Zwei, die das Feuer wei­ter­ge­ben

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Stefan Kießling und Rüdiger Vollborn sind zu Beginn dieser Saison jeweils in den Rang der Ehrenspielführer bei Bayer 04 befördert worden. Kein Wunder, bei insgesamt 925 Pflichtspielen für die Werkself. Beide stehen darüber hinaus für eine tiefe Identifikation mit dem Verein, der für sie längst zur Heimat und echten Herzensangelegenheit geworden ist. Was beim ausführlichen Interview mit Kies und Rudi in der Schwadbud mal wieder ganz deutlich zu Tage trat…

Auf dem Weg zu unserem Termin mit euch haben wir gerade an der Fankiste den Satz gelesen: Tradition ist nicht das Bewahren der Asche, sondern die Weitergabe des Feuers. Wie gefällt dir das, Rüdiger?
Vollborn: (lacht) Ich weiß noch, dass wir damals, als wir den Satz ausgesucht haben, beim Verein für einige Irritationen gesorgt haben. Feuer - da dachten manche ja gleich an Pyrotechnik im Stadion. Aber so ist das natürlich nicht gemeint. Und wenn ich jetzt mal auf mich persönlich schaue: Das Feuer, das ich selber in mir spüre für den Verein, da kann ich gar nicht genau beschreiben, wo das überhaupt herkommt. Das ist irgendwann entstanden mit den Jahren. Wir waren der Underdog, die graue Maus, die bei Auswärtsspielen regelmäßig beschimpft worden ist. Irgendwann spürte ich wohl die Sehnsucht in mir, es allen da draußen mal zu zeigen. Und auch heute beschäftige ich mich ja an einem normalen Arbeitstag noch damit, aufzuzeigen, dass wir besser sind, als viele denken. Es ist mir ein Anliegen, zu dokumentieren, was uns ausmacht, dass wir eine lange Tradition haben. Eine, auf die wir stolz sein können.

Apropos normaler Arbeitstag: Wenn ihr jetzt nicht an diesem Montagmorgen mit uns in der Schwadbud zum Interview sitzen würdet, wie hätte so eine neue Arbeitswoche denn normalerweise für euch begonnen?
Kießling: Sie hat auch heute ganz klassisch für mich angefangen: Ich habe die Kinder um acht Uhr zur Schule gebracht und bin dann weiter nach Leverkusen gefahren. Gegen halb neun war ich im Büro und habe dort erst einmal die Mails gecheckt und, wo nötig, auch beantwortet.

Vollborn: War bei mir ähnlich.

Kießling: Aber natürlich sieht nicht jeder Tag gleich aus. Ich habe einen sehr abwechslungsreichen Job, der viel Spaß macht, den ich aber auch als Herausforderung betrachte.

Du hast vor gut anderthalb Jahren deine Profi-Karriere bei Bayer 04 beendet - wie groß war die Umstellung vom Spieler-Dasein auf die neue berufliche Aufgabe?
Kießling: Ich finde sie gar nicht so groß, ehrlich gesagt. Die letzten zweieinhalb aktiven Jahre waren ja ein bisschen schwieriger für mich, vor allem wegen meiner Hüftprobleme. Ich habe mein letztes Spiel fast schon herbeigesehnt. Endlich Schluss, dachte ich. Danach hatte ich vier Monate Pause, acht Wochen davon sind wir um die Welt gereist, acht Wochen hatten wir Zeit, um Freunde zu treffen. Ich konnte mal Golf spielen und all die Dinge tun, für die sonst nicht so die Zeit war. Als es dann mit der Arbeit losging, hatte ich das Gefühl, nie etwas anderes gemacht zu haben. Der aktive Fußball war schon total weit weg. Ich hatte keine Vorbereitung mitgemacht, ging nicht mehr auf den Trainingsplatz - ich habe mich unglaublich schnell darauf eingestellt. Krass, dass das schon wieder anderthalb Jahre her ist.

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Wie wichtig war die Weltreise für dich, um ein bisschen Distanz vom Fußball zu gewinnen?
Kießling: Das war extrem wichtig. Ich wollte eigentlich noch gar nicht zurück. Meine Frau und die Kinder freuten sich aber wieder auf zu Hause. Ich hätte noch weiter reisen können. Ich wusste ja, wenn wir zurückkommen, bin ich schnell wieder drin im Alltag. Aber letztlich war die Zeit dann doch lang genug, um mich voller Motivation in die neuen Aufgabenfelder einzuarbeiten. Das ist mir leicht gefallen.

