Ziem­lich beste Freunde

40 Jahre Lack und Leder

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In diesem Jahr feiert die Fanfreundschaft zwischen Bayer 04 und den Offenbacher Kickers ein besonderes Jubiläum. 40 Jahre fühlen sich die Anhänger beider Klubs nun generationenübergreifend einander verbunden. Und noch heute wird diese Freundschaft intensiv gelebt. Fans des OFC kommen regelmäßig zu Spielen in die BayArena und unterstützen die Werkself sogar bei internationalen Auswärtspartien. Anhänger von Schwarz-Rot sind mehrere Male pro Saison am Bieberer Berg in Offenbach. Außerdem trifft man sich auf gemeinsamen Partys und Fanclub-Turnieren. Viele persönliche Freundschaften, ja sogar Ehen sind aus dieser sehr speziellen Beziehung entstanden.

Bayer und der OFC: In einer vierteiligen Serie wollen wir diese außergewöhnliche Verbindung etwas näher beleuchten. Teil 1 widmet sich der Entstehungsgeschichte. Im zweiten Teil werden in einem Videobeitrag Szenen aus den entsprechenden Spielen zu sehen sein, die Grundlage für die Fan-Freundschaft waren. Bayer 04-Legende Jürgen Gelsdorf spricht im dritten Teil in einem Interview über den eigentlichen Auslöser der Freundschaft. Und im letzten Teil blicken wir auf die „Familienbande“ und engen persönlichen Bindungen zwischen beiden Fan-Lagern.

Ein Foul mit solchen Folgen hat es in der Bundesliga-Geschichte wohl noch nie gegeben. Samstag, 23. August 1980, 3. Bundesliga-Spieltag, Bayer 04 empfängt Eintracht Frankfurt im mit 11.000 Zuschauern spärlich besetzten Ulrich-Haberland-Stadion. In der 15. Minute kommt Eintracht-Stürmer Bum-kun Cha bei einem Zweikampf mit Jürgen Gelsdorf zu Fall und zieht sich dabei eine Verletzung am Lendenwirbel und eine Nierenprellung zu. „Cha wollte an mir vorbei, ich grätschte zum Ball, traf seinen Fuß, er stürzte. Ein Foul. Doch bei der Landung auf dem Rasen landete mein Gegenspieler unglücklich auf dem Rücken.“ So erinnert sich Jürgen Gelsdorf an die Szene damals, über die sich der Frankfurter Anhang fürchterlich aufregte. Und weil das Thema auch medial ordentlich hochgekocht wurde, sannen die Eintracht-Fans auf Rache. Gelsdorf erhielt Morddrohungen, und in Richtung des Leverkusener Anhangs wurden für das Rückrundenspiel in Frankfurt schon mal Vergeltungsmaßnahmen angekündigt.

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Zuvor aber fand am 3. Oktober 1980 noch das DFB-Pokalspiel zwischen den Offenbacher Kickers und Bayer 04 statt. Für die Frankfurter Fans eine willkommene Gelegenheit, den Anhängern von Schwarz-Rot schon hier auf „Feindesgebiet“ mal „Bescheid zu stoßen“. Denn die Fanlager der Eintracht und der Offenbacher Kickers standen einander in innigster Abneigung gegenüber, pflegten ein ähnliches Verhältnis wie die Bayer 04-Fans zu den Geißbock-Anhängern.

Zuflucht im OFC-Block

Natürlich ließen sich etliche Leverkusener nicht von den Drohungen aus Frankfurt einschüchtern und traten die Reise nach Offenbach an, um ihr Team zu unterstützen. Längst hatte sich im Übrigen der mediale Trubel um den Fall Gelsdorf/Bum-kun Cha gelegt, der Südkoreaner konnte schon am 8. Spieltag wieder für die Eintracht auf dem Platz stehen, gut vier Wochen nach dem Foul.

Zu den Bayer-Fans, die sich auf den Weg zum Pokalspiel nach Offenbach machten, zählten unter anderem Rolf Gerstendorf und sein jüngerer Bruder Udo vom 1. Fanclub 1976. „Unser Vater hatte in Offenbach seine Lehre absolviert und wusste deshalb um die besondere ‚Freundschaft‘ zwischen Offenbacher und Frankfurter Fans. Er riet uns, dass, wenn Ärger mit den Frankfurtern drohen würde, wir bei den Offenbacher Fans Schutz suchen könnten“, erinnert sich Rolf in einem Beitrag für die Internetseite www.b04fanclub1976.de. Am Bieberer Berg angekommen gingen, die Brüder gleich ins noch fast leere Stadion. Eine Horde Frankfurter hatte sich allerdings schon eingefunden, denen Rolf gleich mal ein „Hier regiert der SVB“ entgegenbrüllte. Seinen etwas eingeschüchterten jüngeren Bruder beruhigte er: „Die können hier niemals rüberkommen.“

Das passte einfach, wir fanden uns sympathisch, so dass sich schnell wirkliche Freundschaften entwickelten.

