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Es war der 25. Spieltag in der Saison 1999/00 – um 15.30 Uhr wurde die Partie im ausverkauften Ulmer Donaustadion vor 23.500 Zuschauern angepfiffen. Seit sechs Spielen war Bayer 04, zu diesem Zeitpunkt punktgleich Tabellen-Zweiter hinter Bayern München, ungeschlagen; doch auch die „Spatzen“, die seit Anfang November des Vorjahres auf heimischem Rasen ohne Niederlage waren, gingen mit zwei Siegen im Rücken selbstbewusst in die Partie.
Die Ulmer ließen gleich zu Beginn des Spiels zwei Chancen aus – die Werkself hingegen machte es deutlich besser: Emerson und Paulo Rink leiteten das Torfestival ein. Ulf Kirsten legte nach und kurz vor der Pause erhöhte wiederum Emerson auf den 4:0-Pausenstand.
Die Werkself hatte sich im ersten Durchgang in Fahrt gespielt, so ging es für die Elf von Trainer Christoph Daum auch in den zweiten 45 Minuten munter weiter: Oliver Neuville, Michael Ballack, Zé Roberto per Doppelschlag sowie Bernd Schneider trafen zum zwischenzeitlichen 9:0 für Bayer 04. Mit dem Schlusspfiff setzte Ulms Leandro noch den Ehrentreffer für seine Mannschaft zum 1:9-Endstand.
Ein gewisser Sascha Rösler, damals als Anfang 20-Jähriger im Trikot der Ulmer nur ausgewiesenen Fußball-Fachleuten ein Begriff, war mit dem SSV wenige Monate zuvor in die Bundesliga aufgestiegen. In Tettnang am Bodensee geboren und aufgewachsen, spielte der flexible Offensivakteur 1999/00 seine erste Saison im Oberhaus.
Beim Heimspiel gegen die Werkself kam Rösler zum Wiederanpfiff in die Partie. Im Interview mit bayer04.de spricht der heutige Teammanager des Zweitligisten Fortuna Düsseldorf über die damalige Leverkusener Mannschaft sowie Tischtennis-Duelle mit seinem damaligen Bayer 04-Gegenspieler Oliver Neuville, bei denen das historische Spiel im Donaustadion – zum Leidtragen Röslers – immer wieder Thema wurde...
Sascha, du hast bei deinem Ausbildungsverein SSV Ulm Mitte der 90er Jahre den Sprung in den Profibereich und die drittklassige Regionalliga geschafft. Für euch folgten damals zwei Jahre voller positiver Erlebnisse sowie zahlreicher Siege, die ihr mit zwei Aufstiegen hintereinander gekrönt habt. Was hat euch damals so erfolgreich gemacht?
Rösler: Wir haben in Ulm schon immer von unserem Teamspirit gelebt. Einer der Auslöser für den sportlichen Aufschwung des Klubs in dieser Zeit war dann zweifelsohne die Verpflichtung von Ralf Rangnick als Trainer. Mit ihm waren wir den anderen Mannschaften taktisch voraus. Wir waren eines der ersten Teams überhaupt, das ballorientiert und im Raum verteidigt hat. Damit hatten viele Gegner so ihre Probleme. Das hat uns geholfen, bis in die Bundesliga zu marschieren.
In der Saison 1999/00 wart ihr schließlich im Oberhaus des deutschen Fußballs angekommen. Nun standen euch nicht mehr – wie noch zwei Jahre zuvor – Weismain oder Ditzingen gegenüber, sondern der FC Bayern und Bayer 04. Du warst zu dem Zeitpunkt Anfang 20, bist deine ersten Schritte in der Bundesliga gegangen. Wie war diese Zeit für dich?
Rösler: Der Traum vom Profifußball war bei mir schon immer vorhanden. Irgendwann kam ich dann in das Alter, in dem sich herausstellte, ob man diesen Schritt schafft oder eben nicht. Das Problem für mich als jungen Spieler war, dass in den Vereinen damals eine ganz andere Kultur als heute herrschte. Es wurde vorrangig auf ältere, erfahrenere Spieler gesetzt. Ich war dann glücklicherweise einer von den wenigen Jungen, die die Chance bei den Profis bekommen haben. Für mich ging in dem Moment natürlich ein Traum in Erfüllung.
