Die Fan-Freundschaft zwischen Bayer 04 und dem OFC währt nun schon vier Jahrzehnte und geht weit über das sonst übliche Maß solcher Beziehungen hinaus. Manch eine(n) führte sie sogar schon vor den Traualtar. Teil 04 unserer Serie zur Fanfreundschaft zwischen dem OFC und dem SVB.
„Es war Liebe auf den ersten Blick“, sagt Theo am Telefon. Die persönliche Love-Story des heute 63-Jährigen könnte Stoff für eine romantische Komödie sein, die im Fußballfan-Milieu spielt. Das Drehbuch in Kurzform: Junger Bayer-Anhänger zum ersten Mal am Bieberer Berg in Offenbach; er findet Zuflucht im Block der Kickers-Fans, weil Stress mit den Frankfurtern droht; daraus entwickelt sich eine innige Fan-Freundschaft zwischen Bayer und dem OFC; personifiziert durch Theo und Jean Pierre Samer – der eine Vorsitzender des 1. Fanclub 1976 Leverkusen, der andere Vorsitzender von „Die Goude“, einem traditionsreichen Offenbacher Fanclub; immer mehr Anhänger auf beiden Seiten werden Teil der Freundschaft; Sommerfest in Offenbach: 30 Jahre nach seiner Premiere auf dem Bieberer Berg lernt Theo die Offenbacherin Sigrid kennen – Heirat ein paar Jahre später.
Klingt fast ein bisschen kitschig. Beruht aber auf einer wahren Begebenheit, die auch in der großen, weiten Fußballwelt Seltenheitswert haben dürfte. Bayer und der OFC – diese 40-jährige Freundschaft basiert auf persönlichen Beziehungen. Und Theo, der im bürgerlichen Leben Reinhard Theobald heißt, ist einer der Gründerväter.
So wie er es auch schon in der Leverkusener Fanszene war, als er 1976 mit ein paar Freunden den allerersten offiziellen Bayer 04-Fanclub ins Leben rief. Dass er vier Jahre später beim DFB-Pokalspiel der Werkself in Offenbach wieder ein Mann der ersten Stunde werden würde, konnte er damals am Bieberer Berg natürlich nicht ahnen. Höchstens 40 Fans hatten sich am 3. Oktober 1980 auf den Weg nach Hessen gemacht, um ihre Mannschaft im Auswärtsspiel zu unterstützen. Theo trug wie immer seine Kutte und begab sich, als eine größere Horde Frankfurter anrückte, um die Leverkusener aufzumischen, schnell in die Obhut einiger Offenbacher Fans an einem Bierstand. Die Eintracht-Anhänger waren in die Nachbarstadt gekommen, um sich an den Bayer-Fans für das Foul von Jürgen Gelsdorf an Bum-Kun Cha einige Wochen zuvor „zu rächen“. „Eigentlich eine alberne Geschichte, ohne die wir aber unsere Offenbacher Freunde wohl nie kennengelernt hätten“, sagt Theo. „Wir haben uns auf Anhieb verstanden – und die Offenbacher aus Dankbarkeit für deren Gastfreundschaft gleich mal zu einem Gegenbesuch in Leverkusen eingeladen.“
Theo blieb in den folgenden Jahren eine treibende Kraft in Sachen Freundschaftspflege zu den OFC-Fans. Und sollte darüber einen seiner besten Freunde kennenlernen: Jean Pierre Samer, der in der Offenbacher Fanszene eine ähnlich prägende Rolle spielte wie Theo in Leverkusen. „Er wurde mein Trauzeuge bei meiner ersten Hochzeit und ich seiner, als er heiratete. Leverkusen war für Jean Pierre viele Jahre wie eine zweite Heimat.“ Als sein Offenbacher Freund im Mai 2010 verstarb, trauerte nicht nur Theo, sondern mit ihm ein beachtlicher Teil der Leverkusener Fanszene. Und natürlich fuhren zahlreiche Bayer 04-Anhänger auch zu Samers Beerdigung.