Wo seid ihr überall gewesen?
Kießling: Dubai, Singapur, Melbourne, Sydney, Hawaii, Vancouver, Cancun in Mexiko, Cartagena und Bogota in Kolumbien, Lima, Caracas und Cusco in Peru, wo wir auch Machu Piccho besichtigt haben, die alte Inkastadt. Letzte Station war New York. Fast alle diese Orte waren auf ihre Art unglaublich schön. Von Kanada waren wir begeistert, die landschaftliche Vielfalt ist so groß. Nur Hawaii hat uns nicht so gut gefallen. Ein bisschen geärgert haben wir uns, dass wir nicht in Neuseeland waren. Aber alles geht nun mal nicht.

Wie war das auf dieser Reise, bist du inkognito durchgekommen?
Kießling: Nein, das nicht. Ich hatte ein schönes Erlebnis in Mexiko. Wir waren unterwegs auf einem Markt in einem wirklich kleinen Dorf, als mich ein junges Mädchen, eine Mexikanerin, auf englisch ansprach. Sie sei ein großer Fußballfan und ich doch der Stefan Kießling, und ob sie ein Foto von uns machen dürfe. Klar durfte sie. Ich fand es einfach unglaublich, dass man selbst „in the middle of nowhere“ erkannt wird. Insgesamt bin ich in den größeren Städten aber auch nur fünf- oder sechsmal angesprochen worden. Meistens sind es ja eigentlich eher Deutsche, denen man im Urlaub zufällig über den Weg läuft. Und manchmal schicken Eltern auch einfach ihre Kinder vor. Wie kürzlich bei unserem Spiel in Wolfsburg, als ein Mann mich ansprach und sagte: „Mein Sohn möchte gerne ein Foto mit ihnen machen“ und der Sohn ihm daraufhin zuflüstert: ‚Papa, wer ist denn das?‘ (lacht) Da fragte ich den Mann zurück: „Wollen Sie vielleicht ein Foto mit mir machen?“ 

Wie sahen deine ersten Tage im neuen Arbeitsleben dann aus?
Kießling: (lacht) Die ersten zwei Tage saß ich vorm Computer und hab nur den Bildschirm angestarrt. Das änderte sich aber schnell, weil ich dann zu den wichtigen Board-Meetings, also den Direktoren-Treffen, eingeladen worden bin. Und ich konnte in viele Abteilungen reinschnuppern, von der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit bis zum Sponsoring. Schaute mir an, wie die Abteilungen funktionieren, gab Feedback. Gleichzeitig war ich aber auch noch eng dran an der Mannschaft. Mein erstes größeres Projekt war dann das Thema 40 Jahre Bundesliga unterm Bayer-Kreuz, bei dem ich einige Entscheidungen treffen durfte. Heute morgen saß ich schon für eine Stunde am Laptop und hab mir einige Spieler angeschaut, die Simon (Rolfes, Anm. der Redaktion) mir genannt hat. Aber natürlich reichen da ein paar Video-Sequenzen nicht aus, du musst dir die Spieler schon noch vor Ort ansehen. Im Frühjahr 2019 waren Simon und ich zum Beispiel einmal gemeinsam in Frankreich, sahen uns einen Spieler an, schauten uns danach in die Augen und schüttelten nur den Kopf. Man muss nicht immer lange Bewertungsbögen ausfüllen, um festzustellen, ob einer gut oder schlecht ist. Oder ein anderes Beispiel: Ich habe mit unserer Presse-Abteilung zusammen einen PR- und Partner-Tag eingeführt. Wir sammeln alle Anfragen, die über ein paar Wochen hinweg eingehen, und arbeiten die dann an einem Tag in einer „normalen“ Woche mit der ganzen Mannschaft ab. Eine logistische Herausforderung, die aber angesichts der vielen Englischen Wochen nötig ist. Ich versuche immer, ein paar Ideen und Verbesserungen einzubringen. Das macht mir im Moment sehr viel Spaß.

Natürlich möchte ich hier etwas mitgestalten
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Deine offizielle Job-Bezeichnung lautet Referent der Geschäftsführung. Das klingt ein wenig nach Business-Sprech…
Vollborn: Es ist völlig egal, wie Kies sich nennt und was er macht - Hauptsache, er ist hier! Wir haben ja inzwischen viele ehemalige Profis, die bei Bayer 04 in den unterschiedlichsten Bereichen arbeiten. Und das ist auch gut so. Denn sie geben ihrem Verein eine Menge zurück.

