Spitznamen haben überall und seit jeher Konjunktur – im Fußball wie im richtigen Leben. Das ging schon früh los: „Boss“ Rahn, „Pille“ Gecks, „Ente“ Lippens, „Bulle“ Roth, „Bomber“ Müller. Auch bei der Werkself ist in den vergangenen Jahrzehnten in dieser Hinsicht einiges zusammengekommen an schmückenden Zusatznamen. Oft leiten sie sich einfach nur vom Namen ab und liegen somit auf der Hand: „Emma“ bei Emerson etwa, „Lupo“ bei Ioan Lupescu, „Balle“ bei Michael Ballack oder „Berbo“ bei Dimitar Berbatov. Interessanter wird es da schon, wenn die Spitznamen eine Geschichte zu erzählen haben. Und da hat es in 40 Jahren Bundesliga bei Bayer 04 so einige gegeben, deren Herleitung durchaus einer Erklärung bedürfen. Elf von ihnen haben wir mal genauer unter die Lupe genommen.
Beginnen wir mal mit der aktuellen Werkself-Besatzung. Einen treffenderen Beinamen hätte sich Joel Pohjanpalo wohl auch kaum träumen lassen. Und das gleich in doppelter Hinsicht. Optisch rührt „Danger“ bekanntermaßen daher, dass unser finnischer Mittelstürmer eine verblüffende Ähnlichkeit mit dem Schauspieler Max von der Groeben aufweist, der in den „Fack Ju Göthe"-Filmen die Rolle des Daniel „Danger" Becker spielte. Dazu passt der Name natürlich auch inhaltlich wie angegossen für einen Profi, der für Gefahr in gegnerischen Strafräumen steht und sorgt.
Der Spitzname unseres österreichischen Keepers klingt martialisch, und man fragt sich unwillkürlich, was der Torhüter denn wohl mit Sylvester Stallone und seiner Filmrolle zu tun haben möge. Der Auslöser zumindest war eher banal, wenn man der Erklärung Ramazan Özcans folgt: „Ich war 13 Jahre alt, mein Jugendtrainer hat mir den Namen gegeben, weil ihm mein Vorname zu lang war. Ich war damals schon ein positiv verrückter Typ im Training, deshalb ist irgendwann der Name ‚Rambo‘ gefallen. Das wurde dann beibehalten. Selbst die Professoren an der Handelsakademie, die ich absolviert habe, nannten mich so.“
Seinen Spitznamen hatte Stefan Beinlich schon früh weg. Im zarten Alter von acht Jahren bekam er ihn von seinem damaligen Trainer Helmut Koch verpasst. Weil es in der Juniorenmannschaft des BFC Dynamo 1980 mehrere Stefans und Steffens gab, hatte der Coach kurzerhand entschieden, dass Beinlich fortan nur noch „Paule“ genannt werden solle. „So hieß keiner – vor allem nicht in der DDR“, sagt der gebürtige Ost-Berliner Beinlich in der Rückschau. Der Name verselbstständigte sich schnell und hatte Bestand. Ob bei Hansa Rostock, Bayer 04, Hertha BSC oder dem Hamburger SV: Beinlich, der eigentlich mit ganzem Vornamen Stefan Kurt Martin heißt, war immer „Paule“.
Seit Jahr und Tag wurde Bernd Schneider nur „Schnix" gerufen – der Spitzname machte richtig Sinn und gefiel vor allem auch seinem Träger. Das Wort hat seinen Ursprung schließlich in dem Verb „schnixeln“, was so viel heißt wie dribbeln, austricksen, anschnibbeln. Passt also wie die Faust aufs Auge für den Spaßfußballer und Edeltechniker. Seit dem WM-Finale 2002 trug Schneider noch einen weiteren Beinamen. „Weißer Brasilianer" wurde der Ex-Profi seit der 0:2-Niederlage der deutschen Elf gegen Brasilien gerufen. Dem Vernehmen nach hat Bernds ehemaliger Teamkollege Emerson den Spitznamen erfunden, weil er „Schnix" nicht aussprechen konnte.
Auch mit mittlerweile 53 Jahren trägt der erfolgreichste Torjäger der Bayer 04-Historie seinen Spitznamen immer noch zu Recht. Seine Haare sind schließlich immer noch pechschwarz, das Aussehen immer noch ein wenig südländisch. „Ich bin immer noch für alle der Schwatte“, sagt Ulf Kirsten. „Die Allerwenigsten sagen Ulf. Aber damit habe ich nie ein Problem gehabt.“ Kirsten trug zu seiner Werkself-Zeit übrigens noch einen weiteren Beinamen, den er sich freilich mit einem anderen Ex-DDR-Profi teilen musste: „Motzki“ – weil er ebenso wie Matthias Sammer gern mal zum Granteln neigte.
