„Die Kri­tik­fä­hig­keit der Frauen ist aus­ge­präg­ter“

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Achim Feifel ist in der zweiten Saison Cheftrainer der Bayer 04-Frauen, die nach dem Klassenerhalt im Juni mit einem hervorragenden fünften Platz in die Winterpause der Bundesliga gegangen sind. Im Interview spricht der 56-Jährige nicht nur über die positive Entwicklung seiner Spielerinnen und die mittlerweile höher gesteckten Ziele. Mit seiner langjährigen Erfahrung erklärt der Fußball-Lehrer auch, wo der Unterschied zwischen der Führung eines Frauen- und eines Männerteams liegt. Zudem benennt der gebürtige Schwabe, der lange im Junioren-Fußball tätig gewesen ist, ein gravierendes Nachwuchsproblem im männlichen Bereich des deutschen Fußballs.

Wie bewerten Sie den bisherigen Saisonverlauf ihrer Mannschaft? Platz 5 nach 13 Spieltagen, 20 Punkte, also bereits drei Zähler mehr als in der gesamten vorigen Saison.
Feifel: „Es ist insgesamt gut gelaufen. Wir haben uns sehr ordentlich präsentiert und gute Ergebnisse erzielt. Unser Ziel für diese Saison, den sechsten Platz, hat sich die Mannschaft im Trainingslager vor Saisonbeginn selbst gesetzt. Wenn es unrealistisch gewesen wäre, hätte ich als Trainer gesagt: Mädels, überlegt euch das noch einmal. Aber ich fand das Ziel realistisch. Ich habe den Kader mit den Neuzugängen, die mit ihrer Qualität schnell integriert werden konnten, stärker eingestuft als den in der vergangenen Saison und war mir sicher, dass wir eine bessere Runde spielen würden. Das Ziel, das wir uns gesetzt haben, haben wir vor der Winterpause sogar um einen Platz übertroffen.“

Der sechste Platz am Saisonende wäre ein großer Sprung im Vergleich zur vorigen Saison, als die Mannschaft den Abstieg aus der FLYERALARM Frauen-Bundesliga nur knapp abwenden konnte. Für Sie ist die laufende Saison die zweite bei Bayer 04. Entspricht die nun eingetretene Steigerung Ihren Erwartungen, als Sie nach Leverkusen gekommen sind?
Feifel: „Auch 2019 musste die Mannschaft lange um den Klassenerhalt kämpfen. Es war fast schon klar, dass die Saison danach nicht einfach würde, weil sich das Gesicht der Mannschaft mit den Neuzugängen Milena Nikolic und Dora Zeller nicht groß verändert hatte. Aber dass es wieder ein Abstiegskampf würde, das konnten wir uns nach der Vorrunde nicht vorstellen. Es fehlte der Mannschaft aber ein Stück Mentalität gegen Gegner, die sie vermeintlich schlagen konnte. Deswegen war es gut, dass wir den Kader in diesem Sommer verändern konnten, um eine Weiterentwicklung der Mannschaft sicherzustellen. Ein sehr wichtiger Schritt war das erweiterte athletisch-konditionelle Training, das wir schon im vergangenen Jahr mit Athletiktrainer Maurice Mülder begonnen hatten. Dieser Schwerpunkt zahlt sich jetzt erst richtig aus.“

Aber auch die spielerischen Fortschritte ihres Teams sind unverkennbar.
Feifel: „Die Entwicklung im technisch-taktischen Bereich, in der Variabilität, das ist der nächste Step, der nun folgt. Dass wir auch bei Ballbesitz-Fußball spielen wollen, haben wir schon in einigen Spielen zeigen können. Die defensive Kompaktheit, die man haben muss, konnte man bei der knappen Niederlage gegen Bayern München schon gut erkennen. Wir schaffen es schon, den Gegnern die Räume eng zu machen und aus einer guten Grundordnung mit hoher Aggressivität nach vorne zu verteidigen. Das erfordert einen entsprechenden konditionellen Zustand, den sich die Mannschaft erarbeitet hat. Wir haben immer öfter Phasen, in denen wir guten Fußball spielen. Das bekommen wir auch als Feedback von anderen Bundesliga-Trainern zu hören, die sagen, dass wir uns auf einem ganz anderen Level bewegen als noch vor einem Jahr.“

