Fans waren im Olympiastadion zwar nicht zugelassen, aber der Werkself mangelte es vor ihrem 04. Pokalfinale keineswegs an großflächiger Rückendeckung. Leverkusen hatte in dieser Woche von Tag zu Tag mehr Farbe bekannt: Ein Wahrzeichen wie der Wasserturm erhielt einen roten Bayer 04-Überzug, an Schloss Morsbroich, BayArena, Rathaus, Erholungshaus oder Bayer-Kasino wurden Flaggen gehisst, aus zig Wohnungen wehten die Fahnen mit Finale-Motiv, und die Werkself selbst war am Freitag im Bus auf den ersten Metern ihrer Fahrt vom Stadion zum Flughafen durch ein Spalier von mehr als 1.000 Fans emotional auf den Weg in die Hauptstadt verabschiedet worden. Die Botschaft hinter allem, sie war eindeutig: Eine Stadt steht hinter ihrem Team!
Rund 700 Personen erlebten das 77. DFB-Pokalendspiel in Berlin live vor Ort, dazu gehörten neben etwa 200 Medienvertretern, Bundestrainer Joachim Löw und Nationalmannschaftsdirektor Oliver Bierhoff auch die ehemaligen Bayer 04-Geschäftsführer Reiner Calmund, Wolfgang Holzhäuser und Michael Schade sowie die Werkself-Ehrenspielführer Ulf Kirsten, Rüdiger Vollborn und Stefan Kießling. Sie blickten von ihren Tribünenplätzen auf eine schwarz-rot geschmückte Bayer 04-Kurve mit plakativer Message am Marathontor: „Holt den Pokal nach Lev – schreibt Geschichte“.
Bayer 04 trat ohne Pechvogel Paulinho (Kreuzbandriss) und Daley Sinkgraven an, der Niederländer musste ausgerechnet an seinem 25. Geburtstag wegen muskulärer Probleme passen. Peter Bosz setzte in seiner Startelf in vorderster Front auf Kai Havertz, der in beiden Bundesliga-Begegnungen mit den Bayern in dieser Saison gefehlt hatte, die offensive Dreierreihe dahinter bildeten die beiden Flügel Leon Bailey und Moussa Diaby sowie Nadiem Amiri in zentraler Position. Im Vergleich zum abschließenden Bundesligaspiel gegen Mainz bedeutete das fünf Veränderungen in der Anfangsformation: Für Tah, Demirbay, Wirtz, Volland (alle auf der Bank) und Sinkgraven spielten Tapsoba, Aránguiz, Diaby, Havertz und Wendell.
Nadiem Amiri hatte Peter Bosz mit einer taktisch besonders wichtigen Aufgabe betraut, die Nr. 11 der Werkself sollte Kimmich als ersten Aufbauspieler der Bayern wirkungsvoll behindern. Bayer 04 fand in den ersten Minuten gut in die Partie und wirkte sofort griffig und ballsicher. Die Münchner verzeichneten den ersten Abschluss, der Schuss von Kimmich strich deutlich drüber (9.). Kurz zuvor hatte Wendell gut gegen Thomas Müller antizipiert und geklärt (8.). Nach zehn Minuten wurde Lukas Hradecky erstmals geprüft, der Finne packte sich den Schlenzer von Coman aufs lange Eck ganz sicher (10.).
Wie es bei der Werkself laufen sollte, zeigte sich schnell: Amiri brachte Bailey links in Position, der Jamaikaner ging ins flinke Dribbling, sein Abschluss missriet indes (14.). Auf der Gegenseite nutzten die Münchner einen Standard zur Führung: Tapsoba verursachte mit einem Rempler an Lewandowski einen unnötigen Freistoß an der Strafraumgrenze, und den zirkelte Alaba aus 17 Metern mit ganz viel Gefühl und unhaltbar für Lukas Hradecky in den Torwinkel – 1:0 für den Favoriten (16.). Wenig später rettete Hradecky riesig gegen Thomas Müller, der nach Gnabrys Schuss eher zufällig an den Ball gekommen war (21.). Und dann war der Keeper der Werkself doch wieder chancenlos: Kimmich passte nach einer Balleroberung auf Serge Gnabry, der mit einem satten Schuss ins lange Eck auf 2:0 erhöhte (24.).
Ein solches Szenario hatten die Leverkusener natürlich unbedingt vermeiden wollen. Nach einem Konter über Havertz und Bailey versprang Diaby der Ball bei der Annahme leicht (31.), Bailey knallte kurz darauf nach Diabys Hereingabe drüber, hatte dabei aber auch hauchzart im Abseits gestanden (32.). Bei Amiris Möglichkeit lag ebenso eine Abseitsposition des Schützen vor (42.). Die Bayer 04-Delegation versuchte in dieser Phase, ihre Elf auf dem Rasen durch rhythmisches Klatschen von der Tribüne aus zu unterstützen. Lars Bender kam im Anschluss an einen Freistoß zum Abschluss, zielte zwar wuchtig, aber zu zentral genau auf Manuel Neuer (45.+1). Mit einem 0:2 aus Werkself-Sicht ging es in die Halbzeit.
