#RoadtoGlasgow – Reise-Organisator: „Und dann telefonierten wir uns die Finger wund“

Matthias Grimm war von 2000 bis 2006 Büroleiter bei der BaySports Travel GmbH (heute HRG Sports Travel) und als solcher für die Organisation der Bayer 04-Auswärtsreisen im In- und Ausland zuständig. Seit 2006 arbeitet der 54-Jährige als Travel Manager für den Deutschen Fußball-Bund. Wir haben mit ihm über die wohl kurioseste und anstrengendste Reise auf der #RoadToGlasgow gesprochen – den zweimaligen Trip in die nebelverhangene Hauptstadt des Piemonts Ende November 2001.
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Matthias, lass uns über Turin reden.

Grimm: Sehr gerne, Turin ist eine wunderschöne Stadt.

Ihr durftet sie damals ja intensiv erleben und wart innerhalb einer Woche gleich zweimal dort.

Grimm (lacht): Ja, und wir hatten wirklich beide Male richtig tolles Wetter mit viel Sonnenschein – tagsüber. Mir haben diese kilometerlangen Arkaden in der Innenstadt sehr gut gefallen. Für mich persönlich war es auch die erste Reise nach Turin. Eigentlich erstaunlich, dass ich seit diesen Touren mit Bayer 04 nie wieder dort war. Die Stadt hat so viel zu bieten.

Abends kann es dort allerdings ungemütlich werden, wenn der Nebel vom Po heraufzieht – so wie damals. Im Ernst: Wie stressig waren diese beiden Touren für dich als Reiseleiter?

Grimm: Na ja, beim ersten Mal gab’s organisatorisch noch keine großen Probleme. Nach der Spielabsage und der Verlegung um eine Woche sind wir am selben Abend noch zurückgeflogen, was wir auch im Falle einer regulären Spielaustragung gemacht hätten. Eine Woche später, bei der zweiten Reise, wurde es schon komplizierter. Zunächst einmal war’s wie ein Déjà-vu-Erlebnis. Wieder ein wunderschöner Tag, wieder stieg ab 18 Uhr der Nebel auf. Im Stadion kam der Schiedsrichter ständig auf den Platz und schaute, ob er die Partie nicht vielleicht doch anpfeifen könne. Die Profis machten sich im Spielertunnel warm. Weil wir nicht wussten, wie die UEFA bei einer erneuten Absage entscheiden würde, bereiteten wir uns schon mal auf den Worst Case vor. Es stand im Raum, die Partie am nächsten Tag anzupfeifen.

Was habt ihr gemacht?

Grimm: Wir begannen ab 18 Uhr damit, sämtliche Hotels in Turin und näherer Umgebung abzutelefonieren, die für uns in Frage kamen. Denn wie eine Woche zuvor hatten wir unsere Hotelzimmer auch diesmal mit einem Late-Check-out gebucht, weil wir davon ausgingen, dass wir gleich nach der Partie zurückfliegen würden. In unserem Hotel war für die kommende Nacht alles belegt. Hier mussten wir also raus und für den Fall der Fälle noch eine Unterkunft für unsere Reisegruppe besorgen. Dazu gehörten neben Mannschaft und Staff auch noch die Bayer 04-Delegation mit den Klub-Verantwortlichen und die Pressevertreter. Dass es schwierig werden würde, noch Hotels zu finden, wussten wir. Denn in diesen Tagen fand ein großer Ärzte-Kongress in Turin statt.

Wie lange hat sich die Suche hingezogen?

Grimm: Das hat alles schon ein paar Stunden in Anspruch genommen. Man darf nicht vergessen, dass es mit dem Internet damals noch nicht weit her war. Wir lebten noch mehr oder weniger in analogen Zeiten. Also lief unsere Suche übers Telefonbuch ab. Vor Ort hatten wir eine Reiseagentur, mit der wir zusammenarbeiteten – und dann telefonierten wir uns die Finger wund. Wir sind sogar zu anderen Hotels in der Nähe gelaufen und haben nachgefragt, ob hier noch Plätze frei waren. Man muss dazu auch wissen, dass die Hotel-Auswahl in Turin damals noch sehr überschaubar war. Schließlich fanden wir für die Mannschaft nur ein Hotel mit den entsprechenden Kapazitäten außerhalb Turins, im Aosta-Tal. Wunderschön gelegen zwar, aber eben auch verdammt weit weg. Ein reiner Zufallstreffer. Ein paar Zimmer für die Medienvertreter und unsere Delegation konnten wir noch in Turin selbst buchen. Das alles regelten wir aus dem Stadion heraus und auch noch unter erschwerten Bedingungen.

Inwiefern?

Grimm: Als das Spiel abgesagt war, und die Spieler von Juventus schon wieder auf dem Weg nach Hause waren, schaltete man uns im Stadio delle Alpi einfach das Licht aus (lacht). Auf diese Weise teilten uns die Italiener mit: So, jetzt aber raus mit euch. Dabei waren wir noch mitten in der Organisation, wie es jetzt weitergehen sollte.

Die von Bayer 04 eingeladenen Fans, die schon bei der ersten Turin-Reise dabei waren, und die VIPs konnten noch in der Nacht zurückfliegen.

Grimm: Ja, für sie alle hätten wir unmöglich noch Zimmer finden können. Deshalb waren wir der Fluggesellschaft sehr dankbar. Dass sie noch flog, war aufgrund des starken Nebels auch am Turiner Flughafen keine Selbstverständlichkeit, sondern lag im Ermessen des Piloten. Die Lufthansa hat uns am selben Abend noch einen kleinen Jet geschickt, der die Mannschaft am nächsten Tag nach dem Spiel wieder nach Köln zurückbrachte.

