„Eine Explo­sion der Freude“

Michael Reschke über den A-Junio­ren-Titel im Jahr 1986

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Respekt: Auch 35 Jahre nach dem Gewinn der deutschen A-Junioren-Meisterschaft mit Bayer 04 weiß Michael Reschke noch auf Anhieb, welche Startelf er als Trainer im Finale beim 2:0-Sieg gegen den 1. FC Nürnberg aufs Feld geschickt hat. Und er gerät im Interview mit bayer04.de sofort ins Schwärmen, wenn er über sein damaliges Team und die Endrunde spricht. „Es war eine außergewöhnliche Mannschaft“, sagt der 63-Jährige.

Welche Spieler also holten nun den ersten A-Junioren-Titel für Bayer 04 seit Einführung des Wettbewerbs 1969? Folgende Elf begann am 11. Juli 1986 im Ulrich-Haberland-Stadion vor 5.000 Zuschauern: Andreas Deus – Ralf Job, Gerd Kühn, Robert Nikolic, Holger Gerhards – Andreas Drysch, Stefan Schwarz, Thorsten Wörsdörfer, Knut Reinhardt – Dirk Rehbein, Guido Legerlotz. Eingewechselt wurden Jürgen Hübner und Markus Petersen.

Herr Reschke, Ihre Mannschaft ist damals nicht unbedingt als Titelaspirant in die Endrunde gegangen. Schon im Achtelfinale bekamen Sie es mit dem ersten dicken Brocken zu tun…
Reschke:
Richtig, unter den 16 Klubs, die an der Endrunde teilnahmen, zählten wir nicht zu den Favoriten. Gleich in der ersten Runde erwischten wir mit Borussia Dortmund einen ganz schweren Gegner. Wir holten ein 1:1 in Dortmund und setzten uns nach einer starken Leistung im Rückspiel mit 2:0 durch. Der erste große Schritt war damit getan. Dann ging’s im Viertelfinale gegen den Karlsruher SC, den wir nach einem 0:0 in Karlsruhe im Rückspiel mit einem 6:0 nach Hause geschickt haben.

Im Halbfinale kam es dann zur Wiederauflage des Vorjahres-Endspiels.
Reschke: Genau, mit der Eintracht, die erneut der große Favorit auf den Titel war, hatten wir noch eine Rechnung offen. 1985 hatten wir gegen sie im Finale 2:4 nach Verlängerung verloren, wobei wir damals durch einen völlig unberechtigten Foulelfmeter wieder in Rückstand gerieten, nachdem wir in der regulären Spielzeit ein 0:2 aufgeholt hatten. Jetzt konnten wir Revanche nehmen – und taten das auch auf wirklich überragende Weise. Wir gewannen in einem spektakulären Hinspiel mit 5:4 und dann sehr souverän mit 3:0 im Rückspiel. Ich kann mich gut daran erinnern, dass insbesondere Knut Reinhardt bei diesem 3:0 ein unglaublich starkes Spiel gemacht hat.

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Knut Reinhardt (l.) und Scout Wolfgang Karnath. Im Hintergrund: die Baustelle des neuen Stadions – die heutige BayArena.

Die beiden Favoriten waren ausgeschaltet. Wie war die Ausgangslage vor dem Finale gegen Nürnberg?
Reschke: Wir wären gegen die Nürnberger eigentlich Favorit gewesen, hatten aber vor dem Finale große Probleme, weil mit Jürgen Radschuweit, Richard Mademann und Jens Tschiedel drei ganz wichtige Stammspieler gesperrt fehlten. Okay, wir sind damals auch ziemlich rustikal in die Endrunde marschiert. Gegen meine Mannschaft zu spielen, konnte wehtun. Für uns waren diese drei, die später alle den Sprung in den Profifußball schaffen sollten, jedenfalls in der Abwehr kaum zu ersetzen. Wir mussten unsere Defensive neu formieren. Ralf Job, der Sohn der Bayer 04-Legende ‚König Richard‘ Job, übernahm die Libero-Position und machte seine Sache richtig gut. Unser Stürmer Dirk Rehbein hätte eigentlich gar nicht spielen dürfen, weil er an einem Muskelfaserriss laborierte. Er konnte dann im Finale nicht sprinten und überhaupt nur sehr wenig laufen – hat aber beide Tore geschossen. (lacht)

