Sprin­ter mit Spiel­trieb

Jere­mie Frim­pong im Por­trät

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Jeremie Frimpong hat sich in dieser Saison mit seinen Tempodribblings auf der rechten Seite in den Fokus sowie in die Herzen der Fans gespielt und gehört zum absoluten Stammpersonal von Trainer Gerardo Seoane. Der 21-Jährige hat große Ambitionen: Er will Titel gewinnen und bei der WM 2022 für die Niederlande auflaufen. Das Werkself Magazin hat mit dem bei Manchester City und Celtic Glasgow ausgebildeten Außenspieler die Motorworld in Köln besucht und nach vergleichbar schnellen Boliden Ausschau gehalten – und einen überraschenden Favoriten gefunden. Viel mehr als Autos interessieren den gebürtigen Amsterdamer privat aber zwei andere Dinge: Anime-Serien und das FIFA-Spiel. Die digitale Welt beeinflusst auch das Privatleben und die Laufbahn des Rechtsverteidigers, wie der Sohn ghanaischer Eltern erzählt.

Nur einmal in seinem Leben hatte Jeremie Agyekum Frimpong wirklich Angst. Nicht, als er sein erstes Profi-Spiel für Celtic Glasgow bestritt und auch nicht, als er allein in die schottische Hauptstadt und später nach Deutschland zog. Es passierte im Elternhaus in Manchester, wo der damalige Teenager aufwuchs. Frimpong spielte PlayStation. Eine potenzielle Gefahrenquelle, denn kaum etwas kann ihn im Leben „so provozieren wie FIFA“, sagt er mit einem entschuldigenden Grinsen im Gesicht. Doch damals im Kinderzimmer erschrak er selbst ob seiner emotionalen Reaktion. „Ich lag zurück, und es war nicht mehr lange zu spielen. Meine Mutter rief nach mir. Doch ich war genervt. Als sie nochmal rief, schrie ich nur: ‚Mum, was denn?‘ Dann zuckte ich zusammen. Ich hatte sie noch nie angeschrien und wusste: Das gibt Ärger!“ Frimpong hält inne, imitiert die damalige Verängstigung, als er die Schritte der Mutter nachmacht. „Bamm, Bamm, Bamm. Anhand des Stampfens hörte ich ihre Wut. Ich erstarrte und wusste: Das wird schlimm.“

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In der Europa-League-Gruppenphase traf Jeremie Frimpong unter anderem auf seinen Ex-Klub Celtic Glasgow.

Inzwischen amüsiert es ihn, dass er an der Konsole zu solchen Gefühlsausbrüchen fähig ist. Ohnehin lacht er gern – auch über sich selbst – und ist der Prototyp eines Sunnyboys: „Ich bin nie lange böse. Ich mag es, glücklich zu sein und möchte meine Zeit nicht mit negativer Energie verplempern.“ Doch an der Konsole verwandelt er sich. Nicht unbedingt zum Guten. „Handys, Türen, Controller – ich habe schon viele Dinge kaputtgemacht“, sagt er und lacht mit weit geöffneten Augen. „Oh my God“, fährt er fort. Und in seinem Gesicht ist nun die damals gefühlte Verzweiflung abzulesen: „Wenn ich zurückliege, und der Gegner spielt nur noch hintenrum, dann raste ich aus. Wenn er dann noch nach dem Spiel schreibt: Das war unglücklich für dich – arghhh. Dann muss ich die Konsole ausmachen und den Kopf einfach hängen lassen. Das hilft mir.“

Jeremie Frimpong ist Fußball-Profi, hat in seiner Geburtsstadt Amsterdam, Manchester und Glasgow gelebt und ist im Alter von 20 Jahren im Januar 2021 nach Köln gezogen. Er hat die Trikots von Manchester City und Celtic Glasgow getragen, ist niederländischer Junioren-Nationalspieler und spielt für Bayer 04 in der Bundesliga sowie der Europa League. Doch in erster Linie ist Frimpong ein junger Kerl, der sich seine kindliche Seite auffällig bewahrt hat und den weder das Erwachsenwerden noch das Glamour-Leben eines Fußball-Profis reizen. Er hat drei Brüder und drei Schwestern, bezeichnet sich als „Familienmensch“ – und seine zweite große Leidenschaft abseits des Rasens sind Anime-Serien. Alles begann mit Dragon Ball Z, die japanische Kult-Serie faszinierte ihn und hat ihn bis heute nicht losgelassen. Er trägt gern Anime-Shirts, hat sein Zimmer mit Postern und Fan-Utensilien ausgestattet, kauft sich Wallpaper – und hat seinen Hund nach einem Tier aus dem Anime-Kosmos benannt: Akamaru – der treue Begleiter und beste Freund des Anime-Charakters Kiba Inuzuka.

