Selbst nach Jahrzehnten an der Spitze der Bundesliga und einer von Rekorden nur so triefenden Historie gibt es doch noch Neues beim Rekordmeister: Dass der FC Bayern der erste Bundesliga-Verein einer Saison war, der sich von seinem Trainer trennt, das gab es noch nie – bis jetzt. Nach dem 1:5 bei seinem Ex-Klub Eintracht Frankfurt war Anfang des Monats Schluss für Niko Kovac beim FCB. Auf ihn folgte Hansi Flick – und brachte die Euphorie wieder zurück in die Allianz Arena: Vier Spiele, vier Siege, 16:0 Tore, darunter eine 4:0-Gala im Spitzenspiel gegen Borussia Dortmund und zuletzt ein 6:0 bei Roter Stern Belgrad in der Champions League. Bemerkenswert: Noch immer hat der FC Bayern unter Flick kein Gegentor kassiert, die Defensive steht bislang bombensicher. Unter Kovac war das zuletzt nicht immer der Fall gewesen. Dennoch ist die Zwischenbilanz der Münchner alles andere als alarmierend: Auf Tabellenführer Mönchengladbach fehlt nur ein Punkt, in der Champions League ist der Gruppensieg bereits vor dem letzten Spieltag sicher, im DFB-Pokal wartet im Achtelfinale Anfang Februar 1899 Hoffenheim.
Die zweifellos meistdiskutierte Personalie steht derzeit an der Seitenlinie: Interimstrainer Flick hat mit seiner unaufgeregten Art das dominante Spiel, das in der Schlussphase unter Kovac nur noch selten gelang, wieder zurückgebracht zum FC Bayern. Auch die Defensive steht enorm gut. David Alaba überzeugt in ungewohnter Rolle als Innenverteidiger, seine dadurch vakante Linksverteidigerposition bekleidet der erst 19-jährige Alphonso Davies bislang bravourös. In vorderster Front muss sich Flick ohnehin per se keine Sorgen machen – denn dort hat der FC Bayern den derzeit vielleicht besten reinen Mittelstürmer der Welt: Robert Lewandowski hat nach 12 Spieltagen bereits unfassbare 16 Tore auf dem Konto. Das 4:0 in Düsseldorf am vergangenen Samstag war das erste Bundesliga-Spiel in dieser Saison, in dem der Pole nicht ins Schwarze traf. Dafür sorgte er wenige Tage später - mal wieder - für einen Rekord: Gegen Belgrad gelangen dem Polen vier Tore binnen 15 Minuten - der schnellste Viererpack der Champions-League-Geschichte. Doch der FCB ist unter Flick nicht mehr so abhängig von den Lewandowski-Toren wie noch in der Anfangsphase der Saison: Nationalspieler Serge Gnabry befindet sich in Topform, auch Star-Transfer Philippe Coutinho kann seine überragenden Fähigkeiten immer besser in Szene setzen. Und auch Routinier Thomas Müller, der unter Kovac oft nur außen vor war, kommt allmählich wieder ins Rollen und gibt Flick eine weitere Option für die Angriffsreihe.
Zwar gelang es den Bayern bislang gut, das Dilemma zu kaschieren, aber die Personaldecke in der Innenverteidigung ist doch sehr dünn, nachdem sich die beiden gesetzten Niklas Süle (Kreuzbandriss) und Lucas Hernández (Innenbandriss im Sprunggelenk) langwierigere Verletzungen zugezogen haben. Beide werden in diesem Jahr wohl kein Spiel mehr machen, Süle auch weit darüber hinaus nicht. Da Benjamin Pavard häufig als Rechtsverteidiger benötigt wird, besetzten in David Alaba und Javi Martinez zuletzt zwei „fachfremde“ Spieler die beiden Positionen im Zentrum der Viererkette. Das funktionierte bislang erstaunlich gut, dennoch könnten die Münchner auf weitere Ausfälle im Defensivzentrum gut verzichten. Immerhin: In Jerome Boateng kehrt ein gelernter Innenverteidiger nach Rotsperre wieder zurück und könnte gegen Bayer 04 eingesetzt sein.
Wie die Zukunft an der Säbener Straße aussieht, hängt maßgeblich von den kommenden Wochen ab. Uli Hoeneß ist abgetreten, Sportdirektor Hasan Salihamidzic sucht nun nach einem neuen Trainer für die Bayern – oder doch nicht? Zumindest bis zur Winterpause wird Flick noch Bayern-Coach bleiben. „Dann sehen wir weiter“, sagte Salihamidzic zuletzt. „Wir lassen uns nicht unter Druck setzen.“ Vom Tisch ist eine Weiterbeschäftigung Flicks also noch nicht – vor allem dann nicht, wenn die Mannschaft bis zur Winterpause so stark weiterspielen sollte wie in den ersten Partien unter dem ehemaligen Löw-Assistenten. Die Adventszeit verspricht also eine spannende zu werden beim FC Bayern.
Welchen Ausgang die Trainersuche auch nehmen wird – erster Anwärter auf die deutsche Meisterschaft bleibt der FC Bayern mit diesem Kader in jedem Fall. Wenn das Team seine immense Qualität konstant abruft, wird es für die Konkurrenz sehr schwierig, den achten Titel der Münchner in Folge zu verhindern. Gemessen wurde der Erfolg eines Bayern-Trainers nicht zuletzt aber am Erfolg in der Champions League. Auch hier ist der FCB in der Lage, jeden Gegner zu schlagen. Ob es aber reicht, um die Spitzenklubs aus Spanien oder England aus dem Turnier zu kegeln, wird letztlich auch von der Tagesform abhängen – und von der Entscheidung, die Salihamidzic und Co. in den nächsten Wochen zu treffen haben.
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