#RoadtoGlasgow – „Manchmal wird ein Tor des Monats draus“

Bernd Schneider und Jens Nowotny zählten zu den entscheidenden Spielern in Istanbul. Im Interview lassen die beiden die Partie bei Fenerbahce ausführlich Revue passieren.
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Bernd, vor der Partie in Istanbul war in eurer Gruppe noch fast alles möglich. Selbst bei einem Sieg und dann zwölf Punkten hättet ihr im schlimmsten Falle am letzten Spieltag sogar noch ausscheiden können.

Schneider: Als so schwierig habe ich die Situation damals nicht in Erinnerung. Schon mit einem Punkt in Istanbul hätten wir ja im letzten Spiel gegen Lyon noch alles in der eigenen Hand gehabt. Aber natürlich wollten wir bei Fenerbahce gewinnen und hofften gleichzeitig auch auf einen Sieg von Barcelona in Lyon.

Ihr musstet auf die gelb-gesperrten Verteidiger Lucio und Diego Placente verzichten. Wie wichtig war es da, dass Jens Nowotny trotz seiner Kniebeschwerden auflaufen konnte?

Schneider: Es ist normal, dass mal einer angeschlagen ist oder jemand wegen einer Sperre fehlt. Klar, man hätte Jenne nicht eins zu eins ersetzen können, aber wir hatten damals schon einen guten, breiten Kader.

Der Kapitän hat sich in manchen Phasen durch diese Saison gequält und sich einiges zugemutet.

Schneider: Ja, und es sagt einfach viel über den Charakter von Jens, dass er sich damals so in den Dienst der Mannschaft gestellt hat. Er war durch und durch Profi, hat mehr als einmal auf die Zähne gebissen. Und er war ja nicht nur auf dem Platz Leistungsträger, sondern auch abseits davon ein unheimlich wichtiger Ansprechpartner für alle.

Jens, wie hast du deine persönliche Situation vor der Partie bei Fenerbahce in Erinnerung?

Nowotny: Dass mit den Knieproblemen hatte sich damals aufgebaut. Schon eine Woche zuvor gegen Barcelona hatte ich extreme Schwierigkeiten und spielte trotzdem. Es war ja so, dass man es immer bis zu dem Punkt versucht hat, wo’s dann wirklich gar nicht mehr ging. Mit einem Kreuzbandriss oder einem Bruch des Innenknöchels kann kein Mensch mehr spielen. Aber sonst? Wenn der Trainer der Meinung war, dass ich auch in einem nicht ganz fitten Zustand der Mannschaft helfen kann, dann hab ich’s halt probiert.

Und Toppi war häufiger dieser Meinung.

Nowotny: Genau.

Hast du im Nachhinein manchmal bereut, dass du gespielt hast, auch wenn eine Pause aus gesundheitlicher Sicht vielleicht besser gewesen wäre?

Nowotny: Nein, nie. Ich war in der Zeit sicher mehr auf der Massagebank als jeder andere Spieler. Ich schleppte mich schon irgendwie durch, aber dazu hat mich keiner gezwungen. Ich wollte das selbst durchziehen, weil ich einfach das Gefühl hatte, der Mannschaft wirklich helfen zu können. Und es hat ja bei mir in dieser Saison auch bis zum Kreuzbandriss im Spiel gegen Manchester United alles gepasst. Wir hatten damals übrigens immer wieder Phasen, in denen wichtige Spieler verletzt oder gesperrt waren. Und dennoch hat es funktioniert, wir haben trotzdem tollen Fußball gespielt. Niemand sagte ja hinterher: Da habt ihr aber Glück gehabt mit ein paar Schiedsrichter-Entscheidungen oder ähnlichem.

Funktioniert hat es auch im Sükrü Saracoglu, dem Stadion von Fenerbahce. Alle hatten einen Hexenkessel erwartet, aber es kamen dann doch nur rund 13.000 Zuschauer, viele Plätze blieben leer. Wart ihr überrascht?

Schneider: Ja, schon ein bisschen. Trotzdem haben die Fenerbahce-Fans Stimmung gemacht, als wären 30.000 Zuschauer da.

Gejubelt haben aber erst einmal eure Fans, und zwar schon nach 23 Minuten. Über einen Treffer, der später zum Tor des Monats gewählt wurde. Erzähl doch mal, Bernd, wie hast du die Szene erlebt?

Schneider: Zé Roberto hatte von der linken Seite eine Flanke Richtung Sechzehnmeterlinie geschlagen. Der Ball sprang noch ein- oder zweimal vor mir auf, ich ging volles Risiko und traf ihn so optimal, wie man das wahrscheinlich nur in einem von hundert Fällen hinbekommt. Du musst eben den Mut und das Selbstvertrauen haben, das Ding so zu nehmen. Aber es gehört auch viel Glück dazu. So ein Ball kann auch mal auf dem Parkplatz landen. Manchmal wird aber auch ein Tor des Monats draus.

Es war ja schon dein zweites im Jahr 2001, das erste hattest du im März gegen Dortmund erzielt.

Schneider: (lacht) Ich habe in meiner Karriere nicht so viele Tore geschossen, aber es waren jedenfalls ein paar sehr schöne dabei. Der Heber gegen Dortmund und Jens Lehmann war auch das 1:0 und damals sehr wichtig. Wir gewannen dann am Ende mit 3:1.