Als der Trainer mir sagte, dass ich spielen werde, erschrak ich

Der just 21 Jahre alt gewordene Profi mit dem ausgeprägten Spielbetrieb, der die Fans fasziniert und die Gegner auf seiner rechten Seite schwindelig spielt, verkörpert die viel gepriesene Unbekümmertheit. Es gelingt ihm, die Leichtigkeit, mit der er durch sein Leben geht, auf den Rasen zu übertragen. Für ihn gilt auf dem Platz: „No fear!“. Wirklich nervös war er in seiner Laufbahn nur ein einziges Mal. September 2019, Profi-Debüt, schottischer Pokal, Celtic gegen Partick Thistle. Wieder nutzt Frimpong sämtliche Gesichtszüge, bedient sich der Anime-Mimik und bezieht beide Arme ein, um die damalige Szenerie zu beschreiben. Es wird verständlich, warum die Schauspielerei ein früher Berufswunsch war – und auch dort hätte es an Talent nicht gemangelt. „Als der Trainer mir sagte, dass ich spielen werde, erschrak ich. Beim Warmlaufen schaute ich dann in das Stadion und sah all die Fans. Ich war nervös, hatte Gänsehaut, das war in diesem Moment schon ein wenig furchteinflößend. Doch als das Spiel begann, schaltete ich meinen Kopf aus. Ich spielte einfach drauf los. Und das war‘s, ab dann ging es los.“

Und wie. Das Spiel endet 5:0, und nur zehn Wochen später steht Frimpong in seinem ersten Finale. Wieder ist es der schottische Pokal, doch der Gegner ist prominenter. Glasgow Rangers, das legendäre Old Firm im voll besetzten Hampden Park. „Die Stimmung war außergewöhnlich. Es war generell großartig, für Celtic zu spielen. Ich werde den Fans immer dankbar sein“, sagt Frimpong. An jenem kühlen Dezember-Abend drohte das Verhältnis zwischen Celtic-Sympathisanten und dem schnellen Talent aber erheblichen Schaden zu nehmen. Frimpong erhält das Vertrauen und spielt – bis er nach 63 Minuten beim Stand von 1:0 im Strafraum Alfredo Morelos legt. Elfmeter.

Der Beginn qualvoller, gefühlt unendlicher Minuten. „Ich sehe das alles noch genau vor mir. Chris Chelio spielt einen Fehlpass, ich foule. Ganz klar Rot. Ich dachte nur: ‚Oh man. Was hast du getan?‘ Es war mein erster Platzverweis – und dann in so einem Spiel. Als ich vom Platz gegangen bin, habe ich niemanden angeschaut; ich dachte, die machen mich auf den Tribünen fertig. Das Schlimmste aber war, das Spiel von außen anschauen zu müssen. Dann hat Ben Foster den Elfmeter gehalten, und wir haben gewonnen. Ich habe ihm nur immer wieder ‚thank you, thank you‘ gesagt, ich war ihm so dankbar.“

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Premiere mit Anlauf: In Leipzig erzielte Jeremie Frimpong sein erstes Bundesliga-Tor und feierte den Treffer mit Trainer Gerardo Seoane.

Auch eine weitere folgenschwere Entscheidung auf dem Rasen hat ihn geprägt. Wieder ein Derby, dieses Mal im Winter 2021. Leverkusen führt 2:0 in Köln und kontert. Frimpong hat den Ball am Fuß und schießt – an die Latte. Statt 3:0 steht es am Ende 2:2. Den Niederländer plagten daraufhin Schuldgefühle. „Hätte ich abgespielt, hätten wir gewonnen. Beim Stand von 0:0 hätte ich ihn auch quergelegt, aber so wollte ich es selbst machen. Das tat weh, damit habe ich meine Lektion gelernt.“

