Zwei Rake­ten star­ten durch

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Ein Interview mit dem vielleicht schnellsten Spieler der Bundesliga – was läge da näher, es an dem Ort zu führen, an dem auch die schnellste Kurzstreckenläuferin des Landes ihrer temporeichen Leidenschaft nachgeht. Wir haben uns für die aktuelle Ausgabe des Werks11-Magazins mit Leon Bailey in der Leichtathetik-Halle des TSV Bayer 04 auf der Fritz-Jacobi-Anlage in Manfort getroffen – und ihn bei diesem Termin mit Deutschlands Sprintstar Gina Lückenkemper zusammengebracht.

Abseits der Autobahnen geht es in Leverkusen gefühlt nicht schneller zu als in anderen Städten. Und doch irgendwie schon. Zumindest zeitweise. Nämlich dann, wenn so mancher Sportler unterm Bayer-Kreuz seine Schuhe schnürt. Dann kann es schon gut sein, dass die Geschwindigkeit ihresgleichen sucht: Gina Lückenkemper und Leon Bailey stehen sinnbildlich für Rasanz mit dem Kreuz auf der Brust. Der eine, schnell mit Fußballschuhen. Die andere, schnell mit Spikes. Beide mit gerade einmal Anfang 20 erst auf den ersten Metern einer hoffnungsvollen Laufbahn. Und doch irgendwie auf der Überholspur. Gründe gibt es also genug, den vermeintlich schnellsten Spieler der Bundesliga und die schnellste Sprinterin des Landes zusammenzubringen. Der Ort des Geschehens: die Fritz-Jacobi-Sportanlage in Leverkusen-Manfort. In nicht einmal drei Kilometern Entfernung zur BayArena feilt die deutsche Nachwuchshoffnung daran, noch schneller zu sein als ihre internationale Konkurrenz. Zur Erinnerung: Bei den Weltmeisterschaften in London im Vorjahr stellte die 21-jährige Westfälin mit 10,95 Sekunden auf 100 Metern eine persönliche Bestleistung auf – und avancierte damit nach 26 Jahren zur ersten deutschen Sprinterin, die auf dieser Distanz unter elf Sekunden blieb.

Auch wenn es an diesem Tage aus verletzungsprophylaktischen Gründen nicht zu einem Sprintduell kommen kann, ist den beiden Sportlern kurz vor dem Treffen die Spannung merklich anzusehen – es ist die erste Begegnung zwischen Gina Lückenkemper und Leon Bailey. Als die Nummer 9 der Werkself dann mit seiner jamaikanischen Lässigkeit die Halle betritt und die Tartanbahn in ihre Richtung kreuzt, wird das ohnehin schon breite Grinsen der sympathischen Frohnatur Gina Lückenkemper noch breiter. Und auch dem 20-jährigen Werkself-Profi huscht ein freudiges Lächeln durchs Gesicht. Vorfreude macht sich breit. Was das Treffen für den Kumpel von Jamaikas Sprint-Legende Usain Bolt wohl bringt? – Einen Einblick, mit welchen eher unkonventionellen Methoden die schnellste Frau Deutschlands neben den üblichen sprintspezifischen Übungen ihre motorischen Fähigkeiten und Abläufe optimiert.

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Konzentriert in den Startblöcken: Leon Bailey und Gina Lückenkemper

Dafür ist Lars Lienhart heute wieder in der Leichtathletik-Halle. Der 46-jährige renommierte Sportwissenschaftler ist als Neuro-Athletiktrainer tätig und zählt zum mehrköpfigen Kompetenzteam Lückenkempers. Der Schwerpunkt des externen Coaches liegt – vereinfacht dargestellt – in der Verbesserung des Zusammenspiels von Nervensystem und Gehirn, damit Athleten ihr Potenzial und ihre Energie bestmöglich abrufen können. Seine zahlreichen sportübergreifenden Referenzen sammelte der Bonner unter anderem im Jahr 2014, als er in Vorbereitung auf die Fußball-Weltmeisterschaft in Brasilien mit dem DFB-Team zusammenarbeitete. Der Fokus der Trainingsarbeit an diesem Mittwochmittag liegt einmal mehr darauf, die Millisekunden nach dem Startschuss bei „einer der langsamsten Starterinnen Deutschlands“ (wie Gina Lückenkemper selbst über sich sagt) zu trainieren. Und zwar besonders im Hinblick auf die anstehenden Leichtathletik-Europameisterschaften in Berlin im August dieses Jahres, bei denen sich die Wirtschaftspsychologie-Studentin zwei Medaillen zum Ziel gesetzt hat. Sie will noch schneller werden – nicht nur in den Beinen, auch im Kopf. Denn Schnelligkeit bedeutet schließlich auch, möglichst schnell reagieren zu können.

