Florian Wirtz: Auftrag vom Vater, Lob vom Trainer

Aus sportlicher Sicht hätte die Spielzeit 2020/21 für Florian Wirtz kaum besser laufen können. Nachdem er in seiner ersten vollständigen Saison direkt auf 38 Pflichtspiele mit 16 Torbeteiligungen gekommen ist, darf er sich seit dem Wochenende U21-Europameister nennen. Im Interview mit bayer04.de blickt der Werkself-Youngster auf die EM zurück und spricht über die mit dem Triumph verbundenen Emotionen.
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Florian, vor Beginn der U21-EM-Endrunde hatte die breite Öffentlichkeit die deutsche Auswahl nicht unbedingt als Titelfavoriten auf dem Schirm. Was hat die deutsche U21 in der Endrunde ausgezeichnet?
Wirtz:
„Ich glaube, das war vor allem unser starker Teamgeist. Jeder hat seine Rolle innerhalb der Mannschaft akzeptiert, sein Ego hintenangestellt und ausschließlich daran gedacht, wie er der U21 am besten helfen kann. So konnte jeder das Beste aus sich rausholen und die Energie auf den Platz bringen.“

Ab welchem Moment hattest du das Gefühl: Wir können hier bei dem Turnier etwas Historisches schaffen?
Wirtz:
„Eigentlich habe ich nie konkret an das Finale gedacht. Ich wollte mich erstmal auf das Viertelfinale gegen Dänemark konzentrieren, wo wir uns auch noch nicht so überzeugend präsentiert haben und auch mit Glück weitergekommen sind. Ab dem Halbfinale hatte man schon das Gefühl, dass wir es schaffen können. Ab da hat man natürlich darüber nachgedacht, wie es ist, am Ende mit dem Pokal im Stadion zu stehen. “

Du hast das Halbfinale fast im Alleingang entschieden. Gab es nach den beiden Toren mehr oder weniger Nachrichten als nach dem Bundesliga-Debüt in Bremen oder dem ersten Bundesliga-Tor gegen Manuel Neuer?
Wirtz:
„Ich habe auch dieses Mal wieder viele Nachrichten bekommen – von alten und aktuellen Mitspielern, von ehemaligen Trainern, aber auch von Freunden und Familie. Das freut mich natürlich, aber das Schönste an meinen beiden Treffern war eigentlich, dass wir dadurch ins Finale gekommen sind.“

Man nimmt dir ab, dass du nach solchen Glanzleistungen nicht abhebst und dir auch positive Kritiken nicht zu Kopf steigen. Hat dich neben deinen Eltern vielleicht auch dein Zimmernachbar auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt. Oder durftest du als Jüngster auch mal die Fernbedienung haben?
Wirtz:
„Natürlich konnte ich mir in dem Team als Jüngster nicht erlauben, irgendwie abzuheben oder so zu tun, als wäre das alles mein Verdienst gewesen – mir war immer klar: Das haben wir uns alles als Mannschaft erarbeitet. Das 1:0 gegen die Niederlande war ja zudem richtig schön herausgespielt. Ich weiß selbst, dass ich wegen meiner Tore nicht abheben darf. Die anderen Jungs aus dem Team müssen mich also nicht am Boden halten – einfach auch, weil ich ihnen dazu keine Gelegenheit gebe. (lacht)

U21-Trainer Stefan Kuntz hat es in den vergangenen Jahren immer wieder gezeigt, was er aus dem deutschen Nachwuchs herauskitzeln kann. Was sind deiner Meinung nach seine größten Qualitäten als Trainer und was zeichnet ihn generell aus?
Wirtz:
„Stefan Kuntz hat einen sehr guten Draht zu jedem einzelnen Spieler. Er behandelt jeden mit Respekt und vor allem gleich – egal, ob derjenige in der Bundesliga, der 2. Bundesliga oder aus irgendeiner anderen Liga kommt. Das macht ihn sehr stark. Er hat uns immer gut auf die Gegner eingestellt, sodass wir immer eine Taktik hatten, bei der wir unsere eigenen Stärken einbringen konnten, während die des Gegners nicht zugelassen wurden.“

