Hradecky: „Ich will aufrichtig bleiben“

Voller Freude steigt Lukas Hradecky in den Schwadbus, jenen rot lackierten Doppeldecker-Bus, den die Bayer 04- Fans allzu gut kennen. Der Torwart der Werkself genießt das Spiel mit Lenkung, Kupplung und den vielen Knöpfen. Denn Busse, das verrät der Finne, mochte er schon immer.
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Im Interview spricht der 32 Jahre alte Torwart über seine Leidenschaft für Smalltalk, den Wert von Authentizität, seine Rolle als Kapitän und die Hoffnung auf Silberwaren.

Lukas, der Bus als Interview-Location ist bewusst gewählt. Wir haben gehört, dass dich Busse schon früher immer fasziniert haben.

Hradecky: (lacht) Das stimmt. Als kleiner Junge in Turku habe ich ständig Busse gemalt. In der Schule war ich zwar kein guter Zeichner im Kunstunterricht, aber Busse konnte ich malen. Ich hatte da wohl eine Phase des Kubismus. (lacht) Irgendwo sind die Bilder auch noch gelagert, meine Mutter hat sie nie weggeworfen. Vielleicht sollte ich sie mir im Sommer mal anschauen.

Hattest du als kleiner Junge den Berufswunsch, Busfahrer zu werden?

Hradecky: Wenn du acht, neun Jahre alt bist, denkst du nicht als Erstes daran, Busfahrer zu werden, auch wenn es dir eigentlich gefällt. Denn als der Fußball ins Spiel kam, da träumte man davon, locker ins Camp Nou zu spazieren und für den FC Barcelona zu spielen. Und dann ist man in der Realität angekommen und sieht, dass das gar nicht so einfach ist. (lacht) Aber aus heutiger Sicht würde ich immer noch sagen, dass Bus- oder Taxifahrer durchaus was für mich wäre. Ich habe überhaupt kein Problem, mit Leuten zu reden und soziale Beziehungen aufzubauen. Ganz im Gegenteil: Ich mache gern Smalltalk, interessiere mich für Menschen. Insofern wären das für mich ganz gute Jobs.

Woher kommt es, dass du Interesse am sozialen Austausch, an der Kommunikation hast? Liegt es an der Erziehung?

Hradecky: Wahrscheinlich spielt alles eine Rolle. Meine Eltern sind damals aus Bratislava nach Turku gezogen, in ein Land gegangen, dessen Sprache sie nicht konnten. Ich ziehe meinen Hut vor ihnen, dass sie diesen Sprung ins Unbekannte gewagt und bewältigt haben. Sie haben mich sicher am stärksten geprägt. Ich wurde so erzogen, dass ich alle Leute gleichbehandeln soll, egal, ob Präsident, Fußballspieler oder Busfahrer. Ich versuche so mit Menschen umzugehen, dass sich der andere wohlfühlt und baue gern eine Beziehung zum Gegenüber auf, sogar in Gesprächen, die nur zwei oder drei Minuten dauern.

Normalerweise sind Finnen aber recht zurückhaltend.

Hradecky: Ein normaler Finne bin ich aufgrund meiner familiären Wurzeln sicher nicht, aber ich fühle mich natürlich sehr viel mehr als Finne denn als Slowake. Ich bin eine gute Mischung, ein Hybrid-Finne sozusagen.

Und überaus authentisch.

Hradecky: Das ist mir tatsächlich auch ganz wichtig. Ehrlich gesagt ist Heuchelei das Schlimmste für mich. Wenn man so tut, als wäre man anders, als man wirklich ist, stört mich das massiv. Ich will authentisch sein, aufrichtig bleiben. Ich weiß nicht, ob das meine Stärke ist, ob ich deswegen Kapitän bei Bayer 04 geworden bin. Ich bin sicher nicht perfekt, sondern der, der ich bin. Da führe ich kein Schauspiel auf, versuche nicht mich ständig zu inszenieren. Ich kenne nur diese Lebensweise.

Damit ragst du für viele Menschen, auch in der Fußballbranche, heraus.

Hradecky: Das ist aber gar nicht meine Intention. Es erschreckt mich eher, in welche Richtung sich die Welt entwickelt. Natürlich hat die neue Generation andere Interessen, andere Dinge, die gerade cool sind. Ich kann sagen: Ich hatte noch eine wunderschöne Kindheit, war viel draußen, viel mit anderen zusammen. Vielleicht unterscheiden wir uns dadurch von der neuen Generation, die immer Handys und PlayStations hatte. Vielleicht sind sie dadurch ein bisschen isolierter. Früher war Stubenarrest eine Bestrafung, heute ist es schwierig, die Kinder von dem Smartphone wegzuholen. Wir hatten unseren eigenen Weg, schauten darauf, ob man andere Jungs fand, um mit dem Ball zu spielen. Es stört mich schon ein bisschen, wohin die Welt sich bewegt.

Lukas Hradecky als Bewahrer alter Werte?