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Leon hat nicht nur ein ausgeprägtes Rhythmusgefühl, er hat auch beeindruckend schnell auf die akustischen Reize reagiert

Lars Lienhart hat dafür einige Übungen mitgebracht, mit denen auch Leon Bailey an diesem Tage konfrontiert wird. Ein Ball ist dabei nicht im Spiel, stattdessen kommt beispielsweise ein „Vision Stick“ zum Einsatz. Insgesamt gilt es für die beiden Athleten, zu gucken und zu hören – und dabei jeweils möglichst zeitnah den Körper zu steuern. Anders als für den Flügelflitzer gehören derlei Übungen für Gina Lückenkemper seit längerer Zeit zum Trainingsrepertoire. Doch der Jamaikaner zeigt sich bei den rund 30-minütigen Tests talentiert und lässt ein immenses Potenzial in seinem Bewegungsapparat erkennen. Das attestiert ihm auch der Neuro-Athletikcoach: „Leon hat nicht nur ein ausgeprägtes Rhythmusgefühl, er hat auch beeindruckend schnell auf die akustischen Reize reagiert. Er war auch in der Lage, seine Augen schnell und gezielt zu koordinieren beziehungsweise zu korrigieren, das ist in Wirklichkeit nicht so leicht wie es vielleicht ausgesehen hat. Insgesamt deutet das alles auf eine starke Anpassungsfähigkeit hin – er müsste also auch sehr schnell Sachen lernen können.“

In der Tat – wie schnell Leon Bailey offenbar in der Lage ist zu lernen, hat der Youngster auch in seinen ersten knapp 14 Monaten bei Bayer 04 eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Reichlich Rasanz ist also zweifelsfrei vorhanden. Jetzt heißt es für ihn – ähnlich wie für Sprinterin Gina Lückenkemper – nicht nur weiter auf der Kurzdistanz ein hohes Tempo an den Tag zu legen, sondern auch in der Zukunft einen langen Atem zu haben.

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Wir haben Leon Bailey im Rahmen des Termins zum Interview getroffen…

Leon, wegen des Verletzungsrisikos hat ein Sprintduell mit Gina Lückenkemper leider nicht geklappt. Glaubst du, du hättest auf 100 Metern eine Chance gegen Deutschlands Top-Sprinterin gehabt?

Bailey: Ich habe wirklich keine Ahnung, ich bin noch nie 100 Meter auf Zeit gelaufen. Als Jugendlicher habe ich eigentlich immer nur 400-Meter-Läufe gemacht.

Dennoch giltst du als einer der sprintstärksten Spieler in der Bundesliga.

Bailey: Auf dem Fußballplatz mag ich vielleicht schnell sein, aber wenn ich mich auf der Bahn mit einem echten Sprinter messen würde, da hätte ich wohl keine Chance. Meine Sprint-Fähigkeiten sind definitiv nichts gegen manche Menschen in Jamaika. (lacht)

Beim Blick in die Sporthistorie fällt auf, dass aus deinem Heimatland Jamaika seit Jahrzehnten eine Reihe von absoluten Topsprintern kommen. Wie ist das zu erklären?

Bailey: Leichtathletik hat in Jamaika einen großen Stellenwert, bereits als Kinder machen bei uns fast alle Leichtathletik. Das wird auch in den Schulen schon so vorgelebt. Es gibt beispielsweise regelmäßig große Meisterschaften, bei denen Mädels und Jungs aus mehreren Schulen in verschiedenen Disziplinen gegeneinander antreten. Und da gibt es echt irre schnelle 14-Jährige, die die 100 Meter bereits unter elf Sekunden laufen – das ist wirklich richtig verrückt.

