Vom Lea­der zum Mas­ter

Simon Rol­fes

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Der Übergang von der erfolgreichen Profikarriere in eine vielversprechende berufliche Laubahn abseits des Platzes verlief nahtlos bei Simon Rolfes. Der langjährige Kapitän der Werkself leitet zwei Unternehmen und hat jetzt noch ein besonderes UEFA-Studium abgeschlossen. Am Sonntag, 21. Januar, feiert unser Ehrenspielführer seinen 36. Geburtstag. Wir haben ihn vor kurzem in Eschweiler besucht.
„Einen Moment noch“, bittet Simon Rolfes, „lasst mich eben ein bisschen aufräumen“. Auf dem mächtigen Schreibtisch aus Massivholz, den er in Antwerpen erworben hat, stapeln sich die Aktenordner und Unterlagen. Der 35-Jährige hat offensichtlich gut zu tun. „Ich kann mich über mangelnde Arbeit wirklich nicht beklagen“, sagt er mit seinem typischen, breiten Simon-Rolfes-Lächeln und sorgt erstmal für Ordnung auf dem Tisch. Vor zwei Jahren hat er dieses Büro in einem Neubau im Gewerbegebiet Eschweiler bezogen. Der Blick aus dem Fenster fällt auf die nahegelegene A4. Die gute Anbindung war Rolfes wichtig. Die meisten seiner Kunden und Geschäftspartner kommen schließlich nicht aus dem regionalen Umfeld.

Im Juni 2015 hat der damals 33-Jährige seine Profilaufbahn bei Bayer 04 beendet. Zehn Jahre lang trug er das Werkself-Trikot, machte in dieser Zeit 288 Bundesligaspiele, 62 Partien in Champions League, UEFA-Cup und Europa League sowie 26 Länderspiele für die deutsche Nationalmannschaft. Dass einer wie er, der schon immer zu den hellsten Köpfen seiner Gilde zählte, die Karriere nach der Karriere von langer Hand geplant hat, wundert nicht. Rolfes dachte und handelte nicht nur auf dem Platz wie ein Stratege. Die Schlagzahl, die der Bayer 04-Ehrenspielführer vorlegte, nachdem die Fußballschuhe an den Nagel gehängt waren, nötigt dennoch Respekt ab. Rolfes gründete mit Dr. Markus Elsässer eine Berateragentur für junge Leistungssportler und übernahm mit seinem Partner im August dieses Jahres die GoalControl GmbH, ein Unternehmen für Torlinientechnik. Als ZDF-Fußballexperte analysiert er in der „Sportreportage“ regelmäßig das Bundesliga-Spieltagsgeschehen. Nun hat der dreifache Familienvater, der ab und an noch für die Bayer 04-Traditionsmannschaft kickt, seinen „Master for International Players“ (MIP), ein von der UEFA angebotenes fast zweijähriges Studium, erfolgreich abgeschlossen. 

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Sein letztes Spiel in der BayArena: Am 16. Mai 2015 verabschiedete sich Simon Rolfes nach der Partie gegen Hoffenheim von den Fans der Werkself.

Am 16. November durfte Rolfes sein Diplom im Rahmen eines Festaktes in der UEFA-Zentrale in Nyon in Empfang nehmen. Ebenso wie seine 23 Kommilitonen, darunter ehemalige internationale Topstars wie die Franzosen Christian Karembeu und Eric Abidal, der Portugiese Nuno Gomes und der Brasilianer Juninho. Auch der ehemalige Dortmunder Sebastian Kehl, der wie Rolfes im Sommer 2015 seine Karriere beendet hatte, zählte zu den Teilnehmern des Studienganges. „Ich habe ihn noch ein bisschen überreden müssen“, schmunzelt Rolfes, „er machte zunächst eine längere Reise, um abzuschalten. Irgendwann rief er mich von Vancouver Island aus an und fragte, welche Unterlagen er denn einreichen müsse.“ Neben Kehl und Rolfes gehörten die beiden Nationalspielerinnen Viola Odebrecht und Bianca Rech zu den Absolventinnen und komplettierten das deutsche Kontingent.

