Was ihre Punktausbeute betrifft, haben die Dortmunder einen perfekten Start ins neue Jahr hingelegt. Mit den beiden Siegen gegen den FC Augsburg (4:3) und beim 1. FSV Mainz 05 (2:1) schloss der BVB wieder zur Spitzengruppe auf. Zum Ende der Hinrunde betrug der Abstand zum Zweiten 1. FC Union Berlin nur noch zwei Zähler, selbst die Bayern als Tabellenführer lagen mit fünf Punkten Vorsprung wieder in Reichweite. Doch bei nüchterner Betrachtung fand man beim BVB durchaus selbstkritische Worte. „Wir haben viele Themen mitgenommen, die wir dringend abstellen wollen“, sagte Cheftrainer Edin Terzic etwa nach dem hart erkämpften Heim-Erfolg gegen Augsburg. Und im Anschluss an den Dreier in Mainz gab der 40-Jährige zu: „Wir sind mit der nahezu letzten Aktion der glückliche Sieger. Es hätte in alle drei Richtungen ausgehen können. Wir sind froh, dass wir mit sechs Punkten gestartet sind.“
Dass es am Ende nicht nur zwei Punkte geworden sind, lag auch am glücklichen Händchen des Trainers. Denn beide Male war der eingewechselte Giovanni Reyna Matchwinner für den BVB. Gegen Augsburg traf er in der 80. Minute mit einem sehenswerten Schuss zum 4:3, nachdem die Fuggerstädter zuvor dreimal einen Rückstand aufgeholt hatten. In Mainz stand der US-Amerikaner in der dritten Minute der Nachspielzeit nach der Kopfballvorlage des ebenfalls eingewechselten Sebastien Haller goldrichtig und musste nur noch einschieben. „Es muss ja nicht immer schön sein“, freute sich Reyna, „aber wenn du von der Bank kommst, dann möchtest du in so einem Spiel den Unterschied machen“.
In die Startelf zurückkehren wird am Sonntag in Leverkusen der in Mainz gelbgesperrte Jude Bellingham. „Er ist für uns aktuell überhaupt nicht zu ersetzen“, hob Dortmunds Sportdirektor Sebastian Kehl die Bedeutung des 19-jährigen englischen Nationalspielers für den Klub hervor. Gut möglich, dass auch Giovanni Reyna nach seinen beiden entscheidenden Toren diesmal von Beginn an spielen darf. Ob in der Abwehr der zuletzt leicht angeschlagene Mats Hummels wieder den Vorzug von Niklas Süle erhält, bleibt abzuwarten. Fest mit einem Einsatz in der ersten Elf dürfen neben Torhüter Gregor Kobel jedenfalls Innenverteidiger Nico Schlotterbeck, der bislang als Einziger in allen 17 Spielen in der Startformation stand, sowie die Außenverteidiger Raphael Guerreiro und Winter-Neuzugang Julian Ryerson rechnen. Letzterer, vom 1. FC Union Berlin nach Dortmund gewechselt, erzielte beim 2:1-Sieg gegen Mainz gleich seinen ersten Treffer für Schwarz-Gelb.
Im Mittelfeld spielt der ehemalige Werkself-Profi Julian Brandt eine starke Saison. Ebenso wie Jude Bellingham erzielte Brandt vier Tore und bereitete drei Treffer vor. Damit sind die beiden nach Stürmer Youssoufa Moukoko (sechs Tore, vier Assists) die besten Scorer im Team. Für den defensiveren Part in der Mittelfeldzentrale sind wahlweise Salih Özcan oder Emre Can zuständig. In den Kader zurückkehren könnte nach seiner krankheitsbedingten Pause Kapitän Marco Reus.
Auch in der Offensive bieten sich Terzic personell wieder viele Optionen. Neben dem 18-jährigen Moukoko, der jüngst seinen Vertrag beim BVB bis 2026 verlängert hat, und Anthony Modeste steht in der Spitze endlich auch Sebastien Haller zur Verfügung. Der Ivorer wurde gegen Augsburg eingewechselt, gab damit nach langer Tumorerkrankung sein emotionales Pflichtspieldebüt für den BVB. Und in Mainz holte sich der 28-Jährige gleich als Vorbereiter des 2:1-Siegtreffers seinen ersten Scorerpunkt. Wie wichtig auch Jamie Bynoe-Gittens für die Borussia ist, bewies der Engländer bei seinem Comeback nach monatelanger Zwangspause wegen einer Schulterverletzung. Der 18-jährige Flügelstürmer schoss gegen Augsburg das zwischenzeitliche 3:2. „Er hat uns sehr gefehlt und gezeigt, wie gut er uns tut“, freut sich Terzic über die Rückkehr des großen Talents. Und dann hat der BVB ja auch noch die schnellen Außen Donyell Malen, Karim Adeyemi und Thorgan Hazard. Zudem gab der Klub am Freitag die Verpflichtung des erst 16-jährigen Stürmertalentes Julien Duranville vom belgischen Erstligisten RSC Anderlecht bekannt.