Ist es Ihr Anspruch und der von Bayer 04, sich bald ein noch höheres Ziel zu setzen als Platz sechs?
Feifel:
„Bei einem Klub wie Bayer 04 sollte der Anspruch perspektivisch so sein, dass man in der Leistungsentwicklung noch weiter nach vorne will. Das sehe ich auch so. Derzeit befinden wir uns aber erstmal in einer Phase, in der wir das erreichte Niveau stabilisieren wollen. Dann wollen wir den nächsten Schritt vollziehen. Sonst bräuchte man ja nicht weiterarbeiten. Aber dafür müssen wir die Spielerinnen, die sieben Neuzugänge aus diesem Sommer, noch weiterentwickeln. Aber auch viele, die schon länger bei Bayer 04 sind, sind noch nicht am Ende ihrer Möglichkeiten angelangt. Punktuell müssen wir immer wieder auch den Kader so anpassen, dass wir noch mehr Qualität in Bezug auf die Tiefe des Kaders gewinnen. Das alles macht es letztlich aus, um noch erfolgreicher abzuschneiden.“

War diese Perspektive eine Voraussetzung für Sie, als Sie 2018 vom Hamburger SV zu den Frauen von Bayer 04 wechselten?
Feifel:
„Auf jeden Fall, diese Entwicklungsmöglichkeiten habe ich auch gesehen. Ich war sieben Jahre beim HSV und habe dort erfahren, was für Möglichkeiten sich in Leverkusen umsetzen lassen. Über Bayer 04 wurde eigentlich immer nur positiv geredet. Und ich selbst kannte auch das ganze Gelände und die Strukturen schon von meinem Praktikum, das ich mal im Rahmen meiner Ausbildung zum Fußball-Lehrer hier gemacht habe. Daher war ich mir darüber bewusst, dass die Möglichkeiten hier vorhanden sind, um die Schritte nach vorn auch wirklich gehen zu können.“

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Sie haben viele Jahre auch Männer-Teams trainiert. Beim HSV waren Sie mit den Mannschaften der Junioren- Bundesliga beschäftigt. Aber genau so umfangreich sind Ihre Erfahrungen im Frauen-Fußball. Sie sind somit Experte für folgende Frage: Verraten Sie einmal, wo die Unterschiede in der Führung einer Frauenmannschaft und eines Männerteams liegen?
Feifel: „Ein ganz wichtiger Punkt, der mir immer wieder auffällt, ist dieser: Man muss als Trainer bei den Frauen schon insgesamt noch offener und klarer kommunizieren. Es gibt Themen, die im Männerbereich oft irgendwie unter den Tisch fallen oder über die nicht so groß nachgedacht wird. Um im Frauenfußball einen entsprechenden Teamgeist zu erreichen, muss man im Umgang und in den Gesprächen mit einzelnen Spielerinnen mehr Sensibilität an den Tag legen. Es erfordert insgesamt mehr Gesprächsbereitschaft, denn die Spielerinnen wollen mehr Rückmeldungen als es oftmals im Männer- und im Juniorenbereich der Fall ist. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass im Frauenbereich für eine gute Führung mehr Kommunikation nötig ist als im Männerbereich.“

Betrifft das die Kommunikation über fachliche Fragen oder muss ein Trainer die Frauen auch im emotionalen Bereich anders erreichen als Männer?
Feifel: „Beides trifft zu. Aber viele Frauen brauchen aufgrund einer größeren Emotionalität in stärkerer Weise positive Rückmeldung im psychologischen, pädagogischen Bereich. Mit einem positiven Feedback kommt man bei den Frauen weiter, als nur zu kritisieren und die negativen Dinge, die nicht so klappen, hervorzuheben. Natürlich ist sachliche Kritik in Ordnung, aber nur draufzuhauen bringt gar nichts.“

Heißt das, Frauen fühlen sich von harter Kritik tiefer getroffen?
Feifel: „Aussagen werden oftmals noch persönlicher genommen als es im Männer- oder im Juniorenbereich der Fall ist. Das erfordert schon mehr Sensibilität im Umgang mit ihnen.“

Die Spielerinnen hören genau zu, nehmen die Zwischentöne wahr und reagieren sensibler auf Aussagen.

Ein anderer Trainer aus der Frauen-Bundesliga erklärte kürzlich, die Frauen würden ihm genauer zuhören, als er das früher bei Männer-Teams kennengelernt habe. Die Spielerinnen wüssten immer sehr genau, was er gesagt habe.
Feifel: „Das kennen wir doch auch – von zu Hause. Genau so ist es auch bei einer Frauen-Mannschaft. Es stimmt total, sie hören genau zu und nehmen die Zwischentöne wahr und reagieren sensibler auf Aussagen. Letztlich führt das dann dazu, warum man sie mit negativen Reaktionen auch emotional härter treffen kann. Viele Spielerinnen nehmen Dinge brutal persönlich, wenn einem einmal was völlig Unbedachtes rausrutscht.“

