Er trug sieben Jahre das Bayer-Kreuz auf der Brust (1984-91), gewann mit der Werkself 1988 den UEFA-Cup und ist nicht verwandt mit Knut Reinhardt: Alois Reinhardt feiert am heutigen Donnerstag, 18. November, seinen 60. Geburtstag. Wir erinnern an den zweikampfstarken Abwehrspieler und großen Schweiger, der Gary Lineker ausschaltete und Bayer 04 1988 ins Endspiel schoss.
Mit wem auch immer man über ihn spricht, was auch immer man über ihn liest, in einem Punkt sind sich in Bezug auf Alois Reinhardt alle einig: Er sei ein ruhiger Mensch, ein Mann der leisen Töne, „der große Schweiger“ gar, wie es in einem Porträt auf www.glubberer.de heißt, dem „Internetlexikon der Clubspieler“. In seiner Zeit beim 1. FC Nürnberg habe er auf Fragen oft nur mit seinem Lieblingsspruch „Wasst ja selber, wie’s is“ geantwortet.
Ehemalige Mitspieler bei Bayer 04 bestätigen das Bild vom zurückhaltenden, wortkargen Alois Reinhardt. Aber sie ergänzen das Porträt auch um etliche Facetten. „Er ist ein Franke, und mit Franken musst du bekanntlich erstmal warm werden“, sagt Knut Reinhardt mit einem Schmunzeln. „Wenn Alois aber mit jemandem warm wird, dann pflegt er ein sehr ehrliches und freundschaftliches Verhältnis.“ Knut – das junge, große Talent aus dem eigenen Leverkusener Nachwuchs – und Alois – der Stoiker aus Höchstadt an der Aisch in Bayern – wurden in Medien oft fälschlicherweise als die Reinhardt-Brüder bezeichnet. „Dabei waren wir nur Namensvettern“, sagt Knut, der große Stücke auf den sieben Jahre älteren Ex-Mannschaftskollegen hält. „Er hat mich als damals jungen Spieler sehr geprägt. Ich bewunderte seine professionelle Einstellung, Alois machte viele Zusatzschichten, hat sich akribisch auf Spiele vorbereitet, was zu der Zeit für einen Bundesliga-Spieler durchaus nicht die Regel war.“
Der fleißige Franke also, der nach seinen Jugend-Jahren beim TSV Höchstadt mit 16 in die Junioren-Abteilung des 1. FC Nürnberg wechselte, hatte im April 1980 als 18-Jähriger sein Profi-Debüt für den Club in der 2. Liga gegeben. Nur ein gutes halbes Jahr später erzielte er sein erstes Bundesliga-Tor für die inzwischen aufgestiegenen Nürnberger – wie es der Zufall wollte, ausgerechnet gegen seinen künftigen Arbeitgeber Bayer 04 Leverkusen. Der 1,87 Meter große Vorstopper zählte in Deutschland zu den gefragtesten Abwehrtalenten, war unter Dietrich Weise DFB-Junioren-Auswahlspieler geworden und hatte es mit der deutschen U21-Nationalmannschaft 1982 ins EM-Finale geschafft. Zu seinen Teamkollegen unter Coach Berti Vogts gehörten Wolfgang Rolff, Pierre Littbarski und Rudi Völler. In den beiden Finalspielen setzten sich am Ende aber knapp die Engländer durch.
Sein Trainer beim 1. FC Nürnberg, Udo Klug, verglich Reinhardt einmal vom Spielertyp her mit Karl-Heinz „Charly“ Körbel, der Vorstopper-Legende der Frankfurter Eintracht. Genau wie das hessische Pendant verstand es Alois gegnerische Mittelstürmer wie Horst Hrubesch, Dieter Schatzschneider oder Klaus Fischer weitgehend körperlos auszuschalten. Immer klappte das natürlich nicht – das „körperlos“. Ein Lied davon singen konnte Bayern-Torjäger Dieter Hoeneß, der im DFB-Pokalfinale 1982 einmal dermaßen hart bei einem Kopfballduell mit Alois Reinhardt zusammenprallte, dass er anschließend mit „Turban“ weiterspielen musste. Ein Bild, das in die Fußball-Geschichtsbücher einging.
