Ach“, sagt die Torschützin vom Dienst und winkt lächelnd ab, „klar sind fünf Tore in den ersten neun Duellen nicht schlecht. Aber am Ende profitiere ich als vorderste Spielerin bei uns auch nur von der Teamleistung.“ Bescheidenheit ist derzeit eine Zier bei Milena Nikolić, denn die 28 Jahre alte Angreiferin liefert verlässlich ab. Der späte Führungstreffer in der 89. Minute beim 2:0-Heimsieg gegen Duisburg, ein Doppelpack beim 2:2 in Frankfurt, das Tor zum 3:0-Schlusspunkt gegen Bremen und das 2:0 beim Aufsteiger Meppen – wohl dem, der eine Torjägerin dieser Klasse aufstellen kann. „Ihre Tore sprechen für sich und helfen uns enorm. Dazu ist Milena mit ihrer ausgeprägten Teamfähigkeit ohnehin ein Gewinn und genießt hohe Akzeptanz in der Mannschaft“, sagt Bayer 04-Trainer Achim Feifel, der die 1,83 Meter große Mittelstürmerin seit Sommer 2019 betreut.
Sechs Jahre zuvor hätten sich ihre Wege beinahe schon einmal gekreuzt. Nikolić spielte in Serbien bei ŽFK Spartak Subotica. Das Team war Meister geworden und hatte in der UEFA Champions League mit drei hohen Siegen in der Gruppenphase die K.o.-Runde erreicht. Gegner im Sechzehntelfinale im Oktober 2013 war FK Rossijanka aus Russland, bei dem Achim Feifel bis wenige Monate zuvor noch als Coach gearbeitet hatte. Für Subotica kam nach einem 2:4 und 1:1 das Aus in der Königsklasse, doch Milena Nikolić erreichte einen historischen Erfolg: Mit elf Toren wurde sie 2013/14 Torschützenkönigin der Königsklasse – obwohl ihre Mannschaft nur fünf Spiele absolvierte. „Zwei Dreierpacks und ein Viererpack in den ersten drei Spielen: Ich hätte selbst nicht gedacht, dass es so überragend für mich laufen könnte.“
Nikolić hatte auf einmal einen Namen im europäischen Frauenfußball, hamsterte in den folgenden Jahren mit ihrem Team reichlich nationale Titel und wurde 2015 zur besten Spielerin Serbiens gekürt. Nach vier Meisterschaften und drei Pokalsiegen mit Subotica – einen weiteren Cup-Erfolg hatte sie in Serbien zuvor schon mit ihrem vorherigen Klub Mašinac Niš gefeiert – schien die Zeit reif für den Sprung ins Ausland. Als ihre Agentin 2016 mit einem Angebot vom SC Sand aus Deutschland kam, zögerte Nikolić nicht lange: „Mit 23 war es für mich genau der richtige Moment, um das Abenteuer zu wagen.“
Ein großer Schritt für das Mädchen aus Trebinje, einem 30.000-Einwohner-Städtchen am Südzipfel Bosniens an der Grenze zu Montenegro. „Das erste halbe Jahr war sehr schwierig. Die Sprache bereitete Probleme, ich spielte nicht so viel. Es hat gebraucht, bis ich angekommen war und mich an das höhere Tempo in der Bundesliga gewöhnt hatte“, sagt Nikolić. Das eine Jahr Deutsch-Unterricht aus Schulzeiten war da auch nicht mehr sonderlich hilfreich. „Ich habe die Sprache dann von der Pike auf gelernt und arbeite noch heute zwei, drei Mal pro Woche mit meinem Sprachlehrer“, sagt sie. Und der Unterricht überwindet Grenzen: Der Mann sitzt in Serbien, gelernt wird online. Doch das Lernen am PC hat die erhofften Fortschritte gebracht – wie auch die Arbeit auf dem Platz. Sportlich wie sprachlich hat sich Nikolić in Sand zunehmend durchgekämpft und feierte 2017 den Einzug in das Pokalfinale gegen den VfL Wolfsburg – trotz der 1:2-Niederlage eine beeindruckende Erfahrung: „Es war ein großartiges Erlebnis vor 18.000 Zuschauern in Köln.“
Am Ende der drei Jahre in Sand, einem Ortsteil der badischen Kleinstadt Willstätt, standen für sie 44 Bundesligaspiele und 12 Treffer zu Buche – deutlich höhere Zahlen in beiden Kategorien verhinderten Verletzungen. Ein Muskelbündelriss und eine langwierige Blessur an der Bandscheibe kosteten Nikolić die gesamte Hinrunde 2018/19. Ein Faktor, der eine wichtige Rolle beim Wechsel unters Bayer-Kreuz im Jahr 2019 spielen sollte: „Es gab damals auch Angebote von anderen Klubs“, sagt Nikolić. „Aber ich habe auch nach dem Verein geschaut, der die beste medizinische Betreuung hat.“
Als sie die umfassenden technischen und personellen Reha-Möglichkeiten in der Werkstatt im Westgebäude der BayArena gesehen hatte, wusste sie, dass sie ihn gefunden hatte. Das erste Jahr der Liaison zwischen Nikolić und den Bayer 04- Frauen brachte mit dem auf den letzten Metern vollbrachten Klassenerhalt ein Happy End. Die fünf Tore, die sie dazu im Saisonverlauf beitrug, wertet sie als „ausbaufähig, aber ich habe dazu auch sieben oder acht Vorlagen gegeben“. In dieser Spielzeit – die Prognose scheint nicht vermessen – dürfte sie diese Marke locker überbieten. „Wir haben uns viel vorgenommen. Die Mannschaft hat gelernt aus dem vergangenen Jahr, wir haben gute Neuzugänge und nicht so viele Verletzte. Ich sehe uns diesmal im gesicherten Mittelfeld“, sagt die kopfballstarke Stürmerin, die in ihrer Freizeit gern Bücher liest und sich als „sehr hilfsbereiten Menschen“ charakterisiert. Letzteres verkörpert sie auch auf dem Platz, wenn Nikolić mit Wucht wertvolle Lücken fürs Team reißt und Bälle behauptet: „Egal, ob ich eine gute oder schlechte Tagesform habe, ich gehe voller Leidenschaft in jedes Spiel.“
Ihr Vertrag läuft im Sommer 2021 aus, Verlängerung ausdrücklich erwünscht. „Ich bin sehr glücklich und zufrieden hier bei Bayer 04.“ Auch ihr Trainer ist froh, sie im Team zu haben. „Milena hat klare sportliche Ziele, die sie verfolgt. Ich sehe in ihr sogar noch mehr Potenzial“, betont Achim Feifel.
Milena Nikolić würde diesem Lob vermutlich mit einem „Ach“ und einem Lächeln auf den Lippen begegnen...
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