Kießling: Denke ich auch. Und Rüdiger hat auch Recht, wenn er sagt, dass es nicht in erster Linie wichtig ist, welche Tätigkeit ich nun bei Bayer 04 ausübe, oder in welcher Funktion und auf welcher Ebene ich bin. Was für mich wichtig ist: Ich möchte mit am Tisch sitzen, wenn es gilt, Entscheidungen zu treffen, wenn es darum geht, Strukturen aufzubauen oder Dinge im Verein zu verändern. Ich möchte Dinge beeinflussen können. Und dass ich das tun darf, dafür bin ich dankbar. Ich bin dort, wo ich zwölf Jahre lang gespielt habe, wo ich mich immer pudelwohl gefühlt habe und wo bei mir auch die Liebe hingefallen ist. Auf der anderen Seite ist das aber auch keine Selbstverständlichkeit. Wir wissen alle, wie schnelllebig der Fußball geworden ist. Natürlich möchte ich hier etwas mitgestalten, im Prinzip bin ich ja immer eingebunden, ob das jetzt Spielerverpflichtungen sind oder Umbaumaßnahmen, Strukturen. Meine Meinung ist da auf jeden Fall gefragt. Es ist ein gesunder, guter Austausch, den wir miteinander pflegen. Ich kann mit allen reden. 

Rüdiger, bei dir liegt das Karriere-Ende ja schon ein bisschen länger zurück. Auch du hast wie Kies über 400 Bundesligaspiele auf dem Buckel gehabt und warst gefühlte Ewigkeiten Profi. Dein letztes Spiel machtest du 1999 beim 1:2 gegen die Bayern. Du warst aber danach sofort als Co-Trainer der Amateure und Torwart-Trainer zunächst in der Jugend und später bei den Profis immer noch sehr nah dran am aktiven Geschehen. Für dich war vermutlich der Schritt zum Fan-Beauftragten 2012 der große Einschnitt, oder?
Vollborn: Für mich war’s nach meinem Abschied als Aktiver wesentlich einfacher als für Kies. Er war Publikumsliebling und spielte noch. Bei mir war’s eher ein schleichender Prozess. Ich wurde von der Nummer 1 zur Nummer 2, dann zur Nummer 3, dann war ich ganz raus, wurde noch einmal reaktiviert und schließlich TorwartTrainer. Das war aber angenehm, weil ich mich an die Situation gewöhnen konnte. Aber klar, der Schritt vom Torwart-Trainer zum Fanbeauftragten, der war schon ein besonderer.

Verändert sich die Sicht auf den Verein, wenn man als der von den Fans geliebte Spieler plötzlich nicht mehr im Rampenlicht steht, sondern nun den Blick hinter die Kulissen wirft?
Kießling: Sagen wir mal so: Das Gefühl für den Klub verändert sich nicht, aber die Perspektive natürlich schon. Ich kannte ja auch schon vor diesem Seitenwechsel so ziemlich jeden im Verein. Und ich war auch immer ein Spieler, der über viele Dinge Bescheid wusste, weil’s mich einfach interessiert hat. Ich weiß beispielsweise, wie viel Arbeit die Greenkeeper haben, um uns bestmögliche Plätze zu bieten. Natürlich gibt es aber auch Dinge, die neu für mich waren. Es ist dir als Spieler zum Beispiel nicht immer klar, welche Bedeutung ein O-Ton, ein Interview mit dir für bestimmte Partner und Sponsoren hat. Wie viele Menschen sich da im Vorfeld Gedanken drüber gemacht haben, zu welchem Thema du was sagen sollst. Als Spieler siehst du oft nur die Aufgabe, die dir Zeit raubt. Als Marketing-Mitarbeiter brauchst du genau diesen O-Ton aber, um deine Kunden zufriedenzustellen.

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Vor dem ersten Heimspiel gegen Paderborn wurden Stefan Kießling und Rüdiger Vollborn von Fernando Carro und Rudi Völler offiziell zu Ehrenspielführern ernannt.

Ihr seid beide beim ersten Heimspiel dieser Saison zum Bayer 04-Ehrenspielführer ernannt worden. Was bedeutet euch das?
Vollborn: (lacht) Wurde auch Zeit…

Kießling: Der Begriff ist vielleicht ein bisschen irreführend. Denn ich war selber ja nur sehr selten Spielführer, nur ab und an mal in Vertretung.

