Jürgen, wie hast du die Situation am 23. August 1980 damals auf dem Platz erlebt?
Gelsdorf: Es war ein Zweikampf wie tausend andere, die ich in meiner Karriere geführt habe. Cha wollte an mir vorbei, ich grätschte von hinten zum Ball, traf dabei seinen Fuß, er stürzte und landete dabei so unglücklich auf dem Rücken, dass er verletzt ausgewechselt werden musste. Ich sah die Gelbe Karte, das Spiel ging weiter.
Am Ende stand ein 3:2-Sieg für euch, über den nach dem Spiel aber niemand sprach. Stattdessen stellte sich Frankfurts Trainer Lothar Buchmann vor die Presse und behauptete, er habe Stollenabdrücke auf dem Rücken des Spielers gesehen. Wenig später hieß es, es sei nicht klar, ob Cha jemals wieder Fußball spielen könne.
Gelsdorf: Diese schlimme Lüge von Buchmann hat eine unglaubliche Spirale des Hasses in Gang gesetzt. Auf einmal war ich der üble Treter, der Bum-kun Cha rücksichtslos in die Wirbelsäule gegrätscht war. Man hat mich in den nächsten Tagen auf die gleiche Stufe mit einem Schwerverbrecher gestellt.
Die Medien, vor allem der Boulevard, haben bei dieser Kampagne genüsslich mitgemacht. Es wurden Zeichnungen einer Wirbelsäule veröffentlicht, auf denen die durch das Foul ausgelösten, angeblichen Schäden dokumentiert wurden.
Gelsdorf: Ich habe damals die Welt nicht mehr verstanden. Sicherlich war es ein heftiger Zweikampf um den Ball, aber doch kein tätlicher Angriff. Heutzutage hätte man in zig Kamera-Einstellungen sehen können, dass es nicht so wild war. Aber es war natürlich damals vor 40 Jahren auch eine andere Zeit im Fußball. Angriffe von hinten gehörten damals noch zum Standard, wir haben diese Tacklings bei der Ballannahme gezielt trainiert. Heute sind die Stürmer bei solchen Situationen viel besser vom Regelwerk und den Schiedsrichtern geschützt.
Die Folgen von Buchmanns Falschaussage waren gravierend. Einen Tag nach dem Spiel gingen aus Frankfurt die ersten Morddrohungen gegen dich ein.
Gelsdorf: Und es wurden im Laufe der nächsten Tage immer mehr. Wie mir später erzählt wurde, kamen hunderte Drohbriefe auf der Geschäftsstelle von Bayer 04 an. In einem hieß es: „In einer halben Stunde legen wir den Gelsdorf um. Gezeichnet: das Mordkommando Bum-kun Cha.“
Für dich bedeutete das ab dem Moment Personenschutz...
Gelsdorf: Vor unserem Haus stand Tag und Nacht ein Polizeiwagen. Ich bin jeden Tag vor der Tür von den Beamten abgeholt und zum Training gefahren worden. Da ich in Odenthal wohnte, brachte mich die Polizei aus Bergisch Gladbach bis zur Kreisgrenze, und dort bin ich dann in einen Streifenwagen der Leverkusener Polizei umgestiegen. Beim Training standen die Polizisten an der Seitenlinie. Es war ein vollkommen absurdes Szenario.
Wie bist du damit umgegangen? Wie haben die Teamkollegen reagiert?
Gelsdorf: Aus der Mannschaft habe ich hundertprozentige Unterstützung erfahren, besonders nahestehende Kollegen wie Norbert Ziegler und Dietmar Demuth haben mich besucht, wir haben viel geredet. Aber ich muss schon sagen, dass ich damals schockiert war, welche Macht so eine Sache entwickeln kann. Vor allem für meine Frau war diese Zeit schlimm. Unser Dasein, unser ganzes Leben war auf den Kopf gestellt. Am wohlsten habe ich mich in der Zeit eigentlich immer beim Training gefühlt, da konnte ich das ganze Drumherum am besten vergessen.
Euer erstes Spiel nach Frankfurt war die Partie bei Borussia Mönchengladbach. Es gab im Vorfeld Drohungen, man werde dich vom Tribünendach des Bökelbergs erschießen.
Gelsdorf: Unser Trainer Willibert Kremer hat mir damals geraten, nicht mitzufahren, aber das kam für mich nicht in Frage. Je mehr ich über all das nachdachte, desto sicherer war ich, mir nichts vorwerfen zu können, ich hatte nichts Unrechtes getan. Ich wollte allen zeigen, dass ich mich nicht kleinkriegen lasse. Auf der Fahrt zum Spiel im Bus saß dann ein Polizeibeamter mit der Waffe im Anschlag neben mir. Es war schon ein sehr komisches Gefühl bei der Ankunft im Stadion, auch für meine Mitspieler.
Das einzig Gute: Nach diesem Spiel normalisierten sich die Dinge alsbald wieder...
Gelsdorf: Ja, wir verloren 0:1, und es gab keinerlei Vorfälle. Ich bin auch nicht ausgepfiffen worden, auch später ist das nirgendwo passiert. Die Medien ruderten zurück, und kurz darauf wurde Bum-kun Cha aus dem Krankenhaus entlassen, was mich natürlich sehr erleichterte. Aber es war nicht einfach, wieder in das alte, gewohnte Leben zurückzufinden.
Knapp drei Jahre später wechselte Bum-kun Cha von Frankfurt zu Bayer 04 und wurde dein Mannschaftskollege. Habt ihr je über das Foul und seine Folgen gesprochen?
Gelsdorf: Eigentlich nicht. Als er das erste Mal hier beim Training war, haben wir uns angesehen und in den Arm genommen, dann war die Vergangenheit vorbei. Bummi hat damals immer zu mir gesagt: „Der liebe Gott hat das geregelt.“
Seitdem verbindet euch eine Freundschaft.
Gelsdorf: Er war ja erst mein Mitspieler, und dann war ich sein Trainer. Unsere Verbindung ist danach nie abgerissen, auch unsere Frauen haben Kontakt. Auf der Feier zu Callis 70. Geburtstag haben wir zuletzt an einem Tisch gesessen und wie immer schön viel gequatscht. Wenn wir uns sehen, ist es sehr herzlich.
Als angenehme Nebenwirkung des Fouls ist nicht nur deine Freundschaft zu Bum-kun Cha entstanden, sondern genau genommen hat auch die Fanfreundschaft von Bayer 04 zu Kickers Offenbach darin ihren Ursprung.
Gelsdorf: Ja, das ist mir bekannt. Ich bin vor Jahren mal mit Ulf Kirsten bei einem Fan-Treffen in Burscheid gewesen, da waren auch viele OFC-Anhänger dabei. Ich finde es toll, dass diese Verbundenheit nach vier Jahrzehnten immer noch mit so viel Inbrunst gepflegt und gelebt wird. Dafür bin ich dann schon ganz gerne der Anlass.
Teil 1: „Ziemlich beste Freunde“ – die Entstehungsgeschichte
Teil 2: Videoszenen aus den Spielen, die Grundlage für die Fan-Freundschaft waren
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