Trans­fers: Reges Kom­men aus Bochum, gro­ßes Gehen zur For­tuna

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Spieler werden verpflichtet, Spieler werden abgegeben: 294 Profis haben in 40 Jahren Bundesliga das Trikot von Bayer 04 getragen. Aber von welchem Verein kamen die meisten? Und wohin gingen besonders viele? Wir haben uns mal die Transferströme der vergangenen vier Jahrzehnte angeschaut und mit Reiner Calmund und Rudi Völler über mögliche Gründe gesprochen.

Lucio, Ze Roberto, Robert Kovac, Jorginho oder auch Michael Ballack: Wenn Bayern-Manager Uli Hoeneß zum Hörer griff und Reiner Calmund anrief, dann verhieß das meist nichts Gutes. Insgesamt acht Spieler wechselten in der Amtszeit des heute 70-Jährigen vom Rhein an die Isar, im Gegenzug flossen über 40 Millionen Euro nach Leverkusen. „Verhandlungen mit Uli haben immer weh getan“, verrät Reiner Calmund. „Da klatscht du nicht Beifall, wenn es ernst wurde. Aber es lief immer fair und anständig ab.“

Der FC Bayern bekam Spieler, die unterm Bayer-Kreuz zu Weltklasse-Akteuren gereift waren; und Bayer 04 hatte einen größeren finanziellen Spielraum, um die eigene Mannschaft weiterzuentwickeln. Calmund nahm es stets sportlich und akzeptierte die Bedingungen der besonderen Marktwirtschaft in der Bundesliga. „Man darf sich nicht über die Bayern ärgern, wenn man beispielsweise mit den Bochumern ähnlich verfährt.“

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Der erste Top-Transfer aus Bochum: Dieter Bast (hier mit Trainer Dettmar Cramer) kam 1983 zu Bayer 04 und war ein Libero der gehobenen Güte.

Allerdings mit vertauschten Rollen: Insgesamt elf Spieler verließen die Castroper Straße, um an der Bismarckstraße mehr Geld zu verdienen und andere sportliche Ziele ins Visier zu nehmen. Elf Spieler, eine ganze Startformation, allerdings verteilt über fast 25 Jahre. Kein anderer Verein gab mehr Spieler Richtung Leverkusen ab. Der VfL Bochum 1848 ein Farmteam, ein Ausbildungsverein für Bayer, jedoch ohne Vertragsbindung.

Der VfL wollte und brauchte Transfers

Aber woran liegt das? Vielleicht an der Nähe? Die BayArena und das Ruhrstadion trennen gerade einmal gut 70 Kilometer. Paul Freier und auch Sascha Lewandowski blieben beispielsweise in Bochum wohnen, während sie ihre Brötchen in Leverkusen verdienten. Oder an dem schmucken Stadion an der Castroper Straße, wo es laut Bochumer die beste Currywurst der Liga gibt und wo man so nah dran am Geschehen ist. Erkannten dort unsere Scouts vielleicht mehr als in anderen Stadien. Reiner Calmund favorisiert einen anderen Erklärungsansatz: „Der VfL wollte und brauchte Transfers.“ Vor allem in den 80er und 90er Jahren waren die Bochumer darauf angewiesen, ihre besten Spieler zu verkaufen. Eingeklemmt zwischen den beiden Traditionsvereinen FC Schalke 04 und Borussia Dortmund und ohne einen Titel im Briefkopf, gehörten Transfers zum Business-Modell des VfL.

In den Jahren am Verhandlungstisch für die Blau-Weißen: Präsident Ottokar Wüst und Manager Hubert Schieth, später dann Klaus Hilpert. Für Schwarz-Rot anwesend: Reiner Calmund und der 2010 verstorbene Günter W. Becker, langjähriges Vorstandsmitglied der Bayer AG und großer Förderer der Fußballer von Bayer. „Wenn es bei den Zahlen schwierig wurde und es hakte, hat Herr Becker ein bisschen was draufgepackt. Und schon lief die Sache geschmierter. Der Transfer stand“, sagt Calmund.

 

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Die wohl beste Verpflichtung aus Bochum: Christian Schreier trug 1988 erheblich zum Gewinn des UEFA-Cups bei.

