Rüdiger Vollborn: 40 Jahre für Bayer 04 – Part I

Kaum zu glauben, aber wahr: Mit dem heutigen Tag ist Rüdiger Vollborn seit sage und schreibe 40 Jahren ununterbrochen im Einsatz für Bayer 04. Rekordspieler, UEFA-Cup- und DFB-Pokalsieger, Torwarttrainer, Fanbeauftragter, Vereinshistoriker, Ehrenspielführer – wohl kein anderer verkörpert Bayer 04 so sehr wie unsere Torhüter-Legende. Aus Anlass seines 40-jährigen Dienstjubiläums haben wir Rüdiger gebeten, 04 ganz persönliche Top10-Listen aus seiner bewegten Karriere zusammenzustellen. Herausgekommen ist eine spannende Reise durch vier Jahrzehnte voller emotionaler Momente, schöner Anekdoten und Lieblingsbilder. Part I: Unvergessliche Momente und unbekannte Anekdoten.
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I.  10 Momente, die ich nie vergessen werde

3. April 1981: Der erste Vertrag

Damals gab es im Ulrich-Haberland-Stadion noch den Glaskasten rechts von der Haupttribüne, das sogenannte „Aquarium“. In einem der Büroräume darunter habe ich meinen ersten Vertrag unterschrieben, der ab dem 1. Juli 1981 galt. Außer mir befand sich nur noch Heinz Heitmann, der damalige Manager, im Raum. Ich war der erste Jugendspieler, der aus einem weiteren Umkreis als 100 km nach Leverkusen wechselte – und ich hatte echt Muffensausen. Als Müttersöhnchen musste ich mich bis dahin um nichts kümmern. Jetzt mit 18 auf eigenen Füßen stehen zu müssen, das machte mir tatsächlich Angst.

4. Januar 1982: Sprung ins eiskalte Wasser

In den ersten Monaten bin ich nur am Wochenende zu den Spielen der Amateure nach Leverkusen geflogen, weil ich in Berlin noch mein Abi machte. Von freitags bis sonntags wohnte ich dann im Hotel Kürten. Ganz in der Nähe lebte unser Betreuer Matthias Valentin, der sich am Anfang sehr um mich gekümmert hat. Er machte mich damals auf eine freie Wohnung in der Saarstraße 25 in Schlebusch aufmerksam, gleich bei ihm um die Ecke. Drei Zimmer, etwas über 70 Quadratmeter für rund 700 Mark. Bayer gab mir einen zinslosen Kredit, damit ich mir eine Küche kaufen konnte. Ich hatte von nix eine Ahnung, wusste nicht, welche Kosten das selbstständige Leben mit sich bringen würde. Es war ein Sprung ins eiskalte Wasser.

13. August 1983: Die Bundesliga-Premiere

Mit diesem Spiel hatte ich eigentlich alle meine Ziele schon erreicht. Ich wollte in der Jugendnationalmannschaft spielen, und es war immer mein Traum, einmal in der Bundesliga in einem großen Stadion vor vielen Zuschauern aufzulaufen. Dass das gleich im Münchener Olympiastadion sein würde, war natürlich klasse. Ich glaube allerdings, dass es mein unsicherster Auftritt überhaupt war. Ich wirkte eher wie ein Zappel-Philipp. Dabei hatte ich mich tierisch auf dieses Spiel gefreut. Wir verloren 1:2 – ein großer Tag war es dennoch für mich.

26. April 1986: Endlich international

Das erste halbe Jahr unter Erich Ribbeck war traumhaft. Der Trainer war ein Hammer, das Training machte Spaß, wir spielten relativ gut. Zum ersten Mal hatten wir eine Mannschaft, und ich dachte, Mensch, so schlecht sind wir gar nicht. Wir rückten im Laufe der Saison immer näher an den sechsten Platz heran. Bis dahin war der internationale Wettbewerb für Leverkusen eigentlich kein Thema. Aber jetzt hatten wir Lunte gerochen. Das Spiel am letzten Spieltag auf Schalke am 26. April, wo wir noch einen Punkt für Platz 6 holen mussten, begann mit dem kuriosen Eigentor von Christian Schreier, dann kassierten wir nach der Pause sogar das 0:2. Aber wir hatten einfach ein tolles Team und holten tatsächlich noch ein 2:2 heraus – dank eines Tores von Herbert Waas und des Hackentreffers von Christian Schreier. 

