Das Fußball-Jahr 2022 der Bayer 04-Frauen ist beendet, zum Abschluss unterlagen die Leverkusenerinnen am vergangenen Wochenende beim Spitzenteam des FC Bayern München mit 0:2. Nach den ersten zehn Partien der Saison 2022/23 in der FLYERALARM Frauen-Bundesliga rangiert Bayer 04 somit auf Platz sechs.
Sportlich verantwortlich zeichnet beim Frauen-Bundesligisten aus Leverkusen seit Sommer Robert de Pauw. Der Niederländer hatte im Sommer die Nachfolge von Achim Feifel (jetzt Sportlicher Leiter) angetreten. Der 41-Jährige aus der Grenzstadt Nimwegen kam vor Saisonbeginn vom niederländischen Meister und Pokalsieger FC Twente Enschede und hat mit den Siegen beim MSV Duisburg (1:0) und im Derby gegen den 1. FC Köln (1:0) einen idealen Einstand feiern können. Auch, weil er einige Veränderungen vorgenommen und neue Impulse gesetzt hat. Über diese hat de Pauw mit dem Werkself-Magazin gesprochen.
„Es hat für mich gleich alles gepasst. Die Menschen hier sind sehr offen, sie zeigen, dass man auf sie sofort zugehen kann“, blickt de Pauw auf seinen Einstieg zurück, der mit der Mexiko-Reise einen intensiven Höhepunkt bot: „Wir konnten einander sofort kennenlernen. Ich habe jeden Moment genossen.“ Auch fünf Monate später ist er total überzeugt davon, den richtigen Schritt gemacht zu haben: „Ich bin wirklich sehr zufrieden und froh, dass ich bei Bayer 04 bin. Die Bedingungen hier sind einfach klasse. Wir spielen auf dem besten Platz der Liga, haben ein großartiges professionelles Umfeld.“ Auch vom sportlichen Level seiner Mannschaft ist er sehr angetan. „Alle Spielerinnen haben eine starke Mentalität und arbeiten sehr professionell.“ Er muss es wissen, schließlich ist er ein Trainer mit der extrem langen Job-Expertise von 28 Jahren.
Schon im Alter von 13 Jahren nahm er als Assistent seines Vaters seinen ersten kleinen Trainer-Job an. „Er war sportlicher Leiter bei SCE Nimwegen und hat mich gefragt, willst du helfen, kleine Kinder im Alter bis Sieben zu trainieren? Ich habe natürlich ja gesagt, weil ich damals schon Fußball geliebt habe. Es hat sofort funktioniert. Und seitdem bin ich Trainer geblieben“, sagt de Pauw, als wäre es die selbstverständlichste Sache der Welt. „Wenn man jung ist, hat man schöne Träume, da möchte man einmal Nationaltrainer sein und mit einer Vereinsmannschaft Titel gewinnen und ein Topteam im Ausland trainieren. Mit den holländischen U17-Juniorinnen bin ich schon Vize-Europameister geworden. Mit Twente wurde ich in diesem Jahr Meister und Pokalsieger. Und nun bin ich bei Bayer 04 für ein starkes Team im Ausland verantwortlich“, sagt de Pauw. Er muss es nicht weiter formulieren: Er hat sich damit seinen dritten großen Traum erfüllt.
Die Ziele, die er sich und den Werkself-Frauen setzt, hat der studierte Sozialwissenschaftler bereits definiert. „Die Top fünf der Bundesliga müssen unser Anspruch sein. Der VfL Wolfsburg und der FC Bayern heben sich noch von den anderen Mannschaften ab. Dahinter sehe ich Frankfurt, Hoffenheim sowie Köln – und in die Reihe wollen wir auch rein. Wir wollen ein Team werden, gegen das alle Konkurrenten sehr ungern spielen“, skizziert der neue Chefcoach seine Ansprüche.