Die Nürnberger als Bayern-Meister hatten auch einige talentierte Spieler in ihren Reihen, unter anderem Marc Oechler und Achim Beierlorzer...
Reschke: Definitiv. Die hatten auch einen sehr guten Ruf im deutschen Nachwuchsfußball. Aber für uns stand nach dem erfolgreichen Halbfinale gegen Frankfurt felsenfest, dass wir jetzt auch das Finale gewinnen würden. Und letztlich haben wir das Spiel auch klar dominiert und hochverdient 2:0 gewonnen. Die Nürnberger hatten eine Menge Respekt vor uns, weil wir im Ruf standen, eine Mannschaft zu sein, die richtig zur Sache gehen konnte. Wir hatten allerdings auch aus dem Finale im Jahr zuvor gelernt.

Inwiefern?
Reschke: Es gab 1985 vor dem Endspiel gegen Eintracht Frankfurt wie immer ein Bankett mit beiden Mannschaften. Während die Frankfurter als Erste zum Büffet gingen und sich die leckersten Sachen auf ihre Teller schaufelten, blieben wir höflich sitzen. Wir waren einfach zu brav – vielleicht auch später auf dem Platz. Vor dem Finale 1986 in Leverkusen sagte ich meinen Jungs im damaligen Ramada-Hotel (heute das Best Western, Anm. d. Red.), wo beide Teams untergebracht waren: ‚Eins ist klar: Wenn das Bankett eröffnet wird, dann sind wir dieses Mal die Ersten am Büffet. Wenn ihr den Nürnbergern im Aufzug begegnet, schaut ihnen immer in die Augen. Baut euch vor ihnen auf.‘ Wir wollten ihnen schon am Abend vor dem Spiel klarmachen, dass es für sie nichts zu holen geben würde. Hat ja auch funktioniert. Nach dem Abpfiff gab’s eine Explosion der Freude. Unsere Mannschaft hatte sich mit ihrem außergewöhnlichen Teamgeist diesen Titel absolut verdient.

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Die Meistermannschaft von Bayer 04 mit Manager Reiner Calmund (l.) und Trainer Michael Reschke (oben, 2.v.r.).

Viele aus dieser Meistermannschaft wurden später zum Teil sehr erfolgreiche Profi-Fußballer. War das für Sie damals absehbar?
Reschke: Knut Reinhardt und Stefan Schwarz waren sicher die absoluten Ausnahmespieler im Team. Bei den beiden war schnell klar, dass sie es in den Profibereich schaffen würden. Knut wurde ja nur zwei Jahre später UEFA-Cup-Sieger mit Bayer 04. Und Stefan Schwarz ist 1994 WM-Dritter mit Schweden geworden, hat knapp 70 A-Länderspiele für sein Land bestritten. Er stand unter anderem bei Benfica Lissabon, dem FC Arsenal, AC Florenz und dem FC Valencia unter Vertrag. Stefan habe ich 1984 beim Algarve-Cup entdeckt, wo er mit der schwedischen U16 spielte. Er war der erste ausländische Nachwuchsspieler, den Bayer verpflichtet hat. Das war in der damaligen Zeit extrem ungewöhnlich. Als Stefan aus der Jugend in den Herrenbereich kam, wollte Erich Ribbeck ihn zunächst bei den Amateuren einsetzen. Das kam für Stefan aber nicht infrage, deshalb ging er wieder zurück nach Schweden zu Malmö FF. Ich war übrigens jüngst noch mit ihm in Lissabon essen und wir hatten einen fantastischen Abend. Auch bei Jürgen Radschuweit, Jens Tschiedel, Robert Nikolic und Thorsten Wörsdörfer war viel Talent vorhanden. Aber das alleine reicht natürlich nicht. Man musste den einen oder anderen schon etwas härter rannehmen. Und das hat ihnen gewiss auch geholfen.

