Pub­li­kums­lieb­ling und Spiel­ma­cher

Erin­ne­rung an „König Richard“ Job

Richard_Job_14.jpg

Das Bild von seinem Fallrückzieher zählt zu den bekanntesten Fotos aus der frühen Klubgeschichte, mit einem anderen, weniger spektakulären Bild ist er auf einer Außenwand im Oberrang West der BayArena verewigt. Richard Job zählte in den 40er und 50er Jahren des vergangenen Jahrhunderts zu den prägenden Persönlichkeiten des Bayer-Fußballs. Am 9. März wäre er 100 Jahre alt geworden. Wir erinnern uns an seinem Geburtstag an diese Leverkusener Fußball-Legende.

Wie groß die Wertschätzung für den gebürtigen Leverkusener war, lässt schon die Wahl seines Spitznamens erahnen: Der athletische, technisch herausragende und torgefährliche Spielmacher mit der Nummer 10 wurde in der Farbenstadt als „König Richard“ verehrt – wohl auch in Anlehnung an den deutschen Vorkriegs-Nationalspieler Richard Hofmann, der nach seinen drei Toren in einem Länderspiel gegen England 1930 (3:3) fortan nur noch „König Richard“ genannt wurde.

Jobs Popularität rührte aber nicht nur von seiner Eleganz und seinen strategischen Fähigkeiten her, mit der er dem Spiel seiner Mannschaft oft genug Glanz und Struktur verlieh. Er war eben auch ein „Leverkusener Jung“, ein bodenständiger Typ ganz ohne Star-Allüren, der sämtliche Jugendteams bei Bayer 04 durchlaufen hatte und 1936 mit seinem Verein B-Jugend-Meister geworden war. Die Urkunde dafür vom „Deutschen Reichsbund für Leibesübungen“ bewahrt sein Sohn Ralf bis heute in einem Ordner auf. 1986, exakt 50 Jahre nach dem Titelgewinn seines Vaters, wurde Ralf selbst als Spieler mit den A-Junioren von Bayer 04 Deutscher Meister – unter Trainer Michael Reschke und durch einen 2:0-Sieg über den 1. FC Nürnberg.

Debüt in der „Ersten“ mit 18

Auch beruflich fand Richard Job „beim Bayer“ seine Heimat. Er schloss dort eine Ausbildung zum Schriftsetzer ab und blieb dem Unternehmen bis zur Rente treu. Noch vor Kriegsbeginn im September 1939 gab der damals 18-Jährige sein Debüt in der ersten Mannschaft. Aus der Sportvereinigung Bayer 04 Leverkusen war inzwischen die „Betriebssportgemeinschaft der I.G. Farbenindustrie AG“ geworden. Richard und sein Bruder Hermann bildeten auch während der Kriegsjahre „das spielerische Schwergewicht der Mannschaft“, wie es Vereinschronist Walter Scharf ausdrückte, der Richard Job 1954 überdies als „populärsten Akteur der Leverkusener Fußballgeschichte überhaupt“ bezeichnete.

Mit zunehmender Dauer des Zweiten Weltkriegs fand nur noch ein unregelmäßiger Spielbetrieb statt. Job selbst geriet als Soldat zweimal in Gefangenschaft. Einmal gelang ihm die Flucht, er schaffte es per Anhalter bis nach Düsseldorf. „Von dort ging er zu Fuß nach Leverkusen“, sagt Ralf.

Große Aufregung im Vorfeld zweier Derbys

Nach der Kapitulation im Mai 1945 kam der Fußball in Leverkusen relativ schnell wieder auf die Beine. Richard Job übernahm vorübergehend als Spielertrainer Verantwortung. Die Sportvereinigung Bayer 04 Leverkusen schaffte mit ihm als großem Lenker und Denker im Mittelfeld den Sprung in die Rheinbezirksliga I und wurde dort in der Saison 1948/49 Meister.

