„Müde, enttäuscht und einfach nur leer“, fühlte sich Klaus Toppmöller nach der 2:4-Niederlage im DFB-Pokalfinale gegen den FC Schalke 04. Gerade hatte seine Mannschaft den zweiten von drei möglichen Titeln nicht gewonnen. Wie nach der auf den letzten Metern verlorenen Meisterschaft stand man auch am 11. Mai im Berliner Olympiastadion wieder mit leeren Händen da. Allzu viel Zeit, die Wunden zu lecken, hatten Ballack, Berbatov und Co. allerdings nicht. Nur vier Tage nach dem Finale in der deutschen Hauptstadt stand in Glasgow das Endspiel in der Champions League gegen Real Madrid auf dem Programm. Also schlug Manager Reiner Calmund eine rustikale Form der Frustbewältigung vor: „Ich würd‘ jetzt die ‚Leck-mich-in-de-Täsch-Haltung‘ einnehmen und es richtig krachen lassen. Dann haste am nächsten Tach zwar ‘ne dicke Kopp, aber wenigstens die Birne frei.“
Tags drauf empfingen rund 5.000 Fans ihre Mannschaft vor der BayArena im Rahmen der Saisonabschlussparty und versuchten, die Werkself mental wieder aufzubauen. Unter anderem mit einem Transparent und dem – na gut – arg schlichten Reim: „Deutschlands bester Vize. Ihr braucht keine deutschen Titel, das ist nicht euer Niveau; holt euch den Europatitel, macht uns in Glasgow froh.“
Auch für Real Madrid war die Saison bisher alles andere als wunschgemäß verlaufen. In der Copa del Rey, dem nationalen Pokalwettbewerb, hatte das Starensemble im heimischen Bernabeu-Stadion das Finale gegen Deportivo La Coruna mit 1:2 verloren. Und gegen denselben Gegner musste man sich fünf Tage vor dem Champions-League-Finale auch in der spanischen Meisterschaft mit 0:3 geschlagen geben. Womit Real in der Abschlusstabelle hinter Meister FC Valencia und La Coruna nur auf Platz 3 landete und die direkte Qualifikation für die Königsklasse verpasst hatte. Und das ausgerechnet im Jahr seines 100-jährigen Bestehens.
Verteidiger Roberto Carlos fürchtete eine totale Null-Saison. „Wenn wir am Mittwoch den neunten Europapokal der Landesmeister für Real holen, ist alles in Ordnung. Wenn nicht, erleben wir die Hölle“, sagte der brasilianische Nationalspieler. Real Madrids Trainer Vicente del Bosque sah es ähnlich: „Nur wenn wir diese Copa holen, war es ein gutes Jahr.“ Natürlich sei seine Mannschaft Favorit, „das sind wir immer“, so Del Bosque. „Aber Bayer besitzt eine Elf, die nie aufgibt und immer für Überraschungen auf dem Platz gut ist.“
Werkself-Coach Klaus Toppmöller musste in Glasgow neben Jens Nowotny (Kreuzbandriss) auch auf den gelb-gesperrten Ze Roberto verzichten. Zudem gingen Zoltan Sebescen, Michael Ballack und Oliver Neuville angeschlagen ins Finale, in dem Thomas Brdaric und Oliver Neuville den Bayer 04-Angriff bildeten.
Das Star-Ensemble aus Madrid mit Welt-und Europameister Zinedine Zidane, dem damals aktuellen Weltfußballer des Jahres Luis Figo, Brasiliens Nationalverteidiger Roberto Carlos und Spaniens Stürmerstar Raul in der Startformation begann druckvoll im Hampden Park. Der frühen Führung der Königlichen war ein langer Einwurf von Roberto Carlos und ein Stellungsfehler von Lucio vorausgegangen. Raul erwischte Werkself-Torhüter Jörg Butt mit einem keineswegs hart geschossenen Ball auf dem falschen Fuß, so stand es schon nach neun Minuten 1:0 für Real. Aber Bayer 04 hatte schnell die passende Antwort parat. Nach einem Freistoß von Bernd Schneider wuchtete Lucio einen Kopfball zum Ausgleich in die Maschen (13.) und machte damit seinen Fehler vor dem 0:1 wieder wett. Danach dominierten phasenweise die Leverkusener, Thomas Brdaric (22.) und Michael Ballack (27.) besaßen gute Chancen, ihr Team in Führung zu bringen. Auf Seiten der Spanier kam Luis Figo so gut wie gar nicht zur Geltung. Aber Madrids anderer Superstar machte schließlich den Unterschied. Zinedine Zidanes spektakulärer Volleytreffer aus 16 Metern nach Vorarbeit von Roberto Carlos brachte kurz vor dem Pausenpfiff die erneute Führung für Real (45.).
