Im kommenden Jahr feiert Bayer 04 seinen 120. Geburtstag. Das möchten wir zum Anlass nehmen, um heute und in den nächsten Monaten auf bayer04.de regelmäßig einen Blick auf den Fußball unterm Kreuz zu werfen und in erster Linie der Frage nachzugehen: Wie sind wir zu dem Klub geworden, der wir heute sind. In Teil 2 unserer Serie beschäftigen wir uns mit unseren Fans. Die Anhänger von Schwarz-Rot sind in dieser Saison euphorisch wie nie und sorgen zu Hause wie auswärts für einen unfassbaren Support.
Dass der Heimbereich bei den bisherigen Spielen in der BayArena immer ausverkauft war, ist nicht weiter verwunderlich. Die Werkself spielt begeisternden, erfolgreichen Fußball. Jeder will dabei sein, jeder seinen Teil zur fantastischen Stimmung im eigenen Stadion beitragen. Wie am Sonntag wieder beim 1:1 gegen Borussia Dortmund. Bei manch einem Heimspiel war die Ticketnachfrage so groß, dass auch schon mal die Server zusammenbrachen. Aber dass nun auch die Eintrittskarten für die Auswärtsspiele so begehrt sind, wundert selbst einen alten Hasen wie Andreas „Paffi“ Paffrath. Was der Fanbeauftragte von Bayer 04 da mit spürbarer Freude in der Stimme schildert, ist Ausdruck eines völlig neuen Leverkusen-Gefühls. Als Bayer 04 jüngst vor dem Spiel in Bremen das komplette Gästekarten-Kontingent angefordert hatte, klingelte sein Telefon. „Die Kollegen von Werder riefen bei uns an und fragten sicherheitshalber nach, ob wir uns vielleicht irgendwie verrechnet hätten“, erzählt Paffi mit einem Schmunzeln. Nein, hatte man nicht. Rund 4.100 Werkself-Fans waren schließlich mit an die Weser gereist. Und auch beim kommenden und letzten Auswärtsspiel in diesem Kalenderjahr in Stuttgart ist der Gästeblock wieder ausverkauft. „Dabei hätte der VfB die Oberrang-Tickets gerne an die eigenen Fans verkauft“, sagt Paffi.
Der Support für die Werkself auch in fremden Stadien hat nie gekannte Ausmaße erreicht. Ein paar Zahlen: 3.000 Fans unterstützten ihre Mannschaft schon beim Erstrunden-Pokalspiel in Ottensen. 5.200 Anhänger begleiteten das Team von Trainer Xabi Alonso nach München zur Partie beim FC Bayern, 5.000 waren in Mainz dabei, 3.800 in Sinsheim bei der TSG Hoffenheim, 3.400 in der 2. Pokalrunde beim SV Sandhausen. Insgesamt haben in den bisher acht Auswärtsspielen in Bundesliga und DFB-Pokal 31.000 Bayer 04-Fans ihr Team angefeuert. Im Schnitt waren also fast 4.000 Anhänger von Schwarz-Rot auswärts vor Ort. Und machten dort nicht selten mehr Lärm als die heimischen Fans.
Selbst in der Europa League ließen sich hartgesottene Fans nicht von weiten Reisen abschrecken. Nach Göteborg machten sich rund 900 Supporter auf den Weg. Per Flieger, per Fähre, mit dem Auto oder im organisierten Bus. Was für ein Abenteuer. Wieder einmal. Über 1.000 Kilometer. Auch die Nordkurve12 hatte einen Bus organisiert. Abfahrt am Mittwochabend an der Stelze. Rund 15 Stunden später Ankunft im winterlich-verschneiten, eiskalten Göteborg. Unterwegs mit Bayer 04, auf Tour #aCROSSeurope. Im Ullevi war die Stimmung im Gästeblock einmal mehr großartig. Für die meisten ging es nach der Partie gleich wieder nach Hause. Unterm Strich: Mehr als 30 Stunden An- und Abreise für 90 Minuten Fußball. Wahnsinn. Sagen die einen. Die anderen nennen es Leidenschaft. Wir bedanken uns!
Was also ist passiert in Leverkusen, bei Bayer 04, mit den Fans? „Es fing schon in der vergangenen Saison an“, holt Paffi zur Erklärung aus. „In der Woche vor dem Halbfinal-Heimspiel in der Europa League gegen die AS Rom war die ganze Stadt elektrisiert. Die Leute haben unsere Farben getragen. Aus den Autos hingen schwarz-rote Schals, an Häusern sahst du Fahnen, Fahrradfahrer hatten sich auf dem Weg zur Arbeit oder zur Schule Trikots übergestreift.“
Vor der Partie gab’s den Fan-Marsch von Opladen zum Stadion, an dem sich Tausende beteiligten. Der Mannschaftsbus bewegte sich nur im Schneckentempo. Was für ein Empfang für unser Team. Und dann das Spiel in der BayArena gegen die Maurermeister aus der Ewigen Stadt. „Noch nie habe ich über 90 Minuten so eine Stimmung erlebt wie gegen Rom“, sagt Paffi. „Temporär vielleicht noch beim legendären 4:2 gegen Liverpool 2002, aber gegen Rom herrschte über die gesamte Spieldauer eine solche Lautstärke, gab’s einen solchen Support wie nie zuvor. Das war der Hammer, Gänsehaut pur.“ Die Mannschaft habe den Funken überspringen lassen. Und die Fans hätten gespürt: Hier entsteht was, hier ist wieder was möglich. „Manche hatten den Flug zum Finale in Budapest schon gebucht. Denen war es scheißegal, ob sie auf den Kosten sitzenbleiben würden. Hauptsache, dabei sein.“
Bekanntlich ist aus dem Budapest-Traum dann doch nichts geworden. Aber die Euphorie blieb. Und als der Klub in der Sommerpause nach und nach seine Neuzugänge präsentierte und fast alle Leistungsträger halten konnte, kam die Botschaft bei den Fans an: Wir wollen was erreichen, wir haben was vor. „Es passt von vorne bis hinten“, sagt Paffi. „Xabi Alonso als Trainer, die Neuen wie Xhaka und Hofmann, die echte Leader auf dem Platz sind. Oder Grimaldo und Boniface, diese Granaten als Spieler und Typen. Und überhaupt: Die Jungs bleiben auch nach dem Training mal länger stehen, um Autogramme zu geben. Sie zeigen sich nahbar, du spürst die Identifikation mit dem Klub. Das alles führte dazu, dass die Fans sagten: In das Auto steig ich ein, bei der Reise will ich dabei sein.“
Bevor die Reise richtig losging, wurde schon vor dem Saisonstart 2023/24 der bisherige Rekordwert von 19.350 Dauerkarten für die BayArena geknackt. Bayer 04 verkaufte 40 Prozent mehr Trikots als in der Spielzeit zuvor. Die Bayer 04-Clubs freuten sich im Vergleich zur Vorsaison über einen Zuwachs von über 20 Prozent – inzwischen sind mehr als 39.000 Mitglieder angemeldet. Ahnen konnte zu diesem Zeitpunkt niemand, dass die Werkself so beeindruckend in die Saison starten würde. Fest daran geglaubt hatten viele.