Richard_Job_7.jpg


So kam es am 8. Mai 1949 zum ersten großen Duell mit dem 1. FC Köln, der seinerseits Meister der Rheinbezirksliga II geworden war. In Hin- und Rückspiel gegen den rheinischen Nachbarn ging es um nichts weniger als um den Aufstieg in die Oberliga West, die damals höchste deutsche Spielklasse. Über 5.000 Bayer 04-Fans machten sich auf den Weg nach Köln, um ihre Mannschaft in der Radrennbahn zu unterstützen. Richard Job war nach gerade überstandener Knieverletzung noch längst nicht wieder bei hundert Prozent seiner Leistungsfähigkeit.

Weisweiler oder Job?

Das Derby elektrisierte damals schon die Fußballfans im Raum Leverkusen/Köln und sorgte bereits im Vorfeld für Schlagzeilen in den Medien. Die Kölner Volksstimme etwa fragte in der Überschrift: „Wer führt seine Elf zum Sieg: Hennes Weisweiler oder Richard Job?“ Weisweiler, der spätere große Meistermacher von Borussia Mönchengladbach und vom 1. FC Köln, war damals Spielertrainer beim FC und neben Hans Schäfer, der 1954 Weltmeister mit Deutschland werden würde, die zentrale Figur beim Leverkusener Gegner. Job und Weisweiler kannten sich gut, beide machten gemeinsam während ihrer aktiven Spielerzeit an der Kölner Sporthochschule ihren Fußballlehrer-Schein unter dem damaligen Ausbildungsleiter Sepp Herberger.

Richard_Job_8.jpg
Die prägenden Figuren auf dem Platz: Kölns Hennes Weisweiler (l.) und Richard Job standen sich 1949 im ersten großen Spiel zwischen dem FC und Bayer gegenüber.

Leider war dieses Duell an diesem 8. Mai eine einseitige Angelegenheit: Die Partie in Köln ging mit 0:2 verloren – vor 22.000 Zuschauern hatte die Bayer-Mannschaft keine gute Leistung gezeigt, auch Job konnte nicht überzeugen und bekam nun innerhalb des eigenen Klubs ordentlich Gegenwind zu spüren. Man unterstellte ihm Kontakte zum 1. FC Köln und verhängte eine vereinsinterne Sperre gegen ihn. Vor dem Rückspiel am 15. Mai 1949 in Leverkusen lagen die Nerven blank. Die WZ-Sport formulierte zwei Tage vorher in dramatischem Ton: „Zwischen den zwei Entscheidungsspielen um die Rheinbezirksmeisterschaft ist etwas geschehen, was in der Fußballgeschichte zwar nicht ohne Beispiel dasteht, was aber wie ein Blitz aus heiterem Himmel in die angespannte Fußballatmosphäre rund um den Kölner Dom eingeschlagen ist. Der Knalleffekt besagt nichts weniger, als dass Richard Job nicht mehr für Leverkusen 04 spielen soll.“

Bayer verpasst Aufstieg – Job wechselt nach Wuppertal

Der Publikumsliebling war fassungslos – und stellte gegenüber der WZ klar: „Alle mir gemachten Vorwürfe sowie die Gerüchte über meinen etwaigen Übertritt zum 1. FC Köln entbehren jeder Grundlage. Die mir vorgeworfene Äußerung vor dem Kölner Spiel, dies sei mein letztes für Bayer, habe ich auch nicht andeutungsweise getan, so dass ich den Vorwurf des Leverkusener Vereinsbeschlusses wegen grober Unsportlichkeit und mannschaftsschädigendem Verhalten aufs Schärfste zurückweisen muss.“ Dennoch: Das Rückspiel fand ohne König Richard statt. Vor 14.000 Zuschauern im Stadtpark verlor die Mannschaft von Trainer Karl Winkler auch die zweite Partie mit 1:3. Job wechselte zur Saison 1949/50 zum Erstligisten Vohwinkel 80.

