Mit Mitte fünfzig ist Falko Götz sesshaft geworden. In Odenthal hat er sich vor ein paar Jahren mit seiner Frau Rita sein zweites Haus gebaut. Das erste, in das das Ehepaar vor mehr als 30 Jahren eingezogen war, steht nur rund 800 Meter entfernt. Es habe sich auf wunderbare Art und Weise ein Kreis geschlossen, sagt der ehemalige Fußballprofi und Trainer. Denn in Leverkusen hatte 1983 nach einer abenteuerlichen Republikflucht aus der DDR ein neues Leben für Falko Götz begonnen. An diesem Samstag, 26. März, feiert unser UEFA-Cup-Sieger, der seit 2019 wieder für Bayer 04 arbeitet, seinen 60. Geburtstag. Ein Porträt.
Die Geschichte ist oft erzählt und auch schon filmisch dokumentiert worden. Gemeinsam mit seinem Freund und Mannschaftskollegen Dirk Schlegel hatte sich Götz am 2. November 1983, einen Tag vor dem Europapokalspiel seines Klubs BFC Dynamo Berlin bei Partizan Belgrad, abgesetzt und war mit Hilfe der deutschen Botschaft mit dem Nachtzug über Zagreb, Ljubljana bis nach München gekommen. Von dort ging es weiter ins Notaufnahmelager nach Gießen. Auf Vermittlung von Jörg Berger, seinerseits ehemaliger DDR-Bürger und damals Trainer von Hessen Kassel, entstand der Kontakt zu Reiner Calmund, und nur rund eine Woche nach der Flucht standen Götz und Schlegel, zwei der größten Talente des DDR-Fußballs, bei Bayer 04 unter Vertrag.
Falko Götz betonte stets, dass die Flucht für ihn keinen politischen Hintergrund hatte. „Ich war ein großes Fußballtalent und wollte in der Bundesliga spielen.“ Beim BFC Dynamo, dem Klub des Stasi-Chefs Erich Mielke, war der Stürmer bei Fördermaßnahmen aber oft hintangestellt worden, weil seine Mutter im Westen viel Verwandtschaft hatte. „Ich galt kaderpolitisch als nicht sauber.“ Eine sportliche Karriere, die seinem Talent gerecht geworden wäre, hätte er in der DDR nie einschlagen können. Sich diesen Weg verbauen zu lassen, wäre für ihn einer Kapitulation gleichgekommen. Dann lieber das Wagnis Flucht eingehen. Und dass man es drüben schaffen konnte, hatten die aus der DDR stammenden Spieler Norbert Nachtweih und Jürgen Pauls ja bewiesen, die schon 1976 geflüchtet waren und bei Eintracht Frankfurt ihr Bundesliga-Debüt gegeben hatten. Auf der anderen Seite lag der mysteriöse Unfalltod des DDR-Fußballers Lutz Eigendorf im März 1983 erst ein halbes Jahr zurück. Man konnte es drehen und wenden wie man wollte: Mit einem hohen Risiko wäre die Sache auf jeden Fall verbunden. Ganz zu schweigen von der Sorge um die eigene Familie, die Eltern und die Geschwister, die man lange nicht mehr wiedersehen würde. „An den Mauerfall sechs Jahre später war ja noch nicht zu denken“, sagt Götz, der seine Geschichte im Werkself Podcast (Folge 18) noch einmal eindrücklich schilderte.
Was Förderung und Vertrauen bedeuten, erfuhr Falko Götz in Leverkusen vor allem von seinem Trainer Dettmar Cramer, der in der Schlebuscher Waldsiedlung auch gleich neben ihm wohnte. „Er hat sich sehr um mich gekümmert“, sagt Götz, der wie Schlegel für zwölf Monate gesperrt worden war und nur trainieren durfte. Als die Sperre abgelaufen war, nutzte Cramer die erste Gelegenheit und setzte die beiden Berliner just auf den Tag genau ein Jahr nach ihrer Flucht beim Bundesliga-Auswärtsspiel in Bielefeld ein. „Dieser Vertrauensvorschuss von Cramer hat mich sehr berührt“, sagt Götz.
In Leverkusen wurde der ehemalige DDR-Auswahlspieler sofort Stammkraft und trug als Stürmer wesentlich dazu bei, dass Bayer 04 sich 1986 erstmals für einen internationalen Wettbewerb qualifizieren konnte. Zwei Jahre später gewann er mit der Werkself den UEFA-Cup, erzielte im Final-Rückspiel gegen Espanyol Barcelona mit einem herrlichen Flugkopfball das 2:0, später egalisierte Bum-kun Cha mit dem dritten Treffer das 0:3 aus dem Hinspiel. Verlängerung, Elfmeterschießen, Triumph. Noch heute ist Götz Torhüter Rüdiger Vollborn dankbar, dass er selbst als fünfter Elfmeterschütze nicht mehr ran musste. Überhaupt Vollborn: „Wenn wir heiß wie Frittenfett waren, dann schwebte Rüdiger noch in ganz anderen Sphären. Es war ansteckend, wie er drauf war an diesem Abend, wie er seine psychologischen Dinger abgezogen hat. Das war ganz großes Kino. Als Espanyol den entscheidenden Elfmeter verschossen hatte, bin ich in meinem Jubel erstmal in die falsche Richtung gerannt. Das zeigt, wie durcheinander ich war“, erinnert sich Götz und muss lachen.