Kamen sie aber doch. Rund 200 Eintracht-Fans kletterten über die Zäune und rannten in Richtung Leverkusener Block. Rolf und Udo verzogen sich aus dem Stadion und suchten – wie es der Vater empfohlen hatte – bei Äppelwoi trinkenden OFC-Fans Zuflucht. Die nahmen die Gäste gleich unter ihre Fittiche. So konnten schließlich nicht nur die Brüder Gerstendorf, sondern auch die zwei oder drei Dutzend anderen Bayer 04-Anhänger das Pokalspiel unbehelligt von den auf Krawall gebürsteten Frankfurtern im Fanblock der Offenbacher verfolgen. Die Partie endete übrigens mit einem 5:2-Sieg des OFC. Was zu verschmerzen war. Denn an diesem 3. Oktober 1980 wurde der Grundstein für die außergewöhnliche Fanfreundschaft zwischen Bayer 04 und den Offenbacher Kickers gelegt.

Schon bald kamen auch Kickers-Fans nach Leverkusen ins Ulrich-Haberland-Stadion, und selbst zu Auswärtsspielen der Werkself bildeten Offenbacher und Leverkusener nun hin und wieder Fahrgemeinschaften. „Das passte einfach, wir fanden uns sympathisch, so dass sich schnell wirkliche Freundschaften entwickelten“, sagt Andreas „Paffi“ Paffrath, Fanbeauftragter von Bayer 04, der damals die Anfänge selber miterlebt hat.

Zum Rückrundenspiel der Werkself bei den Frankfurtern am 7. Februar 1981 fanden sich dann schon sehr viele OFC-Fans und Anhänger von Schwarz-Rot gemeinsam im Gästeblock ein. Auch in den Fanszenen beider Vereine war längst durchgesickert, dass sich hier ein besonders inniges Verhältnis entwickelt hatte. Der von den Eintracht-Fans angekündigte Ärger blieb aber aus, so dass Offenbacher und Leverkusener ihre Freundschaft in Ruhe vertiefen konnten. „Wann immer wir in diesen ersten Jahren in Offenbach waren, wurden wir dort herzlich empfangen, meist mit einer Runde Äppelwoi – und das ist bis heute so geblieben“, erzählt Paffi.

„Leute, kommt runter auf den Platz“

16 Monate nach der Partie in Frankfurt musste die gerade geschlossene Freundschaft die erste harte Bewährungsprobe bestehen. Kickers Offenbach und Bayer 04 trafen in den Bundesliga-Relegationsspielen aufeinander. Am 4. und 9. Juni 1982 kämpften die Offenbacher um den Aufstieg in die Bundesliga und Bayer 04 um den Klassenerhalt in der Beletage des deutschen Profifußballs. Die Werkself gewann zunächst am Bieberer Berg mit 1:0 durch ein Tor von Dieter Herzog und konnte auch das Rückspiel in Leverkusen durch einen Doppelpack von Peter Szech mit 2:1 für sich entscheiden. Natürlich waren tausende Fans aus Offenbach mit an die Dhünn gereist. Als nach dem Schlusspfiff die Bayer 04-Anhänger auf den Platz stürmten und sich Richtung OFC-Fankurve in Bewegung setzten, wurden die Ordnungskräfte im Ulrich-Haberland-Stadion nervös. Denn die befürchteten – in Unkenntnis der besonderen Fan-Beziehungen – Ungemach auf sich zukommen. „Wir haben die Ordner beruhigt, sind rüber zu den Offenbachern, haben denen die Tore geöffnet und gerufen: ‚Leute kommt runter auf den Platz‘“, erinnert sich Paffi. „Man muss sich vorstellen: Damals, Anfang der 80er Jahre, schlugen sich gegnerische Fans oft noch auf die Fresse, und jetzt lagen wir uns da mit den Offenbachern in den Armen, obwohl für sie der Traum vom Bundesliga-Aufstieg gerade geplatzt war. Das war einfach nur schön und hat diese Freundschaft endgültig besiegelt.“

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Seitdem besucht man sich regelmäßig gegenseitig im Rahmen von Spielen, trifft sich bei Fanclub-Turnieren oder Partys und hat auch kulturell das ein oder andere voneinander übernommen. Manch ein Leverkusener ist inzwischen zum überzeugten Äppelwoi-Trinker geworden („En Äppelwoi passt immer noi!“), wenn er sich zum Vorglühen mit OFC-Freunden in der Eckkneipe am „Biberä Bärsch“ oder im Fan-Museum der Kickers trifft. Und viele Offenbacher haben bei Besuchen im Stadioneck an der Bismarckstraße ihre Liebe zum Kölsch entdeckt.

Generationenübergreifend hält diese Freundschaft zwischen den Farben- und den Lederstädtern, deren Auslöser ein Foul war, nun seit 40 Jahren. Und viele sind stolz darauf, Teil dieser besonderen Geschichte zu sein, auch Paffi: „Es ist eine Freundschaft, die bei uns in der Kurve und in der gesamten Fanszene von allen geachtet und respektiert wird. Und die von der aktiven Fanszene, also von Kutten-Fanclubs, Ultras und vielen mehr auch heute noch intensiv gelebt wird.“