Keld Bord­ing­gaard

Stra­ßen­fuß­bal­ler mit neuer Beru­fung

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Inmitten einer ungewöhnlichen Zeit ist Keld Bordinggaard im März 2021 zu Bayer 04 gestoßen. Denn während der Corona-Pandemie ist für den neuen Nachwuchs-Chefcoach der Kontakt mit den Trainern des Vereins, seinen wichtigsten Ansprechpartnern, nur bedingt möglich. Da der Spielbetrieb der Juniorenteams in den vergangenen Monaten nahezu komplett eingestellt wurde, startete der ehemalige Co-Trainer der dänischen Nationalmannschaft mit Hindernissen in seine neue Aufgabe.

Keld Bordinggaard ist ein äußerst zuvorkommender und freundlicher Mensch – das wird auch während des virtuellen Gesprächs mit dem Werks11 Magazin deutlich. Der neue Head of Coaching von Bayer 04 erzählt in fließendem Deutsch von interessanten Details aus seiner Vergangenheit. Die Aussagen des Dänen und ehemaligen Profifußballers sind klar, er antwortet sehr bedacht und akkurat. Eine Antwort des 58-Jährigen kommt jedoch wie aus der Pistole geschossen. „Ich war zunächst ein absoluter Straßenfußballer. Ich spielte zwar Handball im Verein, aber dennoch stundenlang Fußball auf der Straße. Mein großer Bruder hat damals kleine Turniere in der Gegend organisiert, an denen ich teilgenommen habe. Obwohl ich nicht in einem Klub war, habe ich tausende Stunden Fußball gespielt“, erklärt Bordinggaard auf die Frage, wie er sich selbst als Fußballer beschreiben würde.

„Der Fußball ist meine Leidenschaft"

Aufgewachsen in der dänischen Stadt Odense spielte Bordinggaard in seiner Kindheit jahrelang Fußball – ohne dabei einer Vereinsmannschaft anzugehören. Erst mit 16 Jahren trat er seinem Heimatklub Odense BK bei und spielte dort zunächst im Junioren-Team, ehe er in der U19 von Richard Møller Nielsen, dem Trainer der Profis, entdeckt wurde. „Von diesem Tag an hat sich alles geändert. Denn zum ersten Mal hatte ich einen Trainer getroffen, der mein Talent gesehen hat“, sagt Bordinggaard. Es folgten einige Einsätze in der dänischen Superliga und 1983 sogar das Debüt bei der dänischen Nationalmannschaft – gerade einmal drei Jahre nach seinem ersten offiziellen Fußballspiel. Von Odense wechselte Bordinggaard nach Griechenland zu Panionios Athen, ehe er bis zum Ende seiner aktiven Laufbahn im Sommer 2000 für verschiedene Klubs in Dänemark auflief.

Der ungewöhnliche Werdegang des neuen Head of Coachings von Bayer 04 ist von großer Bedeutung, um seine Philosophie gänzlich zu verstehen: „Wir müssen uns Gedanken machen, wie wir heutzutage den Straßenfußball wieder in die Klubs bringen können. Denn leider spielt die Jugend von heute nicht mehr viel auf der Straße oder auf dem Bolzplatz. Stattdessen wird der Sport auf dem Computer simuliert, damit können wir nur schwer konkurrieren. Deshalb müssen wir uns die Mühe machen, die Qualität des Straßenfußballs in unser strukturiertes Training einzubauen. Das ist für viele Trainer eine wirkliche Herausforderung.“

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Tauschen sich häufig aus: Keld Bordinggaard und Sportdirektor Simon Rolfes.