In der zweiten Hälfte beschränkten sich die Madrilenen mehr oder weniger auf die Ergebnis-Verwaltung. Bayer 04 konnte sich zunächst keine zwingenden Möglichkeiten erspielen, forcierte seine Angriffsbemühungen aber mit zunehmender Spieldauer. In der Schlussphase boten sich den Leverkusenern Chancen fast im Minutentakt. Yildiray Bastürk und vor allem Dimitar Berbatov hatten mehrfach den Ausgleich auf dem Fuß oder Kopf. Doch der nun für den in der 68. Minute verletzt ausgewechselten Torhüter Cesar Sanchez zwischen den Pfosten stehende Iker Casillas war nicht zu überwinden. Der junge Keeper machte mit unglaublichen Reflexen etliche Großchancen der Werkself zunichte. In der Nachspielzeit besaß selbst der aufgerückte Jörg Butt noch eine gute Möglichkeit, brachte die Kugel aber auch nicht im Kasten unter.
Der 1:1-Ausgleich war ein typisches Lucio-Tor. Mit Wut im Bauch – nach seinem Fehler vor Rauls 0:1 – demonstrierte der Brasilianer einmal mehr seine Willenskraft, als er nach Bernd Schneiders Freistoß zum Kopfball hochstieg und sich mühelos gegen Reals Kapitän Fernando Hierro durchsetzte. Der spielentscheidende Treffer kurz vor Pause war zugegebenermaßen schöner. Zidanes Volley-Abnahme mit links vom Strafraumeck fällt in die Kategorie Traumtor. Der französische Superstar traf den Ball nahezu perfekt, der unter der Latte einschlug. Der vielleicht spielentscheidende Moment passierte aber erst in der 68. Minute: Iker Casillas ging für den verletzten Cesar ins Tor und wurde zum …
Er stand nur rund 25 Minuten im Kasten der Madrilenen und war letztlich doch derjenige, der seiner Mannschaft den knappen Vorsprung mit mehreren starken Paraden, Reflexen und Fußabwehren über die Zeit rettete. Iker Casillas avancierte so zum Matchwinner. Selbst Real-Sportdirektor Jorge Valdano bekannte hinterher gegenüber Reiner Calmund: „Wenn Cesar durchgespielt hätte, hättet ihr mindestens einen Treffer mehr geschossen.“
„Ich bin stolz auf diese Mannschaft“, hob Reiner Calmund zu einer Lobeshymne an. „Viele Spieler haben 70 Spiele absolviert. Sie haben noch einmal alles gegeben, alles, was Beine hat, hat bis zum Schluss gefightet. Wieder hat uns ein Tor gefehlt. Ich bin traurig und trotzdem stolz.“ Michael Ballack sagte: „Heute war Real zu knacken. Allerdings hat Madrid seine Chancen eiskalt genutzt. Wir haben hervorragend gespielt, in der Abwehr gut gestanden. Aber die wenigen Chancen, die man in so einem Finale hat, muss man nutzen.“ Oliver Neuville mochte seine Enttäuschung nicht verbergen: „Das tut weh. Wir haben gut gespielt, aber zwei blöde Tore kassiert, und am Schluss viel Pech gehabt.“ Trainer Klaus Toppmöller bekannte: „Im ersten Moment hat die Enttäuschung überwogen, aber dann der Stolz, dass die Mannschaft sich so gut verkauft hat und als Außenseiter mit Herzblut gekämpft hat.“ Bernd Schneider sah es ähnlich: „Da ist jetzt viel Frust, Wut und Enttäuschung. Man hat gesehen, dass wir nach dem 1:1 überlegen waren. Da hätten wir den Sack zumachen können. Wir sind auf einen weiten Einwurf von Roberto Carlos hereingefallen. Das Tor von Zidane war Weltklasse. Von 100 Versuchen macht er einen davon rein.“ Der Schütze des entscheidenden Treffers sagte: „Na gut, es war ein schönes Tor. Ich wusste, dass der Ball reingeht. Ich wollte unbedingt gewinnen, dieser Erfolg ist so wichtig. Für die Fans, den Verein – und für mich.