Dass er der Verlockung des Toreschießens erlag, verwundert jedoch nicht. Angefangen mit dem Fußballspielen hat Frimpong nun mal, „um Tore zu schießen, wie jedes Kind“. Erst auf Bolzplätzen in Amsterdam. „Eines Tages sagten mir meine Eltern, dass wir morgen nach England ziehen würden.“ Und so ging das Leben in Manchester weiter – und im Alter von neun Jahren spielte Jeremie Frimpong erstmals in einem Fußballverein. In einem der weltweit bekanntesten: Manchester City. Kein schlechter Start, wenngleich Frimpong darauf wenig Wert legte. „Ich hatte auch bei Liverpool oder Bolton trainiert, aber City war nur zehn Minuten von zu Hause weg. Ich wollte einfach nur Fußball spielen und habe keinen Druck verspürt, weil es ein großer Name war. An solche Dinge habe ich nie gedacht.“

Mit den Jahren, in denen er vom Stürmer zum Außenangreifer und schließlich zum Rechtsverteidiger wurde, realisierte er aber zunehmend, in welch exquisitem Umfeld er sich bewegte. Phil Foden, Jadon Sancho, Eric Garcia – Jeremie Frimpong spielte mit einigen der besten Nachwuchsspieler des Planeten zusammen. „Das Niveau war hoch. Es gab viele Jungs, von denen man wusste, dass sie Außergewöhnliches erreichen werden.“ Diesen Traum verfolgt auch Frimpong: „Ich will Weltmeister werden, die Champions League gewinnen – einfach alle Titel holen, das will doch jedes Kind erreichen.“

Seitdem ich in Leverkusen bin, bin ich ein viel besserer Spieler geworden

Ein weiteres Wunschdenken vieler Heranwachsender ist mittlerweile, mit seinem eigenen Avatar auf der Playstation zu spielen. Dem Bayer 04-Profi wird diese Ehre längst zuteil – obwohl er sie nicht unbedingt als solche empfindet. Die Fähigkeiten des virtuellen Frimpongs sind eher, nun ja, ausbaufähig, wie der Niederländer erklärt. „Oh je. Bei FIFA bin ich nur schnell. Dribbling ist schlecht und schießen“ – er zuckt kurz und fängt an zu lachen – „naja, schießen ist auch schlecht, aber das ist schon okay. Manchmal kann ich es nicht glauben, wie ich mit ihm ein Tor erziele. Daran muss ich wirklich arbeiten.“ Dass die Bewertung des FIFA-Frimpongs eine zusätzliche Motivation ist, verhehlt er nicht: „Seitdem ich in Leverkusen bin, bin ich ein viel besserer Spieler geworden. Ich will auch eine Goldene Karte bei FIFA, dafür muss ich im echten Leben noch besser spielen und sie mir verdienen.“ Frimpong genießt den Wechsel zwischen digitaler und realer Welt. Anime-Serien, FIFA – vor dem Bildschirm schaltet er ab. Von den körperlichen Anforderungen an einen Profi-Fußballer, aber auch von den Einflüssen um ihn herum – und dem Erwachsenwerden.

Dass bei Bayer 04 viele Spieler im Aufgebot stehen, die sich in einer ähnlichen Lebenssituation befinden, schätzt er sehr. „Viele der Jungs sind in meinem Alter, haben auch keine Kinder oder Ehefrauen, und so verbringen wir viel Zeit miteinander. Wir haben einen sehr guten Vibe in der Mannschaft.“

So bleiben Anime-Serien vorerst eine feste Säule im Leben von Jeremie Frimpong. Ein wichtiger Ausgleich, ein lang geschätztes Hobby – und in bestimmten Momenten auch ein Wegweiser. Er hält einen Moment inne, das Dauerlächeln ist aus seinem Gesicht gewichen. Es ist ihm wichtig, dass seine Vorliebe nicht bloß als unbedeutender Quatsch eingestuft wird. Mit selten ruhiger Stimme sagt er: „Jeder Anime-Charakter hat ein großes Ziel, für das er kämpft. Sie starten mit nichts und erreichen es – trotz aller Steine, die ihnen in den Weg gelegt werden. Manchmal denke ich darüber nach und nehme sie mir als Vorbild, denn ich habe auch mit nichts angefangen und will meine Träume verwirklichen.“

Das Porträt ist dem Werkself Magazin #34 entnommen, das im Januar 2022 erschienen ist. HIER geht's zum kostenlosen Online-Blätterkatalog.