#RoadtoGlasgow – Sebescen: „Wussten, was auf uns zukommen würde“

Am heutigen Samstag ist Zoltan Sebescen wieder mal im Einsatz für die Traditionsmannschaft von Bayer 04, die in der Nähe von Frankfurt um den Deutschen Ü40-Pokal spielt. Auf den Tag genau vor 20 Jahren, am 18. September 2001, bestritt er sein erstes Champions-League-Spiel mit der Werkself bei Olympique Lyon, das gleichzeitig der Auftakt in die Gruppenphase war. Im Interview mit bayer04.de erinnert sich der ehemalige rechte Verteidiger an den 1:0-Sieg und an viele weitere Königsklassen-Highlights dieser denkwürdigen Saison.
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Zoltan, was verbindest du mit eurem ersten Gruppenspiel im Stade Gerland?
Sebescen:
Es war meine Premiere in der Champions League und ich war schon ziemlich nervös. Beim Abspielen der Hymne vor dem Anpfiff hatte ich Gänsehaut – ein unvergesslicher Moment. Olympique Lyon dominierte damals den französischen Fußball. Die hatten eine richtig starke Mannschaft und erst ein halbes Jahr zuvor den FC Bayern mit einem 3:0 nach Hause geschickt. Sidney Govou machte in dem Spiel zwei Tore. Dann spielten da noch Leute wie die Brasilianer Edmilson und Juninho. Wir wussten also, was da auf uns zukommen würde.

Hattet ihr euch auf eine Abwehrschlacht eingestellt?
Sebescen: Wir sind eigentlich relativ unbedarft in diesen Wettbewerb gegangen. Ja, wir hatten uns intern schon viel vorgenommen. Aber niemand erwartete von uns, dass wir hier Bäume ausreißen würden. Was hatten wir also zu verlieren. Wir wollten einfach das spielen, was wir können. Lyon hat uns dann ordentlich unter Druck gesetzt. In einigen Szenen hatten wir wirklich Glück. Auf der anderen Seite: Wir verteidigten leidenschaftlich, haben uns reingeschmissen in die Zweikämpfe und nutzten dann eine unserer wenigen Chancen zum entscheidenden 1:0.

Ein Treffer, den du vorbereitet hast.
Sebescen: Ja, ich spielte von rechts einen flachen Ball in den Sechzehner und Ulf grätschte ihn in seiner unnachahmlichen Manier irgendwie ins Tor. Wir brachten die Führung über die Zeit, waren happy, dass wir unser Auftaktspiel bei einer so starken Truppe gewonnen hatten und flogen mit breiter Brust zurück nach Deutschland.

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Zoltan Sebescen gab gegen Olympique Lyon sein Champions-League-Debüt.

Wenn man sich eure Startelf von damals anschaut und Namen liest wie Lucio, Nowotny, Placente, Ballack, Schneider, Ramelow, Bastürk, Neuville und Kirsten, dann sagt man sich heute: Wow, was für eine Mannschaft! Aber man vergisst dabei oft, dass viele von ihnen vor 20 Jahren ja erst am Beginn ihrer großen Karriere standen.
Sebescen: Ganz genau, viele waren zwar schon Nationalspieler. Aber Männer wie Michael Ballack zum Beispiel entwickelten sich tatsächlich in dieser Saison zu absoluten Weltklasse-Spielern. Oder wenn ich an Lucio und Jens Nowotny denke: Die hättest du in dieser Saison in der Abwehr ja alleine spielen lassen können, da wäre auch nicht viel passiert. Aber es stimmt, das war im September 2001 noch nicht unbedingt absehbar.

Du selbst hattest auch großen Anteil am Erfolg und warst in der Champions League bei 14 von insgesamt 17 Spielen dabei – und das als Neuer im Team.
Sebescen: Es hat sich in dieser Mannschaft und in dieser Saison alles sehr gut zusammengefügt. Neuzugänge wie Jörg Butt, Yildiray Bastürk und ich integrierten sich wirklich sehr schnell. Für mich persönlich war Bayer 04 nach zwei Jahren beim VfL Wolfsburg das nächste Level. Ich musste mich umstellen: In Wolfsburg hatte ich immer den offensiven Part auf der rechten Seite gespielt, also die Position, die Bernd Schneider bei Bayer 04 innehatte. Jetzt setzte mich Klaus Toppmöller hinten rechts in der Viererkette ein. Aber ganz ehrlich: Ich hätte auch hinten links gespielt, wenn der Trainer das gewollt hätte.

Nur eine Woche nach Lyon habt ihr den nächsten Sieg gegen einen großen Gegner gefeiert.
Sebescen: Ja, und spätestens nach unserem 2:1 gegen den FC Barcelona wusste man, wo sich Leverkusen auf der europäischen Fußball-Landkarte befindet. Wir haben gerade nach solchen Spielen, die wir trotz eines Rückstandes noch gewinnen konnten, unglaublich viel Selbstvertrauen getankt. Wir wussten um unsere offensiven Qualitäten, deshalb sind wir nie nervös geworden. Auch nicht nach einem 0:1 gegen Barcelona. Aber natürlich war uns auch klar, dass wir in einer Saison mit drei Wettbewerben nicht jedes Spiel gewinnen würden. So haben wir auch die deutlichen Niederlagen beim FC Arsenal und bei Juventus Turin relativ locker weggesteckt.