Vollborn: Bei Ulf war es ja nicht anders, bei Schnix auch nicht - und bei mir sowieso nicht.

Kießling: Vielleicht sollte man lieber von Ehrenspielern sprechen. Aber egal, wie man es nennt: Ich denke, dass es in jedem Fall und bei aller Bescheidenheit sechs besondere Spieler sind, die viel für den Verein geleistet haben, die ihn geprägt haben.

Ehemalige Spieler, Legenden zumal, nach ihrer Karriere in den Klub einzubinden: Warum ist das so wichtig?
Kießling: Zunächst einmal ist es gar nicht immer so einfach. Denn manchmal gehen die Vorstellungen von Spieler und Verein über die Art der künftigen Zusammenarbeit ja auch auseinander. Nur weil ich hier zwölf Jahre gespielt habe, werde ich ja nicht von heute auf morgen Präsident. Manche im Verein haben sich gewünscht, ich würde die Trainerlaufbahn einschlagen. Das ist aber nix für mich. Ich wollte immer eher auf der Geschäftsstelle arbeiten. Aber das muss dann natürlich auch irgendwie passen.

Rüdiger, kürzlich hast du in der BayArena mal wieder einen knapp dreistündigen Vortrag über die Geschichte des Vereins gehalten. Die Leute, darunter auch viele junge Fans, hingen wie immer an deinen Lippen. Auch deine Legenden-Touren durch das Stadion sind stets gut besucht. Und auf deinen Stadtrundfahrten zeigst du den Teilnehmern, an welcher Stelle sich der ehemalige Dhünnplatz befand. Warum legst du dich da als Aufklärer und Geschichtenerzähler so ins Zeug?
Vollborn: Weil ich einfach nicht möchte, dass diese Dinge in Vergessenheit geraten. Viele Fakten und Geschichten kannte ich selber bis vor Kurzem noch nicht. Als 2014 die Schwadbud eröffnete, da habe ich die Dinge, die ich heute bei meinen Vorträgen und Führungen erzähle, noch nicht gewusst. Ich hatte vor fünf Jahren noch keine Ahnung, wie unser Verein entstanden ist. Aber ich fand es zunehmend faszinierend, darüber mehr in Erfahrung zu bringen, mich damit intensiv zu beschäftigen. Denn je mehr man weiß über seinen Klub, desto größer ist die Identifikation. Ich habe viele Stunden der Recherche im Leverkusener Stadtarchiv verbracht. Ich war schon immer stolz darauf, ein Teil dieses Vereins zu sein. Aber meine Beziehung zum Bayer ist in den vergangenen Jahren noch intensiver, inniger geworden, als sie es zu meiner aktiven Zeit schon gewesen ist.

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Vollborn, der Historiker: Bei seinen Reisen durch die Vereinsgeschichte ist die Schwadbud stets rappelvoll.
Meine Beziehung zum Bayer ist in den vergangenen Jahren noch intensiver, inniger geworden

Gibt’s für dich hinsichtlich der Vereinsgeschichte auch noch offene Fragen, Geheimnisse, die du gerne lüften würdest?
Vollborn: Warum haben wir zwischen 1929 und 1931 in Orange-Blau gespielt? Das wäre so eine Frage. Da müsste ich wahrscheinlich mal ins Archiv der Bayer AG abtauchen. Wir hatten zwischendurch ja mal ein Ausweichtrikot, das war blau und hatte orangene Streifen. Aber hatte das historische Gründe? Also, die Geschichte unserer Trikots würde ich gerne lückenlos hinbekommen.

Kießling: Ein interessantes Thema. Früher war es ja viel einfacher, ein Trikot herzustellen. Heute musst du dabei tausend Dinge bedenken: Welche Schriftgröße darf nicht überschritten werden? Die Balkenbreite muss überall gleich groß sein. Du darfst nur einen Namen hinten drauf stehen haben.

Kies, was sagst du zu Rüdigers Arbeit?
Kießling: (lacht) Soll ich ihm eine Note geben? Also gut, er hat sich stets bemüht, kam immer pünktlich zur Arbeit. Nee, Spaß beiseite: Ich weiß, dass Rüdiger den Verein über alles liebt. Er tut alles dafür, den Klub in die richtigen Bahnen zu lenken. Wenn er merkt, es läuft was falsch, dann versucht er das anzupacken.

