Man sieht sie wieder in größerer Zahl nicht nur in der BayArena, sondern auch in anderen Stadien des Landes. Kutten tragende Fans scheinen gerade ein kleines Comeback zu feiern. Und haben längst nicht mehr den schlechten Ruf vergangener Tage.
Jahrelang standen sie ganz oben auf der Roten Liste bedrohter Arten. Wirklich geschert hat sich um ihren Erhalt freilich niemand. Wozu auch. Sie galten als hoffnungslos antiquiert, aus der Zeit gefallen, schrullig. Überbleibsel längst vergangener Bundesliga-Tage. Kurven-Nostalgiker, die an einem Kleidungsstück hingen, das an die 1970er-Jahre erinnerte und in die Mottenkiste gehörte wie selbstgestrickte Pullunder, Plateauschuhe und Schlaghosen. Um ihren Artenschutz mussten sich diese Old-School-Fans schon selbst kümmern. Und genau das haben sie auch gemacht. Unauffällig, ohne konzertierte Aktionen. Ohne großes Netzwerk. Ohne Parolen. Rettet die Kutte? Nein, so was Albernes kam ihnen nicht in den Sinn. Es brauchte nur ein paar Unverzagte, die ihre Kutte stoisch weitertrugen, die den Trends trotzten und einfach ihr Ding machten.
Es brauchte Leute wie Ralf Höpken. Der gebürtige Leverkusener ist gerade 57 geworden und seit Ewigkeiten Mitglied des Bayer 04-Fanclubs mit dem schönen Namen „Bölkstoff Power“. Höppi, so sein gängiger Spitzname, trägt seine Kutte seit 1989. Bei jedem Heimspiel. Und bei vielen Auswärtspartien. Die ersten „Patches“ (Flicken) hat ihm seine Oma aufgenäht. Inzwischen ist er selbst Experte an der Nähmaschine. „Meine Frau hat mir das Gerät erklärt, ist ja keine Raketenwissenschaft.“
Arbeit macht sie schon, so eine Kutte. Und was heißt eine – Höppi hat drei davon. Eine für Bayer 04, eine für seinen Motorradklub und eine für Wacken. Der Mann ist nämlich Metal-Fan durch und durch, fährt seit Jahren zum Festival in die schleswig-holsteinische Provinz. Da kommt er aus dem Nähen kaum noch raus. Immer wieder neue Bands, die ihn begeistern. Gut, dass auf seiner Bayer 04-Kutte nicht mehr so viel Platz ist. Die Rückseite seiner Jeansweste wird vom großen Aufnäher des eigenen Fanclubs dominiert. Drumherum ein paar Bayer 04-Patches, Freundschaftsbekundungen zu anderen Klubs, vorne weitere Aufnäher vom FC Liverpool, VfB Stuttgart, den Münchner Löwen und natürlich von den Offenbacher Kickers, die auf keiner Leverkusener Kutte fehlen dürfen. Ist nun mal die älteste und bis heute intensivste Fanfreundschaft. Außerdem sind noch drei, vier Statements über die ungeliebten Nachbarn von der anderen Rheinseite zu sehen. Den einen oder anderen Anti-Näher würde er heute nicht mehr aufsetzen, sagt Höppi. Entfernen will er sie aber auch nicht. Denn schließlich ist die Kutte ja genau das: ein Spiegel des eigenen Fanlebens, jeder Aufnäher auch eine Momentaufnahme, jede Weste ein Unikat. Ein Sammelsurium von Bekenntnissen, die meist in eine der beiden simplen Kategorien passen: Find‘ ich gut, find‘ ich blöd! Jeder kann sich kreativ und individuell austoben. Ein paar Tabus gibt es für Höppi trotzdem. „Auf meine Kutte kommen keine politischen Botschaften. Können andere gerne machen, aber für mich geht es ausschließlich um Fußball.“ Und was die Pflege des guten Stücks betrifft, gilt: „Nie waschen, nur lüften.“
Als die Kutten Mitte der Siebziger in den Kurven das Kommando übernahmen und sich zu Meinungsführern der gerade entstehenden Fan-Subkultur aufschwangen, waren sie gefürchtet. Galten bei der älteren Generation als Krawallbrüder, die nur Ärger suchten. Kutten = Klopper, lautete die einfache Gleichung. Und so ganz weit hergeholt war das nicht. Hin und wieder schlugen sie schon über die Stränge, um es vorsichtig zu formulieren. Und heute?