17. September 1986: Wo ist Kalmar?

Das erste Mal international dabei zu sein, das war etwas absolut Besonderes. Wir fragten uns nach der Auslosung alle: Kalmar? Wo ist denn Kalmar? Und dann fuhren wir in diese kleine schwedische Stadt, machten morgens vor dem Spiel einen Spaziergang und sahen beim Rausgehen aus dem Hotel einen Bus mit Bayer 04-Fans. Ich fragte die: Was macht denn ihr hier? (lacht) Ich konnte kaum glauben, dass einige hundert unserer Anhänger eine 17-Stunden-Busfahrt auf sich nahmen, um uns hier in diesem kleinen Stadion spielen zu sehen. Jedenfalls hatten wir damals als Mannschaft das Gefühl: Wir sind angekommen im internationalen Fußball, wir gehören dazu.

18. Mai 1988: Ein Wunder nach dem anderen

Schon in unserer zweiten internationalen Saison gleich den UEFA-Cup zu gewinnen, das war unfassbar. Niemand, aber wirklich niemand hätte uns das zugetraut. Ja, natürlich, wir hatten eine gute Mannschaft, in der ein fantastischer Teamgeist herrschte. Es gab keinen im Kader, der nicht gespielt hätte. Alle haben ihren Teil zum Titel beigetragen, weil wir ständig Verletzte hatten. Aber in der Bundesliga bekamen wir nicht viel auf die Beine. Wenn man vom Wunder von Leverkusen spricht, dann meint man immer das Aufholen des 0:3-Rückstandes aus dem Final-Hinspiel bei Espanyol Barcelona. Aber die ganze Saison war ein Wunder. Eigentlich spielten wir nur beim 5:1 gegen Austria Wien hoch überlegen. Aber sonst? Gegen Feyenoord waren wir krasser Außenseiter, gegen den FC Barcelona noch viel mehr. Dann ging’s im Halbfinale gegen den kommenden Deutschen Meister Werder Bremen. Eigentlich kannst du auch das nicht gewinnen. Aber es geschah ein Wunder nach dem anderen in diesem Wettbewerb, mit der Krönung im legendären Final-Rückspiel.

12. Juni 1993: Mal eben nach Berlin

Wir sind eigentlich nur nach Berlin gefahren, um den Pokal abzuholen. Dass wir ihn gewinnen würden, stand für uns außer Frage. Ein Jahr zuvor waren wir extrem unglücklich im Halbfinale an Mönchengladbach im Elfmeterschießen gescheitert. Jetzt hatten wir im Halbfinale bei Eintracht Frankfurt, die damals ein Meisterschaftsanwärter waren, 3:0 gewonnen. Wir wollten dieses Erlebnis Berlin unbedingt, das war in der Mannschaft spürbar, und zwar während der ganzen Saison. Für mich war dieser Titel innerhalb von fünf Jahren der zweite. Und ich empfand das als eine Art von Abarbeiten. Ich hatte den UEFA-Cup gewonnen, jetzt den DFB-Pokal. Nun, so dachte ich, kümmern wir uns mal um die Meisterschaft. Und in der nächsten Saison schien das auch fast zu funktionieren. Wir wurden im Dezember 1993 am 20. Spieltag Weihnachtsmeister. Leider sind wir dann extrem schlecht aus der Winterpause gekommen und wurden am Ende nur Dritter.