Über so viel geballte Offensivkraft wie Borussia Dortmund verfügen nicht viele Bundesliga-Mannschaften. Das spielerische Potenzial der Truppe ist enorm. Aber sie schöpft es bis dato längst nicht immer effektiv aus. Keine Mannschaft holte in der Hinrunde mehr Ecken heraus, nur die Bayern (339) gaben mehr Torschüsse ab als der BVB (250), und auch bei Pässen und Passquoten liegen die Schwarz-Gelben unter den Top 3. Zum selben Zeitpunkt in der vergangenen Saison hatten sie jedoch bereits 41 Tore erzielt – derzeit sind es zehn Treffer weniger. Immerhin: Bei den Offensivstandards, lange Zeit nicht gerade eine Waffe der Dortmunder, müssen die Gegner inzwischen auf der Hut sein. Fünf Tore erzielte Schwarz-Gelb in den letzten sieben Bundesligaspielen nach ruhenden Bällen, darunter der Siegtreffer in Mainz durch Giovanni Reyna, dem eine Ecke von Julian Brandt und eine Kopfballvorlage von Sebastien Haller vorausgegangen war. „Wir haben auf Standards in den letzten Wochen einen großen Schwerpunkt gelegt“, sagt Terzic, „nahezu jeden Tag haben wir daran gearbeitet“. Und noch etwas fällt auf: Wohl dem, der eine solche Bank hat wie die Schwarz-Gelben. Sie sind die Mannschaft mit den meisten Jokertoren der Liga. Acht Treffer erzielten eingewechselte Spieler schon für die Borussia.
Die Abwehr präsentierte sich nicht nur beim 4:3 gegen Augsburg, sondern auch beim 2:1 gegen Mainz nicht immer sattelfest. Zehn Gegentore in den vergangenen vier Spielen sind für eine Mannschaft mit den Ansprüchen des BVB zu viele. Auch in der Offensive zeigte das Terzic-Team gegen Mainz bis auf die Phase unmittelbar nach dem 1:1 wenig Kreatives, strahlte kaum Torgefahr aus. Insgesamt weisen die Dortmunder bislang schlechte Werte in puncto Chancenverwertung auf. Die Stürmer Karim Adeyemi, im Sommer von RB Salzburg ins Ruhrgebiet gewechselt, und Donyell Malen haben ihre Top-Form noch nicht gefunden und in dieser Bundesliga-Saison noch kein Tor geschossen. In der vergangenen Spielzeit erzielte Adeyemi für Salzburg 23 Treffer in Pflichtspielen, Malen kam auf neun Tore.
Die beiden jeweils spät erkämpften Auftaktsiege im neuen Jahr kamen sicher etwas glücklich zustande, man kann darin freilich auch eine besondere Qualität der Dortmunder sehen. „Wir merken, dass wir uns die Siege bis zur 90. Minute und darüber hinaus verdienen müssen“, sagt etwa Julian Brandt und fügt an: „Wir gehen gerade nicht 2:0 oder 3:0 in Führung und zeigen ein paar Tricks, sondern müssen hart arbeiten und uns dann dafür belohnen.“ Irgendwann werde man auch wieder „den schönen Fußball spielen, der in uns schlummert“, ist der Ex-Leverkusener überzeugt. Schon jetzt hat sich der BVB in der Liga wieder an die Spitze herangepirscht. Wenn die Defensive an Stabilität gewinnt, können die Schwarz-Gelben auch noch ganz oben angreifen. In den kommenden Wochen hat der exzellent besetzte Kader jedenfalls reichlich Gelegenheit, seine Klasse gegen starke Gegner in drei Wettbewerben unter Beweis zu stellen. Nach dem Auswärtsspiel in Leverkusen ist in der Woche darauf der Tabellennachbar SC Freiburg zu Gast in Dortmund, dann folgt das Ruhrpott-Derby beim VfL Bochum im Achtelfinale des DFB-Pokals. Und Mitte Februar steigt in der Champions League das Achtelfinal-Hinspiel gegen den FC Chelsea im Signal-Iduna-Park.
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