Peter Bosz reagierte zur Pause und brachte mit Beginn der zweiten Hälfte Kerem Demirbay und Kevin Volland für Baumgartlinger und Amiri. Kai Havertz rückte zurück auf die Zehnerposition. Doch die Bayern blieben giftig, Gnabrys von Tapsoba noch leicht touchierter Schuss rutschte am langen Eck vorbei (49.). Lewandowski geriet bei seinem Linksschuss in Rücklage und setzte den Ball weit drüber (55.). Und dann das ganz dicke Ding zum Anschluss: Diaby zog auf rechts unwiderstehlich davon, legte quer auf Kevin Volland, doch der trat über den Ball (57.) – was für eine Chance!
Zwei Minuten später die vermeintliche Entscheidung: Lewandowski hielt aus fast 30 Metern einfach mal drauf, Lukas Hradecky schien den Ball sicher parieren zu können, lenkte ihn sich aber gegen den Fuß, und die Kugel trudelte aufreizend lässig über die Linie – 3:0 für die Münchner. Doch die Werkself ließ sich nicht hängen: Boateng rettete in höchster Not nach Havertz' Hereingabe vor dem einschussbereiten Bailey (63.). Eine Minute später behauptete sich Sven Bender im Duell mit Alaba und traf mit einem Kopfball nach Ecke von Demirbay zum 1:3 (64.). Und Bayer 04 blieb dran: Havertz und Volland verpassten Diabys Flanke nur um Haaresbreite (66.).
Jetzt hatte die Werkself ihre mit Abstand beste Phase, agierte auf einmal sehr abgeklärt und dominant. Havertz schickte Volland, der aber vermochte den Ball nicht sauber mitzunehmen (71.). Bayer 04 verleitete die Bayern zu Fehlern und Ballverlusten – und alle spürten: Hier kann vielleicht sogar noch was gehen! Glück allerdings wenig später, dass Lewandowski nach Perisic-Flanke knapp verpasste (74.). Hradecky packte gegen Perisic sicher zu (75.). Dann wieder die Werkself: Baileys noch leicht abgefälschter Ball rauschte knapp über Neuers Kasten (75.). Danach kam Karim Bellarabi für den Jamaikaner (76.).
Es war nun ein absolut packender Pokalfight auf Augenhöhe. Würde der Werkself der Anschluss zum 2:3 gelingen oder Bayern die definitive Entscheidung herbeiführen? Bayer 04 ging volles Risiko und setzte alles auf eine Karte. Weiser löste den sehr starken Kapitän Lars Bender ab (81.). Diaby lief den Bayern diesmal über links davon, doch seine Hereingabe auf Bellarabi geriet zu ungenau (85.) – da wäre so viel mehr drin gewesen! Bayern machte den Deckel drauf, Lewandowski traf zum 4:1 (89.). Der Schlusspunkt blieb schließlich Kai Havertz vorbehalten, der einen Handelfmeter zum 2:4-Endstand in die Maschen setzte (90.+4). Es war die letzte Aktion des 77. DFB-Pokalfinales, danach wurde erst gar nicht wieder angepfiffen.
Unmittelbar nach der Heimkehr am Sonntagmittag werden sich die Bayer 04-Profis in den Regenerations-Urlaub verabschieden. Die Saison indes ist noch längst nicht beendet: Die Werkself hat in der Europa League noch ein heißes Eisen im Feuer und trifft am 5. oder 6. August im Rückspiel des Achtelfinales auf die Glasgow Rangers. Das Hinspiel im Ibrox Stadium hatten die Leverkusener mit 3:1 für sich entschieden. Es war das letzte Spiel mit Zuschauern vor der Corona-Pandemie. Der Wiederbeginn des Trainings ist für Bayer 04 am 23. Juli vorgesehen.
Die Statistik:
Bayer 04: Hradecky – L. Bender (81. Weiser), Tapsoba, S. Bender, Wendell – Aránguiz, Baumgartlinger (46. Demirbay) – Bailey (76. Bellarabi), Amiri (46. Volland), Diaby – Havertz
Bayern München: Neuer – Pavard, Boateng (69. Hernandez), Alaba, Davies – Kimmich, Goretzka – Gnabry (87. Coutinho), Müller (87. Thiago), Coman (65. Perisic) – Lewandowski
Tore: 0:1 Alaba (16.), 0:2 Gnabry (24.), 0:3 Lewandowski (59.), 1:3 S. Bender (64.), 1:4 Lewandowski (89.), 2:4 Havertz (Handelfmeter/90.+4)
Schiedsrichter: Tobias Welz (Wiesbaden)
Gelbe Karten: Wendell – Lewandowski
Der Videospiel-Hersteller Electronic Arts (EA) hat zusammen mit der Deutschen Fußball Liga (DFL) die sechs Nominierten für die Wahl zum Bundesliga-„Spieler des Monats“ November bekannt gegeben – darunter ist mit Florian Wirtz auch ein Werkself-Profi. Fans von Schwarz-Rot können ab sofort abstimmen!
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