Abschied einer Kory­phäe

Sven Elsin­ger

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13 Jahre lang war Sven Elsinger der Mann, der auf den Platz lief, wenn sich ein Werkself-Spieler verletzte. Nun scheidet der Leitende Physiotherapeut von Bayer 04 aus. Über einen, der für den Verein Maßstäbe gesetzt hat – und dabei immer gerne im Hintergrund blieb.

Michael Ballack hätte viele aussuchen können. Beim FC Bayern, dem FC Chelsea oder der deutschen Nationalmannschaft hatte der Weltklassespieler schließlich mit einigen herausragenden Physiotherapeuten zu tun. Doch als es darum ging, wer bei seinem Abschiedsspiel in Leipzig 2013 für die Betreuung der Spieler auf der Bank sitzen soll, da wählte er Sven Elsinger.

Es ist eine dieser Geschichten, die Sven wahrscheinlich nicht gerne selbst erzählen würde. Dafür ist der langjährige Chef-Physio von Bayer 04 viel zu bescheiden. Wenn er davon berichtet, wie er beim letzten Heimspiel gegen Union Berlin gemeinsam mit Lars und Sven Bender auf dem Rasen verabschiedet wurde, dann spricht er nur davon, dass er „den beiden gewünscht hätte, dass sie ein bisschen Publikum abbekommen“. Den beiden, nicht sich selbst.

„Am besten ist es immer, wenn man dich als Physiotherapeut gar nicht bemerkt“, sagt Sven. „Unauffällig im Hintergrund arbeiten, das war immer meine Philosophie.“ Und doch hätte er an diesem 33. Spieltag einen tosenden Applaus aus der Nordkurve mehr als verdient gehabt.

Vidal, Ballack, Havertz: Sven Elsinger behandelte alle

13 Jahre lang war er Leiter der physiotherapeutischen Abteilung von Bayer 04, 13 Jahre lang war er für die Betreuung der Lizenzspieler hauptverantwortlich, 13 Jahre lang war er der erste, der auf den Platz lief, wenn sich ein Werkself-Spieler verletzte. Über 500 Pflichtspiele hat er in dieser Zeit mitgenommen, nur fünf verpasst. Ob Arturo Vidal, Heung-min Son, Kai Havertz oder der angesprochene Michael Ballack – alle lagen mal auf Svens Bank. Spieler wie Simon Rolfes, Stefan Kießling oder Lars Bender hat er für einen beträchtlichen Teil ihrer Karrieren betreut. Wenn die Wade zwickte oder der Muskel zumachte, dann hieß der erste Ansprechpartner bei ihnen allen Sven Elsinger.

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Im Sommer 2008 stieß er zu Bayer 04, zuvor arbeitete er 16 Jahre lang für den DFB, betreute verschiedene U-Nationalmannschaften und nahm an zehn Welt- und Europameisterschaften teil. Seine Verpflichtung – für den Verein ein absoluter Glücksgriff. Ein Ruhepol, der auch dann unaufgeregt und sachlich blieb, wenn im mitunter wilden Profi-Business alles drunter und drüber ging.

Die Prävention als Fachgebiet

Die Versorgung auf dem Platz und auf der Massagebank machte dabei nur einen kleinen Teil von Svens wertvoller Arbeit bei Bayer 04 aus. Er sorgte dafür, dass Verletzte nach den Reha-Maßnahmen in der Werkstatt wieder fit für das Mannschaftstraining gemacht wurden, behandelte kleinere Blessuren, stand zudem jeden Tag eng mit dem Cheftrainer im Austausch. Und egal, ob der nun Jupp Heynckes, Roger Schmidt oder Peter Bosz hieß – alle bauten auf seine Expertise. „Dass die Trainer mir immer das Vertrauen entgegengebracht haben“, sagt Sven, „dafür bin ich sehr dankbar“.

Irgendwo war es aber auch logisch. Denn auf seinem Gebiet ist Sven, der auch einen Trainerschein besitzt, ein absoluter Fachmann. Kaum jemand kennt sich besser aus mit Fußballer-Verletzungen als er. Wie man sie behandelt, aber auch – ein enorm wichtiger Teil seiner Arbeit – wie man sie verhindert. Die Präventionstherapie ist eines seiner Fachgebiete – und Sven die Triebfeder für die Etablierung im Verein.

