Nicht einmal zwei Monate ist Florian Wirtz 18 Jahre alt, hat aber bereits 47 Pflichtspiele für die Werkself absolviert. Auch die stressige und durch Corona besonders spezielle Abitur-Phase hielt den gebürtigen Pulheimer nicht davon ab, bei den Profis zu glänzen. Mit dem Werks11 Magazin hat der Mittelfeldspieler über seine Entwicklung bei Bayer 04, Karriereziele und den Status als Ausnahmetalent gesprochen.
Florian, nach „anstrengenden Monaten“ hast du dein Abi in der Tasche. Vor allem aber auch schon im Teenager-Alter deinen ersten Profi-Vertrag. Du spielst seit frühesten Kindertagen Fußball, wann hast du gemerkt, dass es mehr ist als nur ein Hobby?
Wirtz: „Ich möchte es mal so sagen: Ich hatte immer schon den Traum, Fußball-Profi zu werden. Erst kürzlich hat mir meine Mutter an meinem 18. Geburtstag einen Zettel aus meiner Zeit in der Grundschule gezeigt. Da sollten wir aufschreiben, was wir einmal werden wollen. Bei mir stand nur: Fußballer. Ich wollte das wirklich schon immer und habe früh damit angefangen, alles wegzukicken, was mir in den Weg kam: Luftballons, Bälle und alles, was da sonst noch so zu Hause rumlag. Bei uns ist einiges durch die Gegend geflogen.“ (lacht)
Aber damals war die Karriere noch nicht absehbar…
Wirtz: „Dass ich es wirklich zum Profi schaffe, habe ich trotz der vielen Junioren-Länderspiele erst richtig realisiert, als ich zu Bayer 04 gewechselt bin und plötzlich bei den Profis mittrainieren durfte. Das war eine ganz neue Welt. Sportlich sowieso, aber ich habe auch gemerkt, dass es ein Beruf ist, den man ausübt und der besondere Anforderungen mit sich bringt. Damals habe ich erst richtig akzeptiert, dass ich das in den nächsten Jahren als meinen Job ansehen muss und auch werde.“
Woran machst du das Berufliche fest?
Wirtz: „Das Schwerste ist für mich, vor den Spielen ins Hotel zu gehen und oft nicht zu Hause sein zu können. Das ist eine große Umstellung. Am Anfang findet man das als junger Kerl natürlich noch aufregend, wenn man mit den Profis ins Hotel gehen darf. Aber dann vermisst man schon recht schnell die Familie und die Freunde, wenn man allein im Hotelzimmer sitzt. So lernt man auch ein paar andere Seiten des Profifußballs kennen. Aber um das klar zu sagen: Es lohnt sich, es macht mir alles unglaublich viel Spaß und ist etwas ganz Besonderes, sein Hobby zu seinem Beruf machen zu können.“
Hättest du dir einen anderen Job vorstellen können?
Wirtz: „Nein. Darüber habe ich nie nachgedacht. Das wollte ich nie und musste ich auch nie. Dafür bin ich dankbar. Meine Freunde müssen sich jetzt nach dem Abitur entscheiden, welchen Ausbildungsweg sie einschlagen, und sie sind manchmal traurig, weil sie noch nicht wirklich wissen, was sie machen wollen, und die Eltern ihnen Druck machen. Bei mir ist das zum Glück nicht so.“
Du hast für diesen Luxus in den vergangenen Jahren auf viele Dinge verzichtet, die andere Teenager gern machen. Gab es Momente, in denen du dachtest, ein bisschen deiner Jugendzeit geht durch den Fußball verloren?
Wirtz: „So hart würde ich das nicht formulieren. Natürlich musste ich auf vieles verzichten, aber ich bin froh, dass ich es getan habe und habe es auch damals schon immer gern für den Fußball geopfert. Ich würde das nie bereuen, denn ich kann mir nichts Schöneres vorstellen, als samstags um 15.30 Uhr in der Bundesliga auf dem Platz zu stehen. Ein paar Dinge habe ich auf dem Weg dorthin vielleicht verpasst, aber dafür ermöglicht mir der Fußball ein anderes, sehr schönes Leben.“
Hier in Leverkusen hat deine Bundesliga-Laufbahn begonnen. Als du das erste Mal mit den Profis trainiert hast – kam da das Gefühl auf: Ich bin angekommen?
