Am Ende war es deutlicher, als es lange Zeit aussah. Trotz zahlenmäßiger Überlegenheit über fast die komplette Partie hatte sich 1899 Hoffenheim im Baden-Württemberg-Derby am vergangenen Wochenende gegen zehn Stuttgarter lange Zeit schwer getan. Dass es am Ende doch ein deutliches 4:0 gab, lag auch an der großen Stärke der Kraichgauer in den letzten Wochen: Bereits gegen den 1. FC Nürnberg hatte Hoffenheim drei Tore erzielt, ebenso in der Champions League gegen Olympique Lyon. Trotz häufiger Rotation läuft die Offensivmaschinerie wie geölt in Sinsheim. So verbesserte sich das Team von Trainer Julian Nagelsmann nach durchwachsenem Saisonstart zuletzt auch tabellarisch und steht vor dem Duell mit der Werkself mit 13 Punkten auf Rang acht. In der Champions League, wo die TSG erstmals in ihrer Vereinsgeschichte antritt, wartet Hoffenheim hingegen nach den Unentschieden gegen Donezk und Lyon sowie einer Heimniederlage gegen Guardiolas ManCity noch auf den ersten Sieg, zeigte aber, dass man auch mit den großen Namen im internationalen Fußball mithalten kann. Im DFB-Pokal kam unter der Woche das Aus in Leipzig (0:2).
Aufgrund der Dreifachbelastung wirft Nagelsmann in dieser Saison regelmäßig die Rotationsmaschine an – auch oder gerade weil ihm auf fast jeder Position gleichwertige Alternativen zur Verfügung stehen und Hoffenheim über einen sehr ausgeglichenen Kader verfügt. Einen sicheren Platz in der Startelf hatten in der Regel nur Torhüter Oliver Baumann, Kapitän Kevin Vogt, Mittelfeld-Abräumer Florian Grillitsch sowie Rechtsverteidiger Pavel Kaderabek – wobei auch dieses Quartett schon seine Pausen bekam. Das Nagelmann’sche Rotationsprinzip lässt allerdings auch zu, dass sich Spieler in den Vordergrund spielen, mit denen nicht unbedingt zu rechnen war. So trumpfte zuletzt der erst 18-jährige Engländer Reiss Nelson (im Bild oben) auf. Der Flügelspieler war am letzten Tag der Transferperiode vom FC Arsenal gekommen und überzeugte in der Bundesliga mit vier Toren aus fünf Spielen. Auch Joshua Brenet, seines Zeichens ebenfalls Neuzugang, wusste zuletzt zu gefallen. Auf der Linksverteidigerposition muss sich der Niederländer eigentlich hinter Neu-Nationalspieler Nico Schulz anstellen, bekam aber ebenfalls regelmäßig seine Chancen und erzielte trotz seiner eigentlich defensiven Rolle bereits drei Tore in sechs Pflichtspielen. Die Optionen sind also zahlreich – genauso wie die Fragezeichen, die hinter Nagelsmanns Aufstellung stehen. Auch vor dem Spiel gegen die Werkself lässt sich kaum sagen, welche elf Spieler der 31-Jährige in die Startelf beordern wird.
Einige Akteure kann man für die erste Elf gegen Leverkusen ausklammern – auch, wenn das Nagelsmann gerne ändern würde. Vor allem der Ausfall des kopfballstarken Innenverteidigers Benjamin Hübner wiegt schwer. Der 29-Jährige konnte in der laufenden Saison noch kein einziges Spiel absolvieren und würde sicher dazu beitragen, die nicht immer sattelfeste Abwehrkette der Kraichgauer zu stabilisieren. Auch Eigengewächs Nadiem Amiri wird schmerzlich vermisst, der U21-Nationalspieler wird aufgrund eines Ermüdungsbruchs im Fuß noch einige Wochen fehlen. Da neben Amiri auch Lukas Rupp und Dennis Geiger langfristig ausfallen, fehlen Nagelsmann derzeit die Rotations-Optionen in der Mittelfeldzentrale. Zum Österreicher Grillitsch gibt es auf der Sechs kaum eine Alternative, Kerem Demirbay soll nach langer Verletzungspause noch nicht jedes Spiel über 90 Minuten absolvieren. Somit beorderte Nagelsmann zuletzt Mittelstürmer Andrej Kramaric auf die Spielmacherposition. Trotz großem Kader sind also zumindest auf dieser Position doch kreative Lösungen gefragt.
Aus bekannten Gründen: Geldsorgen waren in der nun zehnjährigen Bundesliga-Geschichte der Kraichgauer nicht wirklich ein Thema. Und dennoch durfte man sich in Hoffenheim freuen, als am Montag die Zahlen der abgelaufenen Saison der Öffentlichkeit vorgelegt wurden: Rekordumsatz, Rekordgewinn – natürlich auch, weil die TSG im vergangenen Jahr durch die erstmalige Teilnahme an der Europa League Mehreinnahmen zu verzeichnen hatte. Angesichts der Tatsache, dass 1899 aktuell in der Champions League antritt, dürfte der Gewinn im kommenden Jahr sogar noch ansteigen, die Weichen für die Zukunft somit gestellt sein. Ganz anders auf der Trainerposition: Erfolgsgarant Nagelsmann wird Hoffenheim nach der Saison in Richtung Leipzig verlassen, seine Nachfolge ist noch nicht geklärt – und damit auch nicht die Frage, in welche Richtung sich 1899 in Zukunft sportlich entwickelt.
Aus seinem letzten Jahr in Sinsheim will Coach Nagelsmann noch einmal das Maximum herausholen. Vor der Saison gab er gar zu Protokoll, er wolle mit seinem Team den Angriff auf die Bayern wagen. Ob das gelingt, hängt maßgeblich davon ab, wie Hoffenheim mit der Mehrfachbelastung umgeht, sollte das Team in einem europäischen Wettbewerb überwintern. Realistischer als der Kampf um den Titel erscheint momentan – wie im vergangenen Jahr – der Kampf um eine erneute Teilnahme an der Champions League. Die hat Hoffenheim zuletzt erfolgreich realisiert – und die Qualität, es erneut zu schaffen, ist auf jeden Fall vorhanden.
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