Visio­när und Macher mit spit­zer Zunge

Jür­gen von Einem wird 85

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Mit einer simplen, salopp formulierten Frage nahm 1992 alles seinen Lauf. „Möchten Sie in diesem Unternehmen nicht mal etwas tun, das Spaß macht?“, habe der Vorstandsvorsitzende Dr. Manfred Schneider von ihm wissen wollen, erinnert sich Jürgen von Einem und muss schmunzeln, als er diese kleine Anekdote erzählt.: „Wenn Sie das in diesem Unternehmen für möglich halten, immer gerne“, habe er entgegnet. Von Einem sollte sich auf Wunsch von Dr. Schneider um die Sportförderung des Konzerns kümmern, die über 30 Vereinen zugutekam. In der Vergangenheit hatten sich die Vorstandsvorsitzenden der Bayer AG quasi noch nebenher mit dem Thema beschäftigt. Nun, da der Sportbereich innerhalb des Unternehmens so groß geworden war, wollte man das Ganze professioneller angehen.

Sportbeauftragter des Vorstands, so lautete die offizielle Job-Bezeichnung von Jürgen von Einem. Dass der 1938 in Heidelberg geborene Sohn eines Bundeswehrgenerals dafür prädestiniert war, lag auf der Hand. Von Einem hatte in der Schweiz ein Sportstudium abgeschlossen und war danach in den Journalismus gegangen. Bis 1972 hatte er beim Hamburger Abendblatt das Sport-Ressort geleitet. Er berichtete unter anderem von den Olympischen Spielen 1968 in Mexiko und von der WM zwei Jahre später im selben Land. Von Einem nutzte dort die Gelegenheit, um Kontakte zu deutschen Firmen in Lateinamerika zu knüpfen. So zog es ihn nach 1972 nach den Olympischen Spielen in München vom Hamburger Abendblatt für fünf Jahre nach Mexiko, wo er Leiter der Abteilung Öffentlichkeitsarbeit bei VW Mexiko wurde. Nach einer Zwischenstation bei Metzeler Kautschuk, einer Bayer-Tochter in München, ging es 1979 schließlich nach Leverkusen zur Bayer AG. Hier war der inzwischen 41-Jährige in der Öffentlichkeitsabteilung für den Bereich Medien zuständig, ab 1988 als Direktor. 

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Zum 75-jährigen Jubiläum von Bayer Mexiko vor Ort: Jürgen von Einem (r.) mit Reiner Calmund auf der Mexiko-Tour von Bayer 04 im Jahr 1996.

Über die Frage von Dr. Manfred Schneider musste von Einem 1992 nicht lange nachdenken. Im für ihn neu geschaffenen Job als Sportbeauftragter machte er sich gleich ans Werk. Zog eine klare Trennlinie zwischen dem Profisport auf der einen und dem Amateur- und Breitensport auf der anderen Seite. „Ordnung und Strukturen schaffen“, das habe zunächst ganz oben auf der Prioritätenliste gestanden. Von Einem nahm eine nüchterne, neue unternehmerische Bewertung des Sportbereichs vor. 

Mit spitzer Zunge und feiner Ironie

Der große Gewinner war der Fußball. „Die Gelder des Konzerns stellen eine Werbeinvestition dar, zurück kommt ein Werbeeffekt, der den ‚Return on Investment‘ darstellt“, erklärte von Einem, der gerne pointiert, zuweilen auch provokant formuliert. Andere Sportarten, die keine internationale Werberesonanz nachweisen konnten, fielen durch den Rost. Boxen, Frauen-Handball, Tennis wurden „zurückgeführt in den Breitensport“. Ja, selbst beim Tennis konnte er, der diesen Sport so liebt und selbst ausübte, keine Ausnahme machen. „Wenn die Tennis-Bundesliga spielte, dann war das montags eine Randnotiz im Kölner Stadt-Anzeiger“, sagt von Einem, „dafür viel Geld auszugeben, machte keinen Sinn“. Alles Gefühlige, Sentimentale lag ihm fern. Also schränkte er die finanziellen Zuwendungen ein.

Dass die Betroffenen in den entsprechenden Abteilungen darüber nicht laut Hurra schreien würden, war ihm klar. Dass er Morddrohungen im Posteingangskorb fand, erschreckte ihn dann doch. Als Etat-Verantwortlicher für alle Bayer-Sportvereine, der zuständig ist für die gesamte Sportpolitik des Konzerns, machte man sich eben nicht nur Freunde. „Viele der Vereinsvorsitzenden, die ich gekappt habe, hatten ja leitende Funktionen im Unternehmen“, sagt von Einem. Er forderte deshalb die volle Rückendeckung durch den Vorstand der Bayer AG. Und bekam sie auch. Ein großes Boulevard-Blatt nannte Jürgen von Einem einmal „den mächtigsten Sport-Boss der deutschen Industrie“. Er selbst sah sich „als Wanderprediger in Sachen Sport innerhalb und außerhalb des Konzerns“.