Hast du eine Erklärung dafür, warum gerade Jamaikaner oft so schnell sind?

Bailey: Ja! Jamaika ist zwar eine Insel, aber ziemlich hügelig – gerade Strecken gibt es eigentlich keine. Jamaikaner laufen also – fast ohne es zu merken – ständig Berge rauf und runter. Unsere Genetik hat sich diesen Umständen angepasst, sie ist anders als bei Menschen aus anderen Regionen. Und was auch nicht zu unterschätzen ist, ist unsere Ernährung. Ob das jetzt Yams, Kürbisse oder Bananen sind – die Jamaikaner essen eigentlich nur selbst angebautes Obst und Gemüse. Und das ist von den Nährstoffen her ein riesiger Unterschied im Vergleich zu industrieller Massenware.

Welche Bedeutung hat Geschwingkeit für dich persönlich?

Bailey: Ich mag schnelle Autos und ich kann vielleicht schnell rennen, aber Geschwindigkeit ist ansonsten keine große Sache für mich. Es ist auch nicht so, dass alles um mich herum in meinem Leben schnell sein muss.

Abgesehen von deiner Sprintstärke hast du in deiner noch jungen Karriere auch schnelle Dribblings und Abschlussqualitäten unter Beweis gestellt. Welche Eigenschaft davon ist dir am wichtigsten?

Bailey: Ganz klar die Abschlussqualität. Denn du kannst noch so schnell sein und dribbeln so viel du willst, aber ohne Tore zu machen, kannst du kein Spiel gewinnen. Tore sind einfach das Wichtigste im Fußball. Und kein Verein der Welt will einen Spieler, der dribbeln kann, aber keine Tore schießt oder vorbereitet. Deswegen will ich auch noch weiter daran arbeiten, meine Mitspieler besser in Szene zu setzen und noch häufiger zu treffen.

Kein Verein der Welt will einen Spieler haben, der nur dribbeln kann

Aber hilft dir die Schnelligkeit dabei nicht auch ungemein?

Bailey: Natürlich, das ist ja klar: Wenn ich schneller laufen kann als mein Gegenspieler, komme ich auch schneller an ihm vorbei. Es reicht aber nicht aus, nur schnell zu sein – man muss sich den Speed ja auch einteilen und in den richtigen Momenten anwenden. Aber es stimmt schon, Fußball ist ein schnelles Spiel, da sind Schnelligkeit und Spritzigkeit für viele Dinge von Bedeutung – ob beim Dribbeln oder einen Pass vom Mitspieler zu bekommen.

Die Anwendung deiner Stärken ist dir besonders in der Hinrunde der laufenden Spielzeit sehr gut gelungen: Mit deinen Treffern und Vorlagen hast du maßgeblich zum Erfolg der Werkself beigetragen und bist gleichzeitig zu einem der Shootingstars im europäischen Fußball geworden. Wie schwierig fällt es dir mit dem Hype umzugehen, den dir deine unbestritten starken Leistungen in dieser Saison eingebracht haben?

Bailey: Das ist sicherlich nicht immer einfach – weder auf noch neben dem Platz. Ich versuche, mich zu fokussieren und mich nicht so viel damit zu beschäftigen. Besonders dann, wenn ich keinen Fußball spiele. Meine Familie hilft mir sehr dabei, abzuschalten und auch mal über andere Dinge zu reden oder nachzudenken – sie ist meine Base und absolut wichtig für mich. Egal wie gut oder wie schlecht die Situation ist, ob ich gute oder schlechte Phasen durchlebe, meine Familie ist immer für mich da und unterstützt mich.

Du sprichst es an: Die ersten Monaten, als du Ende Januar 2017 zur Werkself gekommen bist, waren nicht so einfach für dich. Wie bewertest du die Zeit bei Bayer 04 bis jetzt?

