Eingewöhnungszeit? Fehlanzeige. Julian Nagelsmann hat bei seinem neuen Arbeitgeber einen beinahe blitzsauberen Start hingelegt. Bis zum vergangenen Wochenende thronte RB Leipzig sogar an der Tabellenspitze. Dieser Platz ist nun futsch: Nach zuvor vier Siegen und einem Unentschieden gegen den FC Bayern mussten die Sachsen gegen Schalke 04 nun die erste Saisonniederlage hinnehmen, 1:3 hieß es letztlich etwas überraschend am vergangenen Samstag in der Messestadt. Dem ersten Schönheitsfehler der Saison folgte aber gleich der nächste: Am Mittwochabend unterlag RB gegen den französischen Vertreter Olympique Lyon mit 0:2 - erneut zu Hause. Gegen Bayer 04 tritt Leipzig nun wieder auswärts an – und da hat die Nagelsmann-Elf bislang eine unheimlich beeindruckende Bilanz in dieser Saison: drei Spiele, neun Punkte, 10:1 Tore, dazu ein Auswärtserfolg in der Champions League beim portugiesischen Meister Benfica Lissabon, dem vermeintlich stärksten Gruppengegner.
Aus Hoffenheim hat Nagelsmann das für ihn typische 3-3-2-2-System mitgebracht, allerdings lässt der 32-jährige RB-Coach gelegentlich auch im 4-4-2 spielen, das sein Vorgänger Ralf Rangnick favorisiert hatte. Aufgrund der enormen Kadertiefe kann Nagelsmann taktisch flexibel agieren, für jede Rolle in beiden Systemen stehen hochklassige Optionen bereit. Was Leipzig unter Nagelsmann unterscheidet zu Leipzig unter Rangnick? „Wir haben jetzt mit Ball bessere Lösungen als in den Jahren davor“, sagte Mittelfeldmann Diego Demme unlängst dem „kicker“. Dazu gehören aber auch die passenden Spieler: Leipzig verfügt über viel Ballsicherheit im Mittelfeld, der lange verletzte Emil Forsberg steht wieder zur Verfügung und bringt eine Menge Kreativität ins Offensivspiel. In absoluter Top-Form präsentierte sich bislang zudem der Österreicher Marcel Sabitzer (im Bild oben), der in Nagelsmanns 3-3-2-2-Formation eine deutlich zentralere Rolle einnimmt als zuvor – und diese steht ihm bislang sehr gut zu Gesicht. Zwei Tore und drei Vorlagen steuerte Sabitzer bislang bei und drückte dem „neuen“ RB bislang entscheidend den Stempel auf. Nagelsmann, der im vergangenen Jahr noch die beiden Werkself-Akteure Nadiem Amiri und Kerem Demirbay trainierte, muss allerdings auf den einzigen Ex-Leverkusener im Kader verzichten: Kevin Kampl, bei Bayer 04 ausgebildet und von 2015 bis 2017 für die Profis am Ball, wird die Rückkehr in die BayArena aufgrund einer Sprunggelenksverletzung verpassen. Ansonsten fehlt Nagelsmann nur Neuzugang Hannes Wolf, der aufgrund eines bei der U21-EM erlittenen Knöchelbruchs noch gar nicht für Leipzig auflaufen konnte.
Viel gibt es bislang nicht auszusetzen bei den Sachsen - im Großen und Ganzen jedenfalls nicht. Probleme machten bislang eher individuelle Aussetzer: vergebene Großchancen, defensive Unachtsamkeiten. Wie gegen Schalke, als Marcel Halstenberg vor dem 0:1 eine Kopfballverlängerung nach Ecke nicht verhindern konnte und Amadou Haidara mit einem unnötigen Foulspiel den Elfmeter zum 0:2 verursachte. Und wie auch gegen Lyon, als sich vor den Gegentoren zuerst Ibrahima Konaté und Dayot Upamecano und dann Nordi Mukiele folgenschwere Patzer leisteten.
„Moderner und weiter entwickelt als bei Paris Saint-Germain“ – das Fazit von Neuzugang Christopher Nkunku in dem Magazin „France Football“ über die Infrastruktur bei RB Leipzig spricht Bände. Beim aktuellen Tabellenzweiten wird auf allen Ebenen hochprofessionell gearbeitet, die Möglichkeiten für Spieler und Trainer stellen teilweise sogar europäische Top-Klubs wie PSG in den Schatten. Auch deshalb schafft es Leipzig permanent, Top-Talente des internationalen Fußballs unter Vertrag zu nehmen. Das gilt für den 21-Jährigen Nkunku, der im Sommer aus Paris nach Leipzig kam, wie auch für Haidara (21), Wolf (20), Tyler Adams (20) oder die beiden Innenverteidiger Ibrahima Konaté und Dayot Upamecano, die mit jeweils 20 Jahren bereits absolute Stammspieler in der RB-Abwehr sind. Das gibt Leipzig nicht nur einen enorm breiten Kader, sondern auch glänzende Zukunftsaussichten für die kommenden Jahre.
Die Voraussetzungen, um nicht nur in Deutschland eine hervorragende Rolle einzunehmen, hat RB in den vergangenen zehn Jahren gelegt. Nun hat Leipzig in Nagelsmann auch noch einen der begehrtesten Trainer-Talente Europas, das die moderne Art, Fußball zu denken und zu spielen, konsequent weiterentwickeln wird. Nimmt man die finanziellen und infrastrukturellen Möglichkeiten hinzu, liegt eine rosige Zukunft vor den Sachsen. Aber auch in dieser Saison ist schon einiges drin: Leipzig könnte ein hartnäckiger Konkurrent des FC Bayern um die Meisterschaft werden, auch in der Champions League wäre es keine Überraschung, wenn RB die Gruppenphase übersteht.
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