Reinhardt selbst blieb natürlich auch standhaft und setzte die Partie mit einer Platzwunde über dem Auge fort. Hoeneß, der den 4:2-Sieg der Bayern gegen die Nürnberger mit einem Kopfball-Tor besiegelte, lobte seinen Kontrahenten nach dem Finale: „Wenn sich alle meine Gegenspieler so wie der Reinhardt auf faire sportliche Mittel beschränken würden, wäre das Mittelstürmer-Geschäft ein angenehmeres.”
Worte, die der damalige Kapitän der deutschen U21-Auswahl sicher gerne vernahm. Zumal die Aussage durchaus seinem Selbstbild entsprach. Reinhardt formulierte seine Philosophie als Vorstopper einmal so: „Mitdenken, mitspielen, versuchen, eher am Ball zu sein, nicht grätschen, auf den Beinen bleiben, robust sein, aber nicht unfair.“ Ein präzise auf den Punkt gebrachtes Anforderungsprofil an sich selbst. Kein Wort zu viel.
Als Reinhardt im Sommer 1984 einen Vertrag in Leverkusen unterschrieb, war er mit 101 Spielen für den 1. FC Nürnberg schon ein gestandener Bundesliga-Profi. Der Franke fühlte sich unterm Bayer-Kreuz nach einer kurzen Eingewöhnungsphase genau am richtigen Platz. „Bayer 04 ist ein ruhiger und grundsolider Klub. Hier weiß man immer, wo man dran ist. Das kommt meinem Naturell sehr entgegen“, sagte der damals 23-Jährige dem Klubheft„Stadion-Kurier“.
In seiner ersten Saison an der Dhünn warfen ihn noch häufiger Verletzungen zurück. Ab 1985 aber startete der Innenverteidiger unter dem neuen Trainer Erich Ribbeck richtig durch. Er trat in die großen Fußstapfen von Jürgen Gelsdorf und Dietmar Demuth. „Aber Alois war ein ganz anderer Spielertyp“, sagt Thomas Hörster, der mit Reinhardt zusammen die Abwehr organsierte. „Wer an Gelle oder Dietmar vorbei wollte, hatte danach entweder Blut am Socken oder mit viel Glück noch den Ball am Fuß“, schmunzelt Hörster. „Der Alois ging mit feinerer Klinge zur Sache. Er war ein guter Fußballer, auch ein Abräumer, ja, aber alles andere als ein Treter. Er war zuverlässig, extrem kopfballstark und insgesamt sehr wichtig für uns.“
Hörster spielte bei Ribbeck meist Libero und Alois Reinhardt war der einzige klassische Vorstopper. Weil die Gegner aber oft mit zwei Spitzen agierten, musste der Franke in der Raumdeckung flexibel reagieren, viel übernehmen und übergeben. „Das erforderte eine hohe fußballerische und taktische Intelligenz, die Ali mitbrachte“, sagt Rüdiger Vollborn. „Ich habe mich mit ihm und Thommi Hörster vor mir immer sehr sicher gefühlt.“
Als Turm in der Schlacht bewährte sich „der Lange“, wie er im Team auch genannt wurde, immer wieder in der Saison 1987/88. Zu Beginn dieser Spielzeit musste er wegen einer schweren Bänderverletzung fast vier Monate pausieren. Rechtzeitig zum Rückspiel gegen den FC Toulouse im UEFA-Cup meldete sich Reinhardt zurück. Bayer 04 gewann 1:0, stand damit im Achtelfinale. Und der Innenverteidiger fehlte fortan in keinem der weiteren Spiele bis zum Finale und ging dabei immer über die volle Distanz. Beim 0:0 im Hinspiel gegen den FC Barcelona schaltete Reinhardt den englischen WM-Torschützenkönig von 1986, Gary Lineker, aus.