Bailey: Naja, sagen wir es mal so: Als 19-Jähriger ins Ausland zu gehen, da bringt allein schon die mangelnde Lebenserfahrung ein paar Schwierigkeiten mit sich – ich glaube, dass das nicht nur für mich zutrifft. Als ich in der Rückrunde der vergangenen Saison hierherkam, war die Mannschaft in keiner guten Form, der ganze Verein hatte eine schwierige Phase – das ist ja kein Geheimnis mehr. In so einer Situation ist es für jeden Spieler schwierig und hart und erst recht, wenn du neu zu einer Mannschaft kommst. Kurz gesagt, es war keine Ausgangsposition, die ein direktes Durchstarten begünstigt hat. In dieser Zeit hat mir meine Familie sehr viel Vertrauen gegeben. Doch ohnehin hatte ich von Anfang an meinen Fokus primär auf die neue, die aktuelle Saison gelegt. Und nach dem Neuanfang im Sommer ist die Stimmung in der Mannschaft im Vergleich zum Vorjahr eine ganz andere; von Beginn an waren alle top motiviert. Das hast du an jeder Ecke im Verein gespürt und es hat meinem Selbstvertrauen gutgetan. Heute ist das Klima ein ganz anderes. Für mich war es darüber hinaus auch ein Vorteil, dass ich mich in der Zwischenzeit besser eingewöhnen und die komplette Saisonvorbereitung im Sommer mit der Mannschaft mitmachen konnte.

Du hast dich seitdem zum Stammspieler entwickelt und spätestens durch die Leistungen in der Hinrunde allen Kritikern klargemacht, warum dich Bayer 04 im Winter 2017 unbedingt verpflichten wollte. Jetzt neigt sich die Saison dem Ende entgegen. Welche Ziele möchtest du mit der Werkself erreichen?

Bailey: Aus dem Pokal sind wir leider ausgeschieden. Aber wir haben alle haben das große Ziel, aus den verbleibenden Liga-Spielen noch so viele Punkte wie möglich zu holen und nächstes Jahr in der Champions League zu spielen. Wir wollen uns unbedingt mit den europäischen Top-Mannschaften messen.

Und welchen persönlichen Zielen eiferst du nach?

Bailey: Ich möchte der Mannschaft eine Hilfe sein und einfach meinen Teil dazu beitragen, dass wir am Ende erfolgreich sind. Ich will so viele Tore schießen und Vorlagen geben, wie es nur geht. Aber das Wichtigste ist, dass wir als Mannschaft gewinnen.

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Hatte oft Grund zum Jubeln in der abgelaufenen Saison: Leon Bailey feiert hier einen Treffer mit dem Kollegen Lucas Alario.

Welche 04 Charaktereigenschaften treffen sonst noch auf dich zu?

Bailey: Ich würde sagen, dass ich sehr teamfähig, strebsam und ehrgeizig bin. Und bestimmt auch ein wenig anspruchsvoll. Das war bei mir schon als kleiner Junge so.

Mit welchem Tier kannst du dich eigentlich am meisten identifizieren?

Mit einem Löwen natürlich – Leon, the lion. (lacht)

Was gefällt dir am Löwen?

Bailey: Ein Löwe hat einen starken Willen, er ist ein Leader-Typ, einer der immer gewinnen will und vorangeht. Ich mag diese Eigenschaften und will auch eine Führungsperson werden – das gilt sowohl auf als auch abseits des Spielfeldes. Und mein Sternzeichen ist ja auch Löwe, also passt das ganz gut.

Mit deinen 20 Jahren hast du schon verhältnismäßig viele Länder kennengelernt: Bevor du nach Deutschland gekommen bist, hast du in Jamaika, in Österreich, in der Slowakei und in Belgien Fußball gespielt und gelebt. Welches Bild hast du bis jetzt von Deutschland?

Bailey: Naja, so gut kenne ich Deutschland ja noch gar nicht. Aber ich schätze das Land für seine Rahmenbedingungen, für die Strukturen und die Ordnung. Und es gibt wirkliche viele schöne Städte mit wirklich beeindruckenden Bauwerken…

Gibt es etwas, was dir in Leverkusen besonders gut gefällt?

Bailey: In erster Linie gefällt mir hier der Klub: Bei Bayer 04 ist alles sehr persönlich, das ist toll. Generell gefällt mir die Freundlichkeit der Menschen hier, das gilt auch für unsere Fans. Ich habe ja schon ein paar Länder erleben dürfen, und die Menschen hier haben wirklich eine sehr angenehme Art. Bisher waren wirklich alle echt nett zu mir.

Du bist jetzt seit über einem Jahr in Deutschland. Wie gut kommst du voran, die Sprache zu lernen?