Hradecky: Am Ende ist alles eine persönliche Wahl. Ich merke das an mir selbst, dass ich manchmal quasi unterbewusst zum Telefon greife, draufschauen will, aber manchmal lasse ich es dann sein. Aber es geht gar nicht darum, immer alles zu verbieten. Grundsätzlich gilt: Jeder soll machen, was er will, solange er die Leistung bringt. Das ist ja auch bei uns im Team so: Es gibt klare Regeln, zum Beispiel kein Handy beim Essen. Ich selbst habe am Spieltag das Handy immer im Flugmodus und mache den erst wieder aus, wenn ich nach dem Spiel im Bus sitze. Ich habe nicht mehr viele Jahre von diesem Kabinen-Leben und ich will das noch spüren, dieses Zusammensein als Team.

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Du genießt es spürbar, Teil der Mannschaft zu sein, nun sogar als Kapitän voranzugehen.

Hradecky: Profi-Fußballer zu sein ist grundsätzlich ein Privileg. Diesen Job bei einem Klub wie Bayer 04 in der Champions League ausüben zu können, erst recht. Ich habe in meinem ersten Jahr in Frankfurt mit Abstiegskampf und Relegation auch sportlich ganz harte Zeiten gehabt. Heute bin ich froh für die anstrengende Zeit damals und die gemachten Erfahrungen, dadurch bin ich gereift und verglichen damit ist die Champions League mit Bayer 04 ein Luxus.

Allerdings in einer Branche, in der trotzdem ein hoher Druck herrscht, in einem Spiel, das auf großer, öffentlicher Bühne ausgetragen wird.

Hradecky: Natürlich, aber am Ende ist es trotzdem nur Fußball. Andere Menschen haben existenzielle Nöte, tiefgehende Probleme und ich soll mich dann lange über einen Fehlpass oder eine schlechte Bewertung aufregen? Ich nehme meinen Beruf sehr ernst und ärgere mich über einen Fehler, aber es geht dann auch immer weiter. Ich bin auf dem Platz total seriös, aber man darf sich auch nicht zu sehr unter Druck setzen. Deshalb bleibe ich stabil und locker. Man darf sich von Fehlern nicht zu sehr runterziehen lassen, sonst entwickelt man Angst vor der nächsten Aktion, und die Wahrscheinlichkeit für den nächsten Fehler steigt.

Dabei kann die öffentliche Kritik schon extrem sein.

Hradecky: Ich bekomme davon zum Glück nicht so viel mit, lese zum Beispiel kaum deutsche Sportmedien, auch nicht die Noten. Die interessieren mich gar nicht mehr. Zu Beginn der Karriere war es noch anders, aber dann kam ich zu der Erkenntnis, dass es völliger Blödsinn ist. Es fällt leichter, die schwächeren Phasen zu überstehen, wenn man sich von diesen Dingen unabhängig macht. Man sagt immer, negative Kommentare, ja sogar Schmähungen, gehören zum Geschäft, aber das glaube ich nicht. Egal, in welcher Situation: Man kann sich immer noch mit mehr Respekt behandeln.

Gerade in den so genannten sozialen Netzwerken herrscht mitunter ein rauer Umgangston.

Hradecky: : In dieser Hinsicht hat Social Media für mich tatsächlich mehr Schlechtes als Gutes. Deshalb bin ich da ja auch so gut wie nie unterwegs. Die Auswirkungen von negativen Kommentaren sind doppelt so belastend wie das, was du bekommst, wenn du ein gutes Spiel machst.

Daraus hast du den Schluss gezogen, dich dem weitgehend zu verweigern.

Hradecky: Wir wissen alle, dass der Druck im Profifußball hoch ist. Aber das gehört auch zu meinem Weg, den Druck nicht zu sehr an mich heranzulassen. Wenn einem das als Hochleistungssportler bei diesen Themen gelingt, dann kommt es einem nur zugute. Druck, oder besser: Anspannung hilft einem natürlich auch in Situationen, um wach zu sein, Topleistung bringen zu können. Aber wenn das zu viel wird, geht es ganz schnell bergab. Es muss auf dem Platz geliefert werden, aber ich versuche schon, diese Lockerheit nie zu verlieren.

Was von dieser Einstellung kannst du als Kapitän dem eigenen Team vermitteln?

Hradecky: Wir gehen ja als Mannschaft nach dem Training regelmäßig gemeinsam in die Sauna. Und jeder weiß, dass ich auch da gern rede, jeder alles fragen kann. Das ist für uns fast eine therapeutische Sitzung. (lacht) Wir haben Leute, die in ihren Karrieren in unterschiedlichen Positionen waren und sind, deswegen kann man sich da gut austauschen. Aus meiner Perspektive habe ich andere Geschichten zu erzählen als die großen Talente, die bei uns spielen. Momentan haben wir eine ganz gute Mischung. Ich bin nur der Kapitän, aber wir alle sind wichtig.

Du hast gerade gesagt, ihr hättet eine gute Mischung in der Mannschaft in diesem Jahr. Welche Rolle spielt Trainer Gerardo Seoane?