Auch die Reichweite auf den Social-Media-Kanälen erhöhte sich noch einmal enorm. Inzwischen hat Bayer 04 auf seinen 17 digitalen Plattformen mehr als elf Millionen Follower, Tendenz steigend. Damit rangiert der Klub unter den Top drei in der Bundesliga.
Dass die Mannschaft einen Rekord nach dem anderen aufstellt und von Erfolg zu Erfolg eilt, macht aus der Euphorie fast einen Dauerzustand. Paffi kennt solche Phasen. Der Mann ist schließlich seit über 50 Jahren aktiver Bayer-Fan und seit über drei Jahrzehnten in der Fanbetreuung des Klubs tätig. Aber eine solche Begeisterung? „Nee, die gab’s in dieser Form noch nie“, sagt der 56-Jährige.
Sein eigenes Fan-Leben begann mit einem Auswärtsspiel von Bayer 04 bei Union Solingen. Im Stadion am Hermann-Löns-Weg sah er 1971 als Vierjähriger sein erstes Fußballspiel. Seitdem hat der gebürtige Leverkusener alle Höhen und Tiefen mitgemacht. Natürlich auch die Aufstiegssaison 1978/79. Von einer Atmosphäre wie heute war man damals noch Lichtjahre entfernt. Auch wenn Gelsdorf, Hörster, Herzog und Co. in der letzten Zweitliga-Saison von Sieg zu Sieg eilten und vom zweiten bis zum finalen, dem 38. Spieltag an der Tabellenspitze standen – einen Zuschauerboom entfachten sie damit noch längst nicht. Zu den 19 Heimspielen kamen insgesamt 150.000 Besucher, im Schnitt also knapp 8.000. Das Ulrich-Haberland-Stadion fasste seinerzeit 22.000 Zuschauer.
Und selbst in den ersten Bundesliga-Jahren herrschte auf den Rängen oft Tristesse – nicht nur in Leverkusen. Volle Stadien waren die Ausnahme, nicht die Regel. Als die Mannschaft von Trainer Willibert Kremer am 1. Dezember 1979 beim FC Schalke 04 ihren ersten Auswärtssieg (2:0) überhaupt in der Bundesliga holte, verloren sich nur 6.000 Zuschauer im weiten Rund des altehrwürdigen Parkstadions. Die gähnende Leere hatte allerdings auch ihre Vorteile: „Du konntest von hinten heraus gut die Mannschaft lenken“, erinnert sich Torhüter-Legende Rüdiger Vollborn mit einem Schmunzeln. „Die Spieler haben dich ja gehört, weil es so ruhig war.“
Mit dem Umbau des Ulrich-Haberland-Stadions zum vielzitierten Schmuckkästchen, vor allem aber mit der Verpflichtung von Stars wie Andy Thom, Ulf Kirsten, Bernd Schuster und Rudi Völler Anfang bis Mitte der 1990er-Jahre schossen die Zuschauerzahlen in die Höhe. In der Saison 1994/95 war der Schnitt bereits auf 22.800 Besucher gestiegen. Auf den Tribünen wurde es bunter. Zum einen, weil es nun Fanartikel wie Schals, Fahnen und Trikots zu kaufen gab. Zum anderen, weil ein breiteres Publikum den Weg ins Stadion fand. Mit der Familystreet bot Bayer 04 den Familien ein attraktives Angebot. Der „Arbeitskreis Stimmung“ sorgte in der Fankurve für aufwändig gestaltete, farbenfrohe Choreografien. Auch die Ultras leisteten ihren Beitrag zur deutlich verbesserten Stimmung im Stadion. Der neuerliche Umbau der BayArena im Jahr 2009 brachte noch mehr Service und Komfort mit sich.
Fanbetreuung, Fanprojekt, die Bayer 04-Clubs, der Kurvenrat, der Verein „Kreativ Schwarz-Rot“, die unabhängige Faninitiative Nordkurve12 – in Leverkusen ist in 45 Jahren ununterbrochener Bundesliga-Zugehörigkeit eine Fanszene gewachsen, die Bayer 04 liebt und lebt. Paffi abschließend: „Und dass der enge Zusammenhalt zwischen Klub, Team und Anhängern in dieser Saison zu etwas Großem führen kann, das spürt und hofft jeder.“