Aber der 28-Jährige wurde nicht warm mit Wuppertal und kehrte nach nur einer Spielzeit wieder in seine Heimatstadt Leverkusen zurück. Hier hatte inzwischen Raymond Schwab das Traineramt übernommen. Und Job, der „verlorene Sohn“, erwies sich gleich in seiner Comeback-Saison als eine der treibenden Kräfte einer groß aufspielenden Bayer-Elf. Gemeinsam mit Theo Kirchberg, Kapitän Hans Frömmel, Paul Wiorek, Heinz Papenhoff und Emil „Bubi“ Becks zählte Richard Job zu den Führungsspielern einer Mannschaft, die 1950 erst souverän Herbstmeister wurde und dann am 8. April 1951 mit einem 5:2-Sieg gegen Fortuna Köln den lang ersehnten Aufstieg in die Oberliga West frühzeitig perfekt machte. „Die Bedeutung dieses für unsere Vereinsgeschichte und die gesamte Farbenstadt so hervorragenden Ereignisses wird und kann im Augenblick von uns kaum ermessen werden“, jubelte das damalige Vereinsblatt.

crop_1951_Die_Meistermannschaft_vor_dem_Clubhaus.jpg
Die Meistermannschaft 1951 vor dem Clubhaus „Am Stadtpark“. Hinten von links: Masseur Hans Bochniak, Heinz Papenhoff, Hans Flohr, Paul Wiorek, Jakob Kaiser, Heinz Müller, Hans Steingans, Reinhold Pütz, Heinz Spikofski, Theo Kirchberg, Vorne von links.: Trainer Raymond Schwab, Hans Frömmel, Richard Job, Helmut Rennen, Peter Röger, Emil Becks, Betreuer Paul Harig.

Immer wieder in den Schlagzeilen

Der Aufsteiger legte mit seinem Spielgestalter Richard Job eine starke Premieren-Saison in der Oberliga hin – mit dem Highlight am 4. November 1951, als die Schwarz-Roten vor 35.000 Zuschauern das Derby beim 1. FC Köln mit 2:0 gewannen. Am Ende der Saison sprang Platz sechs heraus. „König Richard“ beherrschte auch in den nächsten beiden Jahren oft die Schlagzeilen, wenngleich er mit zunehmendem Alter weiter nach hinten rückte und als Libero oder „Stopper“ statt der Nummer 10 häufiger die Nummer 5 auf dem Rücken trug.

„Stratege Job bremste Fortuna“ titelte der kicker nach einem 2:1-Sieg gegen Fortuna Düsseldorf im September 1952, bei dem Job den „Stopperposten mit Sicherheit und größter Konsequenz versah“. „Job war der Held des Tages“ schrieb die Kölnische Rundschau nach einem 2:1-Sieg gegen Preußen Münster im Dezember 1954. „Es schien fast, als hätte es nur der Inspiration des intelligenten Job bedurft, um aus dem in letzter Zeit oft sehr lendenlahmen Leverkusener Angriff ein gefährliches Instrument zu machen.“

Und wenn der Star der Mannschaft einmal vom Trainer kritisiert wurde, empfanden das selbst neutrale Journalisten als eine Art Majestätsbeleidigung. So soll Trainer Sepp Kretschmann einmal während eines Spiels gegen Sodingen Job „mit kräftiger Stimme im urwüchsigen ostpreußischen Dialekt“ angeraunzt haben: „Die Nummer 10 mehr laufen!“ Der Sportredakteur der Kölnischen Rundschau empörte sich in seinem Artikel: „Obwohl die Nummer 10 […] überall auftauchte und seinen Mann stand, links und rechts Schussgassen öffnete und im Verein mit Cesar für die Beunruhigung der Sodinger Hintermannschaft sorgte, bekam er während (!) des Spieles diese Rüge. War sie notwendig? Wer Richard Job kennt, weiß, dass er nicht unnütz, aber im richtigen Moment läuft. In allen Phasen, besonders in der 80. Spielminute, stand er seinen Mann. Laufen ist nicht immer laufen.“

Wer Richard Job kennt, weiß, dass er nicht unnütz, aber im richtigen Moment läuft.