Jens, hast du aus deiner Perspektive auf dem Platz gleich sehen können, was für ein Traumtor Bernd da in Istanbul gelungen war?

Nowotny: Nein, ich sah nur, dass er halbrechts am Sechzehner vorm Tor stand. Plötzlich war das Ding drin, du freust dich und jubelst mit. Wie schön das Tor war, habe ich erst später am Bildschirm gesehen. Solche Sachen hat der Schnix auch öfter im Training gemacht. Technisch war das für ihn gar kein Problem. Aber du musst es dann auch im Spiel riskieren. Bei ihm hat es funktioniert. Bei mir wäre die Wahrscheinlichkeit sehr viel höher gewesen, dass ich so ein Ding in die Wolken haue.

Ihr wart klar überlegen bei Fenerbahce, seid aber vor allem in der zweiten Hälfte fahrlässig mit den vielen Chancen umgegangen. Am Ende wurde es noch mal eine enge Kiste…

Schneider: Ja, wir machten uns das Leben selbst schwer, Fenerbahce hatte kurz vor Schluss noch einmal eine dicke Chance. Letztlich war unser Sieg aber hochverdient, wir hatten unsere Pflicht erfüllt und schon vorzeitig die Zwischenrunde erreicht.

Nowotny: Das sind ja die ungeschriebenen Gesetze: Wenn du sie vorne nicht machst, kriegst du sie hinten rein. Solche Spiele hat’s schon immer gegeben und die wird’s auch immer wieder geben. Spiele, bei denen man sich selbst um den verdienten Lohn bringt. Glücklicherweise ist uns das in dieser Partie nicht passiert.

Reiner Calmund hat diesen Einzug in die Zwischenrunde in einer emotionalen Rede beim Bankett nach dem Spiel sehr hoch eingestuft, fast noch höher als den UEFA-Cup-Sieg und den DFB-Pokal-Gewinn. „Für Titel gibt es keinen Ersatz, aber sich in dieser Gruppe mit Lyon und Barcelona durchgesetzt zu haben, das ist das Größte“, sagte er damals.

Schneider: Und man darf dabei auch Roter Stern Belgrad in der Qualifikation nicht vergessen, auch das war schon eine heikle Aufgabe. Dass wir dann in der Gruppe nach dem vierten Sieg im fünften Spiel schon durch waren, spricht sicher für eine Qualität, die keiner von uns erwartet hatte. Fenerbahce war eine Art Initialzündung für die weitere Saison, weil wir hier etwas erreicht hatten. Weil wir auch selbst gemerkt haben, dass wir uns gegen die besten Teams in Europa durchsetzen können.

Nowotny: Calli hatte immer ein feines Gespür für Situationen. Und natürlich macht das auch etwas mit der Mannschaft, wenn er solche Vergleiche zieht. Aber ich habe das damals nicht so hoch gehängt. Und heute, mit dem Abstand von 20 Jahren, sieht man das natürlich noch mal etwas anders. Denn alle Spieler, Trainer, Mannschaften, Klubangehörige, die schon vor 2001 für Bayer 04 aktiv waren, haben das ja erst ermöglicht. Wären die Jungs damals nicht in die Bundesliga aufgestiegen, oder hätte die Mannschaft 1996 nicht den Klassenerhalt geschafft, hätten wir nicht in der Champions League spielen können. Ich tue mich immer schwer mit Vergleichen, welcher Erfolg jetzt höher zu bewerten ist als dieser oder jener, vor allem wenn es um den Vergleich mit Titeln geht. Aber ich glaube, in Istanbul haben wir alle verstanden, wie Calli das meinte.

Ging’s denn nach dem Bankett für euch noch weiter mit dem Feiern?

Schneider: Wir hatten ein tolles Mannschaftshotel, das Kempinski am Bosporus. Ich war wie fast immer mit Olli Neuville auf einem Zimmer. Wir saßen lange draußen auf unserer Terrasse, später kamen auch Jens und Calle Ramelow dazu. Wir tranken noch das eine oder andere Bierchen, unterhielten uns. Und wir wussten damals schon, dass wir mit dieser Mannschaft einiges erreichen konnten. Dieses Selbstvertrauen war jetzt einfach da. Auch in der Woche zuvor bei unserer 1:2-Niederlage in Barcelona hatten wir ja vor allem in der zweiten Halbzeit ein richtig gutes Spiel gemacht. Wir konnten jeden ärgern, so viel war klar.

Nowotny: Schnix, Olli, Calle und ich, wir waren ja nicht die Feierbiester im Team, die rausdrängen und große Party machen. Da gab’s andere, die das auf diese Weise taten und ja auch allen Grund dazu hatten. Aber wir vier haben diesen Erfolg auf der Terrasse mit Blick auf den Bosporus auf unsere Art genossen – ich übrigens ohne Bier, denn ich trinke keinen Alkohol. Wir hatten wirklich eine phantastische Unterkunft. Als wir damals im Kempinski-Hotel ankamen und ich die Zimmertür öffnete, war ich total baff. Ich traf zufällig Reiner Calmund auf dem Flur und sagte: ‚Calli, das ist kein Zimmer, das ist eine Suite.‘ ‚Und das zu Recht‘, meinte Calli nur.

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