Dass er nach dem ersten Titel seines Klubs und viereinhalb Jahren unter dem Bayer-Kreuz ausgerechnet zum ungeliebten Nachbarn 1. FC Köln wechselte, sorgte für einigen Wirbel. „Dabei lag das nur an Rinus Michels, der den Verein als Trainer im Sommer übernahm, sich abfällig über mich geäußert hatte und mich nicht wollte.“ Insgesamt 140 Pflichtspiele hatte Götz für Bayer 04 absolviert, dabei 33 Tore erzielt. Nun sollte ein neues Kapitel auf der anderen Rheinseite beginnen.
In seinen vier Kölner Jahren wurde Götz zweimal Vizemeister und schaffte es einmal ins DFB-Pokalfinale (1991, 3:4 n.E. gegen Werder Bremen). Fußballerisch habe er sich dort enorm weiterentwickelt unter Christoph Daum als jungem Trainer und in einer Mannschaft mit den Weltmeistern Bodo Illgner, Pierre Littbarski und Thomas Häßler.
Auch an seine nächste Station, die erste im Ausland, erinnert sich der gebürtige Sachse gerne. Von 1992 bis 1994 spielte der inzwischen 30-Jährige bei Galatasaray Istanbul, gewann unter Coach Karl-Heinz Feldkamp zweimal die türkische Meisterschaft und einmal den türkischen Pokal. „Eine wunderschöne Zeit in einer tollen, pulsierenden Stadt“, sagt Götz, der 1994 nach Deutschland zurückkehrte. Zwei Jahre spielte er noch in Saarbrücken, wechselte dann zu Hertha BSC und stieg zum Abschluss seiner Karriere mit dem Hauptstadtklub 1997 in die Bundesliga auf.
Weil er immer noch mit den Folgen eines Achillessehnenrisses zu kämpfen hatte, beendete Götz seine aktive Laufbahn mit 35, hatte zuvor schon einige Trainerscheine gemacht und ein Studium als Sportmanager abgeschlossen. „Ich musste deshalb nicht lange überlegen, als Dieter Hoeneß, damals Manager bei Hertha BSC, mir anbot, im Trainerteam mitzuarbeiten“, sagt Götz. Er übernahm die 2. Mannschaft, wurde später Nachwuchskoordinator des Vereins, hat junge Talente wie die Boateng-Brüder, Ashkan Dejagah und Sejad Salihovic gefördert. „Ich habe schnell festgestellt, dass ich ein Auge für den Fußball-Nachwuchs hatte“, sagt Götz, der ab Februar 2002 auch als Interimscoach der Profis sehr erfolgreich war und die Hertha als Nachfolger von Jürgen Röber in den verbleibenden 13 Spielen von Platz 7 auf Platz 4 in den UEFA-Cup führte.
Zwei Jahre später, nach einem einjährigen Intermezzo als Chefcoach bei 1860 München, gelang ihm das mit den Berlinern noch einmal. Diesmal allerdings war Platz 4 fast eine Enttäuschung, weil Hertha durch ein 0:0 am letzten Spieltag gegen Hannover 96 Platz 3 und damit die Teilnahme an der Champions League verpasste. „Ich hatte damals einige Topstars in meiner Mannschaft wie Marcelinho, Arne Friedrich, Fredi Bobic, Artur Wichniarek, Yildiray Bastürk und Niko Kovac, aber wir lebten auch immer von unserer guten Nachwuchsarbeit“, erinnert sich Götz an erfolgreiche drei Jahre in der Hauptstadt.
Dass er auch Abenteuern nicht abgeneigt ist, bewies er 2011 mit seinem einjährigen Engagement als Nationaltrainer Vietnams. „Ein wunderschönes Land“, schwärmt Götz. „Ich habe viel gelernt dort, musste improvisieren, mich um vieles selbst kümmern. Es war ein bisschen ‚Back to the roots‘. Die Gastfreundschaft der Menschen hat mich begeistert, ich habe viel über die Geschichte des Landes erfahren, bin viel gereist dort.“
Berufliche Standortwechsel gab’s für Falko Götz auch nach der Rückkehr nach Deutschland noch einige. Erzgebirge Aue, 1. FC Saarbrücken und FSV Frankfurt hießen die weiteren Trainerstationen. „Nach Frankfurt fragte ich mich allerdings, ob der Trainerjob noch etwas für mich ist. Und ich bin deshalb glücklich, dass ich seit Sommer 2019 diese tolle Aufgabe bei Bayer 04 übernehmen durfte“, sagt Götz, der sich in Leverkusen seit drei Jahren um die Betreuung von Talenten im Übergangsbereich zwischen Jugend- und Lizenzbereich kümmert. Er sei hoch motiviert, seine Erfahrung einzubringen und seinen Teil zur Entwicklung junger Nachwuchskräfte beizutragen.
Auch er selbst ist sportlich immer noch sehr aktiv. Falko Götz kickt regelmäßig für die Bayer 04-Traditionsmannschaft. Wenn er sich mal nicht mit Fußball beschäftigt, schwingt er gerne den Golfschläger. Außerdem ist er begeisterter Skifahrer und Toskana-Fan.
An diesem Samstag feiert der ehemalige Stürmer und Trainer seinen 60. Geburtstag. Happy Birthday, Falko, und alles Gute zu deinem Ehrentag wünscht Bayer 04!