Vom 15. bis zum 24. Spieltag habt ihr 6 Siege und 2 Remis aus 10 Spielen geholt. Ihr hattet euch ein Polster von fünf Punkten auf den ersten Abstiegsrang erarbeitet. Doch dann kam die Werkself, zu dem Zeitpunkt punktgleich mit dem FC Bayern auf Rang zwei, nach Ulm. Ausverkauftes Donaustadion, eine breite Brust aufgrund der erfolgreichen Spiele zuvor. Welche Erinnerung hast du an dieses Spiel?
Rösler: Leverkusen kam als klarer Favorit, das war jedem von uns bewusst. Die erste Hälfte habe ich von der Bank aus verfolgt und ich muss ehrlich sagen: Sie kamen mir nicht so brutal überlegen vor, wie es das 0:4 zur Pause vermuten ließ. Wir hatten nur ein paar Schüsse aufs Tor bekommen. Die waren aber leider alle drin.
Du kamst zur zweiten Hälfte in die Partie. Mit welcher Einstellung bist du in Anbetracht des deutlichen Rückstands ins Spiel gegangen?
Rösler: Unser Co-Trainer hat zu meinem Mitspieler, der auch eingewechselt wurde, und mir gesagt, dass wir mit einem schnellen Tor nochmal rankommen könnten. Da mussten wir natürlich im ersten Moment etwas schmunzeln. Die Aussichten, etwas zu holen, waren bei einem 0:4-Rückstand schließlich nicht mehr allzu groß. Dennoch hatten wir uns fest vorgenommen, das Ergebnis freundlicher zu gestalten. Leider ging es dann aber bekanntermaßen mit noch mehr Gegentreffern weiter. Da haben wir teils haarsträubende Fehler gemacht.
Diese wussten Zé Roberto, Michael Ballack und Co. zu nutzen…
Rösler: Sie haben uns mit ihrer Qualität gnadenlos ausgespielt. Wir standen ja sogar kurz davor, zweistellig zu verlieren. In der Endphase hat unser Brasilianer Leandro wenigstens noch den Ehrentreffer erzielt. Da hat das ganze Stadion sensationell reagiert. Wir hatten in der Zeit ohnehin tolle Fans! Alle waren sehr dankbar, dass wir in der Stadt in der ersten Liga spielen.
1:9: Dieses Ergebnis bedeutete für Ulm bis heute die höchste Bundesliga-Pleite, für Leverkusen zeitgleich den höchsten Sieg im Oberhaus. Wie lange braucht man als Spieler, um so eine Niederlage zu verdauen?
Rösler: Wenn du so chancenlos bist, ärgerst du dich nach dem Spiel nicht über bestimmte Aktionen, wie beispielsweise einen Fehlpass. Wir mussten das Ergebnis so hinnehmen. Es war einfach ein Tag, an dem bei Leverkusen alles geklappt hat und bei uns so gut wie gar nichts. Für mich war das Spiel daher schnell abgehakt. Leider hat es mich dann ein paar Jahre später aber nochmal eingeholt.
Wir sind gespannt…
Rösler: In Mönchengladbach habe ich mit Oli (Oliver Neuville, Anm. d. Red.) zusammengespielt. Er stand bei dem 1:9 für Leverkusen auf dem Platz, hat sogar auch einmal getroffen. Er und ich haben uns in unserer Zeit in Mönchengladbach dann fast jeden Tag an der Tischtennisplatte im Kraftraum gebattelt. Und immer wenn ich gegen ihn gewonnen habe, kam er wieder auf das Spiel zu sprechen. „Dafür haben wir damals 9:1 gegen euch gewonnen!“, hat er immer breit grinsend gesagt. Das hat mich also noch etwas länger begleitet. (lacht) Unserer Freundschaft hat das bis heute aber natürlich keinen Abbruch getan.
Nach dem Heimspiel gegen die Werkself konntet ihr lediglich noch eine Partie gewinnen, nach 34 Spieltagen stand der direkte Wiederabstieg. War das Ergebnis gegen die Werkself der Knackpunkt für die Mission Klassenerhalt?
Rösler: Das würde ich nicht sagen. Die Niederlage gegen Leverkusen war bei uns in gewisser Weise einkalkuliert. Meiner Meinung nach war es eher das darauffolgende Spiel in Unterhaching, das uns im Kampf um den Klassenerhalt das Genick gebrochen hat. Dort haben wir durch ein spätes Eigentor denkbar knapp mit 0:1 verloren. Unterhaching hat es am Ende noch gepackt, wir dagegen kamen nicht mehr in die Erfolgsspur zurück.
