#RoadtoGlasgow – OnThisDay: Manchester United – Bayer 04 2:2

Im dritten Anlauf gelang Bayer 04 endlich der erste Punktgewinn in England. Das 2:2 beim damals aktuellen englischen Meister Manchester United war von der Dramatik her nicht mit dem 4:2 gegen den FC Liverpool einige Wochen zuvor vergleichbar. Aber das Duell im Old Trafford entwickelte sich – was Tempo, Leidenschaft und Niveau betraf – zum vielleicht besten Fußballspiel dieser Champions-League-Saison 2001/02.
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Ausgangslage

Die Enttäuschung nach der 1:2-Heimniederlage gegen Werder Bremen saß tief. „Natürlich war die Stimmung in der Kabine schlecht“, sagte Oliver Neuville nach der Partie, die den Vorsprung des bis dahin unangefochtenen Bundesliga-Tabellenführers Bayer 04 zwei Spieltage vor Saisonende auf nur noch zwei Punkte vor Verfolger Borussia Dortmund schrumpfen ließ. „Ein zweites Unterhaching ist nicht auszuschließen“, fand Kapitän Jens Nowotny mahnende Worte. Eher trotzig fragte Michael Ballack in Richtung der besorgt dreinblickenden Journalisten: „Ist irgendwas passiert?“ Im Meisterschaftsrennen hatte die Werkself schließlich immer noch alles in der eigenen Hand.

Nun galt die volle Konzentration ohnehin erst einmal dem in vier Tagen stattfindenden ersten Halbfinalspiel in der Champions League bei Manchester United. „Wir sind stolz, hier im Fußballtempel gegen einen der drei ganz Großen Europas antreten zu dürfen“, gab Klaus Toppmöller auf der Pressekonferenz vor der Partie zu Protokoll. „Ich bin gespannt, wie sich unsere Innenverteidigung mit Nowotny und Lucio gegen eine Top-Granate wie van Nistelrooy schlägt. Wie unser Mittelfeld Giggs in den Griff bekommt, wie wir gegen Veron aussehen.“ Ein anderer Superstar der Red Devils, David Beckham, stand wegen seines Mittelfußbruches nicht zur Verfügung. Aber natürlich ging die Werkself im Old Trafford als klarer Außenseiter ins Rennen. Sir Alex Ferguson, die Trainerlegende von Manchester United, der den Klub in den vergangenen 16 Jahren zu sieben Meistertiteln, vier FA-Cups, einem Europacup der Pokalsieger (1991) und zuletzt 1999 zum Gewinn der Champions League geführt hatte, lobte anerkennend „Toppmöllers fantastische Arbeit“. Doch in den englischen Medien war die Sache ausgemacht: United werde den „Gegner ohne Glamour“ (Daily Mail) ausschalten. In der Premier League hatte der Meister am Wochenende souverän mit 3:0 beim FC Chelsea gewonnen und sich bis auf zwei Punkte an Tabellenführer FC Arsenal herangeschoben.

Spielverlauf

Wie im entscheidenden Spiel in der Zwischenrunde bei Deportivo La Coruna setzte Toppmöller im Old Trafford in der Offensive nur auf eine Spitze. Den Job übernahm diesmal an Stelle des verletzten Thomas Brdaric aber Dimitar Berbatov. Die in Blau spielenden Leverkusener überließen den Gastgebern zunächst die Initiative. Manchester United begann stark, vor allem van Nistelrooy machte mächtig Betrieb. Der Niederländer bereitete auch den allerdings glücklichen – weil von Boris Zivkovic noch abgefälschten – Führungstreffer der Briten durch Solskjaer vor (29.). Die Gäste, die bis dahin den Ball ordentlich durch die eigenen Reihen hatten laufen lassen, wurden jetzt auch im Spiel nach vorne mutiger. Diego Placente und Zé Roberto kurbelten auf der linken Seite an, Yildiray Bastürk wirbelte im zentralen Mittelfeld, und Berbatov vergab die große Chance zum Ausgleich per Kopfball (34.). Jens Nowotny musste in der Pause angeschlagen in der Kabine bleiben, für ihn kam Zoltan Sebescen ins Spiel, Boris Zivkovic rückte von der rechten Seite in die Innenverteidigung. Bayer 04 war in der zweiten Hälfte die klar spielbestimmende Mannschaft, drückte aufs Tempo und belohnte sich nach einer Stunde mit dem Ausgleich, als Michael Ballack eine scharfe Hereingabe von Bernd Schneider technisch perfekt per Volley-Aufsetzer zum 1:1 verwertete (62.). Dass nur fünf Minuten später van Nistelrooy von Zé Roberto etwas ungestüm im Strafraum gestoppt wurde und der Torjäger den Elfmeter zur erneuten Führung der Gastgeber selbst verwandelte, tat dem großartigen Spiel der Leverkusener keinen Abbruch. Die Werkself zeigte unerschrockenen, begeisternden Angriffsfußball und kam immer wieder zu gefährlichen Abschlüssen. Der 2:2-Ausgleich des erst drei Minuten zuvor eingewechselten Oliver Neuville nach einem abgeblockten Bastürk-Schuss war hochverdient (75.).