17. Juni 1995: Der Anfang vom Ende

Ein 2:2 gegen Dynamo Dresden am 34. Spieltag. Zwei Wochen zuvor hatte Erich Ribbeck im Heimspiel gegen Bayern München Dirk Heinen im Tor aufgestellt, weil er ihn, wie er mir erklärte, mal unter Wettkampfbedingungen spielen sehen wollte. Dirk machte in dieser Partie einen ziemlich unsicheren Eindruck, dann hielt er beim Stande von 1:0 für uns einen Elfmeter von Christian Ziege – in diesem Moment war mir klar: Das war’s für mich. Ich spielte dann eine Woche später zwar beim 3:3 in Köln wieder und wusste trotzdem instinktiv, dass die Begegnung mit Dynamo Dresden auch mein letztes Spiel als Nummer 1 sein würde. Nach dem Abpfiff ging ich zur Fankurve und schmiss Torwarthandschuhe, Fußballschuhe, Trikot, Schienbeinschoner und selbst meine Socken ins Publikum. Zum Schluss stand ich nur noch in meiner kurzen Torwarthose da. Es war nach meinem 397. Bundesligaspiel eine erste Verabschiedung von meinen Fans. Ich hatte Tränen in den Augen und war völlig fertig.

2. Mai 1998: Im Klub der 400er

Ausgerechnet gegen Hertha BSC, den Verein aus meiner Heimatstadt. Ich hatte unter Christoph Daum bis dato zwei Spiele gemacht und jetzt durfte ich am 33. Spieltag zu Hause die 400 vollmachen. Wir verloren zwar 0:1 durch ein Elfmetertor von Rekdal, aber tabellarisch hatte das Spiel keine Bedeutung mehr, wir würden in jedem Fall Dritter bleiben. Für mich war’s trotzdem ein großes Ding.

29. Mai 1999: Ein letztes Mal

Bei meinem 401. und letzten Bundesligaspiel bekamen wir es – wie bei meinem Ligadebüt – wieder mit den Bayern zu tun, diesmal allerdings zu Hause in der BayArena. Auch hier ging es eigentlich um nichts mehr – wir hatten Platz 2 sicher und waren wieder für die Champions League qualifiziert, die Bayern standen längst als Meister fest. Es war auch klar, dass ich meine aktive Karriere nach 18 Jahren nach dieser Saison beenden und als Co- und Torwarttrainer der Amateure mit Peter Hermann zusammenarbeiten würde. Dennoch stand ich zunächst nicht im Kader für das Spiel gegen die Bayern. Ich war total sauer und verstand die Welt nicht mehr. Nach 17 Jahren für diesen Verein ging ich fest davon aus, am letzten Spieltag noch einmal zum Einsatz zu kommen. Ich fuhr am Freitag nach dem Training also wieder nach Hause anstatt ins Mannschaftshotel und hatte eine schlaflose Nacht. Am Samstag rief mich Reiner Calmund um 12 Uhr an: „Du kommst sofort ins Stadion“, befahl er mir. Also packte ich die Sachen, setzte mich auf die Ersatzbank und durfte in der 78. Minute für Adam Matysek nochmal ins Tor. Am Ende war es dann doch noch eine runde Sache für mich.

 

II.  10 Anekdoten, die kaum einer kennt

Kulturschock, Teil 1

Mit den Sitten und Gebräuchen im Rheinland wurde ich oft auf sehr direkte Art und Weise konfrontiert. Als ich irgendwann im Februar 1982 aus meiner Wohnung in der Saarstraße in Schlebusch mit dem Auto auf die Berliner Straße abbog, sah ich zwei Hexen am Straßenrand. Ein paar Meter weiter bemerkte ich die nächsten seltsamen Gestalten. „Was ist denn hier los?“ fragte ich mich. Mir war echt mulmig zumute. Dann kam ich in die Kabine und auch hier: Überall verkleidete Menschen. Ich erfuhr schließlich, dass Weiberfastnacht gefeiert wurde und wusste nicht, was das überhaupt war. Karneval kannte ich aus Berlin doch nicht. Ich war in dieser Hinsicht ein Ahnungsloser. Mich hat die fünfte Jahreszeit jedenfalls nachhaltig irritiert: Ich kann bis heute nichts mit Karneval anfangen – (lacht) dann mach ich die Jalousien runter und schließ die Tür ab…

Kulturschock, Teil 2

Noch so eine merkwürdige Sache, die ich aus Berlin nicht kannte. 11. November 1982, ich wohnte noch in der Saarstraße. Es klingelt an der Tür, ich mach auf und plötzlich fangen drei kleine Kinder zu singen an. Was ist das nun wieder, denke ich, lass die drei aussingen und knall ihnen die Tür vor der Nase zu. Mein Verhalten tut mir aus heutiger Sicht furchtbar leid. Aber damals hatte ich vom Martinssingen noch nie was gehört. So eine ähnliche Situation sah ich später in einer Folge von „Mr. Bean“ – und fühlte mich an meinen damaligen Fauxpas erinnert. 