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Am 2. Gruppen-Spieltag gewann die Werkself auch gegen den FC Barcelona.

Was hat eure Mannschaft neben den angesprochenen Defensiv- und Offensivqualitäten so besonders gemacht?
Sebescen: Da spielen viele Faktoren eine Rolle. Wir hatten in allen Mannschaftsteilen sicher eine hohe Qualität. Und wir besaßen viel individuelle Klasse. Aber wir hatten eben auch einen Trainer, der es verstanden hat, diese einzelnen Puzzleteile richtig zusammenzusetzen. Der auch ein hervorragender Motivator war. Aber auch unser Co-Trainer Peter Hermann hatte großen Anteil am Erfolg. Peter war ein unglaublicher Taktikfuchs, es gab wenige in der Liga, die ihm hier das Wasser reichen konnten. Das Trainerteam harmonierte perfekt. Und auf dem Platz gab es zwei, drei Leader, die den jüngeren Spielern auch mal einen Einlauf verpassten, wenn es nötig war. Die Hierarchie stimmte, der Teamgeist war großartig. Es passte in dieser Saison einfach alles zusammen.

Welche Spiele waren deine persönlichen Highlights?
Sebescen: Neben meinem Debüt in Lyon und dem Finale in Glasgow sicher das Viertelfinale gegen Liverpool und das Halbfinale gegen Manchester United. Im Old Trafford zu spielen war gigantisch. Ich hätte dort wegen meiner Meniskus-Probleme eigentlich gar nicht auflaufen dürfen, kam dann in der zweiten Halbzeit für Jenne (Jens Nowotny, die Redaktion) rein, der sich verletzt hatte. Wir holten nach zweimaligem Rückstand ein 2:2 und wurden nach dem Schlusspfiff von den ManU-Fans mit Applaus verabschiedet. Sie zollten uns Respekt und honorierten unsere Leistung, das fand ich großartig. Überhaupt unsere Spiele auf der Insel: Selbst das 1:4 beim FC Arsenal habe ich guter Erinnerung. Zum einen, weil unsere mitgereisten Fans eine unglaubliche Stimmung im Highbury Park machten. Ich habe diese Atmosphäre, weil ich zunächst auf der Bank saß, richtig in mich aufgesogen. Zum anderen, weil mir kurz vor Schluss noch ein schönes Tor gelang – auch wenn das nur der Ehrentreffer war in einem Spiel, in dem uns vor allem Dennis Bergkamp und Thierry Henry unsere Grenzen aufgezeigt hatten.

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Zoltan Sebescen und seine Mitspieler feiern nach dem 2:2 im Old Trafford vor den mitgereisten Fans.

Du hast deine Verletzung angesprochen. Eigentlich hättest du wegen eines Meniskus-Anrisses im linken Knie früher operiert werden müssen. Aber du hast auf die Zähne gebissen, Medikamente gegen die Schmerzen genommen. Hast du das später mal bereut, weil du ja noch viele Jahre große Probleme mit deinem Knie hattest?
Sebescen: Das ist richtig. Aber ich würde es heute wieder genauso machen. Wenn du die Möglichkeit hast, ein Halbfinale und ein Finale in der Champions League zu spielen, dann willst du unbedingt dabei sein. Das war für mich überhaupt keine Frage damals. Ich hatte mich beim 4:2-Sieg gegen Liverpool verletzt, dann zog sich Jenne im Rückspiel gegen Manchester United schon nach zehn Minuten einen Kreuzbandriss zu und ich kam mit einem angerissenen Meniskus für ihn auf den Platz. Und hatte es 80 Minuten lang mit Ryan Giggs zu tun, der sicherlich zu den schnelleren Spielern gehörte. Aber viele von uns gingen am Ende dieser Saison mit unfassbar vielen Spielen in drei Wettbewerben plus Länderspielen auf dem Zahnfleisch.

Trotzdem habt ihr es bis ins Finale geschafft.
Sebescen: Ja, und dass ich dort im Hampden Park auf dem Platz stehen durfte, darauf bin ich heute noch megastolz – und im Übrigen auch immer noch der Meinung, dass wir damals die bessere Mannschaft waren.

Zur Person:
Zoltan Sebescen wurde am 1. Oktober 1975 in Ehingen geboren. Mit dem Fußballspielen begann er in der Jugend der Stuttgarter Kickers, verbrachte dort auch seine ersten Profi-Jahre und machte für die Kickers 53 Spiele in der 2. Liga. 1999 wechselte Zoltan zum VfL Wolfsburg (49 Pflichtspiele, 10 Tore) und kam im Sommer 2001 nach Leverkusen. Für Bayer 04 absolvierte er in drei Jahren insgesamt 56 Pflichtspiele (7 Tore, 7 Assists). Für die deutsche A-Nationalmannschaft bestritt er ein Länderspiel. Wegen anhaltender Kniebeschwerden beendete Zoltan seine Profi-Karriere im August 2005. Seit zweieinhalb Jahren spielt er für die Bayer 04-Traditionsmannschaft. Außerdem kickt der 45-Jährige immer noch regelmäßig für den TV Unterboihingen in der Kreisliga A. Hauptberuflich ist Zoltan Sebescen Store Leader bei Decatholon Deutschland in deren Filiale in Esslingen, Baden-Württemberg.

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