Momente des Spiels

In der mitreißenden Partie gab es nicht nur eine Unmenge an Torraumszenen, sondern auch viele packende Zweikämpfe. So waren es oft auch die durch faire Grätschen herbeigeführten Ballgewinne auf beiden Seiten, die die 68.000 Zuschauer im Old Trafford immer wieder begeisterten. Das großartige Publikum verabschiedete auch die Werkself nach dem Abpfiff mit tosendem Applaus in die Kabine. „Eine tolle Geste“, fand Bayer 04-Geschäftsführer Wolfgang Holzhäuser. Michael Ballack „hatte schon beim Einlaufen in dieses wunderbare Stadion Gänsehaut“.

Spieler des Spiels

Yildiray Bastürk stellte die Red Devils mit seiner grandiosen Ballbehandlung und seinen Sololäufen vor große Probleme. Der quirlige Türke kurbelte unermüdlich an, suchte stets den direkten Weg zum Tor, sprühte vor Spielfreude und lief Kilometer um Kilometer. Nach 78 Minuten nahm Toppmöller seinen völlig ausgepumpten Edel-Techniker nach überragender Vorstellung vom Platz.

Stimmen

Michael Ballack sprach nach dem Schlusspfiff „ein großes Kompliment an die Mannschaft“ aus. „Sie hat heute von der ersten Minute an ganz hervorragend gekämpft und hinterher auch sehr gut gespielt. Das ist in Manchester nicht unbedingt selbstverständlich. Wer hier besteht, ist eine große Mannschaft.“  Auch Manager Reiner Calmund war begeistert: „Es war ein traumhaftes Fußballspiel. Ein solch schnelles Spiel auf solch hohem Niveau habe ich schon Jahre nicht mehr gesehen.“ Torhüter Jörg Butt lobte: „Das Trainerteam hat uns auf dieses Spiel hervorragend eingestellt. Unsere Taktik ist im Grunde von Anfang an aufgegangen.“ Cheftrainer Klaus Toppmöller fand: „Wir haben eine Leistung gezeigt, auf die wir alle sehr stolz sein können. Ich hatte schon Angst, dass wir in unserer gesteigerten Spielfreude, in unserer rotzfrechen Art die Abwehrarbeit vergessen und uns noch einen Konter fangen.“ Sein Kollege Ferguson sprach von „einem fairen Ergebnis eines fantastischen Spiels“ und verbreitete Optimismus: „Wir werden in Leverkusen ein Tor schießen. Es ist noch nicht vorbei.“

Pressespiegel

Die englische Presse zeigte sich beeindruckt von der Leistung der Leverkusener. Selbst die Daily Mail, die Bayer 04 in ihrem Vorbericht als „Gegner ohne Glamour“ bezeichnet hatte, erkannte an: „Nun braucht United ein weiteres Wunder. Fergusons Männer müssen wieder den Geist von ´99 hervorrufen. Die Aufgabe ist nicht leicht, Leverkusen hat hervorragend gespielt. Der deutsche Spitzenreiter kennt keine Gnade.“ The Sun forderte: „Her mit dem Endspiel. Hinkendes United kann sich noch ins Finale kämpfen. Sir Alex sagte vor dem Spiel, er kann den Erfolg riechen. Jetzt muss er seine Nase in die Verlängerung schicken, um Leverkusen noch zu schlagen.“ Der Daily Telegraph ahnte schon: „United steht einer entmutigenden Aufgabe gegenüber.“