Hradecky: Ich kann nur Gutes über ihn sagen. Und nicht, weil ich von ihm zum Kapitän gemacht wurde. (lacht) Jeder Spieler braucht eine andere, individuelle Ansprache. Das erkennt der Trainer, und deshalb respektieren und schätzen die Spieler ihn auch so sehr und wollen es mit Leistung zurückzahlen. Seine Stärke ist auf jeden Fall die Variabilität, und das meine ich nicht zuvorderst taktisch. Das verstehe ich im Zweifel ja gar nicht: Ich bin dazu da, Bälle zu halten. (lacht) Aber das Innere eines Teams, die Chemie innerhalb der Mannschaft: Das sind Themen, bei denen Gerardo sich mit mir als Kapitän, aber auch mit vielen anderen, gerade auch den älteren Spielern, bespricht. Da fragt er uns auch, wie die Mannschaft sich fühlt, bezieht unsere Aussagen in seine Planungen mit ein. Zudem kann der Trainer aufgrund seiner Sprachkenntnisse dann ja auch mit den meisten Spielern im direkten Austausch in der Landessprache reden. Das ist immens wichtig. Nur durch Transparenz und Kommunikation können wir einander helfen.

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Seit 13 Jahren hast du deinen Lebensmittelpunkt fernab der Heimat. Ein Ende deiner sportlichen Laufbahn ist im Alter von 32 Jahren noch gar nicht zu erkennen, doch für den fernen Punkt deines Karriereendes hast du schon gewisse Prioritäten entwickelt.

Hradecky: Ich denke, dass ich nach Finnland zurückgehen werde, auch wenn es noch nicht entschieden ist. Aber ich möchte zumindest einen Teil meines Lebens noch dort verbringen, ich habe schließlich in den vergangenen Jahren viel verpasst. Ich weiß noch, wie meine Kumpels früher, als ich in Dänemark spielte, mir immer Bilder und Nachrichten von coolen Sommer- Festivals schickten, während ich im Trainingslager schwitzte. Das war schon hart.

Das wirst du nach der Karriere ändern.

Hradecky: Der ganze Verzicht hat sich natürlich gelohnt, aber dann bin ich eben als 40-Jähriger dabei. Es wird nicht die einzige Premiere sein. Ich freue mich, das alles zu erleben: Mittsommer feiern, Polarlichter sehen. Es gibt so viele schöne Ecken zu entdecken.

Wenn du irgendwann deine Karriere beendest, was sollen die Fans in Leverkusen, Frankfurt, Kopenhagen oder Turku sagen?

Hradecky: Er ist ein anständiger Junge, und er war auch ein guter Torwart. Mir reicht es, wenn ich weiß, dass ich meine Werte und mein Leben gelebt habe. Dann kann ich mit gutem Gewissen in die Spiegel schauen und ruhig einschlafen.

Aber deine Karriere ist noch nicht einmal im Spätherbst. Torhüter spielen oft bis 40.

Hradecky: Wenn ich es bis dahin schaffe, wäre es gut. (lacht) Ich hoffe vor allem, dass wir für diesen schönen Verein auch etwas gewinnen. Das treibt mich an. Die Voraussetzungen dafür sind da. Jetzt müssen wir als Mannschaft noch diese absolute Gewinnermentalität weiterentwickeln. Dafür ist der Teamgeist das Wichtigste, der steht für mich über allem. Natürlich hat jeder eine eigene Karriere, aber erst, wenn man darüber hinaus alles für die Mannschaft, für die Gruppe investiert, können wir über einen Titel reden.

Wie weit seid ihr in dem Prozess?

Hradecky: Weiter als vor einem Jahr. Wir haben es ja auch nicht von ungefähr in die Champions League geschafft. So ist das im Fußball. Da muss man nicht reden, am Ende zählt das Ergebnis. Mein Ziel ist klar: Ich will hier Silberware in die Vitrine stellen.

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LUKAS 04 LIEBLINGE

Schriftsteller?

Hradecky: Momentan bin ich bei Lars Kepler, das ist das Pseudonym des schwedischen Autoren-Ehepaars Alexandra Coelho Ahndoril und Alexander Ahndoril. Von denen habe ich zuletzt vier oder fünf Bücher gelesen. Ich mag dieses Nordic Noir, wie etwa auch von Jo Nesbø mit seinen Harry-Hole-Krimis.

Film?

Hradecky: Die Verurteilten mit Morgan Freeman und Tim Robbins ist ganz vorn mit dabei, den habe ich zuletzt noch mal angeschaut. In den Top Drei ist auf jeden Fall auch der französische Film Ziemlich beste Freunde, wirklich berührend. Und dazu eine Adam-Sandler-Komödie namens Meine erfundene Frau: Das ist wirklich ein lustiger Film.

Karaoke-Song?

Hradecky: Sweet Caroline, ganz klar.

Serie?

Hradecky: Haus des Geldes war cool, vor allem auch, weil ich es mir im Original auf Spanisch angeschaut habe mit finnischen Untertiteln. Da konnte ich unsere Südamerikaner im Team cool überraschen mit Sprachen und Ausdrücken in ihrer Muttersprache. Und Suits war auch richtig gut.

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