Haste mal 5 Mark?

Irgendwann in meinen ersten Jahren: Dettmar Cramer gefielen damals unsere Trainingsspiele nicht, ihm war da zu wenig Ernsthaftigkeit drin. Wir spielten acht gegen acht oder neun gegen neun quer über den Platz. Um also die nötige Schärfe reinzubringen, machte er einen Vorschlag. „Die Verlierer zahlen den Gewinnern jeweils fünf Mark.“ Das Spiel endete 1:0 und es wurde bei strömendem Regen gekloppt, getreten, geackert und gekämpft – es war der helle Wahnsinn. Und das alles, weil für jeden nur fünf Mark auf dem Spiel standen. Es war eines der besten Trainingsspiele, die ich erlebt habe. Keiner blieb vorne stehen, es ging rauf und runter. Cramer hat das später noch einige Male wiederholt, aber es hatte nie wieder diesen Effekt wie beim ersten Mal.

Berufsrisiko

Beim Sonntagstraining nach einer 0:1-Heimniederlage gegen den Hamburger SV übten wir Eins-gegen-eins-Situationen gegen den Torhüter. Christian Schreier kam auf mich zugelaufen, spielte den Ball an mir vorbei, ich hechtete hinterher und wollte gerade zupacken, als er abzog und mich am kleinen Finger und am Ringfinger traf. Ich schrie auf vor Schmerz. Als ich den Handschuh auszog, schaute ich auf meine Finger, die auf seltsame Weise abstanden. Tscholli meinte in der Kabine zu mir, ich solle mal meine Frau anrufen und ihr sagen, dass sie die Kartoffeln vom Herd nehmen könne, ich käme heute später nach Hause. Ich stand so unter Schock, dass ich überhaupt keine Schmerzen verspürte. Die Operation dauerte vier Stunden. Zuvor mussten sie mir noch mein Lieblings-Trainingsshirt aufschneiden, weil sie damit nicht über die Hand kamen. Es war so ziemlich alles kaputt in den beiden Fingern, was kaputt sein konnte. Als am Morgen nach der OP der Arzt zu mir ins Zimmer kam, fragte ich ihn sofort: „Wann kann ich wieder trainieren?“ Er lachte und antwortete: „Die nächsten drei Monate jedenfalls nicht.“ „Das können Sie vergessen“, entgegnete ich. Er sah schnell ein, dass mit mir darüber nicht gut reden war. Also empfahl er mir neben der Physiotherapie täglich Handgymnastik mit einem Tennisball zu machen. Und so knetete ich wirklich fast den lieben langen Tag diesen Tennisball. Aber deshalb wurden aus den drei Monaten Verletzungspause eben auch nur drei Wochen. Die beiden operierten Finger zählen heute übrigens zu meinen beweglichsten. Als Torwart hast du ja ständig was mit den Händen. Und ich hatte meist wenig Geduld in der Reha. In dieser Beziehung war ich ziemlich bekloppt und, wie Tscholli gerne sagte, „ein harter Hund“.

Schicksalhaftes Fantreffen

Kurz vor Weihnachten 1988 stand ein DFB-Pokalspiel gegen Waldhof Mannheim auf dem Programm. Unser damaliger Trainer Rinus Michels hatte von Anfang an einen schweren Stand in Leverkusen. Die Fans mochten ihn nicht und sportlich lief’s auch nicht gut für uns. Unsere Anhänger wollten ein überdimensionales Bahnticket im Ulrich-Haberland-Stadion präsentieren: Leverkusen – Amsterdam, ausgestellt auf Rinus Michels. Die Botschaft war klar. Reiner Calmund hatte davon irgendwie Wind bekommen und berief zwei Tage vor dem Achtelfinale ein Fantreffen ein. An diesem Tag habe ich ihn nach dem Training in der Kabine getroffen, er machte einen unruhigen Eindruck und fühlte sich wegen des anstehenden Treffens nicht wohl. Ich bot ihm an, mitzukommen, immerhin hatte ich bei den Fans nach dem gewonnenen UEFA-Cup-Finale einen Stein im Brett. Wir fuhren also zusammen ins Kreuzbroich, eine Gaststätte in Schlebusch. Es war keine Riesen-Veranstaltung, vielleicht waren 20 Fans da. Mir schräg gegenüber saß Marion, die ein paar Jahre später meine Frau werden sollte und die ich dort zum ersten Mal gesehen habe und die mir gleich aufgefallen ist. Calli und ich konnten den Fans das Bahnticket für Michels übrigens ausreden. Wir gewannen das Achtelfinale 5:2, vier Monate später trennte sich Bayer 04 schließlich doch von Rinus Michels.

