#RoadtoGlasgow – Bayer-Party in der Bücherei

Endlich Fußball auf der Insel, endlich mal die prickelnde Atmosphäre im Mutterland dieses Spiels erleben, die Gesänge, ein alt-ehrwürdiges Stadion – mit großen Erwartungen waren die 2.500 Bayer 04-Fans im Februar 2002 nach London gereist. Aber die einzigen, die für Stimmung sorgten im Highbury Stadium – waren sie selbst.
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Als Nick Hornby 1992 sein Buch „Fever Pitch“ veröffentlichte, in dem er seine persönliche Geschichte als Arsenal-Fan erzählt, war das Highbury Stadium noch ein anderes. Größer, lauter und noch mit wenigen Sitzplätzen ausgestattet. „Ich liebte die verschiedenen Arten von Lärm: den förmlichen, rituellen Lärm, als die Spieler auftauchten, das spontane, formlose Gebrüll, wenn etwas Aufregendes auf dem Platz passierte, die wiederauflebende Kraft der Gesänge nach einem Tor oder einer Phase anhaltenden Angriffsdrucks.“ Der britische Kult-Autor erinnert sich an Spiele in Highbury mit 63.000 Zuschauern. „Flutlicht, stürmischer Regen und ein gewaltiges, rollendes Tosen das gesamte Spiel hindurch.“

Hornbys Glaubensbekenntnis zum Klub

Auch Andreas Kostmann hatte Hornbys Glaubensbekenntnis zum Klub aus dem Norden Londons gelesen, wie vermutlich einige der 2.500 Bayer 04-Fans, die sich ziemlich genau zehn Jahre nach Erscheinen des Buches auf den Weg in die legendäre Spielstätte des Arsenal FC machten. Nicht zuletzt diese Lektüre hatte eine Riesenvorfreude auf die erste Auswärtstour nach England geweckt.

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Andreas Kostmann

„Hornby hat den Weg durch die engen Gassen zum Stadion hin beschrieben, erzählte von den vielen Säulen auf den Tribünen, die einem den Blick aufs Spielfeld erschwerten – und genauso ist dann auch gewesen“, erinnert sich Andreas an den 27. Februar 2002.

Der 47-Jährige war zwar vorher schon mal im Rahmen einer Schulabschlussfahrt in London gewesen und hatte sich dabei auch das Highbury von außen angeschaut. Aber an diesem Abend saß er zum ersten Mal in dem 1913 errichteten Stadion – auf der Südtribüne, die „The Clock End“ genannt wurde, weil oben am Tribünendach die berühmte Arsenal-Uhr mit einem Durchmesser von 2,6 Metern angebracht war. „Ich hatte tatsächlich einen Platz hinter einer der Säulen und konnte kaum was vom Spielfeld sehen“, erzählt Kostmann. Immerhin war auf seinem Ticket vermerkt, dass mit Sichtbehinderungen zu rechnen sei. „So extrem hatte ich es mir trotzdem nicht vorgestellt.“

Hillsborough verändert Highbury

Aber Hornbys Sehnsuchtsort hatte sich auch verändert. Nach dem Unglück von Hillsborough, wo 1989 während des Halbfinalspiels um den FA Cup zwischen dem FC Liverpool und Nottingham Forest 97 Menschen ums Leben gekommen waren, hatte man in England entschieden, dass aus Sicherheitsgründen alle Stadien nur noch Sitzplätze haben sollten. So war auch in Highbury 1992 die Nordtribüne, wo die leidenschaftlichsten Arsenal-Fans zu Hause waren, abgerissen und durch eine Sitzplatztribüne ersetzt worden. Statt über 60.000 Zuschauern bot das umgebaute Stadion nur noch 38.500 Fans Platz. „Und wir wussten, dass die Eintrittspreise massiv erhöht worden waren, so dass sich ein normaler Arbeiter das Ticket gar nicht mehr leisten konnte“, sagt Kostmann. „Dass sich das auf die Stimmung im Stadion auswirkt, war klar.“

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Während sich die Bayer 04-Fans im Clock End schon vor dem Anpfiff einsangen, blieb das englische Publikum selbst nach dem Blitzstart der Gunners, die bereits nach sieben Minuten 2:0 durch Robert Pires und Thierry Henry führten, seltsam ruhig. Fast größer noch als über den frühen Rückstand war bei vielen Leverkusenern die Enttäuschung über die maue Atmosphäre auf den voll besetzten Tribünen. „Die Arsenal-Fans haben kurz die Tore bejubelt und dann herrschte wieder Totenstille auf deren Rängen“, sagt Kostmann. Mehr Library als Highbury – mehr Bücherei als Hexenkessel.

Wie man ein Tor zum 1:4 feiern kann

Im Gästeblock hingegen schüttelte man sich, sah, dass die Werkself hier heute Abend nicht viel würde reißen können und sang einfach weiter. „Ja, wir hatten am Wochenende zuvor noch die Dortmunder mit 4:0 weggehauen und waren mit großen Erwartungen angereist. Aber hier spielte das Ergebnis jetzt einfach keine Rolle mehr, wir waren im Highbury und gaben alles. Und als Zoltan Sebescen kurz vor Schluss das 1:4 erzielte, jubelten wir derart laut und anhaltend, dass uns die englischen Fans nur ungläubig anstarrten. Die verstanden nicht, wie man ein Tor zum 1:4 so feiern konnte.“

Ihre gute Laune ließen sich die Fans aus Leverkusen auch nicht vermiesen, als sie nach dem Spiel auf dem Weg zu den Bussen von der Londoner Polizei mit einem Riesen-Scheinwerfer angestrahlt wurden. „Sie sagten uns, wir sollen dem Lichtstrahl folgen. Und dann begleiteten uns links und rechts weitere Polizisten durch die engen Gassen. Und hielten dabei Laternen in den Händen. Also stimmten wir ein paar St.-Martins-Lieder an und hatten unseren Spaß“, erzählt Kostmann mit einem Schmunzeln.

Aus Highbury wird Emirates Stadium

Gut vier Jahre nach diesem Abend fand am 7. Mai 2006 das letzte Spiel in Highbury statt. Noch einmal glänzte Thierry Henry mit drei Toren beim 4:2-Sieg der Gunners gegen Wigan Athletic. Schon im Sommer 2006 bezog Arsenal das nur 400 Meter entfernte, neu gebaute Emirates Stadium. Wo einst das Highbury stand, befindet sich heute die Apartment-Anlage Highbury Square. Im Bereich des ehemaligen Spielfelds hat man den „Memorial Garden“ angelegt, wo die Urnen von 500 Arsenal-Fans beigesetzt sind.

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