Vollborn: Leider manchmal auf eine zu emotionale Art.

Kießling: Deswegen haben wir zwei uns ja auch des öfteren gekabbelt. Ich bin auch ein emotionaler Typ, kann manchmal laut werden. Wenn wir mal übers Ziel hinausgeschossen sind, haben wir uns aber beim anderen entschuldigt und gut war‘s.

Vollborn: Du warst aber gerade beim Loben, also, mach weiter…

Kießling: Rüdiger hat den Verein als Spieler wie auch als Torwart-Trainer, Fanbetreuer geprägt und tut das jetzt auch noch als Chronist, als jemand, der mit großer Leidenschaft die Tradition pflegt und hegt. Seine Arbeit ist unheimlich wichtig, er ist immer noch ein Bindeglied zwischen den Fans und Verein. Also, um es abzuschließen: Ich würde dir eine glatte Eins geben.

Vollborn: Danke für die Blumen. Ich sehe mich selber als eine Art Katalysator. Ich versuche die Wogen zu glätten, wenn’s kracht. Und auf der anderen Seite die super Stimmung, wie wir sie zum Beispiel jetzt gerade haben, so lange zu halten wie es nur eben geht. Denn wenn wir irgendwann mal Deutscher Meister werden wollen, dann nur, wenn alle an einem Strang ziehen. Wir wollen ja alle das Gleiche: Endlich mal wieder einen Titel holen! Manchmal gehen wir hier bei uns Dinge für meinen Geschmack noch zu bürokratisch an, zu verkopft. Mir fehlt da manchmal noch mehr Emotion, mehr Herz. Deshalb mache ich solche Veranstaltungen wie unlängst die Reise durch die Geschichte unserer Werkself Mitte November. 

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Unsere Fans investieren so viel für ihren Klub

Kies, du warst ja neulich im Stadioneck und hast drei Stunden lang mit den Fans geredet, über deine Karriere erzählt, aus dem Nähkästchen geplaudert. Der Laden war rappelvoll. Wie hast du den Abend erlebt und warum sind solche Veranstaltungen so wertvoll für die Identifikation mit dem Verein?
Kießling: Ach, es war wirklich ein grandioser Abend. Ich find’s einfach klasse, in Erinnerungen zu schwelgen und die mit den Fans zu teilen. Da erzählst du ja auch mal Sachen, die du vor drei Jahren noch nicht erzählt hättest.

Vollborn: (lacht) Oh ja, ich hau bei meinen Legendentouren auch manchmal Dinge raus und dann denke ich hinterher: „Oh Mann, wenn das jetzt jemand der Presse erzählt, hast du ein Problem.“ Aber unsere Fans sind ja verschwiegen. Und es ist ja so: Je mehr Fragen gestellt werden, desto höher ist die Chance, mal was ganz Neues zu erfahren. Über bestimmte Dinge, die da zur Sprache gebracht werden, habe auch ich vorher noch nie nachgedacht.

Kießling: Ich finde, wir sollten auch versuchen, den Austausch zwischen aktuellen Spielern unserer Mannschaft und unseren Fans zu fördern. Zum Beispiel im Rahmen eines Mixed-Zone-Talks oder vielleicht auch im Stadioneck oder hier in der Schwadbud. Da gibt es ja ganz viele Möglichkeiten. Als Spieler denkst du nach solchen Abenden nämlich fast immer: „Mensch, das war ja eine richtig nette Sache.“ Denn solche Veranstaltungen sind total wichtig für die Fanbindung. Unsere Fans investieren so viel für ihren Klub. Wenn ich daran denke, dass sie zum Beispiel monatelang an der Choreografie für mein letztes Spiel gearbeitet haben. Das ist doch unglaublich.

Vollborn: Ja, das war echt heftig.

Kießling: Ich war schon öfter in der Halle, wo diese Choreos entstehen. Ich weiß, wie die Fans da arbeiten. Was sie für einen Aufwand betreiben, damit zigtausende Menschen für ein paar Sekunden ein Schild hoch halten. Die reißen sich wirklich den Hintern auf, gehen nach der Arbeit in die Halle, teilen sich in Gruppen auf und dann wird gemalt, gepinselt, geklebt. Auch zum 40-Jahre-Jubiläum haben so viele Fans schon am Tag vorher stundenlang Choreo-Material auf den Plätzen verteilt.

