Beim „Berg­stei­gen“ aufs Pro­fi­de­büt ein­ge­schwo­ren

Samed Onur im Por­trät

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Ein kleines Grinsen kann sich Samed Onur nicht verkneifen. „Da ist auch schon mal die eine oder andere Vase kaputt gegangen“, erzählt der heute 18-Jährige aus seiner Kindheit, in der er hin und wieder auch mal in der Wohnung der fünfköpfigen Familie in Düsseldorf-Derendorf gegen den Ball getreten hat. Meist war da sein fünf Jahre älterer Bruder Sirac in den eigenen vier Wänden mit von der Partie. Samed, der jüngste der drei Onur-Brüder, begleitete Sirac nach den „heimischen Einheiten“ abends häufig zum Training beim BV 04 Düsseldorf. „Trotz des großen Altersunterschieds zum Rest des Teams hatte ich immer viel Spaß“, erinnert sich Samed. Als er fünf Jahre alt war, kam schließlich der damalige Bambini-Trainer des Vereins auf ihn zu – und kurz darauf kickte das Nesthäkchen der Onur-Familie in seiner Altersklasse weiter.

Zwei Spielzeiten blieb er beim BV. Dann folgte auch schon der Wechsel zum „großen“ Klub der Stadt. Bei der Fortuna trat der gebürtige Düsseldorf ebenfalls zwei Jahre gegen den Ball. Viele weitere große Klubs aus Nordrhein-Westfalen waren inzwischen auf den Jungen aufmerksam geworden, der mit seiner Familie kurz zuvor innerhalb Düsseldorfs in den Stadtteil Eller umgezogen war. Mehrere Angebote lagen Samed und seinen Eltern vor, in die engere Auswahl kamen der 1. FC Köln und Bayer 04 Leverkusen. Die Familie entschied sich am Ende für den Werksklub. „Erst einmal war Leverkusen näher an zu Hause. Und der Name des Klubs war wie heute ein großer und hatte Strahlkraft“, erklärt Samed, der damals 10 Jahre alt war. „Zudem hat meine Eltern und mich das Gesamtkonzept mit Fahrdienst, Betreuung und Schule überzeugt.“

Zweite U17-Saison der „Wendepunkt“

Es folgten viele Jahre am Kurtekotten, Onur entwickelte sich sportlich wie auch persönlich stetig weiter. Mit Beginn der 10. Klasse wechselte der Deutsch-Türke von Düsseldorf aufs Landrat-Lucas-Gymnasium in Leverkusen, die Kooperationsschule des Bundesligisten. Zeitgleich zog er bis zu seinem Abitur zu einer Leverkusener Gastfamilie. „Die Doppel-Belastung mit Schule und Fußball war schon sehr zeitintensiv und stressig“, sagt er, bezeichnet seine zweite Saison in der U17 gleichzeitig aber auch als „den entscheidenden Wendepunkt“.

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Denn in der Spielzeit 2018/19 glänzte der Leverkusener in der B-Junioren-Bundesliga West nicht nur durch diverse Torvorlagen, er erzielte auch 18 Treffer in 25 Ligaspielen. Die Leistungen blieben auch Werkself-Cheftrainer Peter Bosz nicht verborgen. Der Niederländer lud Onur im Frühjahr 2019 immer mal wieder zum Training bei den Profis ein. Im Sommer durfte der Nachwuchsspieler schließlich sogar mit Lukas Hradecky und Co. ins Trainingslager nach Österreich reisen. „In dieser Zeit wurde mir klar, dass ich das Potenzial habe, Profi zu werden“, sagt Onur, dem auch bewusst war, dass er dafür weiter hart arbeiten müsse.

Die bittere Diagnose – und der harte Weg zurück

Im Trainingslager habe ihm vor allem Kerem Demirbay immer wieder zahlreiche Tipps gegeben. Onur sei zwar durchaus entspannt mit den neuen Erlebnissen umgegangen, dennoch habe er sich auch immer mal wieder die neuen Umstände vor Augen geführt. „Auf einmal stehst du dort mit Spielern wie Sven Bender auf dem Rasen, der schon ein Champions-League-Finale mitgemacht hat.“

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Mit reichlich Rückenwind aus Österreich zurückgekehrt, ging Onur sein erstes Jahr in der U19 an. Nach einigen Trainingseinheiten folgte das erste Ligaspiel bei Viktoria Köln – und ein Ereignis, das vieles im Leben des Talents von jetzt auf gleich auf den Kopf gestellt hat. Kurz nach dem Wiederanpfiff ist der Mittelfeldspieler zum Ball gelaufen, hat dabei einen Schubser von hinten gespürt. Im Fallen ist der Leverkusener dann im Rasen hängengeblieben und unglücklich umgeknickt. „Ich hatte extreme Schmerzen und wusste sofort, dass etwas kaputt ist“, erinnert er sich. Zwei Tage später kam die traurige Diagnose: Kreuzbandriss. Im ersten Moment sei für den zuvor stets von Verletzungen verschont gebliebenen Teenager „eine Welt zusammengebrochen. Aber ich bin der Meinung, dass man gewisse Dinge nie verlernt und habe daher zuversichtlich in die Zukunft geschaut.“

Abi, Reha und Ernährung

So zog Onur vorrangig das Positive aus der Situation. Nach seiner erfolgreich verlaufenen Operation am 13. August 2019 in Köln konzentrierte er sich auf sein Abitur, stellte seine Ernährung um und achtete auch allgemein mehr auf seinen Körper. Auf den Unterricht und die Hausaufgaben-Betreuung folgten am Nachmittag intensive Reha-Einheiten in der „Werkstatt“, dem Trainings- und Reha-Zentrum von Bayer 04 in der BayArena. „Ich wusste danach teilweise gar nicht, wie ich noch den Weg nach Hause schaffen soll. So kaputt war ich. Aber mir war klar, dass ich es nur mit harter Arbeit auf den Platz zurückschaffe“, sagt Onur.

