#RoadtoGlasgow – Brdaric: „Ich war einfach nur platt“

Er rannte und rackerte, bereitete einen Treffer vor und hätte fast selbst ein Tor des Monats erzielt: Beim 3:1-Sieg bei Deportivo La Coruna machte Thomas Brdaric eines seiner besten Spiele im Trikot von Bayer 04. Im Interview erinnert sich der heute 47-Jährige, der zwischen 1999 und 2003 in 126 Pflichtspielen 20 Tore für die Werkself schoss, nicht nur an den Erfolg in Galizien.
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Thomas, eigentlich hatten die meisten Experten vor dem Spiel in La Coruna mit einem Einsatz von Dimitar Berbatov als einziger Spitze gerechnet. Warst auch du überrascht, als dir Klaus Toppmöller nach dem Abschlusstraining sagte, dass du spielen würdest?

Brdaric: Nein, nicht unbedingt. Als Trainer, das weiß ich heute besser als damals, hast du ja immer mehrere Ideen im Kopf. Und dann entscheidest du dich für die Strategie, die dir für das nächste Spiel am geeignetsten erscheint. Dimitar war ein anderer Spielertyp als ich. Er war eher der Zielspieler, der vorne die Bälle festmachen konnte. Ich hatte andere Qualitäten, auf die Toppi für dieses Spiel in La Coruna setzte. Berbo und ich haben aber auch zusammen gut funktioniert.

Wie am Wochenende davor beim 2:0-Sieg in Stuttgart, bei dem ihr beide jeweils ein Tor erzielt habt…

Brdaric: Das hatte ich gar nicht mehr auf dem Schirm. Aber es stimmt, wir harmonierten gut miteinander und profitierten auch voneinander.

Man sprach damals in den Medien gerne vom B-Sturm, was ja doppeldeutig gemeint und nicht nur auf eure Initialen gemünzt war. Nervte dich das zu der Zeit?

Brdaric: Nein, ich nahm das eher als Ansporn nach dem Motto: Wir zeigen es euch jetzt mal, dass auch wir der A-Sturm sein können. Wir hatten damals eine fantastische Mannschaft mit großen Namen auch im Angriff. Und natürlich war es nicht leicht, sich gegen Konkurrenten wie Ulf Kirsten und Olli Neuville durchzusetzen. Aber ich habe auch unglaublich viel gelernt von ihnen, zum Beispiel wie man sich konzentriert, wie man sich professionell vorbereitet auf ein Spiel.

Du hast schon beim 3:1 gegen Juventus Turin eine starke Leistung gezeigt und erzieltest ein Kopfballtor gegen Gianluigi Buffon. Für dich ein besonderer Treffer?

Brdaric: Ja, natürlich. Aber ich möchte erst einmal an den Tag vor dem Spiel zurückgehen: Mir ist gerade vor diesem Spiel gegen Juventus aufgefallen, was wir für ein riesengroßes Medieninteresse ausgelöst hatten. Als wir zum Abschlusstraining gingen, waren da gefühlt 50 Journalisten vor Ort. Mich hat diese Aufmerksamkeit, glaube ich, zusätzlich gepusht. Wenn dir in so einem wichtigen Spiel dann noch ein Tor gelingt, ist das ein unglaublich schönes Gefühl. Für genau solche Momente arbeitest du als Profi. 

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Zurück zum Spiel bei Deportivo: Hast du damals großen Druck gespürt?

Brdaric: Nein, gar nicht. Wir waren in einem Tunnel, hatten in der Liga einen Lauf und arbeiteten vor der Partie bei den Spaniern noch an einigen Automatismen. Die Tabellensituation gab uns noch alle Möglichkeiten. Wir wussten aber, dass wir einen perfekten Tag brauchten, um gegen diese starke Mannschaft das Viertelfinale erreichen zu können. Toppi hatte uns sehr gut eingestellt.

Welchen Matchplan hat er dir mitgegeben?

Brdaric: Wenn ich mich richtig erinnere, hatte ich die Aufgabe, bei unserem schnellem Umschaltspiel in die Tiefe zu gehen und zu Abschlüssen zu kommen. Aber ich sollte auch hin und wieder auf die Außenpositionen ausweichen.