Der Deutsche Fußball-Bund hatte einigen seiner Ex-Auswahlspieler das UEFA-Studium in einem Schreiben vorgestellt. Der „Master for International Players“ wurde im Sommer 2015 erstmals angeboten, um ehemalige Profis mit dem nötigen Rüstzeug für eine spätere Karriere im administrativen Bereich oder im Fußball-Management auszustatten. Bewerben durften sich ausschließlich Fußballerinnen und Fußballer, die den Nachweis einer internationalen Profikarriere möglichst inklusive Länderspiele sowie sehr guter englischer Sprachkenntnisse erbringen konnten. Auch ein Empfehlungsschreiben eines ehemaligen Klubs oder nationalen Verbandes musste eingereicht werden. „Ich fand diese Idee der UEFA von Anfang an sehr cool“, sagt Rolfes.

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Abstecher nach Flushing Meadows: Der erste MIP-Jahrgang gewann in New York Einblicke in die Besonderheiten des amerikanischen Sports.
Dieses Studium war absolute Spitzenklasse und extrem inspirierend

Die 24 Teilnehmer des ersten MIP-Studiums, die aus 18 verschiedenen Ländern kamen, brachten es zusammen auf insgesamt 1.275 Länderspiele. Nicht alle aber hatten eine Karriere als Fußballprofi hinter sich. Roberto Rosetti zum Beispiel war Schiedsrichter - einer der renommiertesten seiner Zunft, der unter anderem 2008 das EM-Finale zwischen Spanien und Deutschland (1:0) gepfiffen hatte. Rolfes war damals im Endspiel nicht zum Einsatz gekommen, hatte aber im Viertelfinale beim 3:2-Sieg gegen Portugal vielleicht sein bestes Länderspiel überhaupt gezeigt. „Über diese Partie habe ich natürlich ausführlich mit Nuno Gomes gesprochen, der damals Kapitän der Portugiesen war“, sagt Rolfes und grinst.

Aber natürlich wurde in der illustren Runde ehemaliger Kontrahenten nur am Rande über zurückliegende Matches geplauscht. Das Studienprogramm foderte nämlich vollste Konzentration. Entwickelt worden war es von der UEFA in Kooperation mit den Universitäten von London (Birkbeck Sport Business Centre) und Limoges (Centre de Droit et d’Economie du Sport) sowie der European Club Association (ECA) und der europäischen Spielergewerkschaft FIFPRo. Die Studierenden trafen sich in 20 Monaten sieben Mal zu sogenannten Präsenzwochen, die vor- und nachbereitet werden mussten. Jede dieser Wochen in unterschiedlichen Metropolen hatte ein eigenes Schwerpunktthema. Nyon, Paris, London, München, Amsterdam, Barcelona und New York lauteten die Stationen der Absolventen, die ihr Studium inklusive der Reisekosten komplett selber finanzieren mussten. „Da ist schon ein hübsches Sümmchen zusammengekommen“, sagt Rolfes. „Aber das war es mir wert. Meine Intention war immer, so viel wie möglich dazuzulernen, um mir ein stabiles Fundament aus Wissen und Fähigkeiten aufzubauen und es mit meinen Erfahrungen als Spieler zu kombinieren.“ 