Die wilden Zeiten sind längst vorbei. Mitte der Achtziger mischten erst Hools und später dann Ultras die Fanszene auf. Vor allem die Ultras gaben mehr und mehr den Ton an. Kutten sah man nur noch vereinzelt. Aber ganz verschwunden waren sie nie. Und wenn man Bilder vom bundesweiten Kuttentreffen in Würzburg sieht (siehe Kasten), könnte man fast meinen, es gäbe so etwas wie eine Renaissance der Kutten. Liegen sie also wieder im (Retro-)Trend? Nein, so ist es nun auch nicht. Sie sind wieder etwas präsenter in den Stadien, weil einige der Old-School-Fans ihre Kutte für sich wiederentdeckt und aus dem Schrank geholt haben. Aber wirklich neu entdeckt von Jüngeren wurde sie zu-mindest in Leverkusen nicht. Um den Kutten-Nachwuchs ist es schlecht bestellt. „Du wirst kaum jemanden finden, der unter 40 ist und Kutte trägt“, sagt Ingo „Schnulli“ Avermiddig. Er und sein Kumpel Robert Wirth vom gemeinsamen Bayer 04-Fanclub Crossfire 94 waren selbst in Würzburg dabei. Und mit ihnen noch einige andere aus der Leverkusener Fanszene. In trauter Eintracht sah man bei diesem Treffen OFC- und Frankfurt-Fans zusammen ein Bierchen trinken. „Wir konnten es kaum glauben“, sagt Avermiddig mit einem Schmunzeln. „Das wäre früher undenkbar gewesen.“
Wie sich die Zeiten geändert haben. Aus den jungen Wilden sind gemütliche Best Ager geworden, aus den Krawallbrüdern von einst die Brückenbauer von heute. Ganz im Sinne des Würzburger Mottos: „In den Farben getrennt, in der Sache vereint.“ Was für ein Imagewandel. „Ja, natürlich hat das was mit dem Alter zu tun“, sagt André Timpel. „Ich bin jetzt über 50, ich hasse niemanden mehr. Die meisten haben auch einfach keinen Bock mehr, sich zu prügeln. Inzwischen kann ich mich selbst mit Kölnern ganz normal unterhalten, hab mit einigen von ihnen sogar schon ein Derby geguckt. Alles total entspannt.“ Timpel, der regelmäßig mit seinem Fan-Podcast „Heiße Kurven, treue Typen“ auf Sendung geht, ist seit drei Jahren Mitglied bei den Schwarzen Wölfen, dem 1979 gegründeten zweitältesten Bayer 04-Fanclub. Bei den Wölfen wurde schon immer Kutte getragen. Auch Ehrenmitglied Ulf Kirsten hat eine bekommen. Und auch Timpel selbst hatte in seiner Jugend mal eine Weste. Dann aber kamen viele Jahre ohne Kutte. Als er mit Ende 40 zu den Schwarzen Wölfen ging, sei die Vorstellung, wieder eine tragen zu müssen, erst einmal befremdlich für ihn gewesen, erzählt Timpel. „Es ist einfach was anderes, ob du in Zivil oder nur mit Trikot und Schal ins Stadion gehst oder mit einer Kutte. Die Kutte ist ein Lebensgefühl. Und ein Zeichen unseres Zusammenhalts.“
Auch auswärts kann man sich längst gefahrlos darin blicken lassen. Neulich beim Spiel in Mönchengladbach ging Robert Wirth mit sechs, sieben anderen Kuttenträgern vom Busparkplatz zum Gladbacher Fanhaus, um sich dort mit ein paar Anhängern der Borussia zu treffen. „Wir hörten auf dem Weg dorthin keinen einzigen blöden Spruch. Das fühlte sich einfach gut an.“ Kein Stress mehr also. Doch bei aller Gelassenheit und Altersmilde geht es dann auf den Rängen schon emotional zu. Beim Support für die Werkself stehen die Kutten nach wie vor ihren Mann. „Und wenn der Schiri scheiße pfeift, könnte ich in den Wellenbrecher beißen“, sagt Timpel. Auch Höppi, der Wacken-Veteran, geht immer noch steil, wenn er Schwarz-Rot vom Unparteiischen benachteiligt sieht.
Keine Frage, die Kutte lebt. So schnell werden die Dinosaurier unter den Fans nicht aussterben.
Zum zweiten bundesweiten Kuttentreffen in Würzburg kamen vom 9. bis 11. Juni dieses Jahres 300 Kuttenträger aus allen Ecken Deutschlands. Und damit schon weit mehr als im vergangenen Jahr. Es war ein buntes Bild auf der Sportanlage des Würzburger SV. Fans von 37 Fußballklubs haben auf dem Festplatz zusammen gefeiert und gefachsimpelt. Darunter auch fünf Leverkusener: Schnulli, Kemmi und Robert vom Fanclub Crossfire 94 sowie Holger und Andi vom Fanclub Red Blitz. „In den Farben getrennt, in der Sache vereint“ – das Motto des Treffens passte. Hamburger und Paulianer, Schalker und Dortmunder, Frankfurter und Offenbacher, Bayern und Sechziger verstanden sich prächtig, tauschten Aufnäher, sangen Vereinshymnen und nahmen mit traditionellen „Kuttentaufen“ Neuzugänge in ihre Reihen auf, die nach den zünftigen Bierduschen und ein paar salbungsvollen Worten nun ordentliche Mitglieder im Bund der „Kuttenträger mit Tradition“ sind. Neben der Party hatten die Veranstalter auch ein kulturelles Rahmenprogramm auf die Beine gestellt. So sah man Scharen von Kutten bei einer Führung auf der Marienburg und anschließend durch die Innenstadt ziehen. Das Fazit von Ingo „Schnulli“ Avermiddig nach drei Tagen in Würzburg: „Es war fantastisch, so ein friedliches Fest feiern zu können.“
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