Vor 25 Jahren: Zum ersten Mal Platz zwei

Nur ein Jahr nachdem Bayer 04 um Haaresbreite dem Abstieg entronnen war, wurde der Klub 1997 erstmals in seiner Geschichte deutscher Vizemeister und schaffte damit – auch das eine Premiere – den Sprung in die Qualifikation zur Champions League. Am 31. Mai 1997, vor genau 25 Jahren also, feierte die Mannschaft diesen Erfolg nach dem 2:0-Heimsieg gegen den VfL Bochum 1848 gemeinsam mit den begeisterten Fans im Ulrich-Haberland-Stadion.

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Einer, der maßgeblichen Anteil an der phänomenalen Entwicklung hatte, war Hans-Peter Lehnhoff. Mit dem heute 58-jährigen Teammanager von Bayer 04 blicken wir zurück auf die Saison 1996/97, die eine neue Zeitrechnung unterm Bayer-Kreuz einläutete.

Zwei Spielzeiten hatte Lehnhoff bereits für die Werkself absolviert, als im Sommer 1996 ein Trainer in Leverkusen die sportliche Verantwortung übernahm, den er noch aus seiner Kölner Zeit gut kannte. „Christoph Daum war in der Saison 1985/86 Co-Trainer unter Chefcoach Georg Kessler. Wir zogen damals mit dem FC ins UEFA-Cup-Finale gegen Real Madrid ein“, erinnert sich Lehnhoff. „Daum löste dann relativ früh in der darauffolgenden Spielzeit 1986/87 Kessler als Chefcoach ab, ich habe also Christophs erste Schritte in seiner Trainerkarriere miterlebt.“

Lehnhoff über Daum: Wir hatten unsere Probleme

Der gebürtige Alsdorfer war zwar zunächst Stammspieler unter Daum, „aber wir hatten auch unsere Probleme“. Im September 1987 wechselte der damals 24-jährige Mittelfeldspieler nach Belgien zu Royal Antwerpen, wo er sieben Jahre sehr erfolgreich spielte. „Als Christoph und ich uns neun Jahre später in Leverkusen also wieder begegneten, sprachen wir uns erst einmal kurz aus. Wir wollten alles aus der Kölner Zeit vergessen und jetzt einfach wieder neu starten.“

Schon im Trainingslager in Südtirol schwor Daum die Mannschaft auf einen Neubeginn ein. Eine Teamsitzung ist Lehnhoff dabei in besonderer Erinnerung geblieben. „Christoph sagte uns, wie er uns einschätzt, wo wir stehen, wo wir hinwollen. Er redete eine Stunde lang, und normalerweise schalten Spieler bei so langen Mannschaftssitzungen irgendwann ab. Aber als wir nach dieser Stunde aufstanden, dachten wir, wir werden Deutscher Meister.“ Daum, der große Motivator, hatte seine Mannschaft wieder einmal mitgerissen. Das Team, in dem die Neuzugänge Jens Nowotny, Niko und Robert Kovac, Jan Heintze und Erik Meijer von Beginn an eine ganz wichtige Rolle spielten, war angefixt.

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Die Geburtsstunde einer besonderen Mannschaft

Aber Daum fand nicht nur die richtigen Worte. Rudi Völler, der damals gerade seine aktive Spielerkarriere beendet und als Sportdirektor bei Bayer begonnen hatte, betont: „Christoph hat damals hier viel verändert in den Abläufen und der Struktur. Alles konzentrierte sich nur noch aufs Profiteam. Callis (Reiner Calmund, A.d.R.) Entscheidung, ihn zu holen, war ein Meilenstein in der Entwicklung von Bayer 04.“

Daum sorgte etwa dafür, dass die zweite Mannschaft, die bislang im selben Kabinentrakt untergebracht war wie die Profis, woanders unterkommen musste. „Mich hatte das eigentlich nie gestört. Aber jetzt, als wir unter uns waren, merkte ich, wie wichtig diese Ruhe und Fokussierung war“, sagt Lehnhoff. „Alles wurde viel professioneller.“

Gleich das Auftaktspiel der neuen Bundesliga-Saison zeigte auf beeindruckende Weise, wie viel frischer Wind plötzlich unterm Bayer-Kreuz wehte. Der damals aktuelle Deutsche Meister Borussia Dortmund wurde mit begeisterndem Offensivfußball besiegt. Daum sagte später einmal über dieses Spiel: „Unser 4:2-Sieg gegen die Dortmunder war die Geburtsstunde einer besonderen Mannschaft. Einer Mannschaft mit Spielern wie Hans-Peter Lehnhoff – er war enorm bedeutsam für uns.“