Unterhaching ist ein gutes Stichwort. Wobei „gut“ eigentlich das falsche Adjektiv in diesem Zusammenhang ist. Die Werkself hat am letzten Spieltag durch eine 0:2-Niederlage im Süden von München die Meisterschaft aus den Händen gegeben hat. Wie hast du das Titel-Finale erlebt?
Rösler: Das Spiel an sich konnten wir uns nur nachträglich anschauen. Wir hatten ja zeitgleich mit uns selbst emotional zu kämpfen, konnten den Klassenerhalt am letzten Spieltag aus eigener Kraft schaffen, haben ihn in Frankfurt aber aus der Hand gegeben (1:2 bei Mitkonkurrent Eintracht, Anm. d. Red.). Daher habe ich erst ein paar Tage später wirklich realisiert, was dort im Kampf um die Meisterschaft passiert ist. Die Leverkusener Mannschaft von damals ist für mich eine der besten, die der Verein jemals hatte. Ich habe sie im Vergleich zu Bayern München auch als etwas stärker empfunden. Sie hatten mit Christoph Daum einen Trainer, der unheimlich innovativ gearbeitet und sie taktisch überragend eingestellt hat.
Du bist noch eine Saison in Ulm geblieben und hast dann deinen Weg unter anderem in Fürth, Aachen, Mönchengladbach und Düsseldorf fortgesetzt. 308 Zweitligapartien standen nach deinem Karriereende. Bist du mit deiner Laufbahn zufrieden?
Rösler: Das muss ich aus zwei Blickwinkeln betrachten. Zum einen bin ich am Bodensee aufgewachsen. Und ohne Scouting, wie wir es heute kennen, war es damals schwer, sich in den Fokus der Top-Teams zu spielen. Meine Mutter hat sich in dieser Zeit sehr für mich eingesetzt, viele Telefonate mit Vereinsvertretern geführt. Es war ein harter Weg, überhaupt zum SSV Ulm und damit später in den Profifußball zu kommen. Der andere Blickwinkel ist, dass ich natürlich gerne ein paar mehr Erstligaspiele gemacht hätte (60, Anm. d. Red.). Aber dann kam unter anderem ein Kreuzbandriss und irgendwann habe ich gemerkt, dass mir für die Bundesliga vielleicht etwas das Tempo gefehlt hat. Also bin ich meinen Weg in der 2. Liga gegangen – und darüber im Nachhinein sehr glücklich.
Seit mehr als vier Jahren fungierst du als Teammanager bei Fortuna Düsseldorf. Welche Aufgaben übernimmst du in dieser Funktion?
Rösler: Die 2. Liga hat mich zurück. (lacht) Aber Spaß beiseite. Ich bin für alle organisatorischen Abläufe der Profimannschaft verantwortlich. Natürlich kann ich abseits dieser Aufgaben durch meine Erfahrung als Profi den Spielern in manchen Situationen aber auch den einen oder anderen Ratschlag mit auf den Weg geben.
Welche Ziele strebt ihr an, wann dürfen wir die Fortuna wieder zum rheinischen Duell in der BayArena begrüßen?
Rösler: Der Abstieg im letzten Jahr war für uns als Verein bitter. Wir hoffen alle, dass wir so schnell wie möglich mit der Fortuna und mit unseren Fans wieder aufsteigen und dann auch wieder bei euch zu Besuch sein können. Ein Selbstläufer wird das aber natürlich nicht, da muss schon vieles zusammen passen. Mal schauen, wie weit wir in dieser Saison noch kommen.
Die Statistik zum Spiel am 18. März 2000:
Ulm: Laux – Bódog (46. Unsöld), Rui Marques, Stadler, Kinkel – Otto (46. Rösler), Maier, Scharinger (75. Pleuler), Gora – Leandro, van de Haar
Bayer 04: Juric – Nowotny, Ramelow, R. Kovac – Emerson, Ballack, Zé Roberto (82. Schneider), Beinlich (78. Gresko) – Neuville, Rink, Kirsten (52. Zivkovic)
Tore: 0:1 Emerson (10.), 0:2 Rink (14.), 0:3 Kirsten (19.), 0:4 Emerson (39.), 0:5 Neuville (68.), 0:6 Zé Roberto (74.), 0:7 Ballack (75.), 0:8 Zé Roberto (81.), 0:9 Schneider (85.), 1:9 Leandro (90.)
Gelbe Karten: Rösler, Unsöld, Scharinger – Zé Roberto, Kirsten, R. Kovac
Schiedsrichter: Hellmut Krug (Gelsenkirchen)
Zuschauer: 23.500 (ausverkauft) im Donaustadion
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