Bailey: Es geht – ich arbeite daran, vor allem am Sprechen. Ich verstehe mittlerweile fast alles von dem, was der Trainer sagt oder wenn andere reden. Selbst zu sprechen, fällt mir dagegen deutlich schwerer. Aber mit Wendell, Charly (Charles Aránguiz, Anm.) und anderen Spielern bin ich fast gezwungen Deutsch zu reden, weil ich kein Portugiesisch oder Spanisch kann und sie nicht so gut Englisch können.

Hast du trotzdem schon so etwas wie ein Lieblingswort auf Deutsch?

Bailey: Nein, ich das würde ich nicht sagen. Aber es gibt schon so ein paar Wörter, die ich häufiger benutze, weil ich sie vielleicht öfter höre oder lustig finde…

Zum Beispiel?

Bailey: Haha, ich sage zum Beispiel oft „Heftig, Digga“. Das habe ich erstmals von Karim (Karim Bellarabi, Anm.) gehört, als er beim Rondo einen völlig missglückten Pass gespielt hat, den einfach niemand bekommen konnte. (lacht)

Du bist in dieser Spielzeit der drittjüngste Spieler im Kader der Werkself. Macht sich das in irgendeiner Form für dich bemerkbar?

Bailey: Das ist schwer zu sagen. Ich habe jetzt kein bestimmtes Aufgabenfeld oder muss innerhalb der Mannschaft irgendwelche besonderen Dienste erledigen. Vielleicht erkennt man es daran, dass ich beim Rondo immer als Erster in die Mitte muss…

Gibt es etwas, was du dir besonders von den älteren Teamkollegen abzuschauen versuchst?

Bailey: Ich bin noch jung und muss noch eine Menge lernen, ob das jetzt der tägliche Einsatz im Training oder teamspezifische Dinge sind. Erfahrung kann man nicht lernen, die muss jeder selbst sammeln, aber so erfahrene Charaktere wie beispielsweise ein Stefan Kießling können einem sehr gut dabei helfen.

Mit welchem Spieler aus der Mannschaft hast du auch privat am meisten zu tun?

Bailey: Mit Benny Henrichs verstehe ich mich sehr gut, wir sind eng befreundet und machen viel zusammen – zum Beispiel gemeinsam essen gehen.

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Es fällt auf, dass du sehr viel mit Co-Trainer Nico Schneck sprichst. Beschreibe mal euer Verhältnis.

Bailey: Nico ist mein Bruder! (lacht) Wir kommen echt gut miteinander klar. Meistens sprechen wir aber über meine Performance – also was gut war, und in welchen Bereichen ich mich noch verbessern kann. Als Trainer betrachtet er das Geschehen von außen, von dort hast du einfach einen viel besseren Blick aufs Spiel – allein schon deshalb ist mir seine Meinung sehr wichtig. Wir unterhalten uns aber auch über viele andere Dinge und flachsen auch schon mal rum. Es ist schön, wenn du Leute in deinem Umfeld hast, die an dich glauben, dich stark reden, aber die auch, wenn’s gut läuft, kritisch mit dir sind und dich immer wieder zurück auf den Boden holen. Ich schätze Nico total, er hat eine ganz angenehme Art.

Der Weg von Nico Schneck ist ungewöhnlich bis einzigartig. Er selbst hat maximal in der fünften Liga gespielt, wurde noch als 28-jähriger Student Assistenztrainer von Heiko Herrlich bei Jahn Regensburg. Seit vergangenem Sommer ist er nun im Trainerteam einer Bundesliga-Mannschaft. Was zeichnet ihn fachlich aus?

Bailey: Zuerst einmal ist es völlig egal, wo oder in welcher Liga mein Trainer gespielt hat. Das sagt überhaupt nichts über seine fachlichen Qualitäten aus. Und die sind halt nun mal das Wichtigste im Fußball. In meinen Augen hat Nico einen sehr guten Fußball-Sachverstand, das merkt man beispielsweise an seinen Spielanalysen. Und ich finde, man merkt ihm absolut nicht an, dass er nie auf höchsten Level gespielt hat. Im Gegenteil, ich finde, er weiß immer genau, worüber er spricht. Ich bin wirklich froh, dass er mein Trainer ist. Und er schärft auch meine Sinne…

Inwiefern?