Nur wenige Wochen später lernte Theo bei einem Sommerfest des OFC-Fanclubs „Die Goude“ deren 1. Kassiererin kennen: Sigrid, „die Liebe auf den ersten Blick“. Seit 11 Jahren sind die beiden ein Paar, inzwischen seit drei Jahren auch verheiratet. „Und wir sind nicht die einzigen, die über die Fan-Freundschaft zueinander gefunden haben“, sagt Theo. „Es gab und gibt immer noch einige Beziehungen zwischen den Fans beider Klubs, auch Kinder sind daraus entstanden.“
Auch abseits der engen partnerschaftlichen Bindungen gab es immer wieder spannende Begegnungen. Irgendwann Mitte der 80er Jahre saß Theo einmal in einer Offenbacher Keller-Kneipe zusammen mit Michael Kutzop, dem ehemaligen Profi von Kickers Offenbach und Werder Bremen. „Plötzlich stand Rudi Völler neben uns, der damals bei Werder Bremen spielte, und begrüßte seinen Kumpel Kutzop. So lernte ich damals auch Rudi in Offenbach kennen“, erzählt Theo.
Er selbst ist heute nicht mehr so häufig wie einst in der Stadt am Main. Was auch daran liegt, dass er sein Fan-Sein inzwischen etwas ruhiger angehen lässt. Zudem ist er aus Leverkusen weggezogen und lebt nun mit Sigrid in der Eifel. Dauerkarten für die BayArena haben die beiden aber selbstverständlich immer noch. Und wenn der Bernasennen-Welpe, die die Familie komplettiert hat, alt genug ist, werden sie auch wieder häufiger zum Bieberer Berg fahren.
So wie Holger Krings, der seit den 80er Jahren zu den Offenbach-Vielfahrern gehört. Der 54-jährige Leverkusener war 1984 zum ersten Mal bei einem Auswärtsspiel der Werkself dort. Damals spielten die Kickers noch in der Bundesliga. „Die Stimmung am Bieberer Berg war in der Zeit einfach geiler als bei uns in Leverkusen, die hatten dort eine viel größere Fan-Basis“, sagt Krings. Was ihm besonders gefiel, war die ausgeprägte Kutten-Kultur der Offenbacher. „Der OFC zählte in dieser Beziehung zu den Hauptstädten in Fußball-Deutschland.“ Auch Krings ist überzeugter Kuttenträger. Auf seine Jeansweste hat er rund 90 „Patches“ (Flicken) aufgenäht, viele davon sind von befreundeten Fanclubs aus Offenbach wie den Wolverines oder den Roten Füchsen, von denen manche heute gar nicht mehr existieren.
Er sei ein Fußball-Nostalgiker, sagt Krings, dem deshalb auch das alte, 1921 gebaute Stadion auf dem „Bieberä Bärsch“, noch besser gefiel als das neue Stadion, das 2011 an gleicher Stelle errichtet wurde. Aber auch heute fährt Krings noch bis zu zehnmal pro Saison die rund 200 Kilometer nach Offenbach, um dort im Fanblock B2 auf der Waldemar-Klein-Tribüne gemeinsam mit den OFC-Freunden die Kickers anzufeuern, die aktuell in der Regionalliga Südwest auf dem 3. Platz stehen. Vielleicht klappt‘s ja dieses Mal mit dem Aufstieg in die 3. Liga. Vor sechs Jahren scheiterten die Kickers erst in der Relegation am 1. FC Magdeburg. Inzwischen kickt der OFC im neunten Jahr in der Viertklassigkeit. Aber in welcher Liga die Offenbacher auch spielen: Der Support aus Leverkusen von Fans wie Holger Krings ist ihnen gewiss – in guten wie in schlechten Zeiten.