In unserer alten Scheune hat Rudi Völler seinen Vertrag unterschrieben, ohne dass die Presse etwas davon mitbekam.

Als die großen strukturellen Fragen des Bayer-Sports geklärt waren, fokussierte sich von Einem auf den Fußball. Es gab viel zu tun Anfang der 90er-Jahre. Bayer 04 wollte weg vom Graue-Maus-Image. Dragoslav Stepanovic kam als Trainer und sollte für die durch Reiner Calmund berühmt gewordene „Zirkusluft in Leverkusen“ sorgen. Während der Bayer 04-Manager gerne deftig drauflos parlierte, bevorzugte der Sportbeauftragte der Bayer AG die spitze Feder, die feine, manchmal beißende Ironie. Über die Verpflichtung von Stepanovic sagte von Einem: „In den letzten Jahren sahen unsere Trainer immer so aus, als würden sie den Geschäftsbereich Kunststoffe leiten. Deshalb bin ich froh, dass wir Herrn Stepanovic haben“.

Wo Rudi Völler seinen Vertrag unterschrieb

Noch viel mehr freute sich von Einem über den Coup mit Rudi Völler. Die halbe Bundesliga war 1994 hinter dem Weltmeister her, der noch bei Olympique Marseille unter Vertrag stand. Aber Bayer 04 hatte den heißesten Draht zu Völler. Unter strengster Geheimhaltung wurde der begehrteste Kicker Deutschlands damals vom Flughafen Köln-Bonn in einen modern umgebauten Bauernhof in Köln-Widdersdorf chauffiert – das Zuhause von Birgit und Jürgen von Einem sowie deren Golden Retriever Billie. „In unserer alten Scheune hat Rudi seinen Vertrag unterschrieben, ohne dass die Presse etwas davon mitbekam“, erinnert sich von Einem verschmitzt lächelnd, „zwei Jahre später führten wir hier auch die finalen Vertragsgespräche mit Jens Nowotny“. Mit dabei waren jeweils auch Reiner Calmund und der damalige Fußball-Abteilungsleiter Kurt Vossen. Mit beiden arbeitete von Einem vertrauensvoll zusammen. Aber das letzte Wort darüber, ob etwas machbar war oder nicht, hatte immer er als Sportbeauftragter in enger Abstimmung mit Werner Wenning, dem damaligen Finanzchef des Vorstandes.

Die Zusammenstellung einer erfolgreichen Mannschaft für nachhaltigen sportlichen Erfolg war ein Baustein auf dem Weg hin zu einem anderen Bayer-Image. Schon 1995 bemerkte von Einem süffisant: „In letzter Zeit werden ja sogar verstärkt Kölner mit hochgeschlagenem Mantelkragen und Sonnenbrille in unserem Stadion gesichtet.“

Aus dem Ulrich-Haberland-Stadion wird die BayArena

Nicht weniger wichtig als das fußballerische Renommee waren dem innovativen Antreiber die Optimierung der Infrastruktur und eine Veränderung des Marketingkonzeptes. Von Einem forcierte die Modernisierung des Ulrich-Haberland-Stadions, in dem im Oktober 1996 ein McDonald’s Restaurant sowie ein Bayer 04-Fanshop im Bereich der Osttribüne eröffnet wurden. Nur knapp ein Jahr später folgte im Sommer 1997 die Einweihung der neuen Südtribüne, die nun die Geschäftsstelle, das BayArena-Restaurant, VIP-Logen und Konferenzräume beherbergte. „Wären wir 1996 in dieser Nervenschlacht gegen den 1. FC Kaiserslautern abgestiegen, wäre das der Super-GAU gewesen, dann hätten wir den Stadionausbau verschieben müssen“, erinnert sich von Einem an die auch für ihn schwerste Zeit unterm Bayer-Kreuz. Markus Münch sei Dank, konnte das Stadion planmäßig zu einer der modernsten Arenen „von europäischem Spitzenniveau“ ausgebaut werden. Der große Treiber dahinter war Jürgen von Einem. Früh erkannte er, dass es „eine Verschwendung von Grund und Boden großen Stils“ wäre, ein Stadion dieser Größenordnung nur einmal alle 14 Tage für ein Spiel zu nutzen. Die Umbenennung des Ulrich-Haberland-Stadions in BayArena im Juli 1998 war für den Sportbeauftragten der „konsequente Abschluss eines in der Fußball-Bundesliga neuartigen Gesamtkonzeptes, das die multifunktionale Nutzung des Stadions in eine neue Dimension erhebt“.