Schon nach sieben Minuten führte Bayer 04 durch Tore von Paulo Sergio und Ulf Kirsten mit 2:0. Lehnhoff: „Ich hatte die Sonderaufgabe, Andreas Möller aus dem Spiel zu nehmen. Er sollte mir hinterherlaufen, nicht ich ihm. Der Schachzug ist perfekt aufgegangen. Wir hatten eine unglaubliche Power in diesem ersten Spiel. Die harte Arbeit im Trainingslager machte sich bezahlt. Wir haben uns auch vom zwischenzeitlichen Ausgleich der Dortmunder nicht beeindrucken lassen, sondern sind nach der Halbzeit wieder direkt voll draufgegangen. Es war ein Riesen-Spiel von uns. Eines der besten in dieser Saison. Der Funke ist schon hier auf die Fans übergesprungen.“

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Die älteste Flügelzange der Welt

Auf den 4:2-Sieg folgte ein 3:1-Auswärtssieg beim MSV Duisburg – durch drei Tore des unter Daum wieder aufgeblühten Ulf Kirsten. Auch die anschließenden Niederlagen gegen Fortuna Düsseldorf (0:1) und beim FC Bayern (2:4) brachten die Truppe nicht aus dem Takt. Denn neben der großen fußballerischen Qualität im Kader sorgten auch regelmäßige Mannschaftsabende im privaten Kreis für einen besonderen Teamspirit. „Auch Christoph Daum und sein Co-Trainer Roland Koch trugen zur guten Atmosphäre bei. Sie haben es verstanden, immer alle bei Laune zu halten, haben Power und Farbe reingebracht“, sagt Lehnhoff.

Nach dem 2:4 in München am vierten Spieltag folgten zehn Spiele ohne Niederlage (7 Siege, drei Unentschieden), darunter ein spektakuläres 5:3 gegen den SC Freiburg, bei dem Lehnhoff ein herrlicher Treffer nach einem 50-Meter-Sololauf gelang. Der damals schon 33-Jährige ließ auf der rechten Seite immer noch viele jüngere Gegenspieler alt aussehen. Genauso wie auf der anderen Seite sein gleichaltriger Mannschaftskollege Jan Heintze. „Die älteste Flügelzange der Welt“, nannte Daum die beiden spaßeshalber. „Wir zählten eigentlich zum alten Eisen, aber wir haben eben sehr professionell gelebt, auf die richtige Ernährung geachtet und waren topfit“, sagt Lehnhoff mit einem Schmunzeln. Die zwei Routiniers zählten mit zusammen 18 Assists zu den Top-Vorbereitern dieser Saison.

Und vorne traf Ulf Kirsten wie in besten Zeiten, holte sich am Ende mit 22 Treffern zum zweiten Mal die Torjägerkanone. Paulo Sergio stand ihm mit 17 Toren kaum nach. Hinten bildeten Torhüter Dirk Heinen und die meist in Dreierkette spielenden Verteidiger Markus Happe, Christian Wörns und Kapitän Jens Nowotny eine stabile Abwehr, vor der Carsten Ramelow und Niko Kovac oder der Brasilianer Zé Elias als Sechser agierten. Einen klassischen Spielmacher gab es nicht.

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Eine Lehrstunde für die Bayern

Dass Bayer 04 ausgerechnet mit dem 4:2-Derbysieg gegen den 1. FC Köln am 16. Spieltag zum ersten (allerdings auch einzigen) Mal die Tabellenführung übernehmen konnte, passte wunderbar ins Bild. Hätte Dariusz Wosz am letzten Hinrunden-Spieltag nicht eine Minute vor Schluss den 2:2-Ausgleich für den VfL Bochum erzielt, wäre die Werkself als Herbstmeister in die Winterpause gegangen.

„Wir waren happy und genossen diese tolle Hinrunde, aber von der Meisterschaft hat keiner geträumt“, sagt Lehnhoff im Rückblick. „Unser offensiver Fußball, den wir vor 25 Jahren gezeigt haben mit einem hohen Pressing, war sehr modern. Sicher war es für uns von Vorteil, dass wir damals nicht international spielten, sondern wir uns voll auf das Training konzentrieren und ausgiebig mit dem nächsten Gegner beschäftigen konnten.“

Welch einen Angriffswirbel die Werkself entfachen konnte, das erfuhren auch die Bayern Anfang März 1997 am eigenen Leib. Der 5:2-Sieg gegen die Münchner zählt bis heute zu den größten Spielen der Leverkusener in der Bundesliga. Dabei musste Christoph Daum verletzungsbedingt auf seine Stürmer Ulf Kirsten und Erik Meijer verzichten. Auch Hans-Peter Lehnhoff fehlte gelb-gesperrt – das einzige Mal in dieser Saison. Doch auch die neu ins Team gekommenen Zé Elias, René Rydlewicz und vor allem Markus Feldhoff fügten sich prächtig ein.