Gerade weil Bordinggaard in seiner Jugend nicht in den Genuss einer fußballerischen Ausbildung im Verein kam, ist der ehemalige Offensivspieler nun seit mehr als 20 Jahren im Trainer-Business tätig. Ein Leben ohne den Sport kann er sich nicht mehr vorstellen: „Der Fußball ist meine Leidenschaft im Leben. Wenn in Mexiko jemand stirbt, wird er gefragt, ob er eine Passion gehabt hat. Ist das der Fall, dann hatte er ein gutes Leben. Und bei mir ist das eben ganz einfach der Fußball.“

Seit Sommer 2019 widmet sich Bordinggaard nun der Ausbildung von Trainern, zuvor war er jahrelang selbst als Coach tätig. Seine Karriere an der Seitenlinie startete er im Alter von 38 Jahren beim dänischen Klub Vejle BK, für den er unmittelbar zuvor noch selbst aufgelaufen war. Der Übergang vom Spielfeld ins Trainerteam von Morten Olsen erfolgte nahtlos. Gemeinsam mit der dänischen Fußball-Legende wechselte Bordinggaard 2002 zur dänischen Nationalmannschaft, für die er vier Jahre als Co-Trainer arbeitete. Anschließend fungierte er einige Jahre als Cheftrainer, zunächst bei den dänischen U20- und U21-Junioren sowie beim dänischen Klub Silkeborg IF. 2014 war Bordinggaard dann sogar in Deutschland aktiv, an der Seite von Kasper Hjulmand beim 1. FSV Mainz 05. Zurück bei Vejle sammelte er vor seinem Wechsel zu Bayer 04 erste Erfahrungen in der Position des Head of Coaching. 

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Wir haben bei Bayer 04 sehr ambitionierte Ziele, und aus meiner Erfahrung als Trainer und Spieler weiß ich, dass wir oft unsere besten Leistungen bringen, wenn Druck da ist.

In den gut 15 Jahren als Co- und Cheftrainer entwickelte der Skandinavier eine klare Spielphilosophie, die er nun auch in Leverkusen implementieren möchte: „Ich bin ein Fan von strukturiertem Fußball, aber ich vertraue auch auf das Talent. Letztendlich müssen wir Spieler so weit bringen, dass sie die Situationen lösen können. Und das klappt nur mit einem dialogbasierten Zugang zu den Spielern. Ich bin ein Freund von offensivem, dynamischem Fußball“, betont der 58-Jährige, der vor einigen Jahren die Beraterfirma „Bordinggaard Football“ gründete und zusammen mit Simon Rolfes das zweijährige Studium „UEFA Executive Master for international Players“ abschloss.

Dass er sein Verständnis vom Fußball nun nicht mehr selbst den Spielern vermittelt, daran musste sich Keld Bordinggaard erst einmal gewöhnen. Die Arbeit des Head of Coaching erfolgt mehr abseits des Platzes, auch wenn der Jütländer in Zukunft regelmäßig die Trainingseinheiten sowie Meisterschaftsspiele der Bayer 04-Juniorenteams beobachten wird. Anders als in der Vergangenheit ist seine Arbeit nun jedoch nicht mehr gänzlich von den Ergebnissen am Wochenende abhängig. Stattdessen wird die langfristige Entwicklung der Jugendteams analysiert: „Wir haben bei
Bayer 04 sehr ambitionierte Ziele, und aus meiner Erfahrung als Trainer und Spieler weiß ich, dass wir oft unsere besten Leistungen bringen, wenn Druck da ist. Und auch in meinem Job verspüre ich einen gewissen Druck, denn wir alle müssen etwas leisten. Aber ein wichtiger Teil von meiner Arbeit war es schon immer, eine gewisse Perspektive zu haben“, so Bordinggaard.

Eine neue Berufung mit Perspektive hat der sympathische Däne nun in Leverkusen gefunden. Nachdem er bereits in den vergangenen zwei Jahren die Stadt regelmäßig kennenlernen durfte, ist er nun richtig in seiner neuen Heimat angekommen: „Seit dem 1. Mai habe ich eine eigene Wohnung hier und fühle mich langsam als ein Teil des Klubs. Aber das war eigentlich schon während meiner Arbeit als externer Berater so. Vor kurzem war ich mal wieder eine Woche in Dänemark, aber ich spüre schon, dass mein neues Leben hier ist. Das ist ein sehr schönes Gefühl.“