Bailey: Wenn ich Champions League oder andere Topspiele schaue, achte ich heute zum Beispiel viel mehr auf die ganz kleinen Details als früher. Die Details, die für den gewöhnlichen Fan auf den ersten Blick vielleicht gar nicht deutlich zu sehen sind.

Meinst du auf taktischer Ebene?

Bailey: Auch, aber ich suche eher danach, was ich mir von anderen Fußballern abschauen kann. Ich schaue, wie sie den Ball annehmen, welche Laufwege sie machen und wie sich einzelne Spieler bewegen. Cristiano Ronaldo schaue ich derzeit besonders gerne zu.

Was fasziniert dich an ihm?

Bailey: Es ist einfach der Wahnsinn, wie hart er ständig an sich arbeitet. Während seiner Zeit bei Manchester United war er beispielsweise kein so guter Kopfballspieler, heute ist er einer der besten der Welt – weil er einfach ein perfektes Timing hat und viel höher springt als andere. Aber damit er überhaupt zum Kopfball kommen kann, macht er extrem viele Bewegungen, noch lange bevor er im Strafraum den Ball bekommt: Da macht er vier, fünf Sprints – ob lang, ob kurz oder quer – in völlig verschiedene Richtungen, nur um seinen Gegenspieler abzuschütteln und so Sekunden vorher am Ball sein zu können. Solche Dinge sind Pluspunkte für einen Spieler. Und unabhängig von den Bewegungen und Laufwegen hat er um sich herum immer Mitspieler, die ihm helfen wollen. Weil sie wissen, dass er ihnen auch eine Hilfe ist. Und darum geht es in meinen Augen im Fußball.

Wie wichtig ist es deiner Meinung nach, Vorbilder im Leben zu haben?

Bailey: Ich finde schon, dass es eine Hilfe sein kann, zu Menschen hinaufzuschauen.

Zu wem hast du hinaufgeschaut als du jünger warst?

Bailey: Privat natürlich immer schon zu meinem Vater. Und im Fußball zum Beispiel zu Ronaldinho oder Thierry Henry.

Mit welchen Skills haben dich die beiden beeindruckt?

Bailey: Thierry Henry war damals einfach eine Maschine: Man hatte das Gefühl, dass ihn niemand stoppen konnte, wenn er vor dem Tor war und dass er immer treffen und seiner Mannschaft helfen wollte. Das gleiche gilt eigentlich auch für Ronaldinho. Aber inzwischen haben ja beide ihre Karriere beendet, also muss ich heute zu anderen hinaufschauen. Einer davon ist derzeit sicherlich Cristiano Ronaldo.

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Das Wichtigste ist immer, mit beiden Beinen auf dem Boden zu bleiben

Es heißt, in deinem Zimmer hing früher auch mal ein Poster von Arjen Robben...

Bailey: Ja, das ist richtig, da war ich neun oder zehn Jahre alt. Und es hing sogar für eine lange Zeit in meinem Zimmer. Aber tatsächlich weiß ich gar nicht mehr genau, warum. Arjen Robben ist ein großartiger Fußballer, aber er war für mich nie so etwas wie ein Vorbild. Vermutlich hing das Poster einfach nur, weil es etwas mit Fußball zu tun hatte. (lacht)

Heute bist du ein Vorbild für viele jungen Leute. Woher nimmst du deine Motivation? Was macht dich stark?

Bailey: Ach, es gibt viele Dinge, die mich jeden Tag schon beim Aufstehen motivieren und mir die Kraft geben, immer weiter hart an mir zu arbeiten. Da ist zum Beispiel meine Mutter, die sich wünscht und will, dass ich irgendwann der beste Fußballer der Welt bin. Mich motiviert es aber genauso, dass ich heute ein privilegiertes Leben leben darf und dass da bestimmt ein paar Menschen auf der Welt sind, die zu mir hochschauen und gerne auch mein Leben leben würden – mit all meinen Chancen und Möglichkeiten.

Wie wichtig ist es dir, dass du erfolgreich bist?

