#RoadtoGlasgow – Wenning: „Wir waren stolz auf eine große Mannschaft“

Er hat schon als kleiner Junge in kurzen Hosen die Werkself im Stadion Am Stadtpark angefeuert. Noch heute ist Werner Wenning, Vorsitzender des Gesellschafterausschusses der Bayer 04 Fußball GmbH, dem Klub aufs Engste verbunden. Vor 20 Jahren, am 15. Mai 2002, erlebte der damalige Vorstandsvorsitzende der Bayer AG das Champions-League-Finale zwischen Bayer 04 und Real Madrid als Tribünengast im Glasgower Hampden Park. Im Interview spricht der 75-Jährige unter anderem über seine Begegnung mit König Juan Carlos, einen herausragend guten Torwart und die weltweit gestiegene Popularität von Bayer 04.
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Herr Wenning, welche Erinnerungen verbinden Sie mit dem 15. Mai 2002?

Wenning: Es war ein großartiger Abend. Man spürte die Spannung in diesem wundervollen Hampden Park. Vor dem Spiel sangen die Fans beider Mannschaften ihre Lieder. Ich bin sicher nicht ganz objektiv, aber ich glaube, unsere Fans waren lauter damals (schmunzelt).

Sie saßen in einer Loge in unmittelbarer Nähe zu Spaniens König Juan Carlos.

Wenning: Ja, das stimmt, wir wechselten ein paar Worte, ich konnte aus meiner Zeit für die Bayer AG in Barcelona und Südamerika noch ganz gut Spanisch. Der König war bekennender Fan von Real Madrid. Als wir in der Halbzeitpause ein bisschen plauderten, zeigte er sich erstaunt über die starke Leistung unserer Mannschaft. Unweit von mir entfernt saß auch Schauspieler Sean Connery. Es war viel Prominenz in den VIP-Logen versammelt.

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Was war Ihr Eindruck: Wie hat man Bayer 04 als Verein in den Tagen vor dem Finale international wahrgenommen?

Wenning: Da möchte ich mich erst einmal etwas von der Betrachtung des Endspiels lösen. Denn wir haben von unserer Mannschaft ja bereits in der Gruppenphase und in der Zwischenrunde fantastische Fußballspiele gesehen. Dann schalteten wir im Viertelfinale und im Halbfinale die englischen Topklubs FC Liverpool und Manchester United aus. Ich werde nie dieses 4:2 gegen Liverpool in der BayArena vergessen. Und wie Lucio mit seiner fußballerischen Brillanz und seiner körperlichen Wucht dieses Spiel entschieden hat. Ich glaube sowohl Liverpool als auch Manchester United im Halbfinale waren überrascht, wie stark Bayer 04 war. Sie haben uns unterschätzt und sind dafür bestraft worden. Wir hatten zu dem Zeitpunkt die stärkste Mannschaft, zumindest in Deutschland.

Im Finale war Real Madrid der große Favorit. Haben Sie der Werkself nach den aufreibenden Halbfinalspielen gegen Manchester United in Glasgow eine Sensation zugetraut?

Wenning: Ja. Auf dem Papier waren wir natürlich Außenseiter, aber Endspiele setzen oft zusätzliche Kräfte frei. Ich erinnere mich heute noch genau, wie die Tore gefallen sind. Dieser lange Einwurf von Roberto Carlos auf Raul, der uns dann früh in Rückstand brachte. Dann der Ausgleich von Lucio und kurz vor der Pause das Traumtor von Zinedine Zidane. In der zweiten Halbzeit waren wir am Drücker. Und dann geschah etwas, was selten vorkommt in einem Spiel: Der Torhüter verletzte sich und Iker Casillas, der Ersatz-Torwart der Madrilenen kam aufs Feld und wurde gleich zum besten Mann seiner Mannschaft. Das sagt einiges darüber aus, was für ein Spiel es in der zweiten Halbzeit war. Wir hatten einige hundertprozentige Torchancen, aber Casillas hielt einfach alles – es war die Geburtsstunde eines Weltstars. Wir kämpften leidenschaftlich und waren die bessere Mannschaft. Am Ende fehlte uns auch das Spielglück. Man darf zudem nicht vergessen, dass Jens Nowotny wegen eines Kreuzbandrisses nicht spielen konnte und Ze Roberto, einer unserer Besten, aufgrund einer Gelbsperre fehlte. Außerdem waren einige andere Profis angeschlagen, spielten aber dennoch. Trotz einer langen Saison mit vielen Spielen wuchs die Mannschaft an diesem Abend noch einmal über sich hinaus. Wäre ihr in der Schlussphase noch ein Tor gelungen, hätten wir das Finale in der Verlängerung gewonnen, davon bin ich überzeugt.