“ Wie knapp es am Ende war, das erkannte auch Reals Coach Vicente del Bosque: „Bayer war sehr nahe dran am 2:2. Die haben sich nie ergeben und uns keine Minute in Ruhe gelassen.“ Während Keeper Jörg Butt offen zugab, „dass ich beim 0:1 durch Raul nicht gut aussah“, blickte Torwarttrainer Toni Schumacher aufs große Ganze: „Obwohl wir keinen Titel gewonnen haben, hat Bayer eine sensationelle Saison gespielt und viel für den deutschen Fußball getan.“ Jupp Heynckes, damals Trainer beim spanischen Erstligisten Athletic Bilbao, schlug sogar vor: „Die Fans in Deutschland sollten Leverkusen ein Denkmal setzen. In Zeiten, wo so viel auf den Plätzen herumgegurkt wird, hat diese Mannschaft die Lust am Fußball zurückgebracht.“
In den Medien stand, wenig überraschend, der Schütze des Traumtores zum entscheidenden 2:1 im Fokus. Nicht nur die spanischen Zeitungen feierten „Zidane, den König von Glasgow“ (AS), den „Gott mit der Nummer fünf“ (Marca). „Das Glück hat die weiße Farbe in einem Spiel voller Leid mit zwei unumstrittenen Helden: Zizou und Casillas“, schrieb die Sport. Auch die italienische Corriere dello Sport sah „einen Triumph für Real. Spannung ohne Ende. Toppmöllers Mannschaft kämpfte bis zum Schluss, doch gegen Zidane fand sie kein Mittel.“ In der Gazzetta dello Sport hieß es in Anspielung auf den insgesamt neunten Titel der Madrilenen in der Champions League bzw. dem Europapokal der Landesmeister: „Real spielt seine neunte Sinfonie. Toppmöllers Elf hat gekämpft, am Ende aber verdient verloren. Die Abwehr der Bayer-Elf hatte Löcher.“
Der englische The Guardian formulierte: „Ein französisches Raketengeschoss von Zidanes linkem Fuß entschied das Finale. Solange Leverkusen ein waches Auge auf Zidane hatte, sah die Mannschaft gut aus. Als Bayer einmal blinzelte, war es passiert.“ In Österreich litt man mit dem Verlierer. So hielt die Kronenzeitung fest: „Zwei Geniestreiche retten Real das Jahrhundertfest! Leverkusen ist auch beim dritten Gipfelsturm innerhalb von elf Tagen gescheitert und seinem Ruf als ewiger Zweiter auf beinahe tragische Weise treu geblieben.“
Die Presse sah in den enttäuschten Bayer 04-Profis „Helden von der traurigen Gestalt. Leverkusen steht mit leeren Händen da. Wiederum. Heroisch, aber glücklos.“ In den deutschen Medien hob man vor allem die Leistung der Leverkusener hervor. Die Kölnische Rundschau sah zwar „ein Ergebnis, das die Experten erwartet hatten, das aber nichts darüber aussagt, wie nahe das Bayer-Team am ganz großen Wurf war“. Aufgrund der vielen hochkarätigen Chancen in den letzten Minuten hätte sich Leverkusen eine Verlängerung verdient, „denn der deutsche Vizemeister hatte die vermeintlichen Überflieger aus Madrid über weite Strecken dominiert“. Auch die Rheinische Post würdigte die Leistung der Werkself schon in der Überschrift des Spielberichtes: „Ein großer Verlierer“.
Bayer 04: Butt – Sebescen (64. Kirsten), Zivkovic, Lucio (89. Babic), Placente – Schneider, Ballack, Ramelow, Bastürk – Brdaric (39. Berbatov) Neuville
Real Madrid: Cesar (67. Casillas) – Salgado, Hierro, Helguera, Roberto Carlos – Solari, Makelele (73. Conceicao), Figo (61. McManaman), Zidane – Raul, Morientes
Tore: 0:1 Raul (8.), 1:1 Lucio (13.), 1:2 Zidane (45.)