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Entscheidender Mann von der Idee bis zur baulichen Umsetzung: Jürgen von Einem im Lindner Hotel BayArena.

Traditionalisten unter den Bayer-Fans nahmen ihm die Umbenennung damals übel. Für von Einem aber stand fest, dass man den völlig veränderten Charakter der Anlage, die eben nicht mehr nur Sportstätte, sondern auch Geschäftsadresse sei, nicht mehr länger unter Ulrich-Haberland-Stadion habe verkaufen können. Der aus Marketinggründen neu gewählte Name sei in Anlehnung an das BayKomm (Bayer-Kommunikationszentrum) entstanden, die drei Buchstaben Bay fänden sich zudem in vielen Produktnamen des Unternehmens. Und Arena stehe für das neue, multifunktionale Konzept.

In dieses fügte sich als letzter Mosaikstein schließlich der Bau eines Vier-Sterne-Hotels hinter der Nordtribüne perfekt ein. Im Juni 1999 wurde das Lindner-Hotel nach zwölfmonatiger Bauzeit im Rahmen des EM-Qualifikationsspiels zwischen Deutschland und Moldawien (6:1) feierlich eröffnet. Ins Gästebuch trugen sich unter anderem der damalige DFB-Präsident Egidius Braun und DFB-Vizepräsident Franz Beckenbauer ein. Von der Idee über die Planung bis hin zur baulichen Umsetzung des Lindner-Hotels: Jürgen von Einem war als Sportbeauftragter der Bayer AG an allen Prozessen bis ins Detail hinein beteiligt.

Vorreiter mit Leistungszentrum und Kapitalgesellschaft

Gleiches gilt für den 1998 begonnenen Bau des Leistungszentrums am Kurtekotten. Von Einem kümmerte sich um das geeignete Grundstück, die Genehmigungsverfahren und die Konzeption eines neuen Zuhauses für den eigenen Fußball-Nachwuchs. „Als Norbert Drekopf, der damals als Leiter Zentrale Werksdienste für die Bayer-Immobilien zuständig war, mir ein Grundstück auf Kölner Stadtgebiet anbot, das direkt an der Bahn lag, sagte ich: ‚Wunderbar, das nehme ich, dann können die Eltern ihre Kinder in den Zug setzen, und die müssen nur noch ein paar Schritte bis zum Trainingsgelände gehen.‘“ Anfang 2000 wurde das Leistungszentrum eingeweiht – als erstes Nachwuchs-Leistungszentrum eines Bundesligisten überhaupt. Bayer 04 hatte damit eine Vorreiterrolle übernommen. Erst nach der verkorksten EM im Sommer 2000, bei der Deutschland in der Vorrunde ausgeschieden war, forderte der DFB die Klubs auf, die eigene Nachwuchsarbeit zu verbessern. Die Ausbildungseinrichtungen wurden ab der Saison 2002/2003 zu einer verpflichtenden Voraussetzung für die Lizenzierung der 36 Profiklubs der 1. und 2. Bundesliga.

Als folgerichtige Entwicklung im Rahmen zunehmender Professionalisierung betrachtet Jürgen von Einem auch die Ausgliederung der Fußball-Lizenzabteilung aus dem Gesamtverein TSV Bayer 04 Leverkusen und die gleichzeitige Gründung der Bayer 04 Leverkusen Fußball GmbH im April 1999. „Die wirtschaftliche Entwicklung in der Bundesliga ist so rasant, dass die Rechtsform eines eingetragenen Vereins nicht mehr aufrechterhalten werden kann”: So begründete der damalige TSV-Präsident Prof. Rudolf Casper den revolutionären Schritt. „Wir waren die Ersten in Deutschland, die eine Kapitalgesellschaft gegründet haben“, sagt von Einem. „Dazu waren unter anderem lange Gespräche mit DFB-Präsident Egidius Braun in dessen Haus in Aachen nötig, denn der Deutsche Fußball-Bund hatte bis dato nur eingetragenen Vereinen eine Lizenz für die Bundesliga erteilt.“ Bayer-intern hatte es in dieser Frage natürlich eine enge Absprache mit dem Management um Reiner Calmund, Wolfgang Holzhäuser und Rudi Völler sowie den Konzern-Verantwortlichen gegeben.