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Bereits seit 2010 fungiert Werner Wenning als Vorsitzender des Gesellschafterausschusses der Bayer 04 Leverkusen Fußball GmbH.

Meisterschaft verspielt, DFB-Pokalfinale verloren und nun auch den Königlichen in der Champions League unterlegen: Wie würden Sie Ihre Gefühlslage nach dem Abpfiff im Hampden Park beschreiben?

Wenning: Ach, wissen Sie, es war alles in allem ein unvergesslicher, wunderbarer Tag. Dieses Spiel wurde in über 200 Länder übertragen, hatte über eine Milliarde TV-Zuschauer. Und wirklich alle, die sich mit dem Klub verbunden fühlten, waren stolz darauf, was diese Mannschaft auch in Glasgow wieder an Einsatzwillen und Spielfreude gezeigt hatte. Ich habe später im Ausland immer wieder erfahren, dass sich viele Menschen an dieses Finale erinnern. Bayer 04 hat in dieser Saison 2001/02 über seine internationalen Spiele weltweit sicherlich viele, viele Fans hinzugewonnen.

Warum hat es Ihrer Meinung nach am Ende zu keinem Titel gereicht?

Wenning: Ich glaube, unser Kader war damals nicht breit genug aufgestellt für diesen, maximal hohen Qualitätsanspruch. Es spielten fast immer dieselben Stammkräfte. Wir mussten die Ausfälle der beiden Schlüsselspieler Nowotny und Ze Roberto kompensieren und hatten auch insgesamt nicht die notwendigen Rotationsmöglichkeiten bei diesem hohen Pensum an Spielen.

Wie ordnen Sie die Champions-League-Finalteilnahme 2002 im Vergleich zum UEFA-Cup-Sieg von 1988 ein, den Sie ja auch live miterlebt haben?

 

Wenning: Auch 1988 waren wir nach der 0:3-Niederlage aus dem Hinspiel bei Espanyol Barcelona klarer Außenseiter. Wir bauten hier gerade das Stadion um, ich erinnere mich an die provisorische Holztribüne, auf der wir saßen. Als wir den Rückstand dann aufholten und tatsächlich im Elfmeterschießen gewannen, war das eine unfassbare Stimmung. Aber ich möchte diese beiden Finalteilnahmen gar nicht miteinander vergleichen, weil es unterschiedliche Zeiten waren. Beide Abende waren einzigartig. Hier in Bezug auf die Wertigkeit zu differenzieren, wird der Sache nicht gerecht.

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Werner Wenning (oben, 3.v.r.) auf der Tribüne des Glasgower Hampden Parks beim Champions-League-Endspiel von Bayer 04 gegen Real Madrid am 15. Mai 2002.

10.000 Bayer 04-Fans machten sich im Mai 2002 auf den Weg nach Glasgow in 16 Bussen, zwölf Fliegern oder auf eigene Faust. Ein ehemaliger Karnevalsprinz kam sogar mit dem Fahrrad. Vier Tage zuvor waren bereits fast 20.000 Anhänger der Werkself in Berlin beim Pokalfinale gegen den FC Schalke 04 dabei. Wie sehr hat Sie diese zuvor noch nie da gewesene Begeisterung und vor allem die Unterstützung der Fans vor Ort beeindruckt?