Seine größten Spiele aber machte er in dieser Saison gegen Werder Bremen im Halbfinale. Der gelernte Sanitär-Installateur hämmerte im Hinspiel den Ball in der 61. Minute zum 1:0-Siegtreffer in die Maschen. „Christian Schreier legte mir den Ball auf, ich nahm ihn noch kurz mit und zog dann aus 20 Metern ab. Es war ein richtig guter Schuss, der vom Innenpfosten unhaltbar für Olli Reck einschlug. Das war sicher das wichtigste Tor meiner Laufbahn und für mich ein wahnsinnig emotionaler Moment“, erinnert sich Reinhardt an diesen 6. April 1988. In seinen 186 Pflichtspielen für die Werkself gelangen ihm nur drei Treffer. Kein Wunder, dass er auf das 1:0 gegen Werder besonders stolz war.
Aber auch beim 0:0 im Rückspiel zählte Reinhardt zu den Besten auf dem Platz. „In solchen Partien warst du froh, wenn du Leute wie ihn in deinen Reihen hattest“, sagt Vollborn. „Der Lange ließ sich einfach nicht aus der Ruhe bringen. Wir standen 90 Minuten hinten drin, es brannte lichterloh in unserem Strafraum. Aber Ali und Erich Seckler waren unsere Feuerwehrmänner, die die Bälle wegköpften oder einfach wegdroschen, wenn’s sein musste.“ Und selbst in einer Abwehrschlacht wie dieser, in der es rustikal zur Sache ging, kam Reinhardt ohne Gelbe Karte aus. Nur 13-mal sah er in seinen sieben Jahren bei Bayer 04 Gelb. Eine erstaunliche Quote für einen Innenverteidiger. Vom Platz gestellt wurde er in seiner gesamten Karriere nicht ein einziges Mal.
Gut ein Jahr nach dem UEFA-Cup-Gewinn mit Bayer 04 gab der mittlerweile 27-Jährige sein Debüt in der deutschen A-Nationalmannschaft unter Teamchef Franz Beckenbauer beim 0:0 im WM-Qualifikationsspiel gegen Wales. Und auch im so wichtigen Rückspiel gegen die Waliser am 15. November 1989 in Köln stand Reinhardt – ebenso übrigens wie sein Leverkusener Namensvetter Knut – im DFB-Kader. Deutschland musste unbedingt gewinnen, um bei der WM in Italien dabei zu sein. Im Müngersdorfer Stadion waren die Waliser überraschend in Führung gegangen. Rudi Völler konnte vor der Pause ausgleichen. Zur zweiten Halbzeit brachte Beckenbauer Alois Reinhardt für Klaus Augenthaler als Innenverteidiger ins Spiel. Die Partie war gerade wieder drei Minuten gelaufen, als Thomas „Icke“ Häßler den Treffer zum 2:1 für das DFB-Team erzielte. Alois Reinhardt, der noch kaum einen Ballkontakt gehabt hatte, bejubelte mit den Mannschaftskollegen das Tor, das Deutschland den Weg zur WM in Italien ebnen sollte. Knut Reinhardt, der nicht zum Einsatz kam, sprang auf der Ersatzbank auf. 235 Tage später wurde Deutschland mit dem 1:0-Finalsieg über Argentinien Weltmeister. Die beiden Reinhardts standen nicht im WM-Kader – einen kleinen Anteil am Triumph hatten sie dennoch.
Alois wechselte im Sommer 1991 nach sieben Jahren in Leverkusen zum FC Bayern München, kam dort in drei Jahren auch verletzungsbedingt aber nur auf zehn Einsätze in der Bundesliga. 1994 beendete der Hobby-Modellbauer seine aktive Karriere. Sein Verteidiger-Blut hat er an seinen in Leverkusen geborenen Sohn Dominik vererbt. Auch er wurde ein erfolgreicher Fußballprofi. Als Abwehrspieler für den 1. FC Nürnberg und den FC Augsburg absolvierte Reinhardt junior 114 Bundesliga-Spiele, während der Senior noch einige Jahre als Trainer arbeitete, unter anderem bei den Amateuren der Clubberer und des 1. FC Kaiserslautern. Heute lebt Alois Reinhardt wieder in seinem Geburtsort Höchstadt. Bayer 04 wünscht seinem UEFA-Cup-Sieger alles Gute zum 60. Geburtstag!