Im studentischen Alltag sah dies dann so aus: Per E-Mail schickte die UEFA Material, das für die anstehende Präsenzwoche vorbereitet und gelernt werden musste - in München etwa ging es um das Thema Stadion, dessen Infrastruktur und Vermarktung, in Barcelona um die Organisation eines Champions-League-Spieles und in New York um die Besonderheiten des amerikanischen Sports und seiner Ligen. Von morgens 9 Uhr bis abends um 18 Uhr fanden jeweils 90-minütige Einheiten statt: Präsentationen, Gruppenarbeiten, Diskussionen und viele Vorträge. „Es waren unglaubliche Speaker, Manager und CEOs auch aus der Wirtschaft dabei. Franck Riboud, der Chairman von Danone zum Beispiel“, schwärmt Rolfes. „Wir durften innerhalb so kurzer Zeit so vielen interessanten Leuten aus führenden Positionen in Ligen, Verbänden, Vereinen und Konzernen zuhören  - dieses Studium war absolute Spitzenklasse und extrem inspirierend.“

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Kommilitonen unter sich: Simon Rolfes mit dem Franzosen Eric Abidal

Höchst spannend fand der 26-fache deutsche Nationalspieler auch die Möglichkeit, mit vielen sehr unterschiedlichen Perspektiven auf spezielle Themen konfrontiert zu werden. Denn den MIP absolvieren eben nicht nur Profis der großen Fußballnationen, sondern auch solche von den kleineren UEFA-Mitgliedsverbänden. So entwickelten sich lebhafte Diskussionen über die „Third Party Ownership“ (TPO), die der Weltfußballverband FIFA im Mai 2015 verboten hatte. Seitdem ist die Beteiligung Dritter (Berater, Spielerfonds, Präsidenten) an Spielerrechten untersagt. „Studienteilnehmer aus kleineren Ländern sagten, ihre Vereine hätten ohne dieses Modell gar keine Chance mehr, wirklich gute Spieler zu verpflichten. Und die Großen entgegneten eben, nee, die Rechte am Spieler dürfen nur beim Verein liegen. Da erlebt man hautnah, wie unterschiedlich die Interessen im internationalen Fußball gelagert sind.“ Gerade bei den Themen Stadion-Infrastruktur und Leistungszentren seien die Möglichkeiten je nach Verband gänzlich andere. „Als Deutscher spürst du in den Gesprächen, dass uns viele Nationen um unsere Finanzkraft und Strukturen beneiden. Wir sind nicht immer die Beliebtesten, aber der Respekt vor uns als den am besten Organisierten, der ist schon immens.“

Interessant geriet zudem der einwöchige Aufenthalt in New York, wo auch abseits der Hörsäle ein attraktives Programm geboten wurde. Die MIP-Teilnehmer besuchten unter anderem ein NBA-Basketballspiel, das Headquarter der Major League Soccer (MLS) und den Tennis-Tempel Flushing Meadows. In Seminaren und Vorträgen erhielten die Fußballer Einblicke in die Eigenheiten des US-Sports. „Was mich beeindruckte: Bei den Amerikanern spielt das Wettbewerbsgleichgewicht, die ‚competitive balance‘, eine ganz entscheidende Rolle. Hier gewinnt in den Ligen eben nicht immer der Erste gegen den Letzten. Die Wahrscheinlichkeit dafür ist jedenfalls um einiges geringer, als beispielsweise in den europäischen Top-Fußballligen.“ Dies bestätigte im Übrigen auch Claudio Reyna. Der ehemalige Bayer 04-Profi, der zwischen 1994 und 1998 für die Werkself 28 Pflichtspiele bestritten hat, ist heute Sportdirektor beim MLS-Club New York City FC und hielt als solcher einen Vortrag vor den Studenten.

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Fußball wurde natürlich auch gespielt: Simon Rolfes zeigte im Trikot des MIP-Teams, dass er immer noch topfit ist.