Zu Krings‘ besten Kumpels in Offenbach gehört Wolfgang Schneider, der von allen nur „Der Meenzer“ genannt wird, weil er viele Jahre in der Nähe von Mainz lebte. Schneider zählt auf Offenbacher Seite zu denen, die die Fan-Freundschaft seit deren Beginn sehr intensiv leben. Viele Jahre war er Vorsitzender des OFC-Fanclubs Forever. Der 60-Jährige ist auch einer von diesen Old-School-Fans, dem die über die Jahre aufgebauten persönlichen Freundschaften zu den Leverkusenern wichtig sind. Er war schon bei den Relegationsspielen 1982 dabei, flog 2002 mit anderen Offenbacher Fans nach London und Manchester, um dort gemeinsam mit den Bayer-Freunden die Werkself in der Champions League anzufeuern. „Wir sind damals zum Spiel bei Arsenal hingeflogen und haben den gebuchten Rückflug sausen lassen, um mit einem Fanbus der Leverkusener zurückzufahren. Das Spiel hat Bayer zwar 1:4 verloren, aber die Atmosphäre in unserem Fanblock war sensationell. Und diese besondere Stimmung wollten wir auf der mehrstündigen Busfahrt einfach noch ein bisschen verlängern“, sagt Schneider mit einem Schmunzeln.
Auch das Europa-League-Spiel der Werkself beim FC Zürich im Oktober 2018 ist ihm in bester Erinnerung. „Bayer hatte einen Sonderzug organisiert, der extra einen Halt in Mainz-Bischofsheim einlegte, um dort noch 50 OFC-Fans aufzunehmen.“ Und erst vor vier Wochen war „Der Meenzer“ mal wieder in der BayArena, um sich in der Nordkurve das 3:2 gegen Celtic Glasgow anzuschauen – natürlich zusammen mit zahlreichen anderen Fans aus Offenbach. Die Tickets hatte ihnen Holger Krings besorgt.
Schneider hat Soziologie studiert und arbeitet als Selbständiger seit 30 Jahren in der Marktforschung. Er führt unter anderem Kundenzufriedenheitsstudien für Fluggesellschaften und Flughafen-Betriebe durch. Was sagt jemand wie er zu dieser in der Bundesliga doch sehr speziellen Fan-Freundschaft zwischen Bayer und dem OFC? Warum ist diese Beziehung so stabil und die Zufriedenheit so groß? „Fan-Freundschaften entstehen oft aus einem bestimmten Anlass. Und es sind dann die persönlichen Erlebnisse einiger weniger, die in die eigenen Fanszenen hineingetragen werden“, setzt Schneider zu einer Antwort an. „Der gegenseitige Support bei den Spielen steht dabei gar nicht im Vordergrund, sondern die sozialen Kontakte, die Beziehungen der Fans untereinander, die wir bei Fanclub-Turnieren, Fanclub-Jubiläen, Sommerfesten oder gemeinsamen Weihnachtsfeiern vertieft haben. So eine Verbundenheit trägt dann auch über Phasen, in denen der Kontakt insgesamt etwas loser ist. Auch zwischen uns und den Leverkusenern ist es in den 00er Jahren mal ruhiger geworden. Ganz wichtig ist, dass der Funke inzwischen auf die jüngere Generation übergesprungen ist. Das war kürzlich schön zu sehen, als die Kickers beim FSV Frankfurt spielten.“
Mitte November dieses Jahres trafen sich 200 junge Bayer 04-Fans, die meisten davon Ultras, mit OFC-Anhängern am Kreisel in Kaiserlei, einem Offenbacher Stadtteil. Von dort gingen die Schwarz-Roten und die Rot-Weißen gemeinsam die wenigen Kilometer über die Main-Brücke zum Stadion vom FSV Frankfurt am Bornheimer Hang. Und dort präsentierten die Gäste aus der Farbenstadt stolz ein Transparent: „40 Jahre Teil eurer 120-jährigen Geschichte – Leverkusen und Offenbach: Freunde für immer!“
„Der Meenzer“ war natürlich auch mittendrin bei diesem Generationentreffen, wo viele Söhne von Old-School-Fans aus den Gründerjahren lautstark den traditionellen Schlachtruf anstimmten: „Bayer und der OFC!“ Um diese Beziehung, so viel steht fest, muss man sich auch in den kommenden Jahren keine Sorgen machen.
Teil 1: „Ziemlich beste Freunde“ – die Entstehungsgeschichte
Teil 2: Videoszenen aus den Spielen, die Grundlage für die Fan-Freundschaft waren
Teil 3: „Unser ganzes Leben war auf den Kopf gestellt“ – Jürgen Gelsdorf im Interview