Großer Respekt wurde der Werkself auch in spanischen Zeitungen gezollt. In der Marca hieß es: „Bayer lässt die Fundamente von ManU erzittern. Leverkusen schlägt Kapital aus den defensiven Schwächen von Manchester.“ El Mundo schrieb: „Bayer bringt Old Trafford zum Verstummen. Während die Deutschen ein Riesenspiel zeigten, sorgte ManU nur in der Anfangsphase für Schrecken.“ Die Sport erkannte: „Die Deutschen haben sich nicht einschüchtern lassen. Bayer Leverkusen erweist sich als gerissener Neuling und bestätigt seine Topform im Old Trafford.“ Und El Pais betonte: „Bayer stellt in Manchester sein Talent unter Beweis. Die Leverkusener zeigen Mut und guten Fußball.“

Auch die italienische Medienlandschaft war voll des Lobes. „Ein fantastisches Spiel“, sah Tuttosport. „Zwei der traditionsreichsten Fußballschulen traten in Konkurrenz. Leverkusen hätte den Sieg verdient gehabt.“ Die Corriere dello Sport orakelte: „Manchester United ist fast draußen. Der englische Klub zittert vor den nicht zu bremsenden Leverkusenern. Das Spiel sollte als Werbung für den Fußball verwendet werden.“ Für die Gazzetta dello Sport ist „Bayer die Überraschung der Saison. Die Deutschen erobern das Stadion ihrer Träume.“

Statistik

Manchester United: Barthez – G. Neville (18. P. Neville, 88. Irwin), Blanc, Brown, Silvestre – Veron, Scholes (82. Keane), Butt, Solskjaer – van Nistelrooy, Giggs

Bayer 04: Butt – Zivkovic, Lucio, Nowotny (46. Sebescen), Placente – Schneider, Ballack, Ramelow, Bastürk (78. Vranjes), Ze Roberto – Berbatov (72. Neuville)

Tore: 1:0 Solskjaer (29.), 1:1 Ballack (62.), 2:1 van Nistelrooy (67., FE), 2:2 Neuville (75.)

Gelbe Karten: P. Neville – Zivkovic, Ze Roberto

Chancenverhältnis: 7:6

Torschüsse: 7:14; aufs Tor: 3:4

Ecken: 6:4

Schiedsrichter: Lubos Michel (Slowakei)

Zuschauer: 68.000 (ausverkauft)

Bilder des Spieltags

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Support

Wie schon die Anfield Road in Liverpool übte auch das Old Trafford eine große Anziehungskraft auf die Leverkusener Fanszene aus. Rund 1.500 schwarz-rote Anhänger machten sich per Auto, Bus oder Flieger auf den Weg in die nordenglische Stadt. Viele von ihnen staunten bei einer Stadionführung im „Theater der Träume“ über die Trophäensammlung im Museum des Klubs, gönnten sich einen Snack im Red Café oder nahmen kurz Platz im Pressezentrum, das in seiner holzvertäfelten Gediegenheit wirkt wie eine Mischung aus Kino und Gerichtssaal. Weltweit verfolgten das Spiel rund eine Milliarde Fernsehzuschauer. RTL hatte Einschaltquoten von bis zu 45 Prozent.

Stand der Dinge

Man war sich einig auf Leverkusener Seite: Das 2:2 ließ für das Rückspiel in der BayArena eine Woche später alle Möglichkeiten offen. „Ich hätte auch mit einem 0:1 oder 1:2 gut leben können, jetzt sind unsere Chancen von 30:70 auf 50:50 gestiegen“, sagte Manager Reiner Calmund. Im zweiten Halbfinale hatte sich tags zuvor Real Madrid mit 2:0 beim FC Barcelona durchgesetzt und stand damit bereits mit einem Fuß im Finale.

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