Wirtz: „Nein, zu Beginn noch lange nicht. Zwischen all den gestandenen Spielern habe ich mich komplett wie ein Kind gefühlt. Ich musste mich erstmal beweisen, mir im Training Respekt erarbeiten und über mehrere Monate zeigen, dass ich etwas drauf habe. Auch den Mitspielern musste ich zeigen, dass ich nicht nur lernen, sondern auch spielen will. Mal bei den Profis dabei zu sein, sollte immer nur der Anfang sein. Dann gilt es, dann muss man da sein und zeigen, was man drauf hat.“
Bei Bayer 04 haben die Kollegen sehr schnell gemerkt, was sie da für ein Ausnahmetalent im Training vor sich haben. Du hast bei sehr vielen Spielern sofort das Gefühl geweckt: Da kommt einer, der kann Außergewöhnliches...
Wirtz: „Ich gebe grundsätzlich immer Vollgas, aber natürlich ist das noch mal eine komplett andere Motivation, wenn man dann endlich bei den Profis ist. Ich habe jedes Training einhundert Prozent gegeben – und gefühlt noch mehr. Das war das Wichtigste und Richtigste, was ich tun konnte. Um mich zu beweisen und auch dem Trainer zu zeigen, dass ich etwas kann und dass ich es unbedingt will.“
Wenn du ein wenig zurückblickst auf die vergangenen 13 Monate: Was war oder ist für dich der größte Unterschied im Vergleich zur Junioren-Fußballzeit?
Wirtz: „Das Spiel ist zehnmal so schnell wie in der Jugend. Die Pässe sind schnell, alle stürmen auf dich zu, du hast keine Zeit. Und wenn man den Ball verliert, muss man sofort umschalten. In der Jugend konnte ich den Ball noch in Ruhe annehmen, überlegen, wo ich ihn als nächstes hin spiele. Diese Zeit hast du bei den Profis einfach nicht mehr. Da muss man vom ersten Kontakt an direkt weg sein, damit nicht drei Leute auf dich zukommen und sofort den Ball erobern. Mir ist in der Zeit klar geworden: Der erste Kontakt ist das wichtigste Mittel, um zu bestehen. Dadurch verschafft man sich Zeit und einen Vorteil.“
Wie viel musstest du denn in den Bereichen Athletik und Ausdauer aufholen?
Wirtz: „Ich hatte das Glück, dass ich relativ früh sehr viel gespielt habe. Also habe ich mir die Wettkampfhärte erst durch das Training, dann aber vor allem durch die Spiele angeeignet. Mir ist schon aufgefallen, dass ich durch die vielen Einsätze mehr Ausdauer bekommen habe. Wenn man jede Partie etwa elf Kilometer läuft, macht das einen natürlich fit und verbessert auch Schnelligkeit und Körperlichkeit. Auch die Einheiten im Kraftraum haben geholfen, den Rückstand aufzuholen. Es war eine große Umstellung, aber man stellt sich auch schnell darauf ein.“
Nicht nur die körperlichen Anforderungen steigen als Bundesliga-Spieler. Auch persönlich, medial prasselt einiges auf junge Spieler ein: Wie schafft man es, trotzdem fokussiert zu bleiben?
Wirtz: „Bei mir ist es so: Grundsätzlich nehme ich gerne Tipps von außen an, aber ich gebe nicht viel auf die Meinung derjenigen, die einem in den Sozialen Netzwerken eher etwas Schlechtes wollen. Ob jetzt ein Hype entstanden ist? Ich mache mir relativ wenig daraus. Ich gehe trotzdem mit meinen Freunden nachmittags in den Park, wenn es die Corona-Regeln zulassen, und verbringe die Freizeit genauso wie vorher. Für mich war das nie eine Option, dass ich mich durch die Bundesliga-Einsätze verändere.“
Ob du dich selbst veränderst, ist die eine Frage – die zweite ist, ob sich die Menschen dir gegenüber nun anders verhalten. Weil sie dich nun nicht mehr als Florian, sondern als Star wahrnehmen. Und dich als Prominenten betrachten, egal wie du dich verhältst. Aber diese Erfahrung hast du in deinem Freundes- und Bekanntenkreis noch nicht gemacht?
