Mit drei Siegen aus den ersten drei Gruppenspielen im Gepäck trat Bayer 04 die Reise nach Barcelona an. Überhaupt hatte die Werkself eine stolze Serie hingelegt und in den bisherigen 15 Pflichtspielen der Saison noch nicht einmal verloren. Dass das Toppmöller-Team im Nou Camp deshalb auch in der Favoritenrolle war, ließ sich dennoch nicht behaupten. Das katalanische Star-Ensemble hatte zwar drei Wochen zuvor in Leverkusen den Kürzeren gezogen (1:2), seine Partien gegen Olympique Lyon (2:0) und bei Fenerbahce Istanbul (3:0) aber souverän für sich entschieden. „Das ist ein sehr wichtiges Spiel für uns“, sagte Barca-Coach Carles Rexach vor dem zweiten Aufeinandertreffen mit Bayer 04, dessen Manager Reiner Calmund regelrecht ins Schwärmen geriet: „Nou Camp ist Legende, ist Religion. Es ist sensationell, wenn man diesen Mythos spürt.“
Der Fußball-Tempel war zwar mit knapp 50.000 Zuschauern nicht ausverkauft, doch die Atmosphäre im Nou Camp schien die Werkself ebenso zu beeindrucken, wie die Wucht der Angriffe, die die Hausherren vom Anpfiff weg aufs Bayer-Tor starteten. Barca ging nach Vorarbeit von Javier Saviola durch Patrick Kluivert bereits nach zwölf Minuten in Führung. Weitere Großchancen der Katalanen verhinderten Torhüter Jörg Butt und Verteidiger Diego Placente auf der Linie. Überraschend gelang Carsten Ramelow nach einer Neuville-Ecke der Ausgleich (32.). Die Freude darüber währte aber nur kurz: Sechs Minuten später sorgte Luis Enrique nach einem Standard für die erneute Führung der Gastgeber. Ohne Jens Nowotny, der wegen einer Meniskusquetschung angeschlagen ins Spiel gegangen war und zur Halbzeit in der Kabine blieb, sah sich Bayer 04 zu Beginn der zweiten Hälfte noch größerem Druck des Gegners ausgesetzt. Nach einer Stunde kam die Werkself besser ins Spiel und ihrerseits zu guten Chancen durch Bernd Schneider (63.) und vor allem Ulf Kirsten (65.), der die größte Gelegenheit zum Ausgleich aus acht Metern ungenutzt ließ. Trotz eines starken Schlussspurts musste Bayer 04 am Ende die erste Niederlage im 16. Pflichtspiel der Saison hinnehmen.
Hatte es die Werkself dem FC Barcelona schon beim 0:1 allzu leicht gemacht, als Saviola nach einem schnell ausgeführten, langen Freistoßball von Rivaldo ungehindert auf Kluivert durchstecken konnte, war der 2:1-Siegtreffer der Gastgeber fast noch ärgerlicher. Nach dem scharf hereingegebenen Freistoß von Xavi herrschte Konfusion im Leverkusener Fünfmeterraum: Jörg Butt kam spät raus, wehrte Kluiverts Kopfball aus kürzester Distanz dennoch fast artistisch ab, Luis Enrique drosch den Abpraller aber völlig freistehend aus drei Metern in die Maschen.
Michael Ballack bereitete nicht nur den zwischenzeitlichen 1:1-Ausgleich von Carsten Ramelow per Kopfballverlängerung vor, sondern setzte vor allem in der zweiten Halbzeit auch die meisten offensiven Akzente bei der Werkself und war hauptverantwortlich dafür, dass es am Ende noch einmal spannend wurde.
„Keine Angst, wir kommen weiter“, beruhigte Ballack all jene, die sich nach dem 1:2 Sorgen machten um die Ausgangsposition in Gruppe F. Während für den Nationalspieler „eine Niederlage in Barcelona das Normalste von der Welt“ war, befürchtete Reiner Calmund: „Wir müssen um den Einzug in die Zwischenrunde bis zur letzten Minute zittern. Das abschließende Spiel gegen Lyon wird eine Nervenschlacht, darauf müssen wir uns einstellen.“ Klaus Toppmöller sah das entspannter. Der Trainer war zwar „sauer, dass wir verloren haben“, sah aber auch viel Positives: „Wir können stolz nach Hause fahren, weil wir trotz der Schlappe überzeugt haben. Ich bin sicher, dass wir die zweite Gruppenphase erreichen.“
Auch die spanischen Medien erkannten sehr wohl, dass der Erfolg von Barca hart erkämpft war. „Der FC Barcelona triumphiert mit Hängen und Würgen“, schrieb El Periodico de Catalunya. Bei Sport heißt es: „Barcelona zeigte zauberhaften Fußball, mutete den Fans am Ende aber Qualen zu.“ Und auch La Vanguardia hielt fest: „Barcelona begann wie in Ekstase, musste dann aber arg leiden.“
FC Barcelona: Bonano – Puyol, Christanval, de Boer, Coco – Luis Enrique, Xavi (48. Gerard), Cocu – Kluivert, Saviola (79. Geovanni), Rivaldo (74. Gabri)
Bayer 04: Butt – Schneider, Nowotny (46. Zivkovic), Lucio, Placente – Ramelow (76. Brdaric), Bastürk, Ballack, Ze Roberto – Kirsten (76. Sebescen), Neuville
Tore: 1:0 Kluivert (12.), 1:1 Ramelow (32.), 2:1 Luis Enrique (38.)
Gelbe Karten: Luis Enrique, Christanval, Puyol – Lucio, Placente
Chancenverhältnis: 8:4
Torschüsse: 9:11; aufs Tor: 6:5
Ecken: 6:3
Schiedsrichter: Pierluigi Collina (Italien)
Zuschauer: 49.000
Mehr als 1.000 Fans unterstützten Bayer 04 in Barcelona. Viele von ihnen machten sich mit dem Bus auf die lange Reise. Und einige hingen sogar noch ein paar Tage an der Costa Brava dran. So wie Karl Storr, der mit seinen Freunden vom Fanclub Schwarz-Rote Desperados in der Touristen-Hochburg Calella, rund 60 Kilometer nördlich von Barcelona, übernachtete. Vom Spiel im Nou Camp ist ihm vor allem die ungewöhnliche Perspektive aus dem Gäste-Fanbereich in Erinnerung geblieben: „Wir saßen ganz oben in der Ecke in diesem riesigen Stadion und konnten unsere Spieler kaum erkennen, so weit waren die weg. Beeindruckend war es trotzdem.“
Der FC Barcelona rückte mit dem 2:1-Sieg und dank der besseren Tordifferenz vor die punktgleichen Leverkusener auf Platz eins. Als Dritter mit drei Punkten Rückstand war auch Olympique Lyon, das Fenerbahce Istanbul 3:1 bezwungen hatte, noch aussichtsreich im Rennen. Am 23. Oktober würde sich Bayer 04 mit einem Sieg in Istanbul möglicherweise schon für die Zwischenrunde qualifizieren können.
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