#RoadtoGlasgow – „Du hörtest nur das Klimpern der Kaffeetassen“

Christoph Pluschke begleitete Bayer 04 im Oktober 2001 als Sportredakteur für den Kölner Stadt-Anzeiger nach Barcelona – und erinnert sich an eine Dienstreise, die ihre Tücken hatte.
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Nicht für Geld und gute Worte hätte er da oben sitzen mögen. Schon allein dieser Blick hinauf zur Anzeigetafel und zu den darunter befindlichen Plätzen für die Gästefans! „Keine fünf Minuten hätte ich da ausgehalten“, sagt Christoph Pluschke. Der Mann hat nun mal „tierische Höhenangst“ und ist heilfroh, dass er als Journalist die Partie zwischen dem FC Barcelona und Bayer 04 von der Pressetribüne aus verfolgen darf. Am Abend vor dem Spiel, beim Abschlusstraining, lässt der Sportredakteur des Kölner Stadt-Anzeigers unten am Spielfeldrand die gewaltigen Dimensionen des größten Fußballstadions in Europa erstmals auf sich wirken. Es ist seine Premiere im Nou Camp. Er ist beeindruckt, aber die Leverkusener Fans, die tags darauf ihre Mannschaft aus schwindelerregender Höhe anfeuern werden, tun ihm jetzt schon leid.

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Bankett im Luxus-Restaurant - kaum Schlaf im Anschluss

Allerdings hält diese Dienstreise auch für ihn selbst noch einige Überraschungen bereit. Schon die erste Nacht in Barcelona wird unruhig. Pluschke ist zwar wie die anderen Medienvertreter gemeinsam mit dem Bayer 04-Tross in die katalanische Metropole geflogen, aber nicht im Pressehotel untergebracht. Seine Unterkunft liegt in unmittelbarer Nähe zur Ausländerbehörde. „Ab 4 Uhr morgens versammelten sich dort über verschiedene Straßenzüge hinweg Asylbewerber, die, von berittener Polizei begleitet, Schlange standen, um dann später in die Behörde vorgelassen zu werden. An viel Schlaf war da nicht zu denken“, erzählt Pluschke.

Dabei war der Abend so schön ausgeklungen. Beim Bankett auf der Terrasse des Luxus-Restaurants „Barceloneta“ mit Blick auf den Yachthafen Port Vell hatte Reiner Calmund die mitgereisten Journalisten, Sponsoren und VIPs in einer flammenden Rede auf das bevorstehende große Spiel eingestimmt. „Man merkte ihm an, wie stolz er darauf war, nun mit seinem Klub Teil der europäischen Fußball-High-Society zu sein“, sagt Pluschke.

In den spanischen Medien wurde Bayer 04 damals freilich noch nicht als Mitglied der feinen Gesellschaft wahrgenommen. Im Gegenteil: Die örtlichen Zeitungen in Barcelona schrieben in leicht abfälligem Ton über die „Aspirin-Equipe de Bayer“. „Trotz einiger Teilnahmen an der Champions League in den Jahren zuvor, hat sich der Klub ja erst in dieser Saison 2001/02 weithin sichtbar den sportlichen Respekt erarbeitet“, sagt Pluschke.

Lucio, Diego Placente, Dimitar Berbatov - „Was für Spieler!“

Ihm selbst sei einige Monate vorher, im Winter-Trainingslager von Bayer 04 in Rom, schon klargeworden, was für ein Riesen-Potenzial in der Mannschaft steckte. „Berti Vogts war noch Trainer, als an einem trüben Januarmorgen drei Neuzugänge ihre erste Trainingseinheit absolvierten: Lucio, Diego Placente und Dimitar Berbatov. Meine Güte, ich kriege heute noch Gänsehaut, wenn ich an dieses Training denke. Was für Spieler! Vor allem Berbatov – ich habe nie zuvor so einen begnadeten Fußballer gesehen.“

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Der Bulgare kam im Nou Camp zwar nicht für die Werkself zum Einsatz, dafür aber standen Lucio und Placente wie gewohnt in der Startformation. Rund 50.000 Zuschauer füllten die riesige Schüssel nur zur Hälfte. Die Atmosphäre hatte sich Christoph Pluschke ohnehin irgendwie anders vorgestellt. Seine Journalisten-Kollegen und er saßen auf der Pressetribüne hinter Glas. „Das gibt es nur in wenigen Stadien Europas. Bei den Chancen und den beiden Toren von Barca drang nur ein gedämpftes Rauschen durch die dicken Scheiben. Ansonsten hörtest du während des Spiels nur das Klimpern der Kaffeetassen aus dem angrenzenden Gastronomiebereich.“ Einige Jahre später erlebte der Redakteur die Stimmung im Nou Camp einmal als privater Besucher auf der normalen Tribüne. „Aber auch da stellt man fest, dass die Atmosphäre hier nichts von einem Hexenkessel hat. Fan-Gesänge und Fahnenschwenken sind nicht üblich. Das Ganze geht eher in Richtung Operetten-Publikum.“

Pluschke und der ungünstig gelegte Urlaub

Sehr viel leidenschaftlicher nahm Pluschke in Barcelona Bayer 04-Trainer Klaus Toppmöller wahr. Dessen Gesichtszüge hätten zwar nach dem Abpfiff „wie versteinert gewirkt“, aber kurz nach Mitternacht sei er in der Abflughalle des Airports schon wieder guter Dinge und vom Einzug in die nächste Runde überzeugt gewesen. „Toppi war ja im Calmundschen Sinne auch so ein positiv Bekloppter. Wenn der über Fußball redete, war er wie elektrisiert. Einmal hat er zu mir gesagt: ‚Wissen Sie, Herr Pluschke, Sie müssen sich das so vorstellen: Normale Menschen haben Blutkörperchen in ihren Venen, bei mir sind es kleine Fußbällchen.‘“

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Auch wenn er als Redakteur einer großen Tageszeitung zur Neutralität verpflichtet war, gibt Pluschke heute gerne zu, dass er sich als Fußballfan mitreißen ließ von den Auftritten der Werkself in der Champions League. Aber bei allem Optimismus hatte er nicht damit gerechnet, dass es sogar fürs Finale reichen könnte. Im Herbst 2001 hatte er leichtsinnigerweise schon seinen Urlaub fürs kommende Frühjahr 2002 gebucht – und verpasste den Höhepunkt. Über das Endspiel in Glasgow am 15. Mai zwischen Bayer 04 und Real Madrid durften zwei andere Kollegen berichten.

BU zum Titelbild: Christoph Pluschke (hier beim 1:0-Sieg von Bayer 04 gegen Tottenham Hotspur im Londoner Wembley aus dem Jahr 2016) begleitete die Werkself beim Champions-League-Gruppenspiel in Barcelona als Sportredakteur des Kölner Stadt-Anzeigers.

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