Wenning: Schon die Unterstützung zu Hause in der BayArena war in dieser Saison sensationell. Wir hatten immer einen guten Support durch unsere Fans. Aber das ist in den packenden Champions-League-Spielen noch einmal getoppt worden. Je weiter wir hier kamen, desto größer wurde die Begeisterung. Und im Finale in Glasgow legten unsere Anhänger noch einmal eine Schippe drauf. Ich glaube, das ist auch innerhalb der Mannschaft reflektiert worden. Die Bayer 04-Fans haben einen ungeheuren Aufwand betrieben, um das Team nach Schottland zu begleiten und anzufeuern. Sie waren im Finale der 12. Mann, weil sie gesehen haben, dass die Mannschaft wirklich alles gibt. Diese großartige Fangemeinde hat sich über die Jahre noch weiterentwickelt und ist auch heute gerade in engeren Spielen ein wesentlicher Faktor für den Erfolg. Wenn wir dann noch sehen, dass wir inzwischen über acht Millionen Follower auf unseren Social-Media-Plattformen haben, dann ist das für eine Stadt wie Leverkusen mit ihren rund 164.000 Einwohnern enorm. Ein Grundstein für diese weltweite Anerkennung und Beliebtheit wurde sicher auch in der Champions-League-Saison 2001/02 gelegt.

Haben Sie persönlich auch in Ihrem beruflichen und privaten Umfeld das gestiegene Interesse an Bayer 04 gespürt?

Wenning: Ja, natürlich. Ich mache im Ausland, ob früher auf Dienstreisen oder im Urlaub, gerne den Taxi-Test. Ich frage also den Fahrer, welche Sportarten in seinem Land die beliebtesten seien. Normalerweise landet man schnell beim Fußball. Fragt man weiter, welche Vereine er denn kenne, fällt fast immer, egal wo auf der Welt ich in einem Taxi sitze, der Name Bayer Leverkusen. Aber wir müssen diese gewonnene Popularität natürlich immer wieder auffrischen Und deshalb wollen wir möglichst kontinuierlich in der Champions League spielen. Weil dieser Wettbewerb auch ein Vehikel ist, um die weltweite Attraktivität des Vereins zu steigern.

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Werner Wenning (l.) gemeinsam mit Wolfgang Holzhäuser (Mitte) sowie Reiner Calmund im Januar 2002.

Welches Feedback haben Sie damals als Vorstandsvorsitzender der Bayer AG in Unternehmenskreisen bekommen?

Wenning: Ich bin natürlich oft darauf angesprochen worden. Und ich habe dabei immer den großen Respekt gespürt, der dieser Leistung entgegengebracht wurde. Der Tenor war: „Was ihr da auf die Beine gestellt habt, ist schon außergewöhnlich“ oder „Schade, dass ihr keinen Titel gewonnen habt“. Natürlich gab’s zur Begrüßung auch manchmal den Spruch: „Ah, da kommt Vizekusen.“ Aber das war nur Flachs. Ich habe keine Häme verspürt, sondern überall Anerkennung für eine tolle Leistung. Und zwar nicht nur innerhalb der großen Sportgemeinschaft, sondern in der Gesellschaft insgesamt.

Bayer 04 hat damals gegen nahezu alle Top-Klubs auf dem Kontinent gespielt, die mit Superstars gespickt waren. Aber auch in der Werkself gab es viele klangvolle Namen. Hatten Sie einen Lieblingsspieler in Klaus Toppmöllers Team?

Wenning: Für mich hat die gesamte Mannschaft eine außergewöhnliche Leistung über die gesamte Saison gebracht. Dieses Zusammenhalten und Füreinander-Einstehen war der Schlüssel zum Erfolg. So etwas schafft man nur als Team. Aber natürlich gab es viele starke Typen innerhalb dieser Truppe. Dimitar Berbatov mochte ich wegen seiner Leichtigkeit, die er ausstrahlte, Lucio war ein unglaublicher Spieler, der fußballerische Klasse mit Kampfkraft verband, Ze Roberto ein Künstler am Ball, Michael Ballack, Bernd Schneider natürlich – aber man müsste noch so viele andere nennen…

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