„Die weitere Entwicklung hängt auch davon ab, welche Finanzen zur Verfügung stehen. Es ist ein starkes Signal, dass die Verantwortlichen Fernando Carro, Simon Rolfes, Thomas Eichin und Achim Feifel sehr ambitioniert sind. Zeitlich abzuschätzen, wann wir reif sind für Platz drei, ist kompliziert. Ich hoffe aber, dass es in drei Jahren so weit sein könnte.“
Fest steht: Bayer 04 hat einen sehr fleißigen Chefcoach bekommen, der zudem strategisch plant und klare Prinzipien hat. Teilweise brachte er vier verschiedene Lebensbereiche unter einen Hut, als er selbst spielte, Trainer war, studierte und diverse Jobs bei der Post, in einem Supermarkt, als Barmann und Kellner und sogar bei einer Steuerberatung hatte. „Gearbeitet habe ich nebenher eigentlich immer, seitdem ich 14 war“, erzählt de Pauw, der sein Studium an der Hochschule von Arnheim und Nimwegen 2004 mit dem „Bachelor of Social Work“ abschloss. Aber der Fußball blieb stets die große Konstante in seinem Leben. Denn er spielte parallel zu seinen Jobs als Coach sehr lange selbst in guten Jugend- und später starken Amateur-Teams.
„Als Spieler und Trainer bin ich immer einen Schritt weitergekommen“, schildert er seinen Werdegang. Von den Nachwuchsteams bei SCE Nimwegen ging es zum Profiklub seiner gelderländischen Heimat, dem NEC Nimwegen, wo er die U15, die U19 und schließlich die U23 trainierte. Phasenweise war er sogar Spielertrainer. Mit dem Klub trat er in der höchsten holländischen Amateur-Klasse an. Im Alter von 26 beendete er seine Spieler-Karriere wegen mehrerer Verletzungen, um sich auf seine Trainer-Laufbahn zu konzentrieren.
Im Mai 2017 übernahm er mit dem Erstligisten Achilles ’29 erstmals ein Frauen-Team, elf Monate später bekam er seine erste Stelle als Vollzeit-Trainer beim niederländischen Verband KNVB im Juniorinnen-Bereich. Die U17 führte der Vater zweier Töchter bei der Europameisterschaft 2019 in Bulgarien gleich ins Finale. „Gewonnen hat leider Deutschland“, sagt der 41-Jährige und lacht. Deutsche Mannschaften schätzt er grundsätzlich wegen ihres ausgeprägten Team- und Kampfgeists, die Vorteile des niederländischen Fußballs sieht er in einer größeren Individualität und einer besseren Technik.
Die Corona-Pandemie machte dann auch ihn beschäftigungslos, aber nur was die Trainingsarbeit auf dem Platz betraf. Er bildete sich gezielt weiter, gab selbst Webinare über erfolgreiche Trainer und deren Spielstile im Auftrag einer Trainer-Fachpublikation und machte Persönlichkeitstests. „Ich habe viel gelernt, auch über mich selbst“, erklärt er: „Ich habe etwas über meine Stärken und Schwächen erfahren und dass ich der Typ Architekt bin, der strukturiert immer mit einem Plan arbeiten will. Das finde ich tatsächlich sehr wichtig.“ Den Test hat er bei Bayer 04 alle Spielerinnen und den gesamten Staff machen lassen, wie zuvor schon beim FC Twente, wo er ab Sommer 2021 für eine Saison erfolgreich arbeitete. Mit den Resultaten der Persönlichkeitsfragebögen können eigene Verhaltensweisen in bestimmten Situationen, besonders wenn Stress entsteht, besser erkannt und analysiert werden. De Pauw weiß dank des Feedbacks aus den Tests zum Beispiel nun genauer, welche seiner Spielerinnen und seiner Mitarbeiter zur Gruppe der Mutigen und Risikofreudigen gehören oder wer mehr auf Sicherheit bedacht ist, wer sich mehr Führung wünscht oder lieber selbstständig kreativ sein möchte, wer impulsiver oder diplomatischer reagiert.
