Gerardo Seoane, wie erklären Sie einem Fremden, mit welcher Philosophie die Young Boys arbeiten?
Wir sind ein ambitionierter Klub in einer Ausbildungsliga. Ambitioniert bedeutet: Wir haben den Anspruch, national um Titel mitzuspielen und uns regelmäßig für internationale Wettbewerbe zu qualifizieren. Bei uns sollen die Spieler die Möglichkeit erhalten, sich im bestmöglichen Licht zu präsentieren und sich unter optimalen Bedingungen so zu entwickeln, dass sie eines Tages den nächsten Schritt machen können. Und der nächste Schritt ist ein Transfer ins Ausland. Wenn ein Spieler begehrt ist, heißt das, dass gute Arbeit geleistet wurde.
Stört es Sie als ehrgeizigen Trainer nicht, wenn Sie immer wieder ihre besten Spieler verlieren?
Nein, weil das Teil unserer Philosophie ist und bedeutende Einnahmen generiert. Ich trage den Plan der Clubleitung bedingungslos mit. Wichtig sind eine überzeugende Nachwuchsarbeit und ein sehr gutes Scouting. Wir möchten mit YB die erste Adresse für die besten Talente in der Schweiz sein, das heißt: Wir wollen so gute Arbeit leisten, dass Junge mit Perspektiven zu YB wechseln und sich bei uns weiter ausbilden lassen. Und wenn einer so weit ist, dass er es im Ausland packen kann, sind wir auch stolz darauf. Beispiele gibt es einige von Spielern, die es in die Bundesliga geschafft und sich dort durchgesetzt haben: Kevin Mbabu in Wolfsburg, Denis Zakaria in Mönchengladbach oder Djibril Sow in Frankfurt sind drei davon.
Die Schweizer schauen sehr gerne in die Bundesliga. Woran liegt das?
Vor allem den Fußballfans in der deutschsprachigen Schweiz ist die Bundesliga sehr nahe, was sicher auch geographische und sprachliche Gründe hat. In meiner Kindheit gab es neben der Sportschau auf ARD die Sendung „ran“, daran erinnere ich mich gut. Und für uns Schweizer war gerade ein Stéphane Chapuisat bei Dortmund mit Trainer Ottmar Hitzfeld ein Vorbild. „Chappi“ hat sozusagen Pionierarbeit für unser Land in Deutschland geleistet. Ich schätze es sehr, mit ihm als Chefscout bei YB zu arbeiten.
Wo ordnen Sie die Bundesliga im Vergleich zu anderen Spitzenligen ein?
Das Gesamtpaket ist wahnsinnig attraktiv. In normalen Zeiten herrscht in den Stadien eine tolle Atmosphäre, und der Fußball ist meines Erachtens vielfältiger geworden. Er beinhaltet alle Facetten und verschiedene Stile. Die Liga hat Teams, die mehr Wert auf Kampfstärke und Laufbereitschaft legen, und solche, die stets spielerische Lösungen anstreben. Interessant sind auch die verschiedenen taktischen Ausrichtungen. In Europa spielt die Bundesliga eine sehr gute Rolle. Aber Vergleiche mit anderen Ligen anstellen und daraus ein Ranking zu machen, das halte ich für sehr schwierig.
Sie treffen nun mit YB im Sechzehntelfinale der Europa League auf Bayer 04. Worauf stellen Sie ihre Mannschaft ein?
Auf eine Mannschaft mit wahnsinnig viel Potenzial und einer klaren Spielphilosophie. Die spielerische Kultur wird gepflegt, die Offensive überzeugt mit Dynamik und Schnelligkeit. Ich schaue Bayer 04 sehr gerne zu. Außerdem ist es ein Verein, der seit Jahren zum ersten Drittel der Liga gehört. Spannend finde ich zudem, dass es Leverkusen immer wieder schafft, junge Spieler so vorzubereiten, dass sie bei den Profis eingesetzt werden können. Ich denke da nur schon an den 17-jährigen Florian Wirtz.
Bei Bayer 04 standen schon verschiedene Schweizer Spieler unter Vertrag.
Tranquillo Barnetta, Pirmin Schwegler, Admir Mehmedi, Eren Derdiyok - ihretwegen haben viele Schweizer oft nach Leverkusen geschaut. Auch ich. Es ist immer spannend zu beobachten, wie sich die Landsleute im Ausland schlagen.
Trainiert wird Bayer 04 von Peter Bosz. Gab es schon einmal eine Begegnung zwischen ihnen beiden?
Nein, wir kennen uns leider noch nicht. Aber ich habe von ihm einen sehr positiven Eindruck. Anfang des Jahres habe ich ihn auf ZDF im „Sportstudio“ gesehen. Er wirkt ruhig und kann doch Klartext sprechen. Und der attraktive Fußball, den Bayer 04 spielt, trägt die Handschrift von Peter Bosz.
Was rechnen Sie sich mit YB gegen Leverkusen aus?
Wir sehen uns eindeutig in der Rolle der Außenseiter. Aber das heißt nicht, dass wir uns nichts ausrechnen. Wir wollen uns so teuer wie möglich verkaufen und die Chance packen, wenn sie sich bietet.
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