Stefan Kuntz hat im Nachgang des Spiels angekündigt, dass er sich nun auf die Einzelgespräche mit seinen Spielern freue, in der er auch noch einmal auf die Entwicklung des Einzelnen eingehen wolle. Habt ihr euer Gespräch schon geführt und wenn ja, was hat er zu dir gesagt?
Wirtz:
„Er hat mir gesagt, dass ich mich in der Zeit zwischen meinem ersten Spiel für die U21 und jetzt sowohl menschlich als auch in Bezug auf das Teamgefüge weiterentwickelt habe. Ich bin ein wichtiger Bestandteil des Teams geworden und habe mehr Zugang zu den einzelnen Mitspielern bekommen. Das hat ihn sehr für mich gefreut.“

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Hat sich zu einem wichtigen Bestandteil der U21-Nationalmannschaft entwickelt: Florian Wirtz (2. v. r.).

Du hast in der abgelaufenen Spielzeit bei Bayer 04 in der Bundesliga 38 Pflichtspiele absolviert und konntest so bereits viel Erfahrung auf einem fußballerisch sehr hohen Niveau sammeln. Wie unterscheidet sich da der Fußball bei einer U21-Europameisterschaft, bei der kein Akteur älter als 23 Jahre ist?
Wirtz:
„Natürlich gibt es Unterschiede von der Spielart her. Die verschiedenen Nationen bei der U21-EM haben auch immer ihre eigene Spielphilosophie. Man merkt in manchen Situationen, dass die Gegenspieler manchmal etwas ungestümer in die Zweikämpfe gehen als zum Beispiel in der Bundesliga. Dafür war es bei der U21 sehr intensiv, weil alle noch sehr jung sind und viel Energie über das ganze Spielfeld aufwenden können. Das bedeutet auch, dass es viele knackige Zweikämpfe gibt.“

Dein Mannschaftskollege Niklas Dorsch hat von seiner Oma vor dem Finalspiel Schweinshaxe und Sauerbraten als Sieges-Motivation versprochen bekommen. Was haben dir deine Familie und Freunde vor dem Finale auf den Weg gegeben?
Wirtz:
„Mein Vater war das ganze Turnier über vor Ort und hat mich auch vor dem Finale besucht. Da hat er mir Mut zugesprochen. Vor dem Halbfinale hat er mir sogar gesagt, dass ich zwei Tore machen soll, was ich dann im Endeffekt auch gemacht habe (lacht). Meine Geschwister sind ebenfalls für das Finale angereist. Das hat mir nochmal Kraft gegeben, als ich sie beim Einlaufen im Stadion gesehen habe. Allgemein habe ich mit vielen Leuten gesprochen, die sich alle für mich gefreut haben. Alle waren stolz, dass wir, die U21, es überhaupt ins Finale geschafft hatten und haben mir dann aber auch auf den Weg gegeben, dass wir den Pokal jetzt mit nach Hause bringen sollen.“

Bei Instagram hat man dich nach dem gewonnenen Endspiel mit einem Bluetooth-Lautsprecher in der Kabine gesehen. Aus den Boxen dröhnte „Schatzi, schenk mir ein Foto“. Wie kam es dazu und reißt du genau wie auf dem Feld auch beim Feiern das Geschehen gerne an dich?
Wirtz:
„Wir wollten alle ein bisschen Party-Musik hören. Der Salih (Özcan, Anm. d. R.) ist Kölner, dementsprechend auch für ausgelassene Stimmung empfänglich. Dieses Mal habe ich mich als ‚Kabinen-DJ‘ allerdings etwas zurückgehalten. Das hat bei der EM mehr der ‚Dorschi‘ (Niklas Dorsch, Anm. d. R.) gemacht.“

Am 5. Juli startet bei der Werkself die Vorbereitung auf die neue Saison. Was hast du bis dahin vor? Wie schaltest du ab?
Wirtz:
„Ich möchte auf jeden Fall noch ein bis zwei Wochen in den Urlaub mit meinen Freunden. Auch zu Hause möchte ich die Zeit mit Familie und Freunden genießen und alle möglichst häufig sehen. Es wäre natürlich nicht schlecht, wenn in der Zeit auch das Wetter mitspielt. Einfach mal von Fußball, von der Schule – einfach allem – abschalten. Selbstverständlich muss ich mich auch fit halten, aber ein bisschen Pause wird gestattet sein. Die Saison war ziemlich anstrengend.“