Das wichtigste Ergebnis: Das Selbstbewusstsein jedes Teilnehmenden nimmt durch die Reflektion seiner Verhaltensweisen zu. De Pauw hat auch seine eigenen Ergebnisse der Mannschaft präsentiert, damit alle wissen, wen sie vor sich haben. „Coaching ist zu 70 Prozent Menschenführung, 30 Prozent machen das Taktische und das Fußballerische aus“, erklärt der Coach seine Haltung. Bis zu seiner ersten vollen Trainerstelle arbeitete de Pauw elf Jahre lang als Sozialarbeiter in Nimwegen und beriet dabei Problemfamilien in Krisen. Jetzt ist er der Architekt beim Frauen-Team von Bayer 04 und für dessen Entwicklung hat er einen Masterplan: „Die meisten Typen, die die Verantwortung übernehmen und gerne für Struktur sorgen, stehen in der Defensive. Diejenigen aber, die vorne spielen, sollen kreativ und intuitiv sein und Freiheiten bekommen. Genau diese Balance muss die Mannschaft mit meiner Hilfe in jedem Spiel neu finden.“
Nach dem großen Erfolg der Fußball-Europameisterschaft der Frauen mit dem stimmungsvollen Turnier in England und hohen TV-Einschaltquoten in Deutschland hat Bayer 04 sein Bekenntnis für die Sportart erneut bekräftigt. Bei einem Medientermin in der Heimkabine der Frauen in der BayArena sprachen die Leverkusener Verantwortlichen und vier Spielerinnen unter anderem über die rasante Entwicklung in der Branche, die nicht nur bei Bayer 04, sondern bei vielen europäischen Teams stattgefunden hat. „Die Frauen-Teams haben in unserem Klub einen hohen Stellenwert“, betonte Fernando Carro, Vorsitzender der Geschäftsführung von Bayer 04.
Der Klub wolle den Schwung aus der erfolgreichen EM in England, wo die deutsche Nationalmannschaft im Finale im Londoner Wembleystadion dem Gastgeber-Team mit 1:2 unterlag, aufnehmen, erklärte Thomas Eichin. „Wir sind sehr froh, in Fernando Carro jemanden zu haben, der sich viel mit Frauenfußball beschäftigt. Das ist Gold wert, und da sind wir auf einem guten gemeinsamen Weg hier bei Bayer 04“, sagte der Leiter Nachwuchs und Frauen und berichtete von der Entwicklung unter dem Bayer-Kreuz. In den vergangenen Jahren sei bereits viel bewegt worden, indem die Strukturen verbessert und weiter professionalisiert wurden, aber es bliebe einiges zu tun. „Wir können uns viel von anderen Ländern wie Frankreich oder England abgucken. Um mehr Aufmerksamkeit zu erzielen, müssen wir nach und nach weiter an den Männerfußball andocken und viele Dinge anpassen wie finanzielles Volumen, gewisse Lizenzierungsauflagen, Fokus auf die Nachwuchsarbeit, Verzahnung von Nachwuchs- und Profimannschaft, einen professionellen Scouting-Bereich, Trainer-Weiterbildungen. Aber vor allem sind wir auch auf die Sichtbarkeit in der Medienlandschaft angewiesen“, betonte Eichin.
Achim Feifel, der bis zur vergangenen Saison noch selbst Cheftrainer war und nun als Sportlicher Leiter einige der von Eichin beschriebenen Anforderungen vorantreiben soll, beschrieb bereits erzielte Fortschritte: „Als ich im Sommer 2019 hier angefangen habe, haben die U23 und die Juniorinnen noch nicht mal am Leistungszentrum Kurtekotten trainiert, jetzt sind wir mittlerweile schon zehn Schritte weiter. Das Athletiktraining haben wir verbessert, ebenso die medizinische und psychologische Betreuung der Spielerinnen. Es hat sich also schon einiges getan.“