Noch heute ein Werkself-Fan

So visionär, so weitsichtig und kühl kalkulierend Jürgen von Einem seinen Job als Sportbeauftragter ausübte: Auch ein gesundes Traditionsbewusstsein war ihm nie abzusprechen. Die Rückkehr zum Löwen im Bayer 04-Logo zu Beginn der Saison 1996/97 etwa geht auch auf ihn zurück.

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Jürgen von Einem mit seiner Frau Birgit und Hund Sally.

Dass Bayer 04 bis Ende der 1990er-Jahre national wie international enorm an Werbewert, Anerkennung und Sympathie gewonnen und sich zu einem Topklub entwickelt hat, das hat Jürgen von Einem maßgeblich beeinflusst. Am 31. Dezember 1999 übergab er sein Amt als Sportbeauftragter der Bayer AG an Meinolf Sprink. Von Einem selbst war noch zwei Jahre Mitglied des Gesellschafterausschusses. Noch heute fiebert er bei jedem Spiel der Werkself mit – meist vom Fernsehsessel aus, weil er es nur noch selten in die BayArena schafft. 

Ein von ihm gerne zitierter Satz des griechischen Philosophen Sokrates lautet: „Wer glaubt, etwas zu sein, hat aufgehört, etwas zu werden.“ In diesem Sinne: Alles Gute zum 85. Geburtstag, lieber Jürgen von Einem!

Carro, Völler und Co. gratulieren von Einem

Fernando Carro, Vorsitzender der Geschäftsführung von Bayer 04: „Für alles, was ich seit 2018 über Jürgen von Einem gehört und gelesen habe, kann ich im Namen von Bayer 04 nur Danke sagen. Es hat mich sehr gefreut, dass ich ihn bei der Feier zu Reiner Calmunds 70. Geburtstag persönlich kennenlernen durfte, seitdem ist es immer ein Vergnügen, ihn bei Spielen unserer Werkself in der BayArena zu sehen. Zu seinem 85. gratuliere ich Jürgen von Einem von Herzen und wünsche ihm noch schöne und gesunde Jahre.“

Klaus Beck, seit 21 Jahren Präsident von Bayer 04, gratuliert dem ehemaligen Sportchef der Bayer AG, Jürgen von Einem, auch ganz herzlich: „Jürgen von Einem hat die Interessen des gesamten Bayer-Sports immer bestens vertreten. Seine klaren Analysen und sein strukturelles Vorgehen haben mir immer imponiert. Ich gratuliere ihm zum 85. Geburtstag ganz herzlich.“

Rudi Völler, aktuell DFB-Sportdirektor und derzeit pausierendes Mitglied des Gesellschafter-Ausschusses der Bayer 04 Fußball GmbH: „Ich hatte, nachdem die Entscheidung 1994 für Bayer 04 fiel, sehr früh Kontakt zu Jürgen von Einem. Im Haus der Familie von Einem in Köln-Widdersdorf besprachen und unterzeichneten wir schließlich meinen letzten Vertrag als Profi. Und Jürgen von Einem war schließlich auch 1996 gemeinsam mit Reiner Calmund und dem viel zu früh verstorbenen Fußball-Chef Kurt Vossen die treibende Kraft bei meiner Weiterverpflichtung als Sportchef. Jürgen hatte immer ein offenes Ohr für mich, mit seiner analytischen Art war er mir oftmals eine Hilfe. Ich wünsche ihm alles Gute und natürlich vor allen Dingen Gesundheit. Lieber Jürgen, es freut mich, dass ich nach meiner DFB-Zeit im Sommer 2024 im Gesellschafterausschuss neben Werner Wenning und Co. auch in Deinem Sinne wieder für Bayer 04 mitwirken kann.“

Reiner Calmund, langjähriger Manager und Geschäftsführer der Bayer 04 Fußball-Abteilung: „Jürgen von Einem hat als Sportchef der Bayer AG den Sportverein Bayer 04 Leverkusen maßgeblich geprägt. Er war der große Initiator bei der Ausgliederung der Bayer 04 Fußball-Lizenz-Abteilung in eine GmbH. Auch beim Stadion-Neubau 1996 und dem anschließenden Bau des Nachwuchsleistungszentrums Kurtekotten war er federführend. Jürgen war nicht nur mein Chef, er ist bis heute mein Freund, mehr noch: so etwas wie ein älterer Bruder. Er hat mir den besonderen Schliff verpasst und mich auch privat auf den richtigen Kurs gebracht.“