So wie vor dem 1:0 von Michael Ballack…

Brdaric: Ja, das war ein klasse Angriff von uns, und meine Flanke von links verwertete Michael auf seine ganz typische Art. Zuvor hatte ich schon einen Ball für Yildiray Bastürk aufgelegt, der dann leider am Deportivo-Keeper scheiterte. Wir hätten zur Pause eigentlich höher führen müssen.

Du selbst hattest auch Pech mit deinem Strahl aus 27 Metern ans Lattenkreuz. Ein paar Zentimeter tiefer und du hättest womöglich das Tor des Monats erzielt.

Brdaric: (lacht) Ja, wahrscheinlich. Das war ein bisschen schade. Aber wichtig war ja vor allem, dass wir auch in diesem Spiel wieder gezeigt haben, wie fokussiert und couragiert wir waren. Wir spielten tollen Fußball und verschafften uns immer mehr Respekt in Europa.

Du durftest nach 64 Minuten duschen gehen, weil du ein unglaubliches Laufpensum absolviert hattest. Dein Akku war leer, oder?

Brdaric: Das kann man so sagen, ja. Ich erinnere mich gut, dass ich mich nachts im Hotelbett kaum noch rühren konnte (lacht). Und ich wüsste heute gerne, wie viele Kilometer ich in dieser einen Stunde gelaufen bin.

Es gab nach dem 3:1-Sieg das übliche Bankett. Kannst du dich noch an die Atmosphäre erinnern?

Brdaric: Die Spannung, die du als Spieler vor einer Partie aufbaust, lässt ja nach dem Abpfiff erst sukzessive nach. Beim Bankett hatte ich keinen Hunger, ich war einfach nur platt. Für mich lief das Ganze wie ein schöner Traum ab, und ich verspürte große Zufriedenheit, ja, fast so etwas wie Glückseligkeit. Die Rede von Calli (Reiner Calmund, d. Red.) ging runter wie Öl, weil er das 3:1 sehr hoch einstufte innerhalb der Vereinsgeschichte.

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Es ging für euch noch bis ins Finale, in dem Toppmöller dir den Vorzug vor Berbo und Ulf Kirsten gab. Aber du spieltest auf der ungewohnten Linksaußenposition, und der Trainer nahm dich nach 39 Minuten beim Stand von 1:1 vom Platz.

Brdaric: Was ich, ehrlich gesagt, bis heute nicht verstehe. Für mich gab es dafür keinen nachvollziehbaren Grund. Klar, ich hatte eine große Chance vergeben. Doch das kann eigentlich nicht der Anlass für die Auswechselung gewesen sein. Aber Schwamm drüber. Letztlich geht es immer um das Team. Und als Team haben wir in dieser Saison wirklich Außergewöhnliches geleistet.

Du bist als Spieler und danach als Trainer viel rumgekommen. Zuletzt warst du fast zwei Jahre Chefcoach in Albanien beim Erstligisten KF Vllaznia, mit dem du Pokalsieger und Vizemeister geworden bist. Man hat dich 2021 zum Trainer des Jahres in Albanien gewählt. Obwohl der Klub auch in dieser Saison auf dem 4. Tabellenplatz steht, hat man sich vor ein paar Tagen von dir getrennt. Hast du das inzwischen verdaut?

Brdaric: Ich hatte wirklich überhaupt nicht damit gerechnet, aber natürlich muss ich diese Entscheidung des Vereinspräsidenten akzeptieren. Trotzdem nehme ich sehr viel Positives mit aus diesen knapp zwei Jahren. Ich habe in Albanien sehr viele Freunde hinzugewonnen. Und auch die Fans haben mir immer das Gefühl gegeben, dass sie unsere Arbeit zu schätzen wissen. Wir haben fast bei null angefangen und den Klub wieder wettbewerbsfähig gemacht. Die Mannschaft war intakt. Aber nun wollte der Präsident einen neuen Weg gehen.

Was hast du jetzt vor?

Brdaric: Ich bin zurzeit noch in Albanien und überlege, ob ich mir erst einmal eine Auszeit nehme oder sofort weitermache. Ich bin jedenfalls voller Energie.

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