Bailey: Eines vorweg, natürlich ist es schön, Erfolg zu haben. Aber der eigene Erfolg alleine macht mich nicht glücklich. Ich brauche das richtige Umfeld, um überhaupt erst Erfolg empfinden zu können. Denn für mich bedeutet vor allem Erfolg, andere zu motivieren, seine Freude und sein Glück zu teilen und die Liebe zurückzugeben, die man von anderen bekommt. Das Wichtigste ist immer, mit beiden Beinen auf dem Boden zu bleiben und nicht zu vergessen, woher man kommt.

Dass dir deine Familie wichtig ist, hast du schon oft betont. Welche Dinge liegen dir denn abseits des Rasens noch besonders am Herzen?

Bailey:(Überlegt lange) Ich weiß es nicht – Fußballspielen ist das Wichtigste für mich. (lacht)

Und was wäre aus dir geworden, wenn dir der Sprung zum Fußballprofi nicht geglückt wäre?

Bailey: Dann würde ich jetzt wohl noch zur Schule gehen, mich weiterbilden – ich würde versuchen, mich selbst zu verwirklichen und ein Unternehmen zu gründen. Das finde ich irgendwie spannend. Mein Backup-Plan war und ist es immer noch, ein eigenes Unternehmen zu führen und gegebenenfalls anderen Menschen eine Arbeit zu geben. Auch wenn ich aktuell nicht genau sagen könnte, in welchem Bereich es wäre. Mal sehen, vielleicht mach‘ ich das ja nach meiner Fußballkarriere.

Gibt es eine Sache, die du besonders an deinem Heimatland Jamaika vermisst?

Bailey: Um ehrlich zu sein, ist es das Essen. Wir haben in Jamaika so viele verschiedene leckere Gerichte. Auch wenn ich derzeit nicht oft da sein kann, möchte ich mich trotzdem zuhause fühlen, deshalb versuche ich so oft es geht, landestypisch zu kochen.

Mit welchen Hobbies verbringst du noch deine Freizeit?

Bailey: Wenn es der Trainingsplan zulässt, mache ich gerne Städte-Trips. Meist treffe ich mich aber mit meinen Brüdern und Freunden zum Chillen oder zum Fifa spielen.

Hast du ein Lieblingsteam an der Konsole?

Bailey: Ja, eigentlich spiele ich immer mit Real Madrid. Das liegt meinem Spielstil einfach.

Wäre es nicht auch verlockend, dich selbst zu spielen?

Bailey: Nein. Ich habe das mal gemacht, als ich noch bei Genk gespielt habe, aber danach nie wieder. Das ist nicht so mein Ding – auch wenn ich nicht genau sagen kann, warum.

 

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Welche Karriere-Träume hast du noch?

Bailey: Die Frage ist leicht zu beantworten: Ich möchte gesund bleiben, mich schnellstmöglich weiterentwickeln, auf dem höchsten Level Fußballspielen und Titel gewinnen. Einfach gesagt, will ich das Größtmögliche erreichen. Und wenn die Leute dann auch noch gut über mich und mein Leben sprechen, das wäre schon traumhaft.

Hast du keine Angst vor dem Scheitern?

Bailey: Natürlich, aber ich versuche darüber nicht nachzudenken. Es ist wichtig, im Leben immer positiv zu bleiben, an das Gute zu glauben und alles Schlechte und Negative auszublenden.

Du postest auf Instagram öfter Fotos mit Sprint-Legende Usain Bolt. Woher kennst du ihn, wie ist euer Verhältnis?

Bailey: Naja, wir sind Jamaikaner, haben uns vor vielen Jahren in der Heimat kennengelernt und sofort ziemlich gut verstanden. Wenn wir in Jamaika sind, hängen wir oft zusammen rum.

Er hat es geschafft, der Beste in seiner Disziplin zu werden. Genau das möchtest du noch erreichen. Fragst du ihn nach Karrieretipps?

Bailey: Nein, das nicht. Also er gibt mir schon Tipps, aber ganz ohne, dass ich ihn danach gefragt habe. Das sind natürlich keine fußballspezifischen Tipps, es geht dann eher darum, wie ich meine bestmögliche und lange Karriere aufrechterhalten kann. Zum Beispiel hat er mir gesagt, dass ich niemals meine Konzentration verlieren darf.

 

Das Gespräch führte Jens Kopke