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Die Entscheidung, die Partie auf den nächsten Tag zu verlegen, fiel erst nach mehrstündiger Diskussion mit den UEFA-Verantwortlichen ziemlich spät am Abend. Die Mannschaft hatte dann noch eine lange Busfahrt vor sich. Wie hat das Team reagiert auf diese Situation?

Grimm: Sehr professionell. Ich bin ja zusammen mit der Mannschaft im Bus durch Nacht und Nebel ins Hotel gefahren. Wir waren rund zwei Stunden unterwegs, kamen erst mitten in der Nacht an. Aber es hat sich keiner aufgeregt. Wir hatten in Turin in der Nähe des Stadions in einer Pizzeria noch Pasta für die Fahrt besorgt. Manche haben versucht zu schlafen. Aber es war natürlich keine optimale Spielvorbereitung, weil wir am selben Tag ja auch wieder die zwei Stunden zurückfahren mussten. Normalerweise hast du eine halbstündige Anfahrt. Die Spieler waren kaputt, keine Frage. Und ich habe die ganze Nacht auch nicht geschlafen.

Du bist schon so lange in der Reise-Organisation tätig und seit 2006 beim DFB als Travel Manager im Einsatz. Hast du eine ähnliche Situation wie damals in Turin noch einmal erlebt?

Grimm: Nein, nie wieder. Ich habe allerdings auch meine Lehren daraus gezogen. Wir haben später nie wieder Zimmer mit Late-Check-out gebucht, sondern immer noch eine Übernachtung dazu. So dass wir – wenn nötig – noch eine weitere Nacht im Hotel hätten verbringen können. Nie wieder sollte es mir passieren, dass ich nachts noch hektisch Zimmer suchen musste (lacht). Aber diese ganze Geschichte hatte auch ihr Positives.

Nämlich?

Grimm: In dieser besonderen Stress-Situation haben wir uns als Team hinter dem Team bewährt. Meine damalige Kollegin von BaySports Travel, wie HRG Sports Travel damals hieß, kümmerte sich unter anderem mit Silke Steinhausen um die mitreisenden VIPs. Außerdem war auch ein Fanbeauftragter für die Anhänger der Werkself mit dabei. Teammanager Hans-Peter Lehnhoff hat in Richtung Mannschaft und Staff vieles abgefedert. Die Gruppe um den Sicherheitsbeauftragten Ralf Ziewer leistete großartige Arbeit. Es war wirklich ein tolles Teamwork. In dem Moment hat man gemerkt, dass das auch um die Mannschaft herum eine super Truppe war. Ich glaube, Turin hat uns zusammengeschweißt und auch gut vorbereitet auf weitere Groß-Ereignisse wie das Finale in Glasgow.

Bis dahin seid ihr kreuz und quer durch Europa gereist. Was waren deine persönlichen Highlights?

Grimm: Wirklich schwer zu sagen, weil damals eigentlich alle Reisen toll waren und jede ihren eigenen Reiz hatte. Besonders schön fand ich La Coruna. Ich war vorher noch nie in Galizien gewesen. In dieser wunderschönen Stadt am Meer hatten wir einen Tag vor dem Spiel einen fantastischen Abend. Alles lag hier auch sehr eng beieinander. Vom Stadion konnten wir nach dem 3:1-Sieg zu Fuß zurücklaufen zu unserem Hotel. Und natürlich waren auch die vielen Reisen nach England großartig. Bei Arsenal im alten Highbury Park fand ich die Atmosphäre schon fantastisch. Und dann erst Liverpool! Ich hatte Gänsehaut an der Anfield Road, als die Fans dort „You’ll never walk alone“ sangen. Zunächst hatte es eine Schweigeminute gegeben, weil vier Tage zuvor Queen Mum im Alter von 101 Jahren gestorben war. Es war also zuerst mucksmäuschenstill und dann kam diese Hymne. Das war der Wahnsinn.

Es ist bekannt, dass der damalige Geschäftsführer Reiner Calmund großen Wert auf eine möglichst perfekte Reise-Organisation legte, nicht nur auf in Bezug auf die Hotels und Restaurants. Wie war die Zusammenarbeit mit ihm für dich?

Grimm (lacht): Calli hat natürlich gepuscht. Alles musste immer schnell, schnell, schnell gehen. Ich habe unheimlich viel gelernt von ihm in dieser Zeit. Was mich total beeindruckt hat: Calli hat sich immer stark für die Fans gemacht. Ihm war wichtig, dass möglichst viele Anhänger diese Auswärtstouren möglichst günstig mitmachen konnten. Wenn man  bedenkt, dass etwa zwischen dem Viertelfinale gegen Liverpool und dem Halbfinale gegen Manchester nur zwei Wochen lagen, kann man sich vorstellen, dass die Organisation der Reisen schon sehr arbeitsintensiv war. Zumal wir uns ja zu dem Zeitpunkt auch bereits mit Berlin und dem DFB-Pokalfinale beschäftigen mussten. Du warst in einem Tunnel und hast nach und nach alles abgearbeitet. Denn es wollten ja auch, je weiter die Mannschaft kam, desto mehr Fans mitreisen. Ich habe zwar wenig geschlafen in diesen Monaten, aber extrem viel erlebt und gelernt. Es war eine fantastische Zeit!

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