Wirtz: „Bei meinen Freunden auf keinen Fall. Natürlich gibt es einige von außen, die auf einmal meine Freunde sein wollen. Aber in meinem engsten Kreis: Da sind alle gleichgeblieben. Sie wollen auch nicht, dass ich mich verändere und vermitteln mir das auch. Sie möchten, dass ich so bleibe wie ich bin. Das habe ich auch vor. Das Einzige, was sich wirklich verändert hat: Auf der PlayStation spielen sie nun alle mit Florian Wirtz. Ich bin da die Ausnahme.“ (lacht)
Dein virtueller Avatar verbessert sich stetig – wo siehst du bei dir den größten Entwicklungsbedarf als Fußballer?
Wirtz: „Ich glaube, ich muss noch besonders am letzten Pass arbeiten. Er ist das wichtigste Zuspiel im Fußball: der Pass vor dem Torabschluss. Weil der aber im Endeffekt nur unter Wettkampfbedingungen mit all dem Druck möglich ist, ist es auch so schwer, daran zu arbeiten. Ich glaube, mit zunehmender Erfahrung bekommt man ein besseres Gefühl dafür, wie man die Bälle am Ende spielt. Das ist ein Detail, das mein Spielniveau nochmal erhöhen kann.“
Wie hoch kann es denn gehen für dich?
Wirtz: „Ich träume groß.“ (lacht)
Träume groß bedeutet: Dein erstes Trikot als Kind war eines von Lionel Messi – und die Kids, die in zehn Jahren mit dem Kicken anfangen, sollen ein Trikot von Florian Wirtz tragen?
Wirtz: „Ja, das würde mir gefallen. Aber es muss dann nicht zwingend ein Barcelona-Trikot sein.“ (lacht)
Du hast deinen Vertrag bei Bayer 04 sehr langfristig verlängert. Wie stellst du dir die Entwicklung des Klubs und auch deine Rolle innerhalb des Teams vor?
Wirtz: „Ich möchte aus nächster Nähe miterleben, was hier noch so passiert. Es ist mein klares Ziel, eine bedeutsame Rolle innerhalb der Mannschaft einzunehmen. Dazu gehört auch, in den nächsten Jahren Verantwortung zu übernehmen und eine gewisse Mentalität auf den Platz zu bringen. Mit Bayer 04 ist es zudem mein großes Ziel, in der Champions League zu spielen. Zu Beginn der Saison sah es ganz gut aus, da dachte man sogar eine Zeit lang, wir könnten um die Meisterschaft mitspielen. Ich habe Lust darauf, um Titel zu kämpfen. Das ist einer der Gründe, warum man Fußball spielt, weil man diese Momente genießen will. Es ist das schönste Gefühl auf der Welt, einen Titel zu gewinnen, noch dazu in einem wichtigen Wettbewerb. Wir haben eine relativ junge und hochtalentierte Mannschaft – ich glaube, dass wir schon etwas reißen können.“
Pokal, Meisterschaft, Europacup. Gibt es einen Titel, der dir besonders viel bedeuten würde?
Wirtz: „Ich will einfach alles gewinnen.“
Es ging bislang steil bergauf für dich. Hast du auch schon mal darüber nachgedacht, dass es mal nicht so gut laufen kann?
Wirtz: „Es bringt ja nichts, sich den Kopf darüber zu zerbrechen. Man kann traurig oder unzufrieden sein, aber aus einem Loch kommt man nur durch harte Arbeit. Wenn einem die Bälle verspringen, und es einfach nicht läuft, muss man durch andere Attribute wie Kampf und Laufstärke seine Bindung zum Spiel finden. Es gehört zum Fußball dazu, dass es auch mal schlechte Phasen gibt. Aber die beste Antwort darauf ist, immer weiterzumachen.“
Du bist als ganz junger, hochtalentierter Kerl nach Leverkusen gekommen. Ein paar Monate danach ist ein anderer Hochtalentierter weggegangen, bei dem du dir viel abschauen konntest: Kai Havertz, der dieses Jahr mit Chelsea die Champions League gewonnen hat. Haben dich die medialen Vergleiche mit ihm auch mal gestört oder wie gehst du damit um?