Dieter Bast, Christian Schreier, Martin Kree oder Jupp Nehl: Sie alle verlagerten ihren Fußball-Mittelpunkt so über die A43 und die A1 an den Rhein. „Allesamt sehr wichtige Spieler für uns in der damaligen Zeit.“ Bast war für den XXL-Manager einer der Top-3-Liberos in Deutschland, mit Schreier gewann Bayer 04 1988 den UEFA-Cup und Kree sowie Nehl waren am DFB-Pokalsieg 1993 „wesentlich beteiligt“, so Calmund. „Diese Verhandlungen liefen sehr einvernehmlich ab.“

Das ändert sich jedoch, als Werner Altegoer das Zepter bei den lange „Unabsteigbaren“ übernahm. Gerade mit den Transfers von Yildiray Bastürk (2001) und Paul Freier (2004) war der Rohstoffhändler aus dem Ruhrgebiet „überhaupt nicht einverstanden“, erinnert sich Calmund, der den damaligen Patriarchen des VfL, der 2013 verstarb, sehr schätzte. „Er war immer mit viel Herzblut dabei. Eckig, knurrig, aber mit einem großen Herz versehen. Ich habe seine Position zu 1000 Prozent verstanden.“ Doch am Ende waren die Argumente von Bayer 04 stichhaltiger. Die beiden Bochumer Jungen wurden Teil der Werkself.

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Sowohl für Blau-Weiß als auch Schwarz-Rot erfolgreich tätig: Trainer Klaus Toppmöller (hier mit Bernd Schneider).

Allerdings waren es nicht nur Spieler, die zwischen Leverkusen und Bochumer hin- und herpendelten, auch Trainer wechselten die Seiten. Jürgen Gelsdorf, Reinhard Saftig, Klaus Toppmöller, Robin Dutt, Heiko Herrlich oder Sascha Lewandowski trugen sowohl das Bayer-Kreuz als auch das VfL-Wappen auf der Brust. Vor allem Klaus Toppmöllers Performance an der Castroper Straße hatte es den Verantwortlichen von Bayer 04 angetan. „Er ist mit ihnen aufgestiegen und direkt in den UEFA-Cup“, erinnert sich Calmund. „Die Mannschaft hat begeisternden Fußball gespielt. Das Training war sehr gut, die Medienarbeit passte und auch wie er mit den Fans umgegangen ist, hat uns überzeugt.“ Toppmöller war auf dem Zettel – und wechselte nach einem Intermezzo beim 1. FC Saarbrücken 2001 zu Bayer 04.

Die Spieler wollten in Düsseldorf ihren Lebensraum bewahren

Während die Bilanz in Bezug auf den VfL Bochum 11:9 (Zugänge zu Abgänge) lautet, sieht es bei Fortuna Düsseldorf ganz anders aus. Lediglich 3 Spieler (Sven Demandt, Frank Juric und Robbie Kruse) wechselten den Rhein aufwärts nach Leverkusen, dafür gingen gleich 17 Werkself-Profis in die Landeshauptstadt. Für Reiner Calmund liegt der Grund auf der Hand: „Sie wollten ihren Lebensraum bewahren.“ Gerade einmal 45 Kilometer trennen das ehemalige Rheinstadion und die Arena an der Bismarckstraße. Die Spieler mussten nach dem Wechsel nicht umziehen, die Familien blieben im gewohnten Umfeld.

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Sie zog es von der Werkself zur Fortuna: Andrzej Buncol (links) und Sven Demandt. Stürmer Demandt war auch aus Düsseldorf gekommen.

Grund Nr. 2: „Zu den handelnden Personen im Vorstand bestand fast ausnahmslos eine gute Verbindung.“ Von Werner Faßbender, der fast ein Vierteljahrhundert für die Fortuna als „Erster alles“ tätig war, über die langjährigen Vorstandsmitglieder Peter Frymuth und Paul Jäger bis zum Manager Wolf Werner. So konnten viele Spieler im Herbst ihrer Karriere (wie Schreier oder Andrzej Buncol), oder weil es bei Bayer 04 nicht ganz gereicht hat (wie bei Markus Anfang, Mike Rietpietsch oder Mario Tolkmitt), „bei der Fortuna ihr sportliches Glück finden“, so Reiner Calmund.