Gelbe Karten: Salgado, Roberto Carlos
Chancenverhältnis: 7:5
Torschüsse: 13:7; aufs Tor: 6:4
Ecken: 5:0
Schiedsrichter: Urs Meier (Schweiz)
Zuschauer: 51.456 (ausverkauft)
Rund 10.000 Bayer 04-Fans begleiteten die Werkself nach Glasgow. Viele davon auf eigene Faust, andere entweder in einem der 12 Flieger oder in einem der 16 organisierten Busse. Manch ein Fanclub war fast in voller Mannschaftsstärke angereist. Die „Rheinmacht Hoppaz“ zum Beispiel tummelten sich schon am Mittwochnachmittag mit 30 Mitgliedern auf dem George Square im Zentrum von Glasgow, wo sich in den Stunden vor dem Spiel Hunderte von Leverkusener Fans trafen. Fabian Fuhr und Alexander Grein hatten sich für das Finale extra noch Schottenröcke nähen lassen. Die beschwerlichste Anreise nahm zweifellos Ralf Günther auf sich. Der Bayer 04-Fan und ehemalige (Kölner) Karnevalsprinz war nach einer verlorenen Wette die rund 1.000 Kilometer aus dem Rheinland nach Glasgow geradelt. Elf Tage brauchte der damals 42-Jährige für die Strecke. Mit seinem Rad gesellte sich Günther am Nachmittag des Spieltags zu den Fans auf dem George Square, wo sich auch die Anhänger von Real Madrid, deutlich in der Überzahl, auf das Finale einstimmten. Am Abend wehte dann ein Hauch großer, alter Fußballgeschichte durch den Hampden Park. Zu den Ehrengästen Real Madrids zählten unter anderem deren Vereinslegenden Alfredo di Stefano und Ferenc Puskas. Überhaupt war reichlich Prominenz in den VIP-Logen zu sehen. Spaniens König Juan Carlos, Schauspieler und James-Bond-Darsteller Sean Connery zählten ebenso zu den Gästen wie der damalige UEFA-Präsident Lennart Johansson, DFB-Präsident Gerhard Mayer-Vorfelder, NRW-Ministerpräsident Wolfgang Clement, Boxweltmeister Henry Maske, Leverkusens Oberbürgermeister Paul Hebbel und der Vorstandsvorsitzende der Bayer AG Werner Wenning. Fast 3.000 Bayer 04-Fans schauten sich das Finale, das weltweit in über 200 Länder übertragen wurde, auf einer Großleinwand in der Leverkusener Wilhelm-Dopatka-Halle (heute: Ostermann-Arena) an.
Gefeiert wurde trotzdem: Im feinen Crutherland House bei Glasgow ließen Mannschaft, Staff, Verantwortliche, Sponsoren und VIPs eine auch ohne Titelgewinn fantastische Saison ausklingen. Ein Großteil der Bayer 04-Profis konnte sich auch nach der Rückkehr nach Leverkusen keinen längeren Urlaub nehmen. Denn gleich 14 Werkself-Spieler standen in den WM-Aufgeboten ihrer Nationalteams. Die Weltmeisterschaft in Japan/Südkorea, die schon am 31. Mai 2002 begann, sollte aus Bayer 04-Sicht ein Riesen-Erfolg werden.
Der Videospiel-Hersteller Electronic Arts (EA) hat zusammen mit der Deutschen Fußball Liga (DFL) die sechs Nominierten für die Wahl zum Bundesliga-„Spieler des Monats“ November bekannt gegeben – darunter ist mit Florian Wirtz auch ein Werkself-Profi. Fans von Schwarz-Rot können ab sofort abstimmen!
Mehr zeigenIm letzten Heimspiel der Ligaphase der UEFA Champions League 2024/25 empfängt die Werkself den tschechischen Meister Sparta Prag in der BayArena. Das Duell im Rahmen des 8. Spieltags steigt am Mittwoch, 29. Januar (Anstoß: 21 Uhr). Alle Infos zum Ticketverkauf für die Partie.
Mehr zeigenAm 8. Spieltag der VBL Club Championship waren die eSportler von Bayer 04 gegen den formstarken 1. FC Köln gefordert. Die Domstädter kassierten in der laufenden Saison erst eine Niederlage und haben sich in der Spitzengruppe der Nord-West-Division festgesetzt.
Mehr zeigenWerkself-TV zeigt nach dem 1:0-Erfolg von Bayer 04 gegen Inter Mailand am 6. Spieltag der UEFA Champions League die Pressekonferenz mit Cheftrainer Xabi Alonso...
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