch Kontakt zu ehemaligen Teamkollegen?

Seckler: Nein, gar nicht. Ich gucke auch kaum noch Fußball. Aber ich fand es großartig, als wir 2018 das 30-jährige Jubiläum unseres UEFA-Cup-Sieges in Leverkusen gefeiert haben. Da kommen wir nach so einer langen Zeit wieder zusammen und es war, als hätten wir uns erst drei Tage vorher voneinander verabschiedet. Die gleichen Typen sitzen wieder am Tisch, bringen immer noch dieselben Sprüche und trinken immer noch gerne einen über den Durst – das war so ein wunderschöner Abend! Und dann fahren alle wieder nach Hause und man hört nichts mehr voneinander. So isses eben. Ich bin aber auch keiner, der dann mal den ersten Schritt macht. Vor ein paar Jahren habe ich aber noch einmal für die Bayer-Traditionsmannschaft gespielt. Und vor Kurzem war ich wieder mal als Zuschauer in der BayArena, beim 0:3 gegen den FC Porto in der Champions League. Das war nicht so dolle. Aber inzwischen ist das Team ja wieder auf einem guten Weg.