Der Flegel

Meine Frau war nur ein einziges Mal als Zaungast bei einer Trainingseinheit dabei – (lacht) und sie war entsetzt über mich und mein Verhalten. Ich konnte im Training wirklich ein ziemliches Ekelpaket sein. Und an diesem Tag habe ich‘s wohl mit den Kraftausdrücken etwas übertrieben. Für mich war das ja normal: Wenn mich jemand tunnelte, drohte ich, ihm beim nächsten Mal die Knochen zu brechen. Als Erich Ribbeck mir mal ein „Wie ne Bahnschranke“ zuraunte, weil ich nach 45-minütigem hartem Torschusstraining einmal nicht schnell genug unten war, schrie ich zu ihm rüber: „Halt doch die Fresse, du A….“ Natürlich war das alles nicht bierernst gemeint. Aber ich konnte schon extrem sauer werden, richtige Wutanfälle bekommen und darüber meine gute Kinderstube vergessen. Jedenfalls sagte meine Frau abends zu mir: „Ich hab dich nicht wiedererkannt, das war doch nicht der Mann, den ich geheiratet habe.“ Zweimal habe ich sogar Trainingseinheiten abgebrochen, weil ich stinkwütend auf Mannschaftskollegen war. Es gab Spieler wie René Rydlewicz oder Pavel Hapal, die durften von mir aus im Torschusstraining lupfen, weil sie das eben auch im Spiel machten und auch konnten. Alle anderen mussten bei mir volle Pulle schießen. Wenn ein anderer anfing zu lupfen, bin ich beim nächsten Mal, wenn der wieder an der Reihe war, aus dem Tor gegangen und hab dem gesagt: Dann schieß doch. Als Torwart musst du dir deine Jungs eben auch erziehen.

Prinz Eisenherz lässt grüßen

Bröndby-Stadion 1990, Achtelfinale im UEFA-Cup: Es war ein Sauwetter und mir fehlte in der ersten Halbzeit oft im wahrsten Sinne des Wortes der Durchblick – nicht wegen des starken Regens, sondern weil meine langen Haare mir ständig vor den Augen hingen. Ich hatte in den ersten 45 Minuten auch schlecht gehalten, wir lagen 0:1 zurück. In der Kabine schnappte ich mir eine Schere aus dem Physio-Koffer, stellte mich vor den Spiegel und schnitt mir selbst die Haare ab – es wurde ein Pottschnitt vom Allerfeinsten. Ich sah nicht nur furchtbar aus, es hat auch im Ergebnis nicht viel gebracht, denn wir kassierten in der zweiten Hälfte noch zwei weitere Tore und verloren 0:3. Bröndby, das muss man dazu sagen, hatte aber damals auch eine saustarke Mannschaft. Im Tor stand Peter Schmeichel, außerdem spielten unter anderem Kim Christofte und Bent Christensen, Trainer war Morten Olsen. Die hatten zuvor in der ersten Runde Eintracht Frankfurt aus dem Wettbewerb geworfen und sind erst im Halbfinale an AS Rom gescheitert – Rudi Völler machte damals übrigens für Rom das entscheidende 2:1.

