Mit gerade einmal sechzehneinhalb Jahren feierte Sofie Zdebel Anfang März ihr Bundesliga-Debüt. Über eine Teenagerin, die ihr Trainer „im positiven Sinne frech“ findet – und die schon im Kindergartenalter Stammgast in der BayArena war...
An der Seitenlinie passierte etwas, das eigentlich so gar nicht typisch ist für sie. „Ich habe tatsächlich ein bisschen gezittert“, beschreibt Sofie Zdebel die Sekunden, bevor sie erstmals den Rasen in der Bundesliga betrat. Mit nur sechzehneinhalb Jahren hat die Mittelfeldspielerin von Bayer 04 Anfang März beim Heimsieg über Turbine Potsdam ihren Einstand in Deutschlands höchster Spielklasse gegeben. Ein Ziel, auf das Sofie schon lange hingearbeitet hatte – und das dann doch irgendwie überraschend kam. „Als mein Name aufgerufen wurde, kam das schon unerwartet“, gibt sie zu. „Wir haben mit zwei Sechsern gespielt und ich dachte, dass sie auch durchspielen werden. Als ich dann draußen zur Einwechslung bereitstand, war ich sehr nervös.“
Einerseits nicht unbedingt charakteristisch für Sofie, die trotz ihres jungen Alters selbstbewusst auftritt und von Cheftrainer Achim Feifel als „aufgeweckt“ beschrieben wird. Andererseits aber auch völlig nachvollziehbar, wenn sich der große Traum von der Bundesliga schon so früh erfüllt. Zumal es ihrem Vater da nicht anders ging – und Thomas Zdebel hat schon einige Schlachten auf dem Feld geschlagen. Der ehemalige Bundesliga-Profi und Nationalspieler Polens hatte das Glück, das Debüt seiner Tochter trotz der Corona-Beschränkungen live miterleben zu können. Thomas ist Trainer der männlichen U17 von Bayer 04, die BayArena sein Arbeitsplatz – und der Blick auf das angrenzende Ulrich-Haberland-Stadion bestens. „Ich hätte nicht gedacht, dass es mich emotional so mitnimmt“, berichtet er vom Erlebnis, Sofie auf dem Platz stehen zu sehen. „Ich habe richtig mitgefiebert.“ Vor allem, als der Gegner aus Potsdam nach zwischenzeitlicher 3:0-Führung von Bayer 04 noch auf 3:2 verkürzt hatte. „Da dachte ich erstmal: Puh. Fürs erste Spiel muss sie jetzt schauen, dass sie mit einem blauen Auge davonkommt.“ Das klappte bekanntermaßen, Leverkusen siegte mit 4:2 – das Bundesliga-Debüt war rundum gelungen. „Nach dem Spiel habe ich natürlich richtig gut geschlafen und bin auch mit einem guten Gefühl wieder aufgewacht“, sagt sie mit breitem Grinsen.
Logisch, schließlich hat die 16-Jährige damit schon früh ihr ausgemachtes Ziel erreicht. In den Profi-Bereich wollte sie es immer schaffen, „und mein Vater hat mir immer gesagt, dass ich es auch schaffen werde“. Das Auge für Talent, es hat den Jugendtrainer Thomas Zdebel auch im Fall seiner eigenen Tochter nicht getäuscht. „Man konnte schon erkennen, dass da etwas vorhanden ist“, sagt Thomas. Das fing bereits an, als Sofie als Kind mit ihren beiden Brüdern im Garten der Familie kickte. Zunächst hieß der Sport der Wahl zwar noch Voltigieren, „aber das hat mir nicht so viel Spaß gemacht“. Ganz anders als Fußball. Ihr Zwillingsbruder Lukas spielte bereits im Verein, Sofie wollte unbedingt mitmachen: erst ein Jahr beim SV Altenberg, dann beim SV 09 Bergisch Gladbach.
Dort spielte sie bis zur C-Jugend – und zwar in der Jungen-Mannschaft. Für Sofie eine harte, aber gute Schule. „Sie hat in dieser Zeit den größten Entwicklungsschritt gemacht“, erzählt Vater Thomas. „Gegen die Jungs musst du dich durchzusetzen wissen, das war für sie von Vorteil. Technisch war sie den Jungs sogar überlegen.“ Auch wenn das körperbetonte Spiel für Sofie, die auch im Frauen-Team von Bayer 04 eher zu den kleineren Spielerinnen gehört, große Herausforderungen bereithielt. „Es war immer wieder auch schwer, wenn da die großen Brocken auf mich zugekommen sind“, erzählt Sofie. „Da gab es auch ein paar Rückschläge, aber ich habe immer weitergemacht und an meine Stärken geglaubt.“ Was ihr heute außerdem zugutekommt: In der Jungen-Mannschaft spielte Sofie als Linksverteidigerin – obwohl eigentlich der rechte ihr starker Fuß ist. Das macht sich heute bemerkbar. „Sie hat ein beidfüßig sicheres Passspiel“, lobt Bayer-04-Coach Achim Feifel die jüngste Spielerin in seinem Kader.