„Er hat die moderne Physiotherapie bei uns eingeführt“

„Er hat die moderne Physiotherapie bei uns eingeführt“, sagt Dr. Karl-Heinrich Dittmar, Leitender Mannschaftsarzt und Direktor Medizin bei Bayer 04. Mit Svens Ankunft im Jahr 2008 wurde in der medizinischen Abteilung eine Zeitenwende eingeleitet, am Aufbau der neuen Abteilung, die bis heute Maßstäbe setzt, war er „essenziell beteiligt“, berichtet Dr. Dittmar.

Ich durfte 13 Jahre lang meinen Traumjob machen.

Maßstäbe gesetzt hat der gebürtige Hesse aber nicht nur in der Arbeit mit den Spielern, sondern auch in der Weiterbildung junger Physiotherapeuten. „Es gab Physios“, sagt Dr. Dittmar, „die kamen gar nicht unbedingt zu uns, weil wir Bayer 04 und ein großer Name sind, sondern weil sie bei Sven etwas lernen wollten.“ In der Branche der Sport-Physiotherapie ist Sven Elsinger ein Name, den die meisten in Deutschland kennen. Immer wieder hatte er auch Angebote von anderen Vereinen – aber Sven hielt Bayer 04 stets die Treue.

Bayer 04 als „Traumjob“

„Ich durfte 13 Jahre lang meinen Traumjob machen“, erklärt er selbst. „Daran werde ich immer zurückdenken.“ Besonders natürlich an die großen Highlights. Die beiden DFB-Pokal-Endspiele in Berlin und vor allem die Champions-League-Spiele mit Bayer 04. „Wenn dann die Hymne läuft in den großen und bekannten Stadien, die man nur aus dem Fernsehen kennt, wenn man da auf einmal selbst dabei ist, das ist schon beeindruckend“, schwärmt Sven.

Aber zurückdenken wird er eben auch an die vielen kleinen Highlights. An die Spieler, die nach langer Verletzungspause mit viel Arbeit wieder an die Mannschaft herangeführt werden. „Wenn der dann wieder auf dem Platz steht“, sagt Sven, „das macht den Spaß an der Arbeit aus“.

Momente, die Sven jetzt, das sagt er selbst, vermissen wird. Doch für seinen Abschied nach 13 Jahren gibt es gute Gründe. Um die 200, um genau zu sein. Denn so viele Kilometer musste er oft mehrfach in der Woche fahren, um nach Leverkusen zu kommen. Sven kommt aus Groß-Gerau in der Nähe von Frankfurt. Dort, in seiner Heimat, hat er gemeinsam mit seiner Frau eine physiotherapeutische Praxis. Während seiner gesamten Zeit bei Bayer 04 hatte er also zwei Tätigkeiten – und zwei Wohnorte. Mal schlief er in Leverkusen, mal ging es aber auch morgens um 5 Uhr auf die Autobahn und am gleichen Abend wieder zurück. Dazu die vielen Auswärtsspiele in Deutschland und Europa – für den Traumjob bei Bayer 04 musste Sven auch viele Opfer bringen.

Jetzt geht es vom Stall in die Scheune

Am 30. Juni endet Svens Vertrag bei Bayer 04 nun offiziell – aber niemals geht man so ganz. In beratender Funktion wird er dem Verein weiter zur Seite stehen und auch personell wird sein Vermächtnis fortgesetzt: Sein Nachfolger Fritz Gard ist nämlich einer der vielen Physiotherapeuten, die Sven einst in den Stab von Bayer 04 holte und dort weiterbildete. Zwischenzeitlich arbeitete Gard in Zürich und in Hoffenheim, jetzt kehrt er zurück nach Leverkusen – einer aus dem Elsinger-Stall also.

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Für Sven hingegen geht es nun vom Stall in die Scheune. Nahe seiner alten Praxis im Groß-Gerauer Stadtteil Dornheim hat er in den letzten Monaten einen Bauernhof umgebaut in ein Physiotherapie- und Trainingszentrum, das Dr. Dittmar als „gigantisch“ bezeichnet. „Das ist vom allerfeinsten, da werden wir uns bei Bayer 04 für zukünftige Planungen auch die ein oder andere Idee herausholen.“

„Elsinger’s Scheune“ heißt das Zentrum, dem Sven nun noch mehr Aufmerksamkeit widmen kann. Und wenn ihm dann doch mal langweilig werden sollte, gäbe es ja noch eine andere Idee für die Zukunft. „In meiner Zeit bei Bayer 04 habe ich so viel erlebt“, sagt Sven, „darüber könnte man Bücher schreiben.“ Wir würden sie lesen.