Muss man als Trainer einer Frauen-Mannschaft also vorsichtiger sein, dass man sich nicht mal aus Versehen im Ton vergreift?
Feifel:
„Aus der Emotion heraus im Spiel mal Dinge zu rufen oder zu sagen, da muss man sehr aufpassen. Es ist ein sehr wichtiger Punkt in der Teamführung im Frauenbereich, dass man möglichst sachlich bleibt und nicht über das Ziel hinausschießt. Das kann man sich im Männerbereich schon eher erlauben. Dort ist es eben ein paar Tage später wieder vergessen. Bei den Frauen dauert es meistens ein bisschen länger, bis sich die Wogen wieder geglättet haben. Frauen sind eben feinfühliger, das ändert sich nicht dadurch, dass sie Fußball spielen.“

Überlegen Sie vorher mehr als bei den Männern, was Sie zu Ihren Spielerinnen in einer Mannschaftssitzung sagen wollen?
Feifel:
„Auf jeden Fall muss ich mir ein bisschen mehr Gedanken machen, wie man gewisse Themen anspricht. Nehmen wir das Beispiel, dass einmal ein Spieler oder eine Spielerin beim Training fehlt. Bei den Männern wird dann gesagt, der fehlt aus einem privaten Grund. Dann ist das Thema durch. Aber im Frauenbereich ist es wichtig, dass der Hintergrund klar erklärt wird, damit alle wissen, weshalb diese Spielerin heute nicht im Training dabei ist. Meine Erfahrung ist es, dass in der Mannschaftsführung mit Frauen eine ehrliche, offene, klare Kommunikation noch wichtiger ist als bei den Männern.“

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Aber es bestehen individuelle Unterschiede?
Feifel:
„Es gibt einerseits natürlich Junioren, die wollen mehr Rückmeldung von dir als Trainer, und andererseits wollen nicht alle Frauen besonders viel Feedback. Das ist eine Persönlichkeitsfrage. Bei Bayer 04 machen wir jetzt auch relativ viele Individual-Analysen und führen Einzelgespräche mit den Spielerinnen, um mit ihnen immer wieder abzustimmen, wie man ihre Entwicklung bewertet und was man von ihnen erwartet. Aber auch in unserer Mannschaft gibt es Spielerinnen, die brauchen nicht so viel Kommunikation, die wissen, was Sache ist. Und es gibt andere, da weiß ich, die lechzen mehr nach Feedback.“

Sind Frauen proaktiver? Fragen sie möglicherweise auch mehr Dinge nach?
Feifel:
„Das ist so. Deswegen hat es mir von Anfang an Spaß gemacht, weil man merkt, dass auch eine höhere Lernbereitschaft vorhanden ist. Und eine höhere Lernbereitschaft führt auch zu einer höheren Lernfähigkeit. Wenn man vernünftig arbeitet mit den Spielerinnen, lässt sich relativ schnell eine gute Weiterentwicklung erzielen. Was eigentlich vielen Junioren und auch Männern abgeht, ist nämlich ein wenig Kritikfähigkeit, auch mal Dinge vom Trainer anzunehmen. Diese Kritikfähigkeit ist im Frauenfußball schon im hohen Maße anzutreffen, sogar manchmal zu viel.“

Liegt dort womöglich sogar ein besonders großer Unterschied?
Feifel:
„Viele der 16- bis 18-jährigen Jungen, die mit ihrem gesunden Selbstbewusstsein in den Junioren-Bundesligen spielen, denken doch von sich: Ich bin der Größte, ich kann schon alles. Die wollen sich nicht mehr viel sagen lassen. Dabei liegt dort nach meiner Erfahrung das größte Problem des deutschen Fußballs. Es ist nicht die fehlende Qualität, es ist die Tatsache, dass viele unserer jungen Topspieler viel zu früh satt sind. Viele von ihnen könnten eine Menge lernen von den Mädchen und Frauen, die viel selbstkritischer sind, obwohl sie es viel schwerer haben, weil sie als Fußballerinnen meist Leistungssport und berufliche Ausbildung unter einen Hut bringen müssen. Im Frauenfußball muss zum Glück niemand lernen, mit der frühen finanziellen Übersättigung umzugehen.“


ZUR PERSON:
Geburtsdatum: 3. August 1964
Geburtsort: Schwäbisch Gmünd
Fußball-Lehrer (UEFA Pro Level) und Diplom-Sportpädagoge

Stationen als Trainer:
seit 1. Juli 2019: Bayer 04 Leverkusen Frauen
2014 - 2019: Hamburger SV Junioren (U16 - U21)
2013 - 2014: 1. FFC Potsdam Frauen
2012 - 2013: FC Rossiyanka/Russland Frauen
2005 - 2012: Hamburger SV Frauen
2003 - 2005: Co-Trainer U23-Juniorinnen des DFB
1999 - 2003: Verbandssportlehrer in Württemberg
1990 - 1999: div. höherklassige Amateurteams (Männer) in Württemberg

Das Interview ist aus dem aktuellen Werks11 Magazin Nr. 29. 


Mehr über Achim Feifel gibt's übrigens im Werks11 Podcast zu hören!
HIER geht's zur Folge.