2018 spielte Sofie erstmals über ein Zweitspielrecht für die Leverkusener U17, 2019 wechselte sie dann fest zu Bayer 04 – und war vollauf begeistert über die Möglichkeiten, die der Verein ihr bietet. „Als ich das erste Mal an den Kurtekotten gekommen bin, das war schon eine Erscheinung“, berichtet sie. „So ein riesiges Trainingsgelände, die Infrastruktur ist sehr gut. Das ist schon cool, hier trainieren zu dürfen.“
Und die nächste glückliche Fügung sollte folgen, als ihr Vater wenig später ebenfalls den Schritt zu Bayer 04 machte. „Das war eigentlich reiner Zufall“, erklärt Thomas, „aber eben auch eine schöne Begleiterscheinung. Ich kann tagtäglich live miterleben, wie meine Tochter sich weiterentwickelt. Etwas Schöneres hätte es für mich persönlich gar nicht geben können.“ Auch wenn Thomas in und an der BayArena mit der U17 arbeitet und Sofie am Kurtekotten trainiert, bringt der gemeinsame Arbeitgeber viele Vorteile mit sich. „Unser Training mit der U17 ist um 18 Uhr, das der Frauen um 19 Uhr. Wenn ich fertig bin, fahre ich zum Kurtekotten und hole meine Tochter ab. Dann gibt es immer ein kurzes Feedback, wie das Training gelaufen ist, das ist einfach schön. Und aus logistischer Sicht ist es natürlich ein Geschenk.“ Die Familie wohnt in Bergisch Gladbach, die Wege sind für beide kurz. Wie schon 2009, als er als gestandener Profi vom VfL Bochum zur Werkself wechselte, sagt Thomas über diese Konstellation heute: „Bayer 04 ist für uns ein Sechser im Lotto.“
Als der Mittelfeldspieler Zdebel damals nach Leverkusen wechselte, war die künftige Mittelfeldspielerin Zdebel gerade einmal vier Jahre alt. An die Zeit kann sie sich aber noch gut erinnern. „Wir waren damals oft im Stadion“, erzählt Sofie. „Nach dem Spiel kam mein Vater dann noch mit den anderen Profis in den VIP-Bereich, sie haben dann auch Hallo gesagt. Das war schon eine coole Zeit.“
Und wie ist es, wenn man selbst gut Fußball spielt und der eigene Vater mal Profi war und jetzt Trainer ist? „Eigentlich hat es nur Vorteile“, sagt Sofie, muss sich aber auch eingestehen, dass sie das nicht immer so gesehen hat. „Früher hat es mich nervös gemacht, wenn er am Seitenrand stand“, erinnert sie sich. „Ich wollte dann keinen Fehler machen, weil er es direkt sieht. Aber im Nachhinein war das die falsche Einstellung. Er kann mir immer Tipps geben, um auf meiner Position besser zu werden.“
Denn schließlich hat Thomas einst selbst als Sechser gespielt – wie jetzt auch Sofie seit ihrem Wechsel zu Bayer 04. Auch in der deutschen U15- und U16-Nationalmannschaft, für die Sofie insgesamt neun Spiele bestritten hat, läuft sie im zentralen Mittelfeld auf. Im Sommer 2020 hat sie ihren Profi-Vertrag bei Bayer 04 unterschrieben, trainiert seitdem ausschließlich mit der ersten Mannschaft.
„Sie ist eine sehr talentierte Spielerin mit Stärken im technischen Bereich und guter Spielantizipation“, beschreibt sie ihr Cheftrainer Achim Feifel. Eine ganz besondere Eigenschaft sieht er aber in Sofies Persönlichkeit. „Sie bringt etwas ganz Wichtiges mit, denn sie ist im positiven Sinne frech“, lobt Feifel. „Sie lässt sich nichts gefallen auf dem Platz, auch nicht von etablierten Spielerinnen. Sie kann sich wehren und weiß schon, was sie kann.“
Und sie weiß auch, was sie will. Ihre Ziele für die Zukunft kann sie klar formulieren: Irgendwann mal A-Nationalmannschaft und irgendwann mal international spielen. Aber das hat noch Zeit. Aktuell strebt Sofie noch am Geschwister-Scholl-Berufskolleg in Leverkusen das Abitur an, Leistungskurse Sport und Biologie. „Sportlich will ich erst einmal mehr Spielzeit bekommen“, erklärt sie.
Am vergangenen Sonntag in Duisburg (2:0) kam sie schon zu ihrem zweiten Bundesliga-Einsatz – wieder einer, der von Erfolg gekrönt war. „Ich kann es noch gar nicht realisieren, dass ich schon dabei bin“, gibt sie überwältigt zu. Vom Mädchen in der Jungen-Mannschaft bis zur Bundesligaspielerin – es ging alles rasend schnell in den letzten Jahren. „Auf dem Platz merke ich das gar nicht so“, sagt sie, „aber wenn ich abends schlafen gehe, dann denkt man schon: ‚Wow, dass ich bei den Profis dabei sein kann und Bundesliga spiele, das ist schon ein cooles Gefühl.‘“ Und bald bestimmt auch eines ganz ohne Zittern.