Der unsichtbare Dritte

Das weiß kaum einer: Ich war 1992 als dritter deutscher Torhüter für die EM in Schweden nominiert und bin trotzdem nicht mitgefahren. Damals nahm man nur zwei Torhüter mit zum Turnier. Ich erhielt eine schriftliche Einladung vom Deutschen Fußball-Bund und sollte mich für den Fall der Fälle fit halten. Deshalb trainierte ich zweimal pro Woche mit Peter Hermann in Leverkusen. Aber ich habe noch nicht einmal eine Trainingstasche oder sonstige Ausrüstung vom DFB bekommen, obwohl ich dem Verband meine Konfektionsgröße mitteilen sollte. Und ein Dankesschreiben, etwa dafür, dass ich ja auf meinen Urlaub verzichtete, kam auch nicht. Und natürlich bekam ich auch keine Prämie, wie vermutlich die anderen nominierten Spieler, die ja Vize-Europameister wurden. Im Tor der deutschen Elf stand damals Bodo Illgner, als Nummer 2 war Andreas Köpke in Schweden dabei. Und ich war der unsichtbare Dritte…   

Stepi, der Verständnislose

Am 8. August 1994, einem Montag, ist unser Sohn Jérome geboren. Das erste Bundesliga-Saisonspiel fand zwei Wochen später statt, wir befanden uns also noch in der Vorbereitung. An diesem Montag trainierten wir einmal, ich hatte am Tag zuvor meine Frau Marion ins Krankenhaus gebracht. Montagmittag rief sie mich an, ich könne kommen, es wäre soweit. Ich informierte unseren Co-Trainer Peter Hermann darüber, dass ich nicht zum Training kommen, sondern jetzt ins Krankenhaus fahren würde, um bei der Geburt dabei zu sein. Am nächsten Tag nahm mich Stepi (Dragoslav Stepanovic, Anm. d. Red.) beiseite und erteilte mir einen Rüffel: „Du, es geht nicht, dass du deswegen eine Trainingseinheit ausfallen lässt.“ Ich sagte: „Trainer, tu mir einen Gefallen, aber ich bin gestern Vater geworden und wollte die Geburt meines Sohnes miterleben.“ Darauf Stepi ganz trocken: „Dafür sind Freunde und Bekannte da.“ Das war für mich der Oberhammer. Ich dachte: „Spinnt der jetzt?“ Heute fehlen Spieler wie selbstverständlich bei Pflichtspielen, um bei der Geburt dabei sein zu können. Damals nahm mir Stepi krumm, dass ich ein Training in der Vorbereitung sausen ließ.

Heiße Sache

Wir spielten 1994 im Europapokal der Pokalsieger im Viertelfinale bei Benfica Lissabon. Schon am Samstag zuvor, beim Derby in Köln, war ich leicht kränkelnd. Montags flogen wir dann nach Lissabon, und ich hatte hohes Fieber. Im Hotel bekam Tscholli (Physiotherapeut Dieter Trzolek, Anm. d. Red.) das Zimmer gleich neben meinem. Wir hatten sogar eine Zwischentür. Tscholli stellte sich nachts den Wecker und machte mir jede Stunde Wadenwickel. Ich weiß nicht, ob er überhaupt geschlafen hat in dieser Nacht. Ich hab im Delirium gelegen, war völlig platt. Am nächsten Morgen, beim Auflockerungstraining, schmiss ich mich nur nach einem Ball und kam nicht mehr hoch. Ich meldete mich bei unserem Torwarttrainer Werner Friese ab und legte mich wieder ins Bett. Nachmittags ging ich zur Mannschaftsbesprechung, Stepi fragte mich, ob ich spielen könne. Ich sagte: „Ja, ich kann spielen.“ Stepi hakte nach: „Bist du sicher?“– „Ja, ich kann spielen“, antwortete ich nochmal. Also stand ich abends im Tor – das Fieber war zwar weg, aber ich weiß nicht, wie ich dieses Spiel überstanden habe. Ich habe zum Glück nicht viel aufs Tor bekommen. Eigentlich war es unverantwortlich von mir. Wir holten ein 1:1. Am nächsten Tag ging ich zum Arzt, der eine schwere Lungenentzündung diagnostizierte und mich für die nächsten beiden Wochen krankschrieb.

Part II: Rudis Lieblingsfotos und Dinge, die für ihn untrennbar mit Bayer 04 und Leverkusen verbunden sind. HIER geht's zum Beitrag.

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