Vollborn: Ich finde, so gut wie momentan war das Verhältnis zwischen Fans und Verein schon lange nicht mehr. Aber die Bindung zwischen Mannschaft und Fans, die ist noch ausbaufähig.

Kießling: Ja, glaube ich auch. Vielleicht auch mit eben solchen Veranstaltungen…

Vollborn: ,… die den Spielern das Gefühl vermitteln: Die da in der Kurve stehen, die sind gar nicht so verkehrt. Und die Fans wiederum lernen vielleicht einen Spieler kennen, den sie ganz anders eingeschätzt hätten. Darum ging’s doch auch früher schon: Dass die Spieler den Fans zeigen: „Hey, wir sind völlig normal. Wir hatten nur das Glück, dass wir unser Hobby zum Beruf machen konnten und damit jetzt gutes Geld verdienen.“

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Stefan Kießling vor seinem in der Schwadbud ausgestellten Trikot, in dem er sein 400. Bundesliga-Spiel in Wolfsburg bestritten hat.

Kießling: Richtig Rüdiger, aber eines habe ich jetzt auf der anderen Seite natürlich auch gelernt: Die Jungs haben gerade auch nach Spielen so viele Medien-Anfragen, dass ich es schon nachvollziehen kann, wenn sich die Lust auf Termine unmittelbar nach Abpfiff in Grenzen hält. Da bist du absolut im Eimer und wirst hierhin und dorthin geschleppt. Sinnvoller finde ich es, wie wir es beispielsweise kürzlich vor dem Spiel gegen Atletico Madrid gemacht haben: Da sprachen Pat Helmes und ich mit unserem Haus-Sender Bayer 04-TV 30 Minuten vor dem Spiel über das anstehende Duell. Man konnte über die Aufstellung reden, über die Situation beim Gegner und und und. Gesprächspartner können bei diesem Format in Zukunft aber auch mal verletzte oder gesperrte Spieler sein oder Staff-Mitglieder. Auch da gibt’s viele Möglichkeiten. Das kann man auch mal spontaner machen.

Rüdiger, du sagst, das Verhältnis zwischen Fans und Verein war schon lange nicht mehr so gut. Gilt das auch für die Stimmung in der BayArena?
Vollborn: Es gibt Spiele, wo es super ist. Im Derby gegen Köln, gegen die Bayern. Aber warum geht das nicht immer so? Warum nicht auch gegen Augsburg oder Freiburg? Wir arbeiten immer noch daran, dass möglichst alle Heimspiele ausverkauft sind.

Kießling: Mir ist beim Spiel gegen Mönchengladbach aufgefallen, wie viele Gladbacher Fans auf Plätzen saßen, wo normalerweise Bayer 04-Fans sitzen. Wie kommen die dahin? Eigentlich sind das Plätze von Leverkusener Dauerkarten-Inhabern. Deshalb fände ich es klasse, wenn derjenige, der mal nicht zu einem Heimspiel kommen kann, seine Dauerkarte an jemanden weitergibt, der nicht unbedingt Fan unseres Gegners ist. Ich kann hier aber so viel versprechen: Wir arbeiten gerade in den unterschiedlichsten Abteilungen daran, dass wir in Zukunft ein geschlosseneres Bild auf unseren Fan-Rängen abgeben. Insgesamt sind wir aber auf einem sehr guten Weg.

Vollborn: Ja, das finde ich auch. Es ist schon sehr viel besser geworden.

Welchen Eindruck hattest Du, Kies, wie man Bayer 04 international begegnet ist? Wieviel Wertschätzung war da zu spüren?
Kießling: Es kommt schon sehr darauf an, wo du bist. In den USA können, finde ich jedenfalls, immer noch zu wenige Menschen etwas mit dem Namen Bayer 04 anfangen. In Asien sieht das schon ganz anders aus. Sicher haben wir international schon einen guten Namen. Aber es wird noch zu wenig über uns gesprochen. Wir müssen als Marke noch bekannter werden und dafür auch sportlich erfolgreich bleiben - am besten natürlich mal wieder mit einem Titel.

Das Gespräch führten Ralph Elsen und Christian Jacobs

Die B04-Ehrenspielführer


Ulf Kirsten (seit 2004)

Carsten Ramelow (seit 2008)

Bernd Schneider (seit 2010)

Simon Rolfes (seit 2015)

Rüdiger Vollborn (seit 2019)

Stefan Kießling (seit 2019)

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