Während Calmund bis zu seinem Ausscheiden 2004 die Transfers von Bayer 04 verantwortete, übernahm Rudi Völler nach seiner Rückkehr aus Rom diese Rolle. Der Weltmeister von 1990 hatte Calli noch einige Jahre über die Schulter schauen dürfen, ab 2005 war er dran. Auch wenn zwischen 2006 und 2014 fünf Spieler vom 1. FC Nürnberg zu Bayer 04 wechselten und im ähnlichen Zeitraum (2006-2015) ebenfalls fünf HSV-Profis in Leverkusen anheuerten, ist das für Völler eher Zufall. „In erster Linie sucht man nach Positionen. Wenn Kaderplätze frei werden oder man die Notwendigkeit für eine Veränderung erkennt, wird der Markt gescannt.“ Dabei sind selbstverständlich persönliche Kontakte von großer Bedeutung. Das gilt jedoch nicht nur für die zu anderen Vereinsverantwortlichen, auch Berater und Scouts sind über die Jahre immer relevanter geworden.

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Lang ist's her: Theofanis Gekas war 2007 der vorletzte Transfer aus Bochum.

Für Völler ebenfalls bedeutsam in dieser Frage: „Die Spieler sind heutzutage viel mobiler und flexibler. Das bringt der Markt so mit sich.“ Auch internationale Transfers gewinnen sukzessive an Bedeutung. „Alles ist vernetzter. Man bekommt viel mehr Informationen und geht systematischer vor. Das erleichtert die Entscheidungsfindung.“ Natürlich könne es immer mal vorkommen, dass Vereine mit guter Jugendarbeit mehr auf dem Radar sind, aber ein Muster kann Völler nicht erkennen.

Ein Blick auf die jüngere Wechselhistorie stützt die These des ehemaligen Sportdirektors und jetzigen Geschäftsführers Sport. Denn der letzte Spieler, der vom VfL Bochum zu Bayer 04 gewechselt ist, war Tomasz Zdebel. Und das ist schon zehn Jahre her. Kein gutes Zeugnis für ein Farmteam…

Die meisten Wechsel zu Bayer 04:

VfL Bochum 1848 (11) – Ulrich Bittorf, Dieter Bast, Wolfgang Patzke, Christian Schreier, Martin Kree, Jupp Nehl, Zoran Mamic, Yildiray Bastürk, Paul Freier, Theofanis Gekas, Tomasz Zdebel

1. FC Nürnberg (10) – Alois Reinhardt, Anders Giske, Robert Kovac, Jacek Krzynowek, Stefan Kießling, Vratislav Gresko, Angelos Charisteas, Philipp Wollscheid, Josip Drimic, Thorsten Kirschbaum

Hamburger SV (9) – Wolfgang Rolff, Manfred Kastl, Hans Jörg Butt, Ingo Hertzsch, Sergej Barbarez, Sidney Sam, Heung-Min Son, Hakan Calhanoglu, Jonathan Tah

danach: 1. FC Köln (7), Eintracht Frankfurt (6), Borussia Dortmund, Hertha BSC und SC Freiburg (jeweils 5)

Die meisten Wechsel von Bayer 04:

Fortuna Düsseldorf (17) – Uwe Greiner, Rudolf Wojtowicz, Jürgen Luginger, Sven Demandt, Christian Schreier, Andrzej Buncol, Thorsten Judt, Markus Anfang, Holger Fach, Mike Rietpietsch, Mario Tolkmitt, Thorsten Nehrbauer, Andreas Gellert, Sascha Dum, Fabian Giefer, Michael Rensing, Joel Pohjanpalo

Eintracht Frankfurt (13) – Ralf Falkenmayer, Thomas Reichenberger, Dirk Heinen, Christoph Preuß, Du-ri Cha, Ingo Hertzsch, Jermaine Jones, Pirmin Schwegler, Theofanis Gekas, Constant Djakpa, Bastian Oczipka, Stefan Reinartz, Danny da Costa

danach: 1. FC Nürnberg, Hannover 96 und SC Fortuna Köln (jeweils 11), Borussia Mönchengladbach (10), Hertha BSC, VfL Bochum und MSV Duisburg (je 9)

Quelle: transfermarkt.de