Besonders in Erinnerung geblieben sei dem Nachwuchsprofi ein kräftezehrendes Training in der „Werkstatt“ der BayArena. „Bei einer Einheit ‚Bergsteigen‘ habe ich zu unserem Trainer gesagt: ‚Gregor, ich verspreche dir: Nächstes Jahr gebe ich mein Profidebüt!‘“

Rund um den Jahreswechsel konnte er dann auch zum ersten Mal wieder mit dem Ball auf dem Rasen trainieren, im Frühjahr sollte das Comeback im Mannschaftstraining der U19 erfolgen. Doch der Corona-bedingte Lockdown verhinderte diesen Plan. Also musste er weiter individuell arbeiten, konzentrierte sich dabei präventiv vor allem auf seine Knie und wollte darüber hinaus seinen Oberkörper weiter stabilisieren.

Als die Profis schließlich Anfang Mai ins Mannschaftstraining zurückgekehrt sind, durfte auch Onur regelmäßig mitwirken. So wurde der Nachwuchsspieler nach seiner langen Verletzungspause langsam an die hohe Belastung herangeführt. Nur die Spielpraxis fehlte – bis zum Spätsommer.

Profidebüt gegen Prag

Nach der Sommerpause durften aufgrund der niedrigen Corona-Infektionszahlen und umfangreicher Hygiene-Konzepte auch die A-Junioren-Bundesligen fortgeführt werden. Onur absolvierte die ersten vier Spieltage der Saison 2020/21 in der West-Staffel jeweils über die volle Distanz, ebenso auch das Erstrunden-Pokalduell in der höchsten Altersklasse. Diese insgesamt fünf Pflichtspiele sollten allerdings bis heute die einzigen Partien des Leverkusener Nachwuchsteams bleiben – die zweite Corona-Welle setzte bekanntermaßen ein und sorgte für eine erneute Unterbrechung des Junioren-Spielbetriebs.

Während seine U19-Teamkollegen fortan wieder individuelle Einheiten absolvieren mussten, trainierte Onur wie die beiden weiteren Youngster Emrehan Gedikli und Cem Türkmen mit den Profis – stets mit einem Ziel vor Augen: dem Profidebüt. Und am 10. Dezember war es endlich so weit: Im Alter von 18 Jahren, 4 Monaten und 25 Tagen kam Onur zu seinem ersten Einsatz in der Bayer 04-Profimannschaft.

In der BayArena stand zum Abschluss der Europa-League-Gruppenphase das Topspiel gegen Slavia Prag an. Das Team von der Dhünn und die Prager duellierten sich um Rang eins im Endtableau der Gruppe. Dank eines Doppelpacks von Leon Bailey (8./32.) und eines Treffers von Moussa Diaby (59.) hatte sich die Werkself nach einer Stunde einen soliden Vorsprung erspielt.

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Kurz nach dem 3:0 rief Chefcoach Peter Bosz neben dem Namen von Routinier Lars Bender auch jenen von Samed Onur. In Minute 62 betrat das Duo den Rasen der BayArena. „Als ich eingewechselt worden bin, war ich nicht wirklich nervös. Ich musste mich ja direkt aufs Spiel konzentrieren“, so Onur, der betont: „Ich weiß es sehr zu schätzen, dass ich bei meinem ersten Einsatz sofort eine halbe Stunde ran durfte.“

Extra-Einheiten und Zeit mit der Familie

Inzwischen ist der Alltag von Profis wie Nadiem Amiri oder Leon Bailey auch jener von Onur: morgens frühstücken in der BayArena, im Anschluss Präventivarbeit und Aufwärmen, ehe es auf den Rasen geht. Nach dem Mannschaftstraining entspannt der 18-Jährige allerdings nicht etwa den Rest des Tages zu Hause. Der Youngster will mehr an sich arbeiten, absolviert dafür Extraschichten in der „Werkstatt“. „Anschließend steht dann aber natürlich die Zeit mit der Familie im Vordergrund“, sagt Onur. Vom Profialltag abschalten kann er am besten bei TV-Serien. Thematisch dreht sich auch da alles ums runde Leder. „Aktuell schaue ich mir die Doku über Tottenham Hotspur an.“

Bestimmte Ziele für seine Karriere will sich der variable Mittelfeldmann nicht stecken. Zu schnell kann sich das Blatt im Fußballbusiness wenden, wie er aus eigener Erfahrung weiß. Viel lieber schaut er von Woche zu Woche. „Von Spiel zu Spiel“, wie es Trainer Bosz gerne betont. Eines aber weiß Onur für seine Zukunft ganz gewiss: „Ich will kein Spieler sein, der sein Profidebüt gegeben hat und dann nie wieder von sich zu hören macht. Ich will in jedem Spiel eine Option für den Trainer sein und gebe dafür Tag für Tag alles!“