Wirtz: „Kai ist zwar erst 21, aber er hat sich schon über viele Jahre auf höchstem Niveau bewiesen: in der Bundesliga, der Champions League und nun auch bei Chelsea in der Premier League. Darum war es mir ihm gegenüber ein wenig unangenehm, als 16- oder 17-Jähriger mit ihm verglichen zu werden. Ich dachte, dass er vielleicht denkt: ‚Warum vergleichen die so einen kleinen Jungen mit mir?‘ Es war schon ein wenig seltsam für mich, dass es medial so aufgeblasen wurde, obwohl mich kaum jemand kannte oder mal hat spielen sehen. Aber ich persönlich hatte immer ein gutes Verhältnis zu ihm.“
War Kai Havertz in der Anfangszeit eine besondere Figur für dich, ein Ansprechpartner, weil es schon vom Alter ganz gut passte?
Wirtz: „Kai ist natürlich ein Vorbild. Er hat mir einige gute Tipps gegeben, und ich konnte mir vor allem im Training viel abschauen. Er war definitiv jemand, zu dem ich aufschauen konnte. Vor allem sein erster Kontakt mit dem Ball hat mich beeindruckt, den hatte er drauf wie kein anderer aus der Mannschaft. Dadurch hat er auch vor dem Tor fast jede Chance genutzt und sich im Raum perfekt positioniert, so dass er gute Bälle bekommen konnte.“
Euer gemeinsamer Trainer Peter Bosz hat gesagt, Kai Havertz spielt Klavier und Florian Wirtz ist einer von der Straße. Hast du eine Ahnung, wie er das gemeint haben könnte?
Wirtz: „(lacht) Die Aussage habe ich noch nie gehört. Er zielte wohl darauf ab, dass Kai sehr elegant spielt. Ich spiele jetzt auch nicht unelegant, aber dribbele wohl mehr und baue mehr Tricks ein, bin frech, vielleicht sogar ein bisschen rotzig.“
Du hast deine frechen Fähigkeiten nun mehr als ein Jahr lang in der Bundesliga gezeigt – allerdings nie vor vielen Fans im Stadion. Wie hast du diese ganz spezielle Geisterspiel-Thematik erlebt? Und welchen Wunsch hast du für die nächste Zeit?
Wirtz: „Es kann gut sein, dass es für mich als Junior zu Beginn sogar ein kleiner Vorteil war. Mir wurde ein wenig der Druck genommen, den man durch die Kulisse verspüren kann. Aber ich fühle mich bereit. Wir haben ein tolles Stadion, ich will endlich vor ausverkauften Rängen spielen. Das sehne ich mir regelrecht herbei: die Geräuschkulisse, die Anspannung. Ich wünsche mir, dass es bald passieren wird. Ich habe unglaubliche Lust auf diesen Moment. Wenn man als kleines Kind davon träumt, in der Bundesliga zu spielen, dann sind die Ränge ja auch immer voll.“
Florian Wirtz wohnt noch im Haus seiner Eltern. Eine sportbegeisterte, vor allem fußballverrückte Familie. Vater Hans-Joachim trainierte ihn in der Jugend bei Grün-Weiß Brauweiler – in jener Mannschaft, in der auch Schwester Juliane spielte, die nun schon seit 2018 für die Bundesliga-Mannschaft der Frauen von Bayer 04 aktiv ist. „Ganz zu Beginn waren wir im selben Team, obwohl sie zwei Jahre älter ist. Aber danach bin ich ja recht früh von Brauweiler zum 1. FC Köln gegangen, dann hatte sich das erledigt. Es gibt sehr wenige Familienmitglieder, die kein Fußball gespielt haben. Deswegen läuft bei uns auch immer Fußball im Fernsehen. Bei uns dreht sich wirklich sehr viel um Fußball.“
Dass er den 1. FC Köln verließ und zu Bayer 04 wechselte, nahmen ihm Familie und Freunde nicht übel – obwohl einige der Kumpels glühende FC-Fans sind: „In meinem engen Kreis war das nie ein Thema. Meine Eltern und meine Freunde haben mich unterstützt, auch wenn das damals natürlich ein großes mediales Echo hervorgerufen hat. Aber alle meine Bezugspersonen haben mich darin bestärkt, dass ich meinen Weg gehen soll.“
Dieses Interview ist dem Werks11 Magazin #31 entnommen. Alle bisherigen Ausgaben des Werks11 Magazins gibt es kostenfrei als Online-Blätterkatalog auf bayer04.de. HIER geht's zur Übersicht.