Es war ein echter Lichtblick gegen Ende des vielleicht schwierigsten Jahrzehnts in der Geschichte von Alemannia Aachen. Ende Mai besiegte das Team von Trainer Fuat Kilic den damals klassenhöheren SC Fortuna Köln im Endspiel des Mittelrhein-Pokals mit 3:1 und sicherte sich erstmals seit 2012 (0:2 gegen Borussia Mönchengladbach) wieder ein Ticket für die Hauptrunde im DFB-Pokal. Damals war die Alemannia frisch aus der 2. Bundesliga abgestiegen, nun ist seit einigen Jahren die viertklassige Regionalliga West die sportliche Heimat des deutschen Vizemeisters von 1969. Dort erreichte Aachen in der vergangenen Saison einen achtbaren sechsten Tabellenrang, der Start in die neue Saison verlief hingegen zäh. Zum Auftakt der Regionalliga-Saison verloren die Schwarz-Gelben mit 1:2 beim Wuppertaler SV, am vergangenen Wochenende reichte es gegen die Zweitvertretung von Fortuna Düsseldorf immerhin zu einem 1:1. Der Vorteil des Außenseiters: Im Gegensatz zu Bayer 04 ist die Alemannia bereits voll im Wettkampfmodus.
Nach turbulenten Jahren ist der Verein derzeit auf Konsolidierungskurs. Diesen verkörpert niemand mehr als Fuat Kilic (Bild oben, Mitte). Bereits seit über dreieinhalb Jahren ist er Cheftrainer in Aachen, zuvor waren es über die gleiche Zeitspanne hinweg deren fünf. Kilic ist zugleich Sportlicher Leiter der Alemannia und somit verantwortlich für den insgesamt sehr jungen Kader, in dem gerade einmal vier Spieler älter als 25 Jahre sind. Einer von ihnen darf sich sogar Nationalspieler nennen: Der in London geborene Mittelstürmer Gary Noel absolvierte in den vergangenen Jahren insgesamt neun Länderspiele für Mauritius. Der 29-Jährige wechselte zur neuen Saison aus Flensburg nach Aachen und soll gemeinsam mit David Bors (neu vom Bonner SC) den Weggang von Dimitry Imbongo Boele kompensieren, der nach elf Toren für Aachen in der Vorsaison (bester Torschütze im Team) nun eine Liga höher für Sonnenhof Großaspach aufläuft. Der wohl bekannteste Alemannia-Spieler der jüngeren Vergangenheit wird am Samstag aber für Bayer 04 auflaufen: Kai Havertz lief von 2009 bis 2010 für die Jugend der Alemannen auf, ehe er sich Bayer 04 anschloss. Für Kai wird das Spiel am Samstag außerdem zur Rückkehr in seine Heimatstadt.
Ganz klar: das liebe Geld. Seit rund zehn Jahren ist die Alemannia von finanziellen Schwierigkeiten geplagt, die letztlich auch Auslöser für den Absturz von der Bundesliga in die Regionalliga waren. Beim Bau des „Neuen Tivoli“, der vor fast auf den Tag genau zehn Jahren eröffnet wurde, waren einige Kosten nicht kalkuliert worden – Verbindlichkeiten, die den Verein noch immer belasten. Gleich zweimal musste Aachen in den vergangenen sieben Jahren ein Insolvenzverfahren über sich ergehen lassen, zuletzt 2017. Auch, wenn es zuletzt etwas ruhiger wurde um die finanzielle Lage: Große Sprünge kann die Alemannia nicht machen, sich im Gegensatz zu einigen anderen Traditionsvereinen in der Regionalliga auch keine Spieler mit großen Namen leisten. Fuat Kilic ist seit seinem Amtsantritt quasi dazu gezwungen, aus der Not eine Tugend zu machen.
Die Mannschaft ist jung und entwicklungsfähig, die Jugendarbeit nach wie vor weit über Viertliga-Niveau. Sobald der Verein seine finanziellen Probleme in den Griff bekommt, scheint eine Rückkehr in den Profifußball im Bereich des Möglichen. An die große Vergangenheit des Klubs anzuknüpfen, wird freilich schwer: 1969 erreichte die Alemannia sensationell den zweiten Platz in der Bundesliga, insgesamt stand der Verein dreimal im Finale des DFB-Pokals, zuletzt 2004 (2:3 gegen Werder Bremen) nach einer beispiellosen Außenseiter-Geschichte inklusive eines 2:1-Erfolgs über den großen FC Bayern. Durch die Final-Teilnahme qualifizierte sich Aachen für den UEFA-Pokal und feierte als Zweitligist sogar Siege gegen den OSC Lille und AEK Athen.
Der Alltag ganz im Westen der Republik sieht mittlerweile natürlich ganz anders aus. Das Aufeinandertreffen mit Bayer 04 bringt nach langer Zeit aber zumindest wieder etwas internationalen Flair an den Tivoli, der nach rund viereinhalb Jahren wieder einmal ausverkauft sein wird. Die Alemannia Aachen hat in dieser Partie durchaus Außenseiterchancen, das Erreichen der ersten Runde ist aber bereits ein großer Erfolg für die Aachener, der dringend notwendiges Geld in die Kassen spülen wird. Darauf kann aufgebaut werden – und in den kommenden Jahren vielleicht mehr in Angriff genommen werden als „nur“ das obere Drittel in der Regionalliga West.
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