Der Berliner bekam seinen Spitznamen einst von Ulf Kirsten verpasst, was auf der Hand lag, weil der junge Neuendorf 1995 bei einem Waldlauf mit der Werkself einst von einer Zecke gebissen wurde. „Wenn mich später im Spiel jemand Andreas rief“, sagte Neuendorf mal, „habe ich gar nicht mehr reagiert.“ „Zecke“ hatte er schließlich so sehr verinnerlicht, dass er den Namen auch auf seinem Trikotrücken haben wollte. Der DFB ließ das erst nicht zu – mit dem Hinweis, dass nur der im Personalausweis dokumentierte Name auf die Spielkleidung aufgeflockt werden dürfe. Der pfiffige Neuendorf fand schließlich heraus, dass ein Künstler seinen Künstlernamen in den Ausweis eingetragen bekommt. Also machte er sich mit Hilfe seiner töpfernden und malenden Ehefrau zum Kreativen, ließ zwei Leinwände auf die Staffelei stellen und erzeugte mit genialischem Strich die Ölgemälde „Gesicht“ und „Krickelkrakel“, beide 2001. Er signierte die Werke mit „Zecke“ und versteigerte sie auf einer eigens einberufenen Auktion. Anschließend stellte er sich samt Presseberichten über die Kunstauktion bei der Pass- und Ausweisstelle als der namhafte Maler Zecke vor. Sein neuer Name kam umstandslos in die Papiere. Seit 2002 lief Andreas Neuendorf als „Zecke“ in den Stadien auf.
Diese Herleitung bedarf keiner großen gedanklichen Transferleistung. „Atze“ steht berlinerisch für „Bruder“. Und wer als echter Berliner zu Bayer 04 kam, hatte diesen Spitznamen in früheren Jahren schnell mal weg: Klaus Schulze, Mitglied der 1979er-Aufstiegsmannschaft ebenso wie Thomas Zechel, der von 1983 bis 1988 das Werkself-Trikot trug. Rüdiger Vollborn oder Carsten Ramelow, ebenfalls in der Hauptstadt geboren und aufgewachsen, gehören zu der größeren Berliner Fraktion in Leverkusen, die davon verschont blieb.
Hier haben wir einen klassischen Fall des Eigen-Spitznamens. Christian Schreier jedenfalls hat sich den Beinamen „Hacki“ damals höchst selbst gegeben – in Anlehnung natürlich an den einstigen Mönchengladbacher Dauerläufer und Netzer-Adjutanten Herbert „Hacki“ Wimmer. Der Grund: Schreier war zunächst beim VfL Bochum und dann auch bei Bayer 04 als Mittelstürmer unterwegs, ehe er zum Mittelfeldspieler umfunktioniert wurde. „Toll, jetzt muss ich nur noch laufen, laufen, laufen“, stöhnte er mal halb im Scherz, „nennt mich ab sofort ruhig Hacki.“
Noch so ein Fall, wo sich der Namensträger zugleich als Urheber betätigte: „Ich war ja noch ein richtiger Straßenfußballer, und da hat früher jeder seinen Spitznamen gehabt.“ Überliefert ist zudem, dass sich der Jung-Profi Wollitz 1987 bei seinem Dienstantritt auf Schalke den gestandenen Kräften wie „Tanne“ Fichtel, Olaf Thon oder Rüdiger Abramczik mit diesen bescheidenen Worten vorstellte: „Ich heiße Claus-Dieter Wollitz, aber ihr könnt Pelé zu mir sagen.“ Als der forsche Wollitz 1988 für eine Saison in Leverkusen anheuerte, kam er bei seinen neuen Kollegen damit aber nicht ganz durch. „Pelé schien uns doch ein bisschen arg hochgegriffen“, erinnert sich Rüdiger Vollborn, „deswegen haben wir ihn nur ,Pelle' genannt.“
Happe, der 1993 mit Bayer 04 DFB-Pokalsieger wurde, trug seinen Spitznamen in Anlehnung an Jackie Charlton. Der hieß eigentlich John und war der ältere Bruder des legendären Bobby Charlton, der so etwas wie das englische Pendant zu Franz Beckenbauer war. Beide Charltons wurden 1966 mit England Weltmeister im eigenen Land. Dass Markus Happe in Leverkusen zum „Jackie“ wurde, war der extrem aufrechten Laufhaltung beider Defensivspieler geschuldet – ein wenig wirkte es immer so, als trügen sie einen Stock im Rücken.
Nomen est omen. Klaus Täuber, zweikampf- und ellenbogenstarker UEFA-Cup-Sieger 1988 mit der Werkself, lieferte Entstehung und Begründung einst im Interview mit dem Magazin „11 Freunde“: „Ich war immer ein Kämpfertyp. Aufgeben gilt nicht, das war mein Grundsatz. Mit 13 Jahren zog ich mir den ersten Schien- und Wadenbeinbruch zu, nur sieben Monate später den zweiten. Schon damals habe ich mir geschworen, dass ich nie mit einer Trage vom Platz getragen werde, sondern immer selbst raus marschiere. Diesen Kodex habe ich während meiner gesamten Karriere aufrechterhalten. Den Spitznamen »Boxer« hat mir der Journalist Alfred Draxler von der Bild-Zeitung verpasst, als er sah, wie ich im Training auf Schalke zur Sache gegangen bin. Außerdem erzählte ich ihm, dass ich am gleichen Tag Geburtstag habe wie Muhammad Ali. Von da an war nur noch von »Boxer Täuber« die Rede, das hat mir gehörig Respekt in der Liga verschafft.“