Klingt wie das Plädoyer eines Strafverteidigers für seinen Mandanten. Und die 80. Minute war darin der Trumpf in der Beweisführung: Job, inzwischen fast 33 Jahre alt, hatte nämlich in eben dieser Minute das entscheidende 3:2 für die Seinen erzielt.

Job wird Trainer

1954/55, in seiner letzten Saison, kam er nur noch einmal zum Einsatz, am 31. Oktober 1954 beim 0:0 gegen Preußen Münster. Das Kretschmann-Team spielte seine bislang beste Oberliga-Saison und verpasste als Tabellendritter nur knapp die Qualifikation zur Endrunde um die Deutsche Meisterschaft. Richard Job, der 1953 seine DFB-Urkunde als Fußball-Lehrer erhalten hatte, beendete seine aktive Karriere im Alter von 34 Jahren und übernahm im Anschluss zahlreiche Trainerjobs in Leverkusen und seinem Umfeld. So coachte er unter anderem TuS Manfort 04, BV Wiesdorf, den SV Schlebusch, FC Monheim, VfL Leverkusen, Beuel 06, BV Opladen und auch die Bayer-Amateure.

© Bayer 04 Leverkusen Fussball GmbH


Hauptberuflich arbeitete Job weiter bei der Bayer AG, inzwischen hatte der gelernte Schriftsetzer einen Büro-Job in Flittard. „In unserem Familienleben drehte sich immer alles um den Fußball“, erzählt Ralf Job, der ältere von zwei Söhnen des Ehepaares Job. Ralf und Carsten spielten beide in der Jugend von Bayer 04, später dann zusammen in Richrath und beim VfL Leverkusen. „Und natürlich war mein Vater bei unseren Spielen immer als Zuschauer dabei. Meine Mutter hat nach unserem Fußball-Zeitplan gekocht und gewaschen, für sie war’s eine ganz schöne Hetzerei“, sagt Ralf mit einem Schmunzeln.

„Da kommt der König Richard“

Dazu kam noch ein besonderes Ritual: Jeden Sonntagmorgen ging Richard Job mit seinen Jungs ins Hallenbad an der Bismarckstraße schwimmen und danach mit ihnen noch in den „Kamin“, eine Kneipe, die nur ein paar Meter weiter die Straße runter lag. Der Frühschoppen mit alten Freunden und ehemaligen Mannschaftskollegen war ihm heilig. Ralf erinnert sich: „Wenn wir reinkamen, wurde oft gerufen: ‚Da kommt der König Richard‘ und während wir unsere Limo tranken, flüsterten uns die, die ihn noch spielen gesehen haben, ins Ohr: ‚Euer Vatter, dat war’n richtig Juter.‘ Für uns war er vor allem eines: Ein wunderbarer Vater, der immer für uns da war und viel Zeit mit uns verbrachte.“

Richard_Job_13.jpg

Bis ins hohe Alter blieb der regelmäßige Stadionbesuch zu den Heimspielen der Werkself eine Selbstverständlichkeit für Richard Job. Er saß dann auf der Tribüne zusammen mit vielen anderen alten Helden der Klubgeschichte wie Theo Kirchberg, Fredy Mutz, Günter Haarmann oder Friedhelm Renno.

Am 27. April 2010 starb Richard Job im Alter von 89 Jahren. Seine Frau Anneliese und ihre Söhne Ralf und Carsten machten es sich danach zur Gewohnheit, an seinem Geburtstag vor seinem Grab mit einem Glas Sekt auf ihn anzustoßen. An diesem 9. März, wenn „König Richard“ 100 geworden wäre, werden sie es wieder tun.