Wem zum Beispiel?
Reschke: Wir haben damals bereits außergewöhnlich viel und sehr gezielt individuell trainiert – und ganz gewiss von meiner Seite aus auch mit hohem Druck. Das war damals eher ungewöhnlich. Knut Reinhardt beispielsweise wollte nach den ersten Wochen unter mir als Trainer bei Bayer 04 aufhören und den Verein wechseln. Wir haben dann einen vernünftigen Kompromiss gefunden. Und Knut hat mir später versichert, dass unsere gemeinsame Zeit ihn sehr geprägt hat. Auch Robert Nikolic, der später unter anderem bei Borussia Dortmund und dem 1. FSV Mainz 05 eine sehr erfolgreiche Zeit hatte, war fußballerisch zwar sehr talentiert, aber zunächst nicht unbedingt leidensfähig. Auch ihn habe ich manchmal sehr hart rangenommen. Ganz wichtig aber auch: Die Mannschaft hat sich untereinander gepusht. Es war eine hohe Bereitschaft vorhanden, alles fürs Team zu geben. Für mich war es ein Traum, diese Truppe trainieren zu dürfen. Wenn ich auf die Jungs zurückblicke, ist das immer mit viel Stolz und Demut verbunden.

Wessen Entwicklung hat sie positiv überrascht?
Reschke: Gerd Kühn ist das klassische Beispiel dafür, wie man mit Mentalität und Einstellung weit kommen kann im Fußball. Den Weg zum Profi hat ihm kaum jemand zugetraut. Die Art und Weise, wie Gerd in den Halbfinalspielen gegen Eintracht Frankfurt Andreas Möller bekämpft und ausgeschaltet hat, war bezeichnend für seine Mentalität. Andi Möller war in der Jugend der Spieler überhaupt in Deutschland und im Jahr zuvor im Finale auch der entscheidende Akteur. 1986 wurde er von Gerd Kühn so beackert, dass er am Ende total entnervt war. Gerd spielte später in der Bundesliga für den KFC Uerdingen.

Bayer 04 stand zwischen 1984 und 1988 innerhalb von vier Jahren dreimal im Finale um die deutsche A-Junioren-Meisterschaft. Ist der hervorragende Ruf, den die Nachwuchsabteilung heute genießt, damals begründet worden?
Reschke: Ja, das kann man so sagen. Wir waren zum ersten Mal sehr dominant im deutschen Nachwuchsfußball. Es war eine fantastische Zeit. Wir haben Trainingseinheiten und ihre Intensität extrem hochgeschraubt, und das, obwohl wir fast ausschließlich auf dem Ascheplatz trainierten. Der Nachwuchsfußball hatte schon damals in Leverkusen einen hohen Stellenwert. Das lag sicher entscheidend an Reiner Calmund, der die Jugend extrem gefördert hat. Überhaupt begann man in dieser Zeit, Bayer 04 wirklich bewusst wahrzunehmen. Die Profis hatten sich 1986 erstmals für den UEFA-Cup qualifiziert, und wir als A-Jugend gewannen nach dem Vizetitel 1985 nun ein Jahr später die deutsche Meisterschaft. Bayer 04 war definitiv auf dem Weg, sich in der deutschen Spitze zu etablieren – noch nicht mit der wirtschaftlichen Kraft, die den Klub heute auszeichnet, aber getrieben von ein paar ‚Verrückten‘, die Visionen, Kompetenz und Fleiß miteinander verbunden haben.

Zur Person:
Michael Reschke wurde am 29. September 1957 in Frechen geboren. Von 1979 bis 2014 arbeitete er für Bayer 04, zunächst als B- und A-Jugendtrainer, später als Jugend-Cheftrainer, Nachwuchsleiter, Chef der Scouting-Abteilung und ab 2004 als Manager. Von 2014 bis 2017 stand er als Technischer Direktor beim FC Bayern unter Vertrag, von 2017 bis 2019 als Sportvorstand beim VfB Stuttgart. Von 2019 bis November 2020 war Reschke als Technischer Direktor für den FC Schalke 04 tätig. Heute arbeitet er bei der in London ansässigen Berater-Agentur ICM Stellar und ist dort als Head of Europe für den Ausbau des europäischen Netzwerks verantwortlich. Die Agentur hat unter anderem Spieler wie Real Madrids Gareth Bale, Chelseas Mason Mount oder Rennes' Top-Talent Eduardo Camavinga unter Vertrag.