Schon zur Pause führte Schwarz-Rot vor 22.500 restlos euphorisierten Zuschauern im Ulrich-Haberland-Stadion mit 3:0. „Die Leverkusener lieferten in der ersten Halbzeit den Bayern eine Lehrstunde in Sachen Aggressivität, Spielwitz und Raumaufteilung“, schrieb der Kicker damals. Die Bayern kamen zwar in der zweiten Hälfte noch einmal auf 2:3 heran, aber der überragende Feldhoff machte in der Schlussphase mit seinen Treffern zwei und drei alles klar. „Es war ein Wahnsinnsspiel“, erinnert sich Lehnhoff.

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Vom Abstiegskandidaten zum Meisterschaftsanwärter

Nur drei Tage später zeigte sich allerdings, dass der Mannschaft hin und wieder Stabilität fehlte. Mit derselben Startformation wie gegen die Bayern verlor die Werkself beim TSV 1860 München mit 0:3. „Wir fingen uns dann schnell wieder und blieben weiter oben dran. Aber letztlich fehlten uns doch ein, zwei Kleinigkeiten für ganz oben“, beschreibt Lehnhoff die Situation im Frühjahr 1997. Dennoch: Was für eine Wandlung der Klub innerhalb von wenigen Monaten hingelegt hatte – vom Abstiegskandidaten zum Meisterschaftsanwärter. Mit einem wichtigen 2:1-Sieg beim VfB Stuttgart unter Trainer Joachim Löw hatte man sich am 28. Spieltag einen direkten Konkurrenten um einen Platz unter den Top 3 vom Leib gehalten.

Nach dem 3:0-Erfolg über den FC St. Pauli, bei dem Lehnhoff, der im Klub auf den Namen „Peter“ hört, nicht nur wegen eines Treffers einmal mehr zu den besten Leverkusenern zählte, rückte das Daum-Team zwei Spieltage vor Saisonende sogar bis auf einen Punkt an Tabellenführer Bayern München heran. Und reiste am 33. Spieltag zum Derby nach Köln. Lehnhoff: „Schade, dass Dirk Heinen in der Partie schon früh ein Stockfehler unterlief und er sich deshalb nur noch mit einem Foul zu helfen wusste, Toni Polster verwandelte den Elfmeter zum 1:0 für die Kölner. Danach war bei uns der Wurm drin.“ Am Ende setzte es eine deutliche 0:4-Niederlage beim ungeliebten Nachbarn.

Die Chance auf die Meisterschaft war damit zwar verspielt, aber weil der Tabellendritte Dortmund zeitgleich beim Hamburger SV verlor, hatte Bayer 04 Platz 2 auf jeden Fall sicher. Und damit erstmals das Ticket für die Qualifikation zur Champions League gelöst. „Das war sensationell und hat dem Klub einen riesigen Schub gegeben“, sagt Lehnhoff. Nach dem letzten Saisonspiel, einem 2:0-Sieg gegen den VfL Bochum, wurde die erste deutsche Vizemeisterschaft und damit die Chance auf die Teilnahme an der Königsklasse ausgiebig mit den Fans im Ulrich-Haberland-Stadion gefeiert.

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„Eines meiner besten Spiele überhaupt“

Die Anhänger durften dann zweieinhalb Monate später einen 6:1-Sieg im Qualifikationshinspiel gegen Dinamo Tiflis bejubeln. Lehnhoff gerät heute noch ins Schwärmen: „Für mich war das mein wichtigstes internationales Spiel für Bayer 04. Und sicher auch eines meiner besten Spiele überhaupt. Wir wollten unbedingt im Konzert der großen Klubs mitmischen. Und dieses Duell gegen Tiflis sollte der Türöffner sein. Die Anspannung war enorm. Und dann legten wir zu Hause eine Riesen-Partie hin. Wir haben Dinamo an die Wand gespielt. Und Tiflis hatte eine richtig gute Mannschaft. Die Erwartungshaltung unserer Fans war trotzdem sehr hoch. Ich machte dann mit einem Freistoß schon nach sechs Minuten das 1:0 und legte später noch einmal Erik Meijer ein Tor auf. In der zweiten Hälfte spielten wir uns in einen Rausch.“

Im Rückspiel konnte sich Bayer 04 eine 0:1-Niederlage in der georgischen Hauptstadt leisten und war damit erstmals für die Gruppenphase in der Champions League qualifiziert. „Ich bin stolz darauf, dass ich zu der Mannschaft gehörte, die vor 25 Jahren die Basis gelegt hat für den internationalen Aufschwung von Bayer 04“, sagt Peter Lehnhoff. „Aber ohne Christoph Daum wären wir nicht da, wo wir jetzt stehen. Das ist auch sein Verdienst.“

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