Das Thema Wettbewerbsfähigkeit habe man im Kreis der MIP-Absolventen rauf und runter diskutiert. Rolfes ist überzeugt: „Fußball ist ein Produkt, das auch von seiner Spannung lebt. Wenn die Schere zwischen den drei, vier Topklubs einer Liga und denen dahinter immer größer wird, lässt sich das Produkt national wie international auf Dauer nicht mehr gut vermarkten. Dieser Herausforderung muss sich der europäische Fußball in Zukunft stellen. Das ist national nicht zu lösen.“ Deshalb misst Rolfes der European Club Association (ECA), zu deren insgesamt 220 Mitgliedern auch Bayer 04 gehört, eine immense Bedeutung zu. „Sie ist so wichtig, weil sie die Probleme aller Klubs berücksichtigen muss, um ein möglichst großes Gleichgewicht herzustellen.“

Ein ambitioniertes Thema hatte sich der 35-Jährige auch für seine eigene Diplomarbeit ausgesucht: „Football academies in Europe“. Rolfes recherchierte dafür extrem aufwändig, reiste auf eigene Faust quer durch Europa und besuchte neun Vereine - in Spanien den FC Barcelona, Atlético Madrid und Atlétic Bilbao, in England Tottenham Hotspur, in den Niederlanden den PSV Eindhoven, in Österreich RB Salzburg und in Deutschland Borussia Dortmund, Borussia Mönchengladbach und RB Leipzig. Jeweils für ein paar Tage machte er dort Station, sprach mit Nachwuchsleitern, Managern und Präsidenten und analysierte das Training der Jugendmannschaften und die unterschiedlichen Konzepte in der Nachwuchsarbeit unter anderem im Hinblick darauf, wie die Klubs ihre Talente in den Profibereich integrieren. „Bilbao hat zum Beispiel die Restriktion, dass nur Basken im Klub spielen dürfen. Das wirft ja interessante Fragen auf. Welche Auswirkungen hat es zum Beispiel, wenn die Jugendspieler wissen, dass der Verein gar keine anderen Spieler als ausschließlich Basken verpflichten darf?“

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Ausgerechnet von Ioan Lupescu mein Diplom überreicht zu bekommen, war natürlich sehr schön

80 Seiten umfasste der Report, den Rolfes in London vor einer Jury präsentieren musste - in Englisch, versteht sich. „Das Studium war auch sprachlich nicht ohne. Aber da wir die ganze Zeit über nur auf Englisch kommunizierten, hat mich das extrem weitergebracht“, sagt Rolfes, der sein Diplom in Nyon übrigens von Ioan Lupescu überreicht bekam. Der Technische Direktor der UEFA trug zwischen 1990 und 1996 selber das Bayer 04-Trikot und gewann mit dem Klub den DFB-Pokal. „Ioan spricht immer noch unheimlich gerne über seine sechs Jahre in Leverkusen. Ausgerechnet von ihm mein Diplom zu bekommen, war natürlich sehr schön.“

Nach all den akademischen Mühen ließen es die frisch gebackenen „Executive Masters“ im Rahmen der Abschlussfeier in Nyon noch einmal ordentlich krachen. Für ihn selber, so Rolfes, habe sich der Aufwand des Studiums nicht nur wegen der erworbenen Kenntnisse mehr als gelohnt. „Ich konnte mir auch ein großes Netzwerk aufbauen – darüber sind einige neue Freundschaften entstanden.“ Freundschaften wie die zum Finnen Hannu Tihinen und zum Dänen Keld Bordinggaard, mit denen er oft eine Arbeitsgruppe bildete.

Nun könnte man meinen, dass Simon Rolfes erst einmal genug vom Pauken hat und sich wieder ausschließlich seinen Unternehmen widmet. Weit gefehlt. Der umtriebige Ex-Profi strebt bereits den nächsten Abschluss an. Schon während seiner aktiven Zeit bei Bayer 04 begann er mit einem Fernstudium an der Hochschule in Koblenz. Auch hier geht es jetzt auf die Zielgerade: Für seinen Master of Business Administration (MBA) in Sportmanagement fehlen ihm nur noch ein, zwei Klausuren und die Diplomarbeit. Die